Königliche Freiheit

Wie gehen wir in Kirche und Gemeinde miteinander um?

Predigttext: Jakobus 2,1-13
Kirche / Ort: Aachen
Datum: 15.10.2006
Kirchenjahr: 18. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Elisabeth Matthay und Manfred Wussow

Predigttext: Jakobus 2,1-13(Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

1 Liebe Brüder, haltet den Glauben an Jesus Christus, unsern Herrn der Herrlichkeit, frei von allem Ansehen der Person. 2 Denn wenn in eure Versammlung ein Mann käme mit einem goldenen Ring und in herrlicher Kleidung, es käme aber auch ein Armer in unsauberer Kleidung, 3 und ihr sähet auf den, der herrlich gekleidet ist, und sprächet zu ihm: Setze du dich hierher auf den guten Platz!, und sprächet zu dem Armen: Stell du dich dorthin!, oder: Setze dich unten zu meinen Füßen!, 4 ist's recht, dass ihr solche Unterschiede bei euch macht und urteilt mit bösen Gedanken? 5 Hört zu, meine lieben Brüder! Hat nicht Gott erwählt die Armen in der Welt, die im Glauben reich sind und Erben des Reichs, das er verheißen hat denen, die ihn lieb haben? 6 Ihr aber habt dem Armen Unehre angetan. Sind es nicht die Reichen, die Gewalt gegen euch üben und euch vor Gericht ziehen? 7 Verlästern sie nicht den guten Namen, der über euch genannt ist? 8 Wenn ihr das königliche Gesetz erfüllt nach der Schrift (3.Mose 19,18): »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst«, so tut ihr recht; 9 wenn ihr aber die Person anseht, tut ihr Sünde und werdet überführt vom Gesetz als Übertreter. 10 Denn wenn jemand das ganze Gesetz hält und sündigt gegen ein einziges Gebot, der ist am ganzen Gesetz schuldig. 11 Denn der gesagt hat (2.Mose 20,13-14): »Du sollst nicht ehebrechen«, der hat auch gesagt: »Du sollst nicht töten.« Wenn du nun nicht die Ehe brichst, tötest aber, bist du ein Übertreter des Gesetzes. 12 Redet so und handelt so wie Leute, die durchs Gesetz der Freiheit gerichtet werden sollen. 13 Denn es wird ein unbarmherziges Gericht über den ergehen, der nicht Barmherzigkeit getan hat; Barmherzigkeit aber triumphiert über das Gericht.

Editorial der Redaktion Heidelberger Predigt-Forum

Predigtvor- und Predigtnachgesprächsgruppen in unseren Gemeinden sind schon lange bekannt und mehr oder weniger intensiv praktiziert, vielerorts auch gar nicht (mehr). Einen bemerkenswerten Weg geht der Aachener Gemeindepfarrer und Mitautor beim Heidelberger Predigt-Forum, Manfred Wussow, indem er bei der Vorbereitung und Ausarbeitung der Predigt Gemeindemitglieder aktiv beteiligt. Zu dieser Form der aktiven Beteiligung von Gemeindemitgliedern an der Predigtarbeit sei hier ausdrücklich ermutigt. Ich freue mich auf weitere Beiträge, die dem Beispiel von Manfred Wussow folgen. Unsere neue Mitautorin, Frau Elisabeth Matthay, begrüße ich, auch im Namen des Redaktionsteams, ganz herzlich. Heinz Janssen Herausgeber Heidelberger-Predigt-Forum redaktion@predigtforum.de

Vorbemerkung

Die Predigt verdankt sich einer kleinen „homiletischen Übung“ in der Kurseelsorge Aachen-Burtscheid, begleitet von Manfred Wussow, Redaktionsmitglied von HPF. Den Erstentwurf der Predigt schrieb Elisabeth Matthay. Danke!

