Bärenraupe

Von Sehnsucht getrieben – Komm, beim Fest im Reich Gottes sind noch Plätze frei

Predigttext: Lukas 14,15-24
Kirche / Ort: Heidelberg-Kirchheim
Datum: 21.06.2009
Kirchenjahr: 2. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Dr. Vincenzo Petracca
Predigttext: Lukas 14,15-24 (Einheitsübersetzung) Als einer der Gäste das hörte, sagte er zu Jesus: Selig, wer im Reich Gottes am Mahl teilnehmen darf. Jesus sagte zu ihm: Ein Mann veranstaltete ein großes Festmahl und lud viele dazu ein. Als das Fest beginnen sollte, schickte er seinen Diener und ließ den Gästen, die er eingeladen hatte, sagen: Kommt, es steht alles bereit! Aber einer nach dem andern ließ sich entschuldigen. Der erste ließ ihm sagen: Ich habe einen Acker gekauft und muß jetzt gehen und ihn besichtigen. Bitte, entschuldige mich! Ein anderer sagte: Ich habe fünf Ochsengespanne gekauft und bin auf dem Weg, sie mir genauer anzusehen. Bitte, entschuldige mich! Wieder ein anderer sagte: Ich habe geheiratet und kann deshalb nicht kommen. Der Diener kehrte zurück und berichtete alles seinem Herrn. Da wurde der Herr zornig und sagte zu seinem Diener: Geh schnell auf die Straßen und Gassen der Stadt und hol die Armen und die Krüppel, die Blinden und die Lahmen herbei. Bald darauf meldete der Diener: Herr, dein Auftrag ist ausgeführt; aber es ist immer noch Platz. Da sagte der Herr zu dem Diener: Dann geh auf die Landstraßen und vor die Stadt hinaus und nötige die Leute zu kommen, damit mein Haus voll wird. Das aber sage ich euch: Keiner von denen, die eingeladen waren, wird an meinem Mahl teilnehmen.

Exegetische Vorüberlegungen

Das Bildfeld des Mahles erweckte eschatologische Assoziationen. Seit Jes 25,6 wurde das Mahl im jüdisch-christlichen Bereich als Metapher für die eschatologische Gemeinschaft mit Gott verwendet. Der Evangelist deutet das Mahl in Lk 14,15 explizit als Chiffre für die Basileia (Reich Gottes): Ein anonymer Pharisäer greift die Seligpreisung jener, die Außenseiter zum Mahl einladen (V 14), auf, indem er seinerseits die Teilnehmenden am eschatologischen Mahl seligpreist (V 15). Stillschweigend zählt er sich als Angehöriger der Führungsschicht (V 1) zu diesen Auserwählten. Die Parabel, die nach V 16 an ihn gerichtet ist, will dieses Mißverständnis zurechtrücken: Die Erstgeladenen zum eschatologischen Mahl sind die Pharisäer und Schriftgelehrten (V 3) als ursprüngliche Träger der Heilsverheißung. Sie schließen sich jedoch selbst vom Mahl aus, indem sie nicht die Dringlichkeit der Stunde erkennen (V 17). Statt an Besitz (V 18f.) und an der Ehe (V 20) zu hängen, sollen sie ihren Besitz aufgeben (V 33) und sich von ihren Frauen lösen (V 25), um frei für die Nachfolge zu sein (VV 25-34). Tun sie dies nicht, so verlieren sie ihren Heilsvorzug. Arme und Außenseiter werden statt ihrer am eschatologischen Mahl teilnehmen (V 21). Die Umkehrung der Gästeordnung hat einen doppelten Zweck: Zum einen werden Hörende, die eher den Erstgeladenen nahestehen, aufgefordert, sich nicht selbst von der Basileia auszuschließen. Der narrative Tun-Ergehen-Zusammenhang zwischen der Verweigerung der Nachfolge und dem Heilsverlust soll zur Umkehr mahnen. Zum anderen werden Arme und Außenseiter durch die Verheißung der Teilnahme am eschatologischen Mahl ermutigt und getröstet. Die Parabel stellt eine bedingte Unheilsansage dar und ist als Mahnung zu verstehen. Der offene Schluß ist ein letzter, eindringlicher Appell, die noch verbleibende Zeit zu nutzen, solange der Einladungswille Gottes noch nicht erloschen ist (V 23). Die Hörenden, die sich mit den Erstgeladenen identifizieren, sollen umkehren, auf Besitz und soziale Stellung verzichten, um sich in die Nachfolge Jesu zu begeben. Nachfolge an Stelle von Selbstausschluß aus der Basileia erscheint als Regel der Klugheit. Die Parabel vom Festmahl reiht sich in eine lange Reihe lukanischer Texte, die mahnen, sich nicht durch Rücksichtnahme auf Besitz, auf familiäre oder soziale Verpflichtungen von der Kompromißlosigkeit der Nachfolge abbringen zu lassen (vgl. Lk 8,14; 9,57-62; 18,18-30 u.a.). Lk 14,7-14 ist als ethische Konkretion der Parabel zu verstehen: Aus dem Übergang der Prärogative auf die Armen und Außenseiter folgt die Pflicht, mit diesen sozial zu verkehren und sie zu speisen, sowie die Notwendigkeit zur Demut. Umgekehrt wendet sich die Parabel implizit gegen Vorbehalte, mit Armen und Außenseitern an einem Tisch zu sitzen. Literatur: Vincenzo Petracca, Gott oder das Geld – Die Besitzethik des Lukas, TANZ 39; Tübingen (u.a.) 2003, S. 143-162.

