Supersportler-Glaubende?

Trost, Mut und Ermutigung haben alle nötig - Christus läuft vor, mit und hinter uns

Predigttext: Hebräer 12,1-3
Kirche / Ort: Johanneskirche / Johannes-Anstalten 74821 Mosbach/Baden
Datum: 16.03.2008
Kirchenjahr: Palmsonntag (6. Sonntag der Passionzeit)
Autor/in: Pfarrerin Birgit Lallathin

Predigttext: Hebräer 12,1-3 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

...Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns ständig umstrickt, und lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist, und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender unseres Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes. Gedenkt an den, der soviel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, damit ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.

Hinführungen zum Predigttext

Der Hebräerbrief ist in Form und Gestaltung kein Brief, sondern ein theologischer Traktat. Zwar besitzt er einen ausgeführten Briefschluss, doch das erscheint sekundär. Im Anfang fehlt das Briefformular. Der Traktat wurde aktuell in einer Zeit, als sich das junge Christentum vor allem literarisch mit der Tradition des Judentums auseinandersetzte, aus dessen Wurzeln es sich speist. Christologische Aussagen werden, im Neuen Testament einzigartig, teilweise in der Form eines Midrasch gezogen. Theologisches Thema ist durchgängig das Motiv der Wanderung. Ernst Käsemann führte für Hebr den Begriff des „wandernden Gottesvolkes“ ein. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass nicht nur die Wanderung als ersttestamentliches Grundthema als Leitmotiv zentral ist, sondern die Wanderung des neuen (!) Gottesvolkes, ohne damit die Traditionslinien zum ersten Bund aufzugeben. Folglich liegt im Hebr das Hauptaugenmerk auf der Christologie. Christus ist der wahre Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks (Gen 14). Er führt das neue, wandernde Gottesvolk durch die Wirren und Aufgaben seiner Zeit zur Ruhe. Die durchgängigen Grundbegriffe des Hebr sind folgende: „Glaube wird verstanden als das Verbleiben bei der Gemeinschaft des wandernden Volkes; Sünde ist das Zurückbleiben, Ermüden, also der Unglaube und Abfall. Hoffnung schließlich ist der Ausblick vom Weg aus auf das Ziel. Die Verheißung ist einerseits schon erfüllt: Das Gottesvolk ist ja bereits unterwegs, andererseits aber steht das Ende noch aus: Das Ziel ist noch nicht erreicht, das Volk bedarf noch der Stärkung. Die Gewissheit der Hoffnung ist durch das Heilswerk begründet, durch das Opfer Christi.“ (H. Conzelmann/A. Lindemann, Arbeitsbuch zum Neuen Testament, 5.Auflage, S. 311)

Zum Aufbau des Hebräerbriefs

Der Traktat ist am besten in Dreiteilung zu verstehen: 1,1-4,13 Gottes Offenbarung in seinem Sohn, höher als alle bisherige Offenbarung, 4,14 –10,31 Jesus ist der vollkommene Hohepriester, 10,32 –13,25 Anweisungen für das Leben im Glauben.

Schlussfolgerungen und Überlegungen für die Predigt

Prägnante, klare Sätze und eingängige Formulierungen machen den Hebr zu einem Schatzkästlein der Glaubenslehre. Dabei ist es zugleich schwer, der Versuchung zu widerstehen, aus dem Zusammenhang gerissene Zitate isoliert auszulegen. Gegen den Duktus des Hebr sollten sich eine „anständige“ Predigerin oder ein Prediger jedoch nicht vergehen. So sollte auf jeden Fall das Motiv der mühevollen Wanderung als ein Bild des Glaubens, in 12,1-3 noch verstärkt durch das Bild des sportlichen Wettkampfes in der Arena, keinesfalls ohne die Christologie des Hebr verstanden werden: Christus ist es, der führt. Er, das wahre Opfer, ist Grund des Glaubens. Der Glaube kann keine menschliche Leistung sein. In 12, 1-3 tröstet der Schreiber die ermüdeten Christinnen und Christen, die auf ihrem mühevollen Weg (dem „Lauf“ des Athleten vergleichbar) ständig Gefahr laufen, mutlos aufzugeben und das verheißenen Ziel aus den Augen verlieren. Trost und Ermutigung soll die Predigt spenden und die Nähe Christi verkünden.

Zum Kontext der Predigt

Die Verfasserin ist seit acht Jahren Pfarrerin in einer großen Behinderteneinrichtung in Süddeutschland, den Johannes-Anstalten Mosbach. Sie hat Menschen vor Augen, deren „Lauf“ im Alltag sehr eingeschränkt ist. Grenzen und Ausgrenzungen werden schmerzhaft erfahren. Es sind Menschen, die in einer Leistungsgesellschaft nicht mithalten können. Soll deshalb auch der christliche Glaube, nach dem Erfahrungshintergrund der Menschen mit Behinderung in ihrem Alltag, den Maßstäben der Leistungsgesellschaft, unterworfen sein? Die Predigt appelliert dagegen an die prinzipielle Gleichheit aller Christinnen und Christen vor Jesus Christus. Christus ist allein Anfänger und Vollender des Glaubens. Und diese Botschaft sollte nicht allein für Menschen mit Behinderungen aktuell sein. Trost, Mut und Ermutigung haben alle nötig. So entsteht eine Predigt gegen die Selbst- und Fremdtäuschungen in den menschlichen Erfahrungen. Klarheit im Glauben ist hervorgebracht durch die Einmaligkeit der Rettungstat Jesu Christi. Christus läuft vor, mit und hinter uns. Das und nicht mehr soll deutlich werden.