Exegetisch-homiletische Überlegungen

In 2,1 beginnt kein neues Thema., denn die Verse sind mit 1,27 nicht nur traditionsgeschichtlich Element eines einzigen Motivfeldes aus Jesus Sirach, sondern insgesamt auch als erweiternde Amplifikation des Motives „Mangel an richtiger Selbsteinschätzung bei Armen und Reichen“ aus 1,9-11 zu verstehen – jedoch: jetzt bezogen auf die Gemeinde. Ihr wird vorgehalten, sich in ihrem Verhalten (VV 2-4) nicht an Gott auszurichten (V. 5). Besonders die Reichen werden erinnert (VV. 6-7). Die VV 1 und 8-13 umklammern das ganze Stück und beleuchten das Thema mit der Herrlichkeit Jesu Christi und dem königlichen Gesetz, das ein Gesetz der Freiheit ist. Jesus Sirach 35,11-18 und 22-24: Suche den Herrn nicht zu bestechen, denn er nimmt’s nicht an, und stütze dich nicht auf ein ungerechtes Opfer. Denn der Herr ist Richter und bei ihm gilt kein Ansehen der Person. Nicht nimmt er Partei gegen den Armen Und das Gebet dessen erhört er, dem Unrecht geschah. Nicht übersieht er das Flehen der Waise und der Witwe, wenn sie ihre Klage vor ihm ausschüttet. Strömen nicht die Tränen der Witwe über ihre Wange, und wendet sich ihr Hilferuf nicht wider den, der sie verursacht? Wer dem Herrn dient, wie’s ihm wohlgefällt, wird angenommen, und sein Gebet dringt´bis zu den Wolken empor. Das Gebet des Elenden dringt durch die Wolken, und eh es nicht ans Ziel kommt, lässt er sich nicht trösten. Und er lässt nicht davon ab, bis der Höchste dreinsieht und den Gerechten Recht schafft und Gericht hält …, bis er dem Menschen nach sein Tun vergilt und die Werke der Menschen nach ihren Abichten heimzahlt; bis er richtet und Recht schafft seinem Volk und sie erfreut durch sein Erbarmen. Lieblich ist sein Erbarmen zur Zeit der Not, wie Regenwolken in der Zeit der Dürre. Über die weisheitliche Tradition Jesus Sirach hinaus hat Jakobus seine Ausführungen sozialethisch und ekklesiologisch verortet. Kontextuell greift das Stichwort „Glaube“ in 2,1b.5c auf den Begriff in 1,3b.6a zurück. Die – ansonsten ungewöhnliche – Wendung „Glauben haben“ (statt „glauben“) korrespondiert der Wendung „ein vollkommenes Werk haben“ in 1,4. Es geht Jakobus um den Erweis des Glaubens durch Werke – Glauben wie Werke kann man also „haben“. Die Wendung ist sehr überlegt und abgewogen, der Hinweis auf das Gericht am Schluss nur konsequent. Trotz kritischer Rückfragen, die in der Forschungsgeschichte gestellt wurden, ist die Perikope theozentrisch und christologisch profiliert. In 2,5b wird Gott als Subjekt genannt, in 2,5c.d.8b.11a.b.12b.13a ist er als Gesetzgeber und Richter vorausgesetzt. Der Begriff Kyrios in 2,1c nimmt 1,1a auf. Luthers „Vorrede auff die Episteln S. Jacobi vnd Jude“ in der Septemberbibel von 1522 hat zwar das Urteil protestantischer Theologen über die angeblich fehlende Christologie im Jakobusbrief bis heute vorgeprägt, wird aber dem Brief nicht gerecht. Ist denn ein Vergleich mit Paulus überhaupt gerechtfertigt, wenn der Text in