Adventszeit – Geheimnisse – Überraschungen

Predigttext: Lukas 21, 25-33
Kirche / Ort: Providenz-Kirche / Heidelberg
Datum: 08.12.2002
Kirchenjahr: 2. Sonntag im Advent
Autor/in: Pfarrerin Eva Loos

Lukas 21,25-33 Eigene Übersetzung unter Verwendung eines Neugriechischen Wörterbuchs

Auf der Sonne, dem Mond und den Sternen wird es Signale / Flaggen / Zeichen geben und auf der Erde einen Zusammenhalt /Aneinanderklammern der Nationen im Erstaunen über das Echo vom Wogen des Meeres, wobei die Menschen frieren vor Furcht und Erwartung dessen, was über die Ökumene/bewohnte Erde hereinbricht und die Mächte des Himmels werden in Bewegung geraten. Dann werden sie den Sohn des Menschen / Menschensohn kommen sehen in einer Wolke mit Macht und voll Glanz. Wenn sich dieses ereignet, erholt euch und steckt euere Köpfe wieder heraus, weil euere Freilassung naht.

Mein Zugang zum Text oder eine exegetische und homiletische Einführung:

Soviel ist deutlich, es geht um Zukünftiges, und das ist das Kommen des Sohn des Menschen / des Menschensohns, und dieses Kommen berührt die Gesamtheit der Schöpfung. Der Kommende ist Sohn, Menschensohn, nicht geschaffen, sondern geboren, „gezeugt, nicht geschaffen“ (Das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinope EG S.882.) Sohn sagen wir, wenn wir über das Geschlecht hinaus, die Herkunft eines Mannes im Blick behalten wollen. Ein Sohn ist nicht ohne seine Mutter und ein Sohn ist nicht ohne seinen Vater. Haben Söhne bekannte Mütter oder auch bekannte Väter, wird deren Name immer zugleich mit dem ihren erwähnt, ob sie das wollen oder nicht. Im Falle eines Menschensohns ist diese Bindung für das Überleben von größerer Bedeutung als bei Tiersöhnen. Ich verstehe Menschensohn als Verweis auf das Eingebundensein in die Menschheit. Ein Menschensohn setzt die Menschheit voraus. Ein Menschensohn setzt immer eine Mutter und einen Vater voraus. Wir kennen den Namen der Frau, die Jesus geboren hat, sie hieß Maria, wie unzählige Mütter bis auf den heutigen Tag (Das apostolische Glaubensbekenntnis EG S.881). Es ist Jesus, der die Prophezeiungen macht und dabei an alte Weissagungen anknüpft Daniel 7,13. Das Zukünftige ist das längst Geschaute. Die Zukunft von damals hat längst begonnen. Wie auch Jesus selbst schon zur Zukunft des von Daniel Geschauten gehört. Das einst Geschaute ist es, was seinen eigenen Worten Bedeutung gibt. Er gibt das Geschaute mit eigenen Worten und einer eigenen Bedeutung weiter. Immer wieder wurde die Gegenwart darauf hin gedeutet, dass es nun an der Zeit sei. Hätte ich Zeit, würde ich gerne alle Predigten, die jemals zum Text gehalten wurden, lesen, um zu sehen, wie oft schon Prediger die Prophezeiungen Jesu auf ihre Zeit gedeutet haben, nach dem Modell: jetzt ist die Zeit gekommen. Ich will wenigstens aus einer zitieren, zwar nicht zum Text doch durchaus zum Thema. Gehalten wurde sie am 2. Christage 1796 von Johann Peter Hebel. „Unerwartet für manche und unbemerkt selbst denen, die ihn erwarteten, erschien Christus; Mensch unter Menschen. Und doch oft in seinem Leben war er gerade da nicht, wo man ihn suchte, kam er gerade alsdann nicht, wenn man ihn am sehnlichsten herbeiwünschte, und stand ungekannt mitten unter ihnen, wenn sie ihn nicht mehr erwarteten…“ Anmerkung: Gefunden habe ich diese Predigt in einem für unseren Zusammenhang wichtigen Text von Hannah Arendt, in: Vita activa am Ende des Kapitels über das Handeln. Ich kenne keine schönere Stelle, die die Bedeutung des Geborenseins für alle menschlichen Angelegenheiten preist. J. P Hebel spricht vom Lebenden also vom bereits Gekommenen und der Erfahrung, dass sogar Erwartung blind machen kann für das Ereignis selbst. Ein Mensch unter Menschen, das ist die Quelle für jedes nur mögliche Missverständnis. Nicht anders der Sohn des Menschen. Wer sollte das sein? „In einer Wolke“ vielleicht ist ja „im Nebel“ gemeint und das wäre dann ein völlig anderer Blickwinkel. Ich verstehe Jesu Prophezeiung an die Seinen so: Lasst euch von den großen Ereignissen den Blick nicht trüben, es ist ein Mensch, der Sohn von Menschen, der Sohn einer Frau und eines Mannes, die wiederum Töchter und Söhne sind, dessen Kommen für euch bedeutsam ist, befreiend. Wer unter den Menschen nach „dem Menschen“, (die einzige Einschränkung ist, es ist ein männlicher Mensch), Ausschau halten muss, hat es schwer. Jeder könnte es sein. Vielleicht aber auch jede. Die Frage nach der Herkunft und Bedeutung der Menschensohntradition halte ich historisch für relevant aber nicht im Rahmen einer Predigt. Das würde auch dazu führen, dass ich zurückblicken muss. Es geht im Text aber um Zukunft. Und die Zukunft bringt Ereignisse von globalem oder ökumenischem Ausmaß und Freilassung. Letztere ist verknüpft mit einem Menschensohn oder mit einem von uns, einem Mensch unter Menschen. Und das geschieht immer und immer wieder. Zeichen lässt sich auch mit Flagge übersetzen oder mit Signal. Das entspricht unserer Wahrnehmung von Sonne, Mond und Sterne. Zu anderen Zeiten waren es andere Zeichen. Das Meer kann wogen oder toben, es kann auch laut aufheulen über das Gift, das ihm zugemutet wird. Die Mächte des Himmels, das kann auch das sein, was andere die göttliche Sphäre nennen, andere die Religion, wieder andere die Stürme. Das alles ist es nicht, von dem wir unserer Zukunft abhängig machen sollten. Unsere Zukunft liegt bei uns selbst. Das finde ich zu allen Zeiten und in allen Generationen eine wichtige Botschaft. Davon will ich in der Predigt sprechen.