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Predigt

Liebe Schwestern und Brüder!

Eingeladen

Fröhlich. Ausgelassen. Gesprächig. Verspielt. Üppig. Heiter. Zweckfrei. Reine Freude. So wird das Reich Gottes geschildert. Es ist wie ein Mahl. Wie ein großes Festmahl. Glücklich, wer bei dem Fest Gottes auf der Gästeliste steht! Auf der Gästeliste? Nein, das ist nicht das wichtigste, wendet Jesus ein. Was ist dann das Entscheidende? Worauf kommt es an? Gute Frage. Hierzu erzählt Jesus ein Gleichnis, folgen wir einmal in Ruhe seiner Geschichte, denn sie ist nicht ganz einfach zu verstehen:

Ein reicher Mann gibt ein großes Festmahl. Viele reiche und angesehene Leute sind eingeladen. Als die Vorbereitungen beinahe abgeschlossen sind, sendet er einen Boten zu seinen Gästen, um sie zum Kommen zu bitten. So war das damals bei den Reichen üblich. Doch die Gäste sagen ab. Einer nach dem anderen. Und jeder hat eine gute Entschuldigung: Die Geschäfte gehen vor. Oder die Ehe.

Wie ist das Gleichnis zu deuten? Gott ist der Hausherr, der zum Fest lädt. Sein Bote ist Jesus. Er richtet die Einladung Gottes aus: „Du ganz persönlich bist eingeladen! Komm in das Reich Gottes!“. Dieses Reich ist nicht nur im Himmel. Es beginnt jetzt auf der Erde, mit Jesus. In Jesus begegnet man der Nähe Gottes. Einer Nähe, die einfach wohl tut. Sie ist wie ein fröhliches Fest. Aber die Eingeladenen sagen ab. Sie schlagen die Einladung Jesu aus. Sie wollen sich nicht an Gott binden. Und an Jesus, seine Boten. Für sie gibt es Wichtigeres. Worauf kommt es also an? Jesus will mit dem Gleichnis sagen: Es reicht nicht nur, auf der Gästeliste Gottes zu stehen. Das Entscheidende ist, die Einladung auch anzunehmen. Du ganz persönlich bist eingeladen! Komm! So spricht Jesus. Aber was hindert heute, die Einladung anzunehmen? Bei manchen sind es die Geschäfte. Ankauf und Verkauf. Gewinnsteigerung um 25%. Geldgeschäfte aller Art. Zu beschäftigt, too busy, wie man an der Wallstreet so schön sagt. Andere sind zu beschäftigt mit dem neuen Auto. Dem Computer. Sport. Der Partnerschaft. Der Familie. Vielleicht ist es auch gar nicht, zu beschäftigt zu sein. Vielleicht ist es die Angst, sich zu öffnen. Kann ich Gott vertrauen? Wird er mich nicht enttäuschen? Oder verletzen? Kann ich wirklich Vertrauen haben in Gott? In das Leben? So fragen andere. Mit dem Vertrauen ist es wie mit der Bärenraupe, die über die Straße kommen wollte. Kennen Sie die Geschichte (Rudolf O. Wiemer)?

Vertrauen

Chance der Bärenraupe, über die Straße zu kommen.
Keine Chance. Sechs Meter Asphalt.
Zwanzig Autos in der Minute.
Fünf Laster. Ein Schlepper. Ein Pferdefuhrwerk.
Die Bärenraupe weiß nichts von Autos.
Sie weiß nicht, wie breit der Asphalt ist.
Weiß nichts von Fußgängern, Radfahrern, Mopeds.
Die Bärenraupe weiß nur, dass jenseits
Grün wächst. Herrliches Grün, vermutlich freßbar.
Sie hat Lust auf Grün. Man müßte hinüber.
Keine Chance. Sechs Meter Asphalt.
Sie geht los. Geht los auf Stummelfüßen.
Zwanzig Autos in der Minute.
Geht los ohne Hast. Ohne Furcht. Ohne Taktik.
Fünf Laster. Ein Schlepper. Ein Pferdefuhrwerk.
Geht los und geht und geht und geht und kommt an.

