Predigttext: Lukas 22,31-34 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
(31) Simon, Simon, siehe, der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen. 32 Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dereinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder. (33) Er aber sprach zu ihm: Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen. (34) Er aber sprach: Petrus, ich sage dir: Der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet hast, dass du mich kennst.
Annäherungen in unwegsamem Gelände
… Charles Baudelaire
Die Verleugnung des heiligen Petrus
Was macht nur Gott mit diesem Meer der Flüche,
Das Tag für Tag zu seinem Throne schwillt ?
Wie ein Tyrann, von Fleisch und Wein gestillt,
Schläft er bei dem Geheul der Lästersprüche.
Der Opfer Schrein auf grauser Marterstatt
Scheint er wie holden Symphonien zu lauschen,
Denn trotz der Ströme Bluts, die um ihn rauschen.
Wird seine Wollust nicht der Greuel satt.
Denkst, Jesus, du an jenes Ölbergs Schatten,
Wo kindlich du dein Flehn ihm dargebracht,
Der hoch im Himmel deiner Qual gelacht,
Als sie den zarten Leib durchbohrt dir hatten?
Befleckt, bespieen deine Göttlichkeit,
Als dir das Gassenvolk mit frechem Hohne
Auf's Haupt gepresst die spitze Dornenkrone,
Auf's Haupt, das einer Menschheit du geweiht;
Da, als du hingst von schwerer Qual zerbrochen,
Am Kreuze hoch, die Arme ausgereckt,
Das bleiche Antlitz schweiss- und blutbedeckt,
Durchbohrt wie eine Scheibe und zerstochen,
Gedachtest du da milder Tage Schein,
Da du auf laubgeschmückten, sonnigen Wegen,
Auf sanftem Maultier zogst der Stadt entgegen,
Ein heiliges Gelübde zu erneu'n?
Da aus dem Tempel du im Zornesglanze
Die Händler jagtest, niedrig' Volk der Gier,
Und da du König wardst? – Hat nicht die Reue dir
Das Herz durchbohrt noch vor der scharfen Lanze?
Wahrlich, ich meide gerne dies Geschlecht,
Dem Traum und Tat nie eins zu sein begehrte,
Kämpf ich, so fall' ich auch mit meinem Schwerte!
Petrus verleugnete den Herrn mit Recht.
http://gutenberg.spiegel.de/baudelai/blumen/fleur150.htm
Vergewisserungen
Die Perikope macht den Mittelteil einer größeren Gesprächseinheit aus, die Lukas zwischen Abendmahl 22,7-23 und der Gethsemane-Szene 22,39-46 platziert. Diese Verortung ist für das Verständnis konstitutiv: wir befinden uns in der Passionsgeschichte.
Die Gesprächseinheit in der Mitte selbst umfasst drei Szenen: 22,24-30 überliefert den „Rangstreit der Jünger“, 22,31-34 das Zwiegespräch mit Petrus und 22,35-37 ein „Berufungs“-Wort “Denn ich sage euch: Es muss das an mir vollendet werden, was geschrieben steht (Jesaja 53,12): »Er ist zu den Übeltätern gerechnet worden.« Denn was von mir geschrieben ist, das wird vollendet.“ Abgeschlossen wird das Gespräch mit den Jüngern in Vers 38 durch den Verweis auf zwei Schwerter, der einerseits das Unverständnis der Jünger deutlich hervortreten lässt, andererseits zur Gethsemane-Geschichte überleitet. Hier noch Schwerter – dort der Kelch.
So eingerahmt, steht die Perikope 22,31-34 in der Mitte zwischen Abendmahl und Gethsemane. (vgl. Markus 14,26-31). Innerhalb der synoptischen Tradition hat die Szene, wie sie von Lukas erzählt wird, jedoch eigene Konturen. Lukas kombiniert die Ankündigung der Verleugnung aus der Markus-Überlieferung (V. 33f.) mit Sondergut von der Versuchung durch den Satan (V. 31f.). Beide Stränge wachsen in der Bekehrung des Petrus (V. 32b) zusammen.
Hans Klein, der „jüngste“ Lukas-Ausleger, unterscheidet überlieferungsgeschichtlich die Verse 31 und 32 sowie die Verse 33 und 34: In V. 31f. steht eine „Situation vor Augen, in der der Kreis der Jünger um Simon in eine schwere Lage gekommen ist. Simon wird darin dank der Fürbitte Jesu bestehen und soll daraufhin „seine Brüder“ stärken“. Und in V. 33f. hat Lukas die Vorlage in Mk. 14,29-31 neu gestaltet. Hat Petrus bei Markus das letzte Wort, wird es ihm bei Lukas genommen. Der Dialog ist insgesamt verdichtet.