Eingangsgebet /Bußgebet

Gott, unser Vater, dein Sohn Jesus Christus ist für uns gestorben, damit wir leben. Wir bitten dich: Erlöse uns aus unserer Angst, gib uns die Kraft, uns selber anzunehmen, uns nicht besser oder schlechter zu machen, als wir sind. Hilf uns, ehrlich zu uns selber zu sein. Durch unseren Herrn Jesus Christus bitten wir: Erhöre uns und nimm uns an. Wir bitten dich: Hilf uns!

Segen

GOTT segne deinen weg die sicheren und die tastenden schritte die einsamen und die begleiteten die großen und die kleinen Gott segne dich auf deinem weg mit atem über die nächste biegung hinaus mit unermüdlicher hoffnung die vom ziel singt, das sie nicht sieht mit dem mut stehen zu bleiben und der kraft weiter zu gehen Gottes segen umhülle dich auf deinem weg wie ein bergendes zelt Gottes segen nähre dich auf deinem weg wie das brot und der wein Gottes segen leuchte dir auf deinem weg wie das feuer in der nacht geh im segen und gesegnet wirst du sein wirst du segnen bist ein segen wohin dich der weg auch führt (Katja Süß, in Gesegneter Weg, Segenstexte und Segensgesten, 2000. Groß – und Kleinschreibung nach der Autorin)

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Liebe Gemeinde!

Laufen kann manchmal ganz schön hart sein! Für manche sind schon die täglichen Wege beschwerlich, andere suchen aber auch die besondere Herausforderung. Mein Mann zum Beispiel: Er hat vor ein paar Jahren das Laufen für sich als Sport entdeckt. Da reicht es nicht, einfach kräftig spazieren zu gehen oder einige Runden zu joggen, nein, es muss wirklich sportlich betrieben werden: Halbmarathon! Das sind immerhin 21,1km am Stück, die auch noch in einer möglichst guten Zeit gelaufen werden sollen. Und wenn er dann an einer großen Laufveranstaltung wie zum Beispiel dem Trollinger-Lauf in Heilbronn teilnehmen kann, fühlt er sich wirklich herausgefordert. Da stehen Leute am Straßenrand, Freunde. Sie feuern die Läufer an und freuen sich mit ihnen. Da will mein Mann sportliche Leistung zeigen, das Ergebnis wird exakt ermittelt und öffentlich bekannt gegeben. Da muss vorher mit Ehrgeiz trainiert werden. Nachdem ihn also das Lauffieber gepackt hatte, sagte er sich eines Tages: „Wenn ich schon den Halbmarathon schaffe, dann könnte ich doch genau so gut den vollen Marathon, über 42,2 km am Stück, schaffen.“ Aber da hatte er sich doch vertan: Es gibt wohl doch eine Leistungsgrenze, wo der Wille allein nicht mehr ausreicht und dem Körper ein solches Training abverlangt werden müsste, das ihn doch überfordert. Erfahrene Läufer sagten meinem Mann, dass ziemlich genau die 30km Marke eine Grenze darstellt. Fast alle Läufer erleben an der 30km Marke, dass sie schier zusammen brechen könnten. Zwanzig Kilometer sind zwar das Doppelte von 10, und vierzig das Doppelte von Zwanzig, aber die Leistungssteigerung ist erheblich mehr als verdoppelt.

Für mich ist das alles zu hoch. Ich bin froh, dass ich nach meiner Bandscheibenoperation überhaupt wieder aufrecht gehen kann. Wer schafft solche Höchstleitungen schon? Sehen wir doch, dass es Grenzen der Leistungsfähigkeit gibt, die auch der Ehrgeizigste anerkennen muss. Bei uns in den Johannes-Anstalten ist für die meisten schon die Vorstellung, einen Halbmarathon zu laufen, unvorstellbar. In unserer Gemeinschaft von Menschen mit Behinderungen gelten Leistungen viel, über die anderswo nicht groß nachgedacht wird. Schaffe ich den Weg von der Wohngruppe in die Werkstatt zu Fuß oder werde ich gefahren? Wenn ich laufen kann, kann ich allein gehen oder sollte mich besser ein Freund begleiten? Soviel zum Laufen.