Lieder:

EG 7,1-5 O Heiland reiß die Himmel auf; EG 181.6 Laudate, omnes gentes/Lobsingt, ihr Völker alle; EG 6,1-5 Ihr lieben Christen, freut euch nun ; EG 4,1-5 Nun komm, der Heiden Heiland; EG 9,1-6 Nun jauchzet, all ihr Frommen Psalm 8, EG 704

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Liebe Gemeinde,

in diesen Tagen kann sich kaum jemand der Weihnachtsbotschaft entziehen. Es ist eigentlich nicht zu überhören und zu übersehen. Zeichen wohin man blickt. Weihnachtsdekoration, kein Erdteil, keine Stadt ist mehr davor sicher. Das Tosen des Meeres klingt geradezu beschaulich gegenüber der weihnachtlichen Dauerberieselung. Das Christkind auf der Wolke, kein Problem. Ist das die Zeit wo wir uns wieder erholen können, unseren Kopf wieder erheben, weil unser Freikauf –auch diese Übersetzung wäre möglich – sich naht? Und das solange wir leben alle Jahre wieder, um dann erschöpft am Tag danach zu sagen, es reicht vorerst mal wieder.

Wir wissen nicht, wie genau Jesus seine Prophezeiung gemeint hat, aber was spricht dagegen, dass so, wie es bei uns ist, es durchaus auf seiner Linie liegt. Wären wir anderer Meinung, müssten wir schleunigst etwas ändern. Natürlich gibt es da die feinen Nuancen zwischen Kaufhaus und Kirchenmusik. Doch beide künden vom gleichen Ereignis, jeder auf seine Weise, jeder für sein Publikum. “Ein Kind ist uns geboren.“ Das ist der ganz einfache Grund für den ganzen Spektakel. Ein Grund der sich zwar in den letzten zwanzig Jahren bei uns immer weniger ereignet, aber doch noch ein alltäglicher ist. An jedem Tag werden uns Kinder geboren.

Zu manchen Kindern kommt am Abend der Sandmann auf der Wolke mit einer Gutenachtgeschichte zum Einschlafen oder der Nikolaus mit seinem Wagen oder das Christkind. Auf einer Wolke zu liegen, wer hätte sich das nicht schon einmal im Leben gewünscht. Der Flugverkehr macht´s möglich. Doch noch ist es nicht soweit. Noch müssen wir warten. Heute ist erst der zweite Advent. Warten will gelernt sein, auch dafür eignet sich die Weihnachtszeit. Die Erfüllung der Wünsche nicht gleich und sofort, sondern ein wenig Geheimnis und Überraschung. Wenn uns das gelingt, dann sind wir glücklich. Heute ist der zweite Advent, noch ist alles Geheimnis und Überraschung noch möglich.