Liest man das ganze Evangelium (was angezeigt und nötig ist), trifft man auf eine theologisch sehr bedeutsame Anordnung, die Lukas auch als Meister der Darstellung ausweist. Die Versuchung Jesu (Luk. 4,1-13) folgt seiner Taufe und steht am Anfang seiner öffentlichen Wirksamkeit. Danach wird er „eine gewisse Zeit“ in Ruhe gelassen. Erst in Luk. 22,31 tritt der Versucher dann wieder auf – aber als der, der die Jünger siebt wie Weizen! Obwohl die Perikope überlieferungsgeschichtlich unterscheidbar ist, ist (auch) die angesagte Verleugnung des Petrus im zweiten Teil zu lesen als ein „Siebvorgang“ – ein Bild, das homiletisch fruchtbar ist und helfen kann, die ganze Perikope aufzuschließen.
Nachfolgend referiere ich Hans Klein, Neutestamentler an der kleinen Ev.-Theol. Fakultät in Hermannstadt/Siebenbürgen. Er hat die Auslegung Lukas im Kritisch-exegetischen Kommentar über das Neue Testament (KEK) übernommen; der Kommentar ist 2006 bei Vandenhoeck & Ruprecht erschienen.
V. 31f.:
Die Anrede ist doppelt und eindringlich. Es ist eine Zukunftsansage. Das Bild vom „Sieben“ meint Bedrängnis, „wobei man fragen kann, ob die Läuterung des Weizens oder der Vorgang des Siebens als leidvolles Geschehen gemeint ist“ (S.674f.). Im Hintergrund ist die Hiob-Geschichte (Hi 1,6ff) wahrnehmbar: In einer himmlischen Ratsversammlung hat der Satan „begehrt“, „euch zu sieben“ – was hier prüfen und erproben meint. Ein verlässlicher Ausgang ist nicht ausgemacht. Vermöge des Gebetes Jesu wird Simon bestehen, im Glauben fest bleiben (18,8) und in Geduld ausharren (8,15) – nur: nicht aus eigener Kraft.
Mit epistrépsas ist in Verbindung mit poté die Abkehr von der Verleugnung gemeint, die nach Ostern geschehen wird. Epistréphein ist nicht – wie metanoein - Bekehrung von Gottlosigkeit, sondern Abkehr von einem Versagen, von vorübergehender Untreue. „Von einer solchen schwachen Stunde, die den Herrn aber nicht von den Seinen trennt, hatte auch mk 14-27f berichtet, ein Text, den Lk gelesen, aber an dieser Stelle ausgelassen hat. Durch seine Abkehr von der Verleugnung wird Simon zur Quelle der Kraft und Stärkung für angefochtene Christen. Die Brüder sind die nachmaligen Christen (Apg 1,15; 15,23.32)“. ( 675)
V. 33f.:
Ohne jede Prüfung ist Petrus noch keine Hilfe. Anders als im vorhergehenden Stück ist nicht mehr von Simon die Rede, sondern von Petrus. Er nimmt den Mund sehr voll und ist bereit, auch ins Gefängnis zu gehen, ja sogar in den Tod. Metà sou bedeutet „in Begleitung“, in „Gemeinschaft“ mit Jesus. Wie die Szene plaziert ist, lässt sie durchscheinen, dass Petrus nicht verstanden hat oder nicht verstehen will. Er glaubt, dass er selber stehen und standhaft bleiben wird. „Er rechnet nicht mit Erprobungen, die im Himmel ausgemacht werden und denen der Mensch ausgeliefert ist, ohne sie beeinflussen zu können“ (675).
Petrus wird genau an der Stelle versagen, an der er die Bereitschaft kundgetan hat, standfest zu bleiben. Sein Leugnen schließt ein, die Beziehung zu Jesus selbst in Frage zu stellen. „Beides wird er verlieren: die Beziehung zu Jesus und seine Festigkeit“
Zum Gottesdienst
Anne Maria Steinmeier, Praktische Theologin an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, macht in ihrem Beitrag zum Sonntag Invokavit darauf aufmerksam, dass wir an diesem Sonntag eine Art „Tor-Liturgie“ feiern: Schritt für Schritt und Tag für Tag bewegen wir uns in einer Bußzeit. Wenn wir die „Fäden“ im Predigttext verknüpfen, begegnen uns: die Prüfung des Lebens – die Fürbitte Jesu – die Stärkung der „anderen“. Exemplum ist die Verleugnung des Petrus: das Selbstvertrauen – der Fall: dreimal, dass du mich nicht kennst.