seinem Eigensinn und als authentisches Zeugnis christlicher Problemanzeige nicht mehr wahrgenommen wird? Ohne in die Diskussion einsteigen zu können: Schon die Wendung am Anfang des Jakobusbriefes „Jakobus, Gottes und des Herrn Jesu Christi Knecht“ ist als Leseanleitung für den ganzen Brief zu würdigen. Frankemölle widmet diesem Anliegen einen umfangreichen Exkurs (Exkurs 7: Die Christologie des Jakobus, S. 376-387). Wenigstens noch ein Blick auf die Form: Die Verse sind von einem antithetischen Parallelismus geprägt. Wie übrigens schon in 1,19 steht im ersten Vers überschriftartig die Hauptopposition: a) Ansehen von Personen – christlicher Glaube b) menschliches Ansehen – Herrlichkeit Jesu Christi. Der Appell „meine Brüder“ markiert den Beginn einer „kleinen Einheit“ und den Beginn einer neuen Themavariation. Allerdings ist die ganze Gemeinde angesprochen. Jakobus legt einen ekklesiologischen Traktat vor. Die gruppenspezifische Differenzierung, die auf Vers 5 zuläuft (2-4) und von V. 5 ausgeht (6-7), weitet sich in V. 8 zu einem Gesamtblick, einmal unter der Autorität der Schrift (V. 8), dann in Erwartung des Gerichtes (V. 13). Die Botschaft ist so einfach wie einleuchtend: Unbarmherziges Verhalten nach „Ansehen“ – ob dies nun arme oder reiche Christen praktizieren – ist relevant für eine „letzte“, also nicht relativierbare Entscheidung. Die Hauptbegriffe von V. 1 werden – in einer thematisch einheitlichen Perikope – näherhin entfaltet durch die Opposition „reicher-armer Mann“ (2-4.5-7), die dann antithetisch gewendet wird (V. 5: „vor der Welt Arme –Reiche im Glauben“). Vertieft wird das in den Oppositionen: Gesetz übertreten – Gesetz halten (V.9) / das ganze Gesetz halten – sich in einem Gesetz verfehlen (V. 10f.) / erbarmungsloses Gericht – Barmherzigkeit im Gericht (V. 13). Zur Predigt: Wer Jakobus 2,1-13 predigt, drischt nicht leeres Stroh (s. Luthers „stroherne Epistel“), sondern legt einen konkreten und an Konkretion orientieren Text aus, der von der Herrlichkeit Jesu menschliche/gemeindliche „Ansichten“ klärt und zu einem königlichen Gesetz führt, das Freiheit schenkt. Hertzsch meint: „Nahe liegt es, die Prosoopolempsia zum Thema zu machen, die Beurteilung eines Menschen nach dem äußeren Augenschein, denn sie beherrscht natürlich das Denken bei uns in hohem Maße… Das Thema kann auch allgemeiner gefasst werden: Wie sieht es heute überhaupt mit unseren Maßstäben aus?“ Jedoch sollte die exegetische Einsicht nicht aus den Augen verschwinden, dass hier alles ekklesiologisch zugespitzt wird. Das könnte auch helfen, Verallgemeinerungen oder billige bzw. wohlfeile Kritik zu vermeiden. Hertzsch resumiert am Schluß seiner Meditation: „Da wird deutlich, dass wir alle ohne Unterschied Kinder des einen Schöpfers sind, dass durch Jesus Christus, unseren Herrn, alles neu geworden ist, dass die Gemeinschaft der Heiligen unter dem Gesetz der Freiheit leben darf. Wem imponieren da noch die goldenen Ringe des reichen Mannes?“