Geheimnis des Textes

Geheimnis und Überraschung – auch dies geht von unserem Text aus. Der Text ist nicht offen und klar, eher geheimnisumwittert, Überraschung ist angesagt. Eine uralte Prophezeiung soll wahr werden: ein Menschensohn oder einer wie der Sohn eines Menschen auf einer Wolke und sein Kommen wird Freude, weil Freiheit / Freilassung / Freikauf sein. Kein Wort davon, was wir dazu tun könnten oder sollten, außer, wenn es so weit ist, den Kopf wieder herausstrecken / das Haupt erheben. Das ist uns alles ein Bisschen wenig und viel zugleich. Aber mehr war es nicht und mehr, so schätze ich, wird es auch in Zukunft nicht sein: Ein Kind ist uns geboren und ein Kind wird uns geboren werden. Und wie damals wird es auch zukünftig sein, die einen werden es freudig begrüßen und Geschenke bringen und alle Engel im Himmel singen hören, und die anderen werden sich in ihrer Selbstherrlichkeit bedroht fühlen, solange bis sie es getötet haben, und an vielen wird es ganz einfach spurlos vorüber gehen. So war es und so wird es immer wieder sein. Was anderes hat uns Jesus nicht verheißen.

Dem Geheimnis auf der Spur

Wie keine andere hat für diese Kleinigkeit und deren unendliche Bedeutung Hannah Arendt in den vergangenen Jahren den Blick vor allem vieler Frauen geschärft. In ihren Schriften haben sie etwas entdeckt, was sie neu verstehen lässt, was es heißt, in den Jubel einzustimmen: „Uns ist ein Kind geboren“.

Mit Hannah Arendt beginnt der Dichter- und Denkerstadtplan Heidelbergs. Da steht: „Hannah Arendt, Philosophin, Politologin und Soziologin verbrachte ihre letzten Studienjahre von 1926 bis 1928 in Heidelberg; 1929 Übersiedelung nach Berlin. Während der Heidelberger Zeit war sie eng befreundet mit Benno von Wiese, dem späteren Professor für Germanistik, und mit Hans Jonas, dem spätern Gnosisforscher und Philosophen. Erste Begegnung mit dem Zionisten Kurt Blumenfeld. 1928 Promotion bei Karl Jaspers mit einer Arbeit „Der Liebesbegriff bei Augustin. Versuch einer philosophischen Interpretation“. Mit Jaspers verband sie fortan eine lebenslange geistig-philosophische Freundschaft. Über dessen Bedeutung für ihr Leben formulierte sie später: „Wenn es irgendeinem Menschen gelungen ist, mich zu Vernunft zu bringen, dann ist es ihm gelungen.“ Anmerkung: Der Dichter und Denkerstadtplan, Poetisches Heidelberg, Verlag Jena 1800.

Schlossberg 16, Ende der sechziger Jahre abgerissen und Plöck 66, ehemals Wohnung von Gertrud und Karl Jaspers, sind Orte, die in Heidelberg mit ihrem Namen verbunden sind. Als deutsche Jüdin ist sie nach Aufenthalten im Konzentrationslager in Gurs nach USA emigriert.

Hannah Arendt war befreundet, sie war ein Leben lang befreundet und Freundschaften waren es, die sie durch ein äußerst bedrohtes Leben getragen haben. Sie gehört zu jenen Menschenkindern, denen andere Menschen das Recht, unter Menschen zu sein, absprachen. Umso erstaunlicher ist, dass dies ihrer Liebe zur Welt keinen Abbruch tun konnte. Hoffnung ist möglich schreibt sie, solange Menschen geboren werden.