Manch einer fragt sich: Wenn ein Brief für mich ankommt, wer hilft mir da beim Lesen? Wenn es Essen gibt, kann ich allein essen oder muss mir jemand assistieren? Wie komme ich mit dem Geld klar, das mir zur Verfügung steht? Vielleicht soll ich bald in eine Außenwohngruppe ziehen oder sogar in eine eigene Wohnung. Wie soll ich das nur schaffen, mich selber zu versorgen und an alles zu denken? So unterschiedlich denken wir nach über die Aufgaben, die uns das Leben stellt. Wir merken sehr bald: Es kommt nicht darauf an, dass jeder und jede überall Höchstleistungen vollbringen kann. Keiner kann alles, viele Grenzen halten uns auf. Manchmal ist das schmerzhaft, und doch müssen wir es anerkennen. Vor allem braucht keiner dem anderen vorhalten, was er leistet oder nicht leisten kann. Es ist halt verschieden und jeder hat andere Aufgaben im Leben. An solche Dinge aus dem ganz normalen Alltag muss ich denken, wenn ich im Hebräerbrief über eine Stelle stolpere, wo es heißt:

Lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist.

Der Briefschreiber knüpft an die Bilder vom Wettlauf der Sportler in der Arena die Vorstellungen vom Leben im Glauben. Der christliche Glaube eine sportliche Leistung? Um Himmels willen, gibt es denn da auch diese Leistungsunterschiede? Gibt es Supersportler-Glaubende? Sind das die Superchristen, die niemals Zweifel an Gottes Führung in ihrem Leben haben, die ständig Jesus als Freund an ihrer Seite wissen, alles richtig machen im Leben, anständig sind, vertrauenswürdig in allem, gute Zuhörer, barmherzig, freigiebig, freundlich lächelnd zu allem und jedem, Ungerechtigkeit, ja sogar Gewalt geduldig ertragen und, und, und… Was weiß ich noch alles? Hilfe, nein, dann bin ich kein Supersportler-Christ.

Ich weiß, es gibt diese christlich erscheinende Vorstellung, dass ein wirklich wiedergeborener Christ gar keine Fehler mehr machen kann im Leben, dass Jesu Gnade sich in seinem Leben sogar im täglichen Erfolg in Beruf und Familie, im Wohlergehen zeigt. Und wenn sich das perfekte Leben nicht einstellt, dann glaubt man eben noch nicht gut genug. Mein Leben und mein Glauben hat mir anderes gezeigt. Es hat mir Grenzen aufgezeigt, Prüfungen nannten das die Alten. Es hat Aufgaben gestellt, die sehr hart sein können. Es gibt Zeiten, da erschrecke ich vor mir selber und meinen Fehlern. Wenn ich in dieser Erkenntnis mein Leben an Christus binde, werde ich nicht automatisch zum Supersportler-Christen, nein, das nicht. Aber ich kann und darf mein Leben mit den Augen ansehen, mit denen Jesus mich ansieht. Und er sieht die Leistungsgrenzen, er sieht mich, wie ich nun mal bin: schwach, hilfsbedürftig, manchmal verbohrt, manchmal auf dem Irrweg, ungeduldig, eingeschränkt in so vielem mir selbst und meinen Mitmenschen gegenüber. Ja, so sieht Jesus mich. Gott sei Dank sieht Jesus mich so, denn nur so kann ich selber ehrlich mit mir umgehen, muss keine Leistungen vortäuschen, wo es nichts vorzutäuschen gibt, muss mich nicht toller hinstellen, als ich bin. Ich brauche keine Energie aufzuwenden, mich zu verstellen und zu verstecken, wenn ich mich hilflos und klein fühle. Nein, Gott sei Dank, ich brauche keinen Supersportler-Christen zu spielen, um von ihm mit Liebe angesehen zu werden.

Lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist, und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens.

Hier gibt uns der Hebräerbrief eine neue Richtung an. Jesus sieht uns in Liebe an: Das ist unsere Hoffnung. Und gleichzeitig sehen wir auf zu Jesus. Wir sehen ihn in Erwiderung dieser Liebe an. Keiner von uns ist allein auf seinem Weg, auf seinem Lauf. Kein Supersportler-Christ ist gefragt, der alle Leistungen im Leben, alle Anforderungen allein, aus eigener Kraft bewältigen soll. Der christliche Glaube ist eben keine menschliche Leistung. Und das, was wir im christlichen Glauben tun, auch nicht. Der christliche Glaube beginnt mit Jesus, und Jesus allein ist der Vollender. Menschen, die ihm vertrauen, folgen ihm nach. Das ist das Laufen, das Nachfolgen von dem der Hebräerbrief spricht. Die sportliche Leistung steht im Hintergrund. Entscheidend ist, wem wir nachlaufen, wem wir folgen. Jeder Lauf hat eine Hoffnung, und jeder Lauf hat ein Ziel: Wir schauen auf den Anfänger und Vollender des Laufes, gerade jetzt in der Karwoche: Wir schauen auf Jesus Christus, auf sein Leben, seine Botschaft der Versöhnung, auf seinen Weg nach Jerusalem und den Weg ans Kreuz. Und wir schauen voraus auf die Hoffnung: Jesus lebt, er ist auferstanden, so wird es an Ostern verkündet. So ist es der Lauf der Christen in dieser Welt, ohne alles Leistungsdenken: In der Hoffnung auf das Ziel sein Leben führen, in Verantwortung vor dem, der dem Leben eine Verheißung gegeben hat: Leben mit ihm, in Ewigkeit,

damit ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.

Amen

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