Liebe Gemeinde, die Bärenraupe hat Vertrauen. Sie geht los. Ohne Taktik. Getrieben wird sie von Lust auf Grün. Von herrlichem, freßbarem Grün. Der Hunger ist ihr Antrieb. Vertrauen nährt sich von Hunger nach mehr, von Sehnsucht. Jesus macht Sehnsucht. Das Reich Gottes ist wie ein Festmahl. Wie ein fröhliches, ausgelassenes, üppiges, heiteres Mahl. Du ganz persönlich bist eingeladen! Komm! Geh los und geh und geh und geh und komm an.

Wendung

Zurück zum Gleichnis. Die Gäste kommen nicht. Sie sind zu beschäftigt. Ausnahmslos alle sagen ab. Es stellen sich zwei Fragen: Wird das Fest überhaupt stattfinden? Wird das Haus des Gastgebers voll werden? Als der Bote die Absagen überbringt, nimmt die Erzählung eine unerwartete Wendung: Der Hausherr wird zornig. Das schöne Fest soll ein Fiasko werden? Welch ein Schmach, dass alle Gäste meine Einladung ausschlagen! Er ist gekränkt. Nachvollziehbar. In seiner Wut sendet er den Boten ein zweites Mal. Diesmal aber nicht in die Häuser der Reichen, sondern hinaus auf die Strassen und Gassen der Stadt. Als neue Gäste werden die Armen und Invaliden eingeladen. Diese folgen der Einladung. Der reiche Hausherr feiert sein Fest mit Armen, Krüppeln, Blinden und Lahmen.

Wie bitte? Wie ist denn das zu verstehen? Gott hat gar nicht alle zu seinem Fest eingeladen? Nur manche? Wer sind denn die Erstgeladenen? Anscheinend die Reichen und Vornehmen. Die Frommen und Religiösen. Sie sind die Auserwählten. Aber sie lehnen ab. So das Gleichnis. Da lädt Gott noch einmal ein. Diesmal die Armen. Die Kranken. Die Mühseligen und Beladenen. Die Außenseiter. Die Ausgegrenzten. Diese haben Hunger und Sehnsucht. Wie die Bärenraupe machen sie sich auf den Weg. Besitz und Geschäfte hindern sie nicht. Sie wollen zum Fest. Wie die Bärenraupe sind sie von der Sehnsucht getrieben. Sie hören den Ruf Jesu und nehmen die Einladung an. Sie mögen einfach sein, manche einfältig wie die Bärenraupe, aber sie kommen. Sie sind die neuen Auserwählten.

Dazu fallen mir die Worte eines armen Mannes ein. Sie haben mich tief berührt. Er wohnt in Lateinamerika, in Villa El Salvador. Er spricht: „Wir haben Hunger. Wir leiden Not, wir haben keine Arbeit, wir sind krank. Mit von Schmerz zerrissenem Herzen sehen wir mit an, wie unsere Frauen ihre Schwangerschaft in der Angst vor Tuberkulose durchleben; wir sehen unsere Kinder heranwachsen, schwach und ohne Zukunft. Aber trotz allem glauben wir an den Gott des Lebens. Das Leben in den Elendsvierteln schmälert unseren Glauben nicht, und wir kämpfen für dieses Leben gegen den Tod. Wir glauben an Jesus Christus, den Sohn Gottes. Er ist Mensch geworden, um uns von der Sünde zu erlösen, um den Armen die Frohe Botschaft zu bringen, um den Gefangenen die Freilassung und den Blinden das Augenlicht zu schenken.“