Anmerkung: Hannah Arendt, Vita activa, München 1981 S.243.
Am Ende des Kapitel 34 “Die Unabsehbarkeit der Taten und die Macht des Versprechens“ schreibt sie: “Das Wunder , das den Lauf der Welt und den Gang menschlicher Dinge immer wieder unterbricht und vom Verderben rettet, das als Keim in ihm sitzt und als „Gesetz“ seine Bewegung bestimmt, ist schließlich die Tatsache der Natalität, das Geborensein, welches die ontologische Voraussetzung dafür ist, dass es so etwas wie Handeln überhaupt geben kann. (Daher liegt die spezifisch philosophische Bedeutung der Geschichte Jesu, deren religiöse Signifikanz natürlich die Auferstehung von den Toten betrifft, in dem Gewicht das seiner Geburt und Gebürtlichkeit beigelegt wird, so dass etwa Johann Peter Hebel auch den Christus, der als Auferstandener „vom Himmel herabschaut und unsere Wege beobachtet“, noch den „Geborenen“ nennen kann, und zwar deswegen, weil er nur als ein „Geborener“ lebt.) Das „Wunder“ besteht darin, dass überhaupt Menschen geboren werden, und mit ihnen der Neuanfang, den sie handeln verwirklichen können kraft ihres Geborenseins. Nur wo diese Seite des Handelns voll erfahren ist, kann es so etwas geben wie Glaube und Hoffnung……Dass man in der Welt Vertrauen haben kann und dass man für die Welt hoffen darf, ist vielleicht nirgends knapper und schöner ausgedrückt als in den Worten mit denen die Weihnachtsoratorien „die frohe Botschaft“ verkünden: “uns ist ein Kind geboren“

Menschensohn

Wem das Recht, unter Menschen zu sein, beschnitten wird, weiß besser, was es heißt, ein Mensch zu sein. Was es heißt, ein Mensch zu sein, können wir erst dann wirklich erfassen, wenn nicht mehr zählt, was ich habe und was mich auszeichnet, sondern allein die Tatsache, ein Mensch und nichts anderes auf der Welt zu sein. Darüber nachzudenken angeregt zu haben, ist Hannah Arendts großes Verdienst. Jaspers hat sie nach ihren eigenen Worten zur Vernunft gebracht, sie aber, so kann ich sagen, hat diese ihre Vernunft darauf verwendet, zur Sprache zu bringen, was menschliches Leben ausmacht. Menschen sind Geborene und als solche zu Neuanfängen fähig. Wer wie sie 1904 in Deutschland als Jüdin zu Welt kam, konnte täglich lernen, was das heißt, als Jüdin geboren zu sein und trotz allem die Lust am Leben nicht aufzugeben.

Der von Daniel geschaute Mensch und von Jesus Verheißene, auf den wir warten sollen, wird Sohn des Menschen genannt. Mensch ohne alles weitere. In heutiger Sprache ein No- name- Mensch, Menschensohn wäre demnach der Sohn eines, von dem nicht mehr gesagt werden kann als das, was er oder sie im Unterschied zu anderen Wesen ist., eben ein Mensch und kein Tier, ein Mensch und keine Pflanze. Nachdem nach 1945 die Wahrheit immer mehr ans Licht kam, gab es Leute, so erzählt Hannah Arendt, die ihr gegenüber von ihrer Scham sprachen, Deutsche zu sein. Sie soll daraufhin von ihrer Scham gegenüber den Tieren gesprochen haben, ein Mensch zu sein, ein Mensch unter Menschen, die zu tun in der Lage sind, was zu tun andere ihnen anordnen.

Eine weitere spannende Frage ist, ob dieser Mensch schon als Frau oder Mann zu denken ist, ob er / sie, wie wir heute sagen, bereits unter einem Gendergesichtspunkt zu sehen ist oder ob er / sie bereits einen weiblichen bzw. männlichen Körper hatte. Oder ist dieser Mensch zu denken, wie Paulus dies in Galater (3,26 ff) sieht: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer/e in Christus. Ein Mensch, der alles nicht ist, was uns von einander scheidet. Die Vorstellung von Menschen außerhalb unserer Festlegungen hat schon immer Menschen beschäftigt in beiden Zeitrichtungen, entweder als Urzustand oder status integritatis oder als Ziel der Geschichte, die Klassenlosigkeit oder das Reich Gottes. Wir heute haben, was dies alles angeht, schon so viele Experimente hinter uns, dass zur Zeit die Hoffnung auf so etwas, wie einen neuen Menschen oder den Sohn eines solchen, gerade keine Konjunktur hat.
Vielleicht war das ja auch schon immer ein Missverständnis, ein Missverständnis mit fatalen Folgen.

Menschenkinder

Weniger fatal sind die Folgen, die einer Sichtweise wie der von Hannah Arendt entsprechen. Das Wunder besteht darin, dass überhaupt Menschen geboren werden. Das ist der Grund, warum es so etwas wie Glaube und Hoffnung überhaupt geben kann. Bleiben wir in der Zeit, in der Hannah Arendt gelebt hat und in der Heidelberg eine ihrer wichtigsten Stationen war. Sie war befreundet, während andere Parteimitglieder waren, sie war befreundet, während andere ihr die Freundschaft kündigten, weil sie Jüdin war, sie war befreundet in der Hoffnung, dass es eines Tages eine neue Generation geben wird, die Kinder und Enkel der Parteimitglieder und Opportunisten. Von den Fragen und Provokationen dieser Kinder und Enkel wurde auch Heidelberg erschüttert.