Literatur:

Der Brief des Jakobus. Erklärt von Martin Dibelius mit Ergänzungen von Heinrich Greeven, mit einem Literaturverzeichnis und Nachtrag hrsg. von Ferdinand Hahn, KEK 15. Band, Göttingen 1984, 15. Aufl., 156-184. Hubert Frankemölle, Der Brief des Jakobus. Kapitel 2-5, ÖTKNT 17/2, Gütersloh-Würzburg 1994, 367-419. Susanne Schöllkopf, Jakobus 2,1-13, Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext. Zur Perikopenreihe IV, Weihenzell 2005, 302-306. Klaus-Peter Hertzsch, Jakobus 2,1-13, GPM 95 (2006), 420-424.

zurück zum Textanfang

Hinauskomplementiert

An einem Wintertag besuchte ich eine der großen Hauptkirchen in Hamburg. Mitten in der Stadt. In der ersten Bankreihe saßen zwei Obdachlose. Müde. Sie waren gezeichnet von ihrem Leben, die Kleidung abgerissen, die Haare schon lange nicht mehr gewaschen. Es sollte ein großer Gottesdienst werden. Mit Bischof – und so …Die beiden Typen wurden rechtzeitig hinauskomplementiert. Keiner sagte etwas. Ich auch nicht. Aber die beiden werden wohl verstanden haben: Wir gehören hier nicht hin. Gehörten sie überhaupt irgendwo hin? Und unversehens finden wir uns in einem Brief wieder, den Jakobus seiner Gemeinde geschrieben hat. Vor unendlich langer Zeit. Aber aktuell und lebensnah, so, als sei er gerade frisch aufs Papier gebracht.

(Lesung des Predigttextes)

Auf den ersten Satz kommt es an

Schon der erste Satz: ein Programm. Mit einfachen Worten: „Liebe Brüder (und Schwestern), haltet den Glauben an Jesus Christus, unseren Herrn der Herrlichkeit, frei von allem Ansehen der Person“ Da geht es um die Armen und die Reichen, um das Gesetz, um Freiheit und Barmherzigkeit. Offenbar gab die Gemeinde in Jerusalem, der Jakobus nach dem Weggang des Petrus vorstand, Anlass zu mahnenden Worten, die sich um diese Begriffe drehen. Ob diese Worte auch heute noch zu uns sprechen? Hören wir genauer hin.

Jakobus spricht hier die Empfänger seines Briefes wiederholt als „liebe Brüder“ an; also ganz im Geiste Jesu Christi, der immer wieder die Geschwisterlichkeit der Menschen betont hat, indem er auf Gott als den Vater verwiesen hat. Alle Menschen sind demnach Kinder Gottes und als solche einander ebenbürtig und gleichwertig. Das jedoch vergessen die Menschen leicht. Auch die Empfänger dieses Briefes. Sie unterscheiden zwischen arm und reich. Dabei bevorzugen sie in ihren Versammlungen die Reichen und widersprechen damit dem Glauben an Jesus Christus, der „frei von allem Ansehen der Person“ sein soll. Für ihn zählt nicht die soziale Stellung eines Menschen. Nicht sein Erfolg. Nicht sein Besitz. Nicht der äußere Schein. Immer wieder sind es gerade die Armen, die Benachteiligten, die, die es im Leben schwer haben, zu denen Jesus eine tiefe Zuneigung hat. Schon in seiner ersten Predigt in Nazareth sagt er: „Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, zu verkündigen das Evangelium den Armen; er hat mich gesandt, zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und den Zerschlagenen, das sie frei und ledig sein soll, zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn“ (Lk. 4,18).

Evangelium für Arme

Alles, was Jakobus in seinem Brief schreibt, legt das Evangelium aus. Besonders nah ist ihm wohl das Lukas-Evangelium. In ihm gehen die Armen nicht unter, im Gegenteil: Von Anfang bis Ende wird ihnen die Würde gegeben, die ihnen von Gott zukommt. Und wir haben diese sehr markanten Worte noch im Ohr: Da steht etwa geschrieben: „Wie schwer ist es für Menschen, die viel besitzen, in das Reich Gottes zu kommen. Denn eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt“ (Lk. 18,24f.) – Oder wir lesen bei Lukas in der Feldpredigt: „Aber weh euch, die ihr reich seid, denn ihr habt keinen Trost mehr zu erwarten“ (Lk. 6,24). Und in dem großen Lobgesang, den Maria bei ihrem Besuch bei Elisabeth anstimmt, heißt es: „Er beschenkt mit seinen Gaben die Hungrigen, die Reichen aber schickt er mit leeren Händen fort“ (Lk. 1,53).