Offen

Noch einmal zurück zum Gleichnis. Die Geschichte geht weiter. Die Armen und Invaliden kommen zum Fest, aber das Haus ist dennoch nicht gefüllt. Es ergeht eine dritte Einladung, diesmal an jene auf den Landstraßen und vor der Stadt. Der Schluß der Geschichte bleibt offen. Es ist unklar, ob der Hausherr sein erklärtes Ziel erreicht, sein Haus mit Gästen zu füllen. Jesus erzählt eine Geschichte mit offenem Ende. Aus gutem Grund. Die dritte Einladung gilt auch uns heute. Es ist noch nicht voll. Es ist noch Platz beim Fest im Reich Gottes. Jesus spricht: Du ganz persönlich bist eingeladen! Komm! Und wir? Nehmen wir die Einladung an? Oder finden wir Entschuldigungen, wie die Erstgeladenen? Und, wollen wir überhaupt mit den anderen zusammen feiern? Mit ihnen an einem Tisch sitzen? Immerhin sind beim Fest jetzt die Penner und Junkies, die Armen und Außenseiter. Wir haben es im Konfirmandenunterricht gelernt: Jesus sammelt beim Abendmahl alle um seinen Tisch. Ohne Unterschiede. Aber, wie sieht es tatsächlich aus? Sind wir nicht auf den Mittelstand verengt? Nehmen am Abendmahl nicht größtenteils Menschen aus der Mittelschicht teil? Vermissen wir die anderen? Und, nicht nur für das Abendmahl, sondern für jedes Fest gilt das fast vergessene Wort Jesu. Er spricht es unmittelbar vor unserem Gleichnis: Wenn du ein Essen gibst, dann lade Arme, Krüppel, Lahme und Blinde ein!

Wahrnehmen

Wir sollen es machen wie Gott: Arme, Krüppel, Lahme und Blinde einladen. Wie wäre das, wenn die Kirche runde Tische anbieten würde? Runde Tische, an denen Vermögende und Verarmte sich begegnen. Eine Gruppe badischer Theologen/Theologinnen mit Namen „Solilohn“ versucht, das zu organisieren. Sie nennen es „Zachäus-Dialogprozesse anstoßen“. In der Mannheimer Lutherkirche wird das Arbeitslosenzentrum in die Seitenempore gebaut. Mit einem Café, mit Rechts- und Sozialberatung, alles im Kirchenraum. Dort, so die Überlegung von Solilohn, könnten solche „Zachäus-Dialogprozesse“ stattfinden. Arbeitslose und Vermögende könnten sich dort begegnen. Miteinander in Dialog treten. Einander wahrnehmen in ihrer je eigenen Lebenswirklichkeit. Darüber hinaus könnten die Beteiligten erste praktische Antworten auf die Frage nach gerechter Verteilung suchen. Und nach gerechter Teilhabe. Ob solche „Zachäus-Dialogprozesse“ tatsächlich stattfinden werden, ist ungewiß. Noch fehlen Solilohn die Vermögenden, die zu solch einem runden Tisch bereit wären.

Nachdenken

Noch ein letztes Mal zurück zum Gleichnis. Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Am Schluß bekräftigt der noch immer zornige Hausherr, dass die Erstgeladenen sich vom Mahl selbst ausgeschlossen haben. Keiner von ihnen darf am Mahl teilnehmen. Der Schluß ist ärgerlich! So meinten unsere Jugendlichen vor zwei Wochen, als in der Bibelarbeit in Taizé diese Geschichte besprochen wurde. Wieso gibt es kein Happy-End? Ist Gott wirklich ein zorniger Hausherr? Kommen die Erstgeladenen tatsächlich nicht mehr rein? So fragten sie. Daraufhin haben sie eine Fortsetzung für die offene Geschichte entwickelt. Sie geht so:

Der Käufer der Ochsen überlegt es sich noch einmal und kommt doch noch zum Fest. Der Bote läßt ihn aber nicht rein: „Ich habe meine Anweisungen“. Indes, der säumige Gast ist hartnäckig und bittet so lange, bis er mit dem Hausherrn selbst reden darf. „Sieh an! Was willst du?“, fragt dieser. „Ich komme zu deinem Fest“. „Du kommst spät“, sagt der Hausherr „Das Fest hat seit Stunden begonnen. Außerdem hörte ich: Die Ochsen sind dir wichtiger als mein Fest?“ „Es tut mir leid“. Der Hausherr macht eine abwehrende Geste: „Es hat mich geärgert, dass du abgesagt hast. Und um ehrlich zu sein: Es hat mich gekränkt. Wegen Ochsen!“ „Entschuldigung. Ich habe nachgedacht. Du bist mir wichtig. Viel wichtiger als die Ochsen. Daher bin ich doch noch gekommen“ Und nach einer Pause fügt der Gast hinzu: „Die Freundschaft zu dir ist mir wertvoll“. Die letzten Sätze sind entwaffnend. Der Zorn des Hausherrn verraucht. Versöhnlich legt er ihm die Hand auf die Schultern: „Wenn das so ist! Gut, dass du es dir nochmals überlegt hast. Und schön, dass du da bist. Das Haus ist auch noch gar nicht voll. Komm, ich habe leckere Köstlichkeiten zubereiten lassen“.

Amen.

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