„Die Verheißung der Geschichte liegt in der Verwandlung der Erfahrung. Der verraten hat, wird stärken. Nicht trotzdem, nicht entgegen, sondern durch diese Erfahrung hindurch, in der Umwendung aus dieser Erfahrung und in diesem Sinne wegen. … Der gehaltene Glaube ist der in seinem Selbstbewusstsein veränderte Glaube. Das bedeutet nicht einfach die Verabschiedung von Überforderung, von überhöhten Selbstbildern, oder die Integration der Schatten. Es geht vielmehr um die lebendige Erfahrung einer widerständigen Kraft, die mächtig ist gegen die Macht des nicht zu bagatellisierenden Zerstörerischen, gegen die Wirklichkeit, sich selbst und Gott verloren gehen zu können“ (Steinmeier 133).
Petrus erscheint im Evangelium als Mensch, der dass, was er – auch mit sich - erlebt hat, nicht nur für sich allein erfahren hat. „Denn aus diesen Erfahrungen, gerade aus denen, die wir vielleicht gern ungeschehen machen würden, in denen wir uns selbst fremd geworden sind, kann ein Verstehen, eine Barmherzigkeit geboren werden, die wir nicht für uns allein haben und nicht für uns allein behalten werden“ (Steinmeier 133).
Zur Predigt
Die Perikope, von Lukas kunstvoll zusammengesetzt, ist zwar nur kurz (in gerade 4 Versen werden himmlische Entscheidungen mit menschlichen Lebens-Läufen verknüpft), öffnet aber – wie ein Tor – den Blick auf Prüfungssituationen, den Ad-vokaten Jesus und die „neue“ Erfahrung, dass Menschen in Lebenskonflikten nicht ihren Glauben verlieren, sondern aufgerichtet werden. Die Geschichte des Simon/Petrus zu erzählen, heißt, sich auf diesen Weg zu begeben.
Zur Predigtvorbereitung gehört: Sich mit Prüfungssituationen, die Menschen in „meiner“ Gemeinde erleben, vertraut zu machen – den Anwalt und Fürsprecher Jesus sein Plädoyer halten lassen – Mut zu machen und Möglichkeiten zu benennen, andere auf ihrem Weg (und jeder Mensch hat seinen eigenen Weg) zu stärken, aufzurichten und zu trösten. Eine Predigt aus Lk. 22,31-34 (aus, nicht über!) kann nur seelsorgerlich sein. Dass es auch nicht darum gehen kann, Menschen immer nur ihr falsches und defizitäres Selbstbild (à la Petrus) vorzuhalten, stellt sich dann auch ein. Darum ist ein Blick in die himmlische Ratsversammlung hilfreich: Gott gibt Menschen für die Prüfung frei, gibt ihnen aber den einen Beistand, der die Treue im Tod bewährt hat: Jesus. Es gibt nicht nur einen sog. nachösterlichen Christus – es gibt auch einen nachösterlichen Petrus.
Nach-Wort
„Alle Versuchung ist Versuchung Jesu Christi und aller Sieg ist (Sieg) Jesu Christi. Alle Versuchung führt den Gläubigen in die tiefste Einsamkeit, in die Verlassenheit von Menschen und Gott. Aber in dieser Einsamkeit findet er Jesus Christus, den Menschen und den Gott. Das Gebet Jesu Christi, das er dem Petrus verheißen hat (Simon, der Satan hat euer begehrt, dass er euch sichte, wie den Weizen, ich aber habe für dich gebeten, Lk. 22,31f) vertritt unser schwaches Gebet vor dem Vater im Himmel, der uns nicht versuchen lässt über unser Vermögen.“ (Dietrich Bonhoeffer, Bibelarbeit über Versuchung, 20.-25.6.1938, in: ders., Illegale Theologenausbildung: Sammelvikariate 1937-1949, DBW 15, Gütersloh: Kaiser 1998, S. 404f.)
Literatur:
Hans Klein, Das Lukasevangelium, KEK I/3, Göttingen 2006. - Anne M. Steinmeier, Lukas 22,31-34, in: GPM 96 (2007), 129-135.
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