Klare Aussagen, eindeutige Stellungnahmen für die Armen. Jesus, der die Armut selbst erlebt und gelebt hat, ist ein erklärter Freund der Armen, die häufig überhaupt keine Freunde haben. Weil für die Menschen in der Regel zählt, was einer hat. Nicht, was einer als Mensch ist. Habenichtse haben es schwer, aus ihrer Nichtigkeit, aus der Zurücksetzung, aus dem Übergangenwerden herauszukommen. Sie fallen nicht ins Gewicht, weil sie nichts haben, was sie in die Waagschale werfen könnten. Das scheint eben auch in der Gemeinde, zu der Jakobus spricht, nicht anders zu sein, wenn er ihr offen vorwirft: „Ihr aber habt dem Armen Unehre angetan.“

Herrlichkeit Jesu Christi

Jakobus ist mutig. Er sieht, er beschreibt, er erbittet, das von der Herrlichkeit, die unserem Herrn Jesus Christus eigen ist, Licht und Ehre auch auf die Armen fällt – Unehre jedoch, die einem Menschen angetan wird, macht das Ansehen Jesu selbst zwielichtig und dann auch dunkel. Ein Spiel mit Worten ist das für Jakobus nicht. Schärfer könnte der Vorwurf nicht gefasst werden: Ihr aber habt dem Armen Unehre angetan – ihr habt Christus Unehre angetan.

Aber warum soll den Armen Ehre erwiesen werden? Woher kommt eigentlich diese Forderung nach Wertschätzung der Armen? Haben diese Habenichtse denn den Reichen etwas voraus? Im Jakobusbrief heißt es: „Hat nicht Gott erwählt die Armen in der Welt, die im Glauben reich sind und Erben des Reichs, das er verheißen hat denen, die ihn lieb haben?“ Diese Armen sind also in den Augen Gottes, die tiefer sehen als menschliche, arm nur in einem sehr äußerlichen Sinne. Darunter, dahinter zeigt sich ein großer Reichtum: Glaubensfülle, die Bereitschaft zu empfangen, Sehnsucht nach Liebe. Jakobus erwähnt, fast könnte man es überhören, den „guten Namen“ der über uns genannt ist. Und erinnert an die Taufe. Es wird nicht nur der „gute Name“ Gottes genannt – mein eigener bekommt einen neuen Glanz. Offenbar kann ich nur, wenn ich leer und arm bin (oder werde), den Glauben, die Hoffnung, die Liebe in mich einströmen lassen. Nur wenn ich mich unabhängig mache von allen äußeren Werten und Attributen und in mir auf diese Weise ein Freiraum, eine Leerstelle, ein nicht besetzter Platz entsteht, kann ich den wahren, unvergänglichen Reichtum in mich einlassen und bei mir unterbringen, den Schatz, „der nicht abnimmt, droben im Himmel, wo kein Dieb ihn findet und keine Motte ihn frisst“ (Lk. 12,33). Oder, wie der Dichter Rainer Maria Rilke es ausdrückt: „Armut ist ein großer Glanz von Innen.“

Klarheit

Wenn jetzt der Eindruck entstehen sollte, Armut könne oder solle verherrlicht werden, müssten wir uns von Jakobus wieder zurecht bringen lassen. Denn Armut macht klein, Armut demütigt, Armut verletzt. Wie das Katzenbänkchen, das noch zur Verfügung steht, wenn der Herr in edlem Tuch und mit Ringen an den Fingern seinen Ehrenplatz zugewiesen bekommen hat. Wir haben heute viele Arme in unserer – immer noch – reichen Gesellschaft. Viele von ihnen sind Kinder. Die Befürchtung, dass sie keine Chance haben, ist längst aktenkundig. Und hochgradig Angst besetzt. Wir sehen Menschen, die nichts zu verlieren haben.