Stellen wir uns vor, es hätte danach keiner gefragt, keiner wissen wollen, wie es gewesen ist. Die Gewissheit, dass uns unsere Kinder eines Tages zur Rede stellen werden, verhindert immer noch Schlimmeres. Ohne eine nächste und übernächste und… Generation wäre endlose Langeweile das Schicksal der Menschen. Die Gefahren einer solchen Langeweile sind an immer mehr Orten deutlich zu spüren. Immer mehr grenzen sich die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zu ihrem eigenen Schaden von einander ab.

Mensch unter Menschen

Ich will Sie zum Schluss einladen, in Gedanken einen Weg durch unsere Stadt zu machen. Wo würden Sie hier in Heidelberg hingehen, wenn Sie nichts anderes wollten, als unter Menschen zu sein? Nicht als Teil einer anonymen Masse, nicht als Konsument, nicht als Bürger, nicht als Tourist, nicht als…

Natürlich fällt Ihnen und mir dazu wahrscheinlich gleich eine Menge ein. Wer unter Menschen sein will, ist in Heidelberg besonders gut dran. Hier in einer der längsten Fußgängerzonen oder auf den Neckarwiesen ist es bis in die späte Nacht möglich, unter Menschen zu sein. Und es gibt eine Menge Veranstaltungen, Gemeinden und Feste. Schwierig wird es schon, wenn ich mich hinsetzen will, ohne einen Kaffee zu trinken, ohne einen Vortrag hören zu wollen, ohne einen Sport zu treiben, ohne mich nützlich zu machen. Ein solches Dasein unter Menschen ist schwierig, für ein solches Dasein sind die jeweils eigenen vier Wände zuständig.

Was aber, wenn mir da die Decke auf den Kopf fällt. Das ist für immer mehr Menschen die große Weihnachtsangst, allein zu Hause in den eigenen vier Wänden das Fest der Familie zu feiern, die es zu Hause nicht mehr gibt. Das Leben Jesu spielte sich auf der Strasse ab, oder am Ufer oder auf dem Berg oder auf Einladungen, bei Festen, oder nächtlichen Gesprächen.

Jesus traf sich mit allen möglichen aber auch unmöglichen Leuten. Seine Familie, das waren diejenigen, die mit ihm konnten. Jesus war befreundet. So stelle ich mir auch den Menschensohn vor, befreundet, immer unterwegs, ansprechbar und mitteilsam, anteilnehmend und anteilgebend, ein Mensch unter Menschen. Wo würde einer wie dieser hier bei uns in Heidelberg zu treffen sein? Wie müsste ein Stadtplan aussehen, nachdem er zu finden wäre? Wohin würden wir die drei Weisen schicken, wenn sie uns nach ihm fragen oder wohin so Leute wie die Hirten, wohin würden wir selbst gehen, ihn zu treffen?

Noch ist es Zeit. Noch ist erst der zweite Adventssonntag. Aber es wird Zeit, Ausschau zu halten nach einem Menschen unter Menschen, einem von Menschen Geborenen. Groß sind die Ablenkungen. Zeichen, wohin man blickt. Einer von uns auf einer Wolke des Himmels. Einer von uns, das kann jede und jeder sein. Ich glaube, dass es genauso gemeint ist. Damit ist dann auch klar, wohin es sich lohnt unterwegs zu sein oder eher noch wie, freundlich und den anderen zugewandt. Das kann eine Stadt verwandeln. In einer solchen Stadt entstehen Orte mit Anziehungskraft. Anziehungskraft ist etwas anderes als Gruppenzwang oder

Verbindlichkeit. Anziehungskraft geht immer nur von Menschen aus. Sonne, Mond und Sterne, das Meer und was darinnen ist, können ohne uns, wir aber nicht ohne die Freundlichkeit der anderen. Wir sind es, die einander das Leben schwer oder auch leicht machen können, wir sind es, die einander binden oder lösen können. Unsere Stadt ist geschmückt. Es wird Zeit, dass auch wir uns vorbereiten. Den Kopf wieder herausstrecken und Ausschau halten nach dem Kind in der Krippe, dem Menschenkind, vielleicht ist es in der Stadt unterwegs. Amen

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