Im Gottesdienst darf von der Würde der Armen geredet werden, von ihrer Ehre – und vom Gottesdienst darf ausgehen, was Menschen miteinander verbindet und groß macht. Ob der Arme dem Reichen etwas voraus hat? Der Arme kann sich hinter nichts verstecken. Er lebt ganz offensichtlich eine der Grundgegebenheiten unseres Lebens: Dass wir bedürftige Wesen sind und alles verdanken. Wir sehen das Geheimnis, geschaffen zu sein und verwiesen zu bleiben auf etwas, was größer ist als wir. Wir werden offener für das Wesentliche, für das, was das menschliche Leben im Eigentlichen, in der Tiefe, trägt. Und arm sind wir letzten Endes alle: Spätestens im Tode werden wir mit unserer absoluten Armut konfrontiert, und im Verlauf des Lebens erleiden wir immer wieder Verluste, die uns zeigen, dass im letzten nichts uns gehört. Wir tun gut daran, uns darauf zu besinnen.

Die „königliche Freiheit“

Jakobus verrät uns einen Weg. Für ihn weiß er zwei Namen: „Königliches Gesetz“ und „Gesetz der Freiheit“. Menschen werden dann nicht mehr nach ihrer Person angesehen, sondern in ihrer Ehre, die zu der Herrlichkeit Christi passt. Dann fällt auch die Solidarität mit den Armen nicht mehr schwer, sie können in der Gemeinschaft den ersten Platz besetzen. Dann kann ich sie als meine Nächsten erkennen, mir gleich. Dann bin ich einer von ihnen. Wer dem „königlichen Gesetz“ folgt, wird geadelt. „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Das ist dann für mich nicht mehr von außen auferlegt, keine an mich herangetragene ethische Forderung, keine letzte Willensanstrengung – es ist die „königliche Freiheit“. Zu ihr gehört, den Armen Zukunft zu geben. Ihnen ihre Würde zu lassen. Ihnen eine Stimme zu geben.

Schon der erste Satz: ein Programm. Mit einfachen Worten: „Liebe Brüder (und Schwestern), haltet den Glauben an Jesus Christus, unseren Herrn der Herrlichkeit, frei von allem Ansehen der Person“. Jakobus verrät – am Ende – was auch zu der Herrlichkeit Christi gehört: die Barmherzigkeit. Sie trägt und belebt das ganze „Gesetz“. In ihr sind alle Gebote verwurzelt, in ihr kommen sie zu ihrem Ziel. Jakobus schreibt sogar, dass die Barmherzigkeit über das Gericht triumphiert, in dem wir Menschen uns zu verantworten haben.

Am Anfang erzählte ich, wie zwei Menschen aus der Hauptkirche hinauskomplimentiert wurden, als eine gut situierte Gemeinde sich mit ihrem Bischof zum Gottesdienst versammelte. Darf ich sie neu erzählen? Die beiden dürfen sitzen bleiben. Mehr noch: sie werden eingeladen. Ohne böse Seitenblicke setzen sich andere zu ihnen. Und der Bischof predigt so, als würde er nur ihnen das Evangelium auslegen. Sie haben lange darauf gewartet. Alle aber verstehen. Nach dem Gottesdienst dürfen sie sich in großer Runde satt essen. Und sie dürfen erzählen. Vom Leben auf der Straße, von der Sehnsucht nach der Sonne und ihrer lieben Not, Nächte heil zu überstehen.

Die dem Nächsten geltende Liebe, aus der alles menschenfreundliche und gottwohlgefällige Tun erwächst, hat belebende, befreiende und bereichernde Kraft. Wie Jesus es dem Gesetzeslehrer verheißt: „Handle danach, und du wirst leben“ (Lk. 10,28).

Und die Barmherzigkeit Gottes, die unsere Menschenbilder überwindet, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

zurück zum Textanfang

Ihr Kommentar zur Predigt

Ihre Emailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert.