Begegnung

Zuhören, den eigenen Weg finden, Gott finden

Predigttext: Apostelgeschichte 16, 9-15 (mit Exegese und Meditation)
Kirche / Ort: 22949 Ammersbek-Hoisbüttel / Hamburg
Datum: 23.02.2014
Kirchenjahr: Sexagesimae (60 Tage vor Ostern)
Autor/in: Pastor Christoph Kühne

Predigttext: Apostelgeschichte 16, 9-15 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

9 Und Paulus sah eine Erscheinung bei Nacht: ein Mann aus Mazedonien stand da und bat ihn: Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns!  10 Als er aber die Erscheinung gesehen hatte, da suchten wir sogleich nach Mazedonien zu reisen, gewiß, daß uns Gott dahin berufen hatte, ihnen das Evangelium zu predigen.  11 Da fuhren wir von Troas ab und kamen geradewegs nach Samothrake, am nächsten Tag nach Neapolis  12 und von da nach Philippi, das ist eine Stadt des ersten Bezirks von Mazedonien, eine römische Kolonie. Wir blieben aber einige Tage in dieser Stadt.  13 Am Sabbattag gingen wir hinaus vor die Stadt an den Fluß, wo wir dachten, daß man zu beten pflegte, und wir setzten uns und redeten mit den Frauen, die dort zusammenkamen.  14 Und eine gottesfürchtige Frau mit Namen Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, hörte zu; der tat der Herr das Herz auf, so daß sie darauf achthatte, was von Paulus geredet wurde.  15 Als sie aber mit ihrem Hause getauft war, bat sie uns und sprach: Wenn ihr anerkennt, daß ich an den Herrn glaube, so kommt in mein Haus und bleibt da. Und sie nötigte uns.

(Eigene Übersetzung Chr. Kühne)

9 Und Paulus hatte nachts eine Vision: Da stand ein Mann aus Makedonien und bat ihn: Komm schnell zu uns nach Makedonien und hilf uns!
10 Wie er aber die Vision gesehen hatte, wollten wir umgehend abfahren nach Makedonien. Denn wir schlussfolgerten, dass gerade uns Gott (Var: der Herr) berufen habe, ihnen das Evangelium zu bringen (= sie zu evangelisieren).
11 Wir legten von Troia ab (lat: navigantes) und liefen geradewegs (lat: recto cursu) Samothrake an. Am nächsten Tag gings gleich nach Neapolis (heute: Kavala),
12 und von dort nach Philippi - das ist die Hauptstadt des ersten Bezirks von Makedonien, eine (römische) Kolonie.
In dieser Stadt (lat: urbs) blieben wir und verbrachten (lat: conferentes) einige Tage dort.
13 Am Sabbat gingen wir (wie üblich) aus dem Stadttor beim Fluss (Angites) hinaus, wo wir eine Gebetsstätte (Bethaus?) (lat: oratio) vermuteten; und nachdem wir uns hingesetzt hatten, sprachen wir mit zusammengekommenen (lat: convenerant) Frauen.
14 Und eine besondere Frau mit Namen Lydia, Purpurwollhändlerin der Stadt Thyatira, eine sog. Gottesfürchtige (Var: Herr), hörte (zu); dieser öffnete der Herr das Herz, dass sie  auf die Reden des Paulus achtgab (lat: intendere).
15 Wie aber sie getauft worden war mit ihrem (Var: ganzen) Haus, bat sie (uns): Wenn ihr der Meinung seid, dass ich an den Herrn (Var: Gott) glaube, dann auf in mein Haus! Und bleibt bei uns! Und sie drängte uns.

Gedanken beim Lesen des Predigttextes

Als Erstes das Bedürfnis: Eine solche klare Vision für mein Leben hätte ich auch gerne: klar, eindeutig, attraktiv (= anziehend). Und dann entdecke ich hier den „echten“ Paulus: keine langen Überlegungen, Zweifel, Vorbehalte! Los gehts! Interessant, dass Paulus mit seinen Gefährten an den Fluss geht, wo man dachte, „dass man zu beten pflegte“. Und dann warten die Männer - und schließlich kommen - Frauen, „die dort zusammenkamen“. Zum Plauschen? Und Paulus beginnt zu „missionieren“, was zu einem Besuch bei Lydia und schließlich zu Taufe und Übernachtung führt. Alles in scheinbar zeitlicher Schnelligkeit. Denn „das RG ist nahe herbeigekommen“!?

Zum Bibeltext

I.     Die Apostelgeschichte ist zusammen mit dem Lukasevangelium anonym überliefert; der Verfasser ist ein unbekannter hellenistischer Heidenchrist der nachapostolischen Generation und hat Act wohl gegen Ende des 1. Jahrhunderts außerhalb Palästinas geschrieben. Adressaten sind griechisch sprechende Heidenchristen Palästinas, deren Situation gekennzeichnet ist durch Verfolgungen, Auftreten von Irrlehrern, Völkermission und politischen Auseinandersetzungen mit den Römern. Act präsentiert einen kirchen-konformen Paulus, der ein großer Redner war und  d i e  Kirche repräsentiert habe und mit etwa 45 Jahren seine 2. Missionsreise ca. 49-50 nC unternommen habe. Mit 16,10ff beginnen Wir-Berichte, die auf ein Itinerar (Reisebericht von Paulusgefährten  Titus, Silas u.A.?) hinweisen.

II.     V.9 horama = visio Erscheinung; „seine Wirkung auf den Schauenden ist, die Vorstellung des AT weiterführend, begnadigend, ermutigend, beauftragend“ (LNT III); vgl. auch Act 18,9; 2Kor 12,1. - parakaleoo = bitten (sonst oft: trösten, ermahnen).
V.10 Mit diesem Vers beginnt der Wir-Bericht in Act. Ein Itinerar der Paulusbegleiter? Der ganze Vers drückt die Eile, den Aufbruch aus, den der Traum des Paulus „verursacht“ hat; interessant ist, dass der Traum „vermutlich“ von „dem Gott“ statt „Kyrios“ (Var und V. 14!) stammt. - symbibazoo zusammenbringen, einen Schluss ziehen, schließen, vermuten.
V.11 anachthentes (pt aor) betont das sofortige Ablegen des Schiffes (vs Var).
V.12 Der Text ist nicht verständlich, daher Beachtung der Var: die Stadt des ersten Bezirks von M.; andere Var sehen in Philippi „eine führende Stadt in diesem Teil von M.“ (Jerusalemer). - koloonia: „Nach dem Sieg Octavians über Antonius und dessen Selbstmord (30 v. Chr.) erhielt die Kolonie Zuwachs durch weitere dort angesiedelte Italiker sowie 27 v. Chr. den neuen Namen Colonia Augusta Iulia Philippensis. Von diesem Datum bis ins 3. Jahrhundert dominierte in Philippi römische Lebensart und Kultur, so dass Collart von einem Rom in Kleinformat ("Rome en miniature") spricht. Auf dem ökonomischen Sektor war die Landwirtschaft weiterhin vorherrschend.“ (wikipedia „Philippi“). Warum bleibt Paulus „mehrere Tage“ in „Klein Rom“? Sind hier schon die Ereignisse mitgemeint, die der Autor noch mitteilt?
V.13 pylä para potamon = ein Stadttor, das nahe zum Fluss (Angites) liegt. - proseuchä = eine jüdische Gebetsstätte in räumlicher Nähe zur Stadt, „eine Art Stützpunkt für die Aktivitäten der Missionare in Philippi“; nicht unmittelbar am Fluss gelegen; andere Kommentatoren vertreten den Fluss wegen ritueller Waschungen (?).
V.14 Lydia - der Name verrät ihre Herkunft: aus Lydien, Gegend um das heutige Izmir/Türkei. - porphyropolis = Purpurhändlerin; Lydia hatte also finanzielle Möglichkeiten: Die teuren Waren müssen eingekauft, transportiert und gelagert werden. - thyatira - heute Akhisar, bekannt für Teppichherstellung; „unabhängig von einem entweder durch Geburt gegebenen oder durch spätere Schicksalswendungen (Raub, Kriegsgefangenschaft oder Schuldsklaverei) ausgelösten Sklavenstand könnte ihre Herkunft aus der Stadt Thyatira in Lydien) dieser Frau den Rufnamen Lydia eingebracht haben, obwohl sie eigentlich ganz anders heißen mag. Sprachliche Auffälligkeiten oder besonderer Stolz auf das bekannte heimatliche Textilhandwerk könnten dazu geführt haben, dass die aus Kleinasien zugezogene Purpurhändlerin als „die Lydierin“ in Philippi allgemein bekannt ist. -sebomenä ton theon - mit dem Judentum sympathisierende Gottesfürchtige.
V.15 Var betont, dass Lydias „ganzes“ Haus getauft wurde. Lydia wandelt sich von der Gottes-Fürchtigen (V.14), der der Herr das Herz öffnet, zu einer Herr-Gläubigen.
parabiazomai = drängen, nötigen; nur noch bei den Emmausjüngern (Lk 24,29).

Meditation

Paulus ein Getriebener? Unterwegs zu einem Ziel, das er nicht kennt? Wer oder was treibt ihn (an)? Es ist die 2. Missionsreise, die der Mittvierziger mit einigen Gefährten unternimmt. Was treibt ihn, der offensichtlich nicht ganz gesund war: Pfahl im Fleisch (2 Kor 12,7), Visionen (2 Kor 12,1)? Freilich - im Nachhinein ergibt sich ein Roter Faden. Wir sprechen heute von seinen drei Missionsreisen. Aber wie mag der Mensch Paulus seine Reisen empfunden haben? Er hatte Neuland betreten, hatte mit Grundzügen des Judentums gebrochen, war fasziniert von dem, was ihm von jenem Jesus von Nazareth erzählt worden war. Und er hatte dessen Lehre „weiterentwickelt“. Paulus fühlte sich ganz in diesem Jesus Christus (en christoo). E r  bestimmte jetzt sein Leben. Taufe war für ihn kein Abwaschen von Sünden mehr sondern ein Eintritt in eine neue Welt, in ein neues Sein. Das hörte sich schon ein wenig philosophisch an, war aber für ihn, Paulus, den Schriftgelehrten, ein neues Existential: Das Reich Gottes war tatsächlich angebrochen! Und dieses „Neue Sein“ (P. Tillich), das ihn trug, sollte auch die Welt erfahren. Also auf, in die Welt! Natürlich konnte er sich zwischendurch finanziell mit seinem Beruf absichern, hat immer wieder „Pausen“ eingelegt, um Geld zu verdienen, um dann weiterzuziehen. Klar war ihm, dass er niemandem auf der Tasche liegen wollte! Und so bekam sein Leben eine neue Richtung. Keine Umwege mehr. Die Zeit drängt. „Direkt“ (euthys) wurde zu seiner Haltung.

Auf diesem „direkten“ Weg trifft er auf eine ihm völlig unbekannte Frau, die in ihrer Umgebung als „gottesfürchtig“ bekannt ist. Sie scheint zu wissen, dass es neben Arbeit, Ansehen und der Vielfalt von tagtäglichen Verpflichtungen (Resilienz) noch mehr gibt - und geben müsse. Sie ist offen für „Gott“ und dabei keiner besonderen Konfession zuzuordnen. Sie ist Unternehmerin und führt ihr „Haus“ mit Familie allen Angestellten. Vielleicht ist sie zufällig mit den anderen Frauen  zu dem (jüdischen) Gebetsraum gegangen, der außerhalb der Stadt jenseits des „Tores am Fluss“ liegt. Vielleicht hatte sie durch andere Händler von Paulus gehört. Auf jeden Fall lässt sie sich von seinen Worten in den Bann ziehen, zögert nicht, sich um gehend mit ihrem (ganzen) Haus taufen zu lassen - sie wollte unbedingt dieses Siegel des Glaubens haben! - und möchte dann „mal ganz im Ernst“ von Paulus wissen, ob sie jetzt „in Christus“ (en christoo) sei und mithin in einem neuen Sein. Denn wenn das so wäre, dann „Bleibt bei uns“!

Dieses „Drängen“ und „Nötigen“ (parabiazomai) finden wir ein zweites Mal im NT bei den Emmausjüngern (Lk 24, 13ff), von denen erzählt wird, dass ihnen das Herz gebrannt hätte. Auch unserer Lydia mag das Herz gebrannt haben: „Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete?“ (Lk 24, 32). So dass nichts anderes bleibt als festzuhalten, was jetzt ist: „Herr, bleibe bei uns ...!“ Es ist wie ein Blick in den Himmel, den die Apostel auf dem Berge der Verklärung genossen haben - und festhalten wollten (Lk 9, 28ff). Ihnen wurde damals gesagt: „Dieser ist mein lieber (Lk: auserwählter) Sohn (Mt: an dem ich Wohlgefallen habe), den sollt ihr hören!“

Wie ist es bei uns? Wann haben wir das letzte Mal „gebrannt“? Was sagt unsere Rückschau? Hätte ich nicht mehr Gelegenheiten nutzen sollen? Im Gespräch mit meiner Frau, meinen Kindern, meinen Freunden, vielleicht auch meinen Arbeitskollegen? Unser Text spricht vom Zuhören und dann Brennen. Paulus wird später einmal sagen: Der Glaube kommt aus dem Zuhören (Rm 10,17). Kurt Marti/Bern: Zuhören - die Kunst der Zärtlichkeit. Zuhören als Form des Einlassgewährens des Anderen. Zuhören - ohne Angst. Zuhören = Sich öffnen. Und was geschieht dann? Ich bin verletzlich, verwundbar. Und: Ich bin echt, authentisch. Von den Emmausjüngern ebenso lernen wie von jener Unbekannten aus Makedonien, die zur ersten Christin in Europa wird. Lydia wird ein Name, den man heute noch kennt. Ursprünglich bedeutete es „die aus der Türkei, aus Lydien“. Aus dem Zuhören des Anderen den eigenen Weg finden, Gott finden, das Neue Sein finden, oder, wie es die heurige Jahreslosung sagt: Gott nahe zu sein, ist mein Glück.

Literatur: Peter Pilhofer, Die erste christliche Gemeinde Europas.

Lieder: „Zieh ein zu deinen Toren“ (EG 133)
„Herr, für dein Wort“ (EG 196, Wochenlied)
„In dir ist Freude“ (EG 398)
„Wo zwei oder drei“ (Kanon)

 

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Das ist nun unser Thema heute Morgen: Unser Herz ist unruhig … Stammt von einem alten Kirchenvater, der wohl vorausschauend uns heutige Menschen aus der Ferne wahrgenommen hat. Unser Herz ist unruhig! Ich kann das von mir oft genug sagen. Und ich entdecke um mich herum viele Menschen, die mir sagen: Mensch, wie die Zeit vergeht! Wie heißt die neue Modekrankheit? Burn out. Ausgebrannt sein – vor der Zeit des richtigen Loderns  und Brennens für eine Sache. Die Zeit wird immer schneller, so scheint es uns und vielen Zeitgenossen. Vielleicht treffen wir uns auch deshalb hier und heute morgen im Gottesdienst, um innezuhalten, zu rasten, zu ruhen. (Ich kannte eine Frau, die nur im Gottesdienst schlafen konnte. Sonst war das Leben und die Zeit offenbar zu schnell.) Also willkommen zur Entschleunigung, zum einfachen Singen, Zuhören oder auch Ausruhen, wenn Sie wollen. Unser Herz ist unruhig. Unter diesem Motto möchte ich an die Evangeliumslesung erinnern und selbige noch einmal in einer eigenen Übersetzung vorlesen.

(Lesung des Predigtttextes)

Sein Herz war wohl unruhig, das Herz des großen Apostels Paulus. Drei wahnsinnige Missionsreisen hat dieser Mann durch die damals bekannte Welt unternommen – zu Fuß, zu Pferd oder auch zu Schiff. Unsere heutige Geschichte geschah auf der zweiten Missionsreise. Der Mann ist Mitte 40, ein gutes Vorbild für uns heutige und gestresste Berufstätige. Ganz gesund ist er auch nicht. Vertraulich schreibt er am Ende seines zweiten Briefs an die Gemeinde in Korinth, er habe einen Stachel im Fleisch und „des Satans Engel würde ihn mit Fäusten schlagen“. Was er auch gehabt haben mag, es war mit Schmerzen verbunden! Vielleicht treiben ihn diese Schmerzen an, sich auf die Reise zu begeben, sich mit Menschen auseinanderzusetzen, sich auf dem Meer in Gefahr zu begeben. Er war ein Getriebener. Paulus hatte von Jesus gehört, hatte ihn mit allen Mitteln der Schriftgelehrsamkeit untersucht, bis es ihm schließlich wie Schuppen von den Augen gefallen ist: dieser Jesus aus Nazareth ist der ersehnte Christus, auf den die Propheten immer hingewiesen hatten. Und dieser Christus hat ihn nicht mehr losgelassen. Er trennt sich von den Augenzeugen des Zimmermannssohns und spürt, dass die Kraft des Gekreuzigten ihn trägt und antreibt. Vielleicht würden wir heute sagen: Christus „motiviert“ ihn. Er brennt für seinen Herrn, für das Evangelium!

Gelegentlich lesen wir in Illustrierten, dass es Menschen gibt, die sich fragen, ob Arbeit, Ansehen und die täglichen Verpflichtungen alles seien, was unser Leben ausmacht. Oft wird dann von einer Lebensbeichte gesprochen: Da muss es doch noch etwas Anderes geben, dass sich mein Leben lohnt! Vielleicht kennen Sie diese Frage? In unserer Geschichte haben wir noch eine zweite Person, die ebenfalls auf der Suche ist. Rein äußerlich scheint sie nicht umgetrieben zu sein, unruhig oder rastlos. Im Gegenteil: Sie hat ein (gut gehendes) Purpurwollgeschäft, hat Angestellte, eine Familie. Und sie kommt offenbar gut zurecht. Die Leute nennen sie einfach „Türkin“, weil sie aus der Türkei kommt. Hier muss ich nun etwas genauer werden: Sie wird „Lydia“ genannt, weil sie aus Lydien – heute bei Izmir – kommt. Hat sie sich aus dem Sklavenstand hochgearbeitet? Ist sie freigekauft worden? Ist sie mit anderen Händlern in ihre neue Heimat Mazedonien gekommen? Noch ein Zweites ist von ihr bekannt: Sie wird die „Gott-Gläubige“ genannt. Offenbar gehört sie weder zu irgendeiner hellenistischen Religion noch zum Judentum. Auf jeden Fall ist sie eine Suchende. Wie Paulus, auch ein Türke (würde man heute sagen). Beide Menschen sind unterwegs, geistig, körperlich. Wie viele von uns, die nicht wissen, wohin sie eigentlich gehören. Doch wohl dem, der sich damit nicht zufrieden gibt, sondern „unterwegs“ ist mit einem wachen Geist.

Das Zusammentreffen der beiden, Lydia und Paulus, ist nicht unbedingt ein Zufall. Paulus zieht es in die Synagoge, Lydia mag mit anderen Frauen mitgegangen sein. Der Treffpunkt ist draußen vor dem „Tor am Fluss“, also außerhalb der großen Stadt Philippi, die man damals auch Klein-Rom genannt hat. Mussten sich die Gläubigen damals verstecken? Gab es in der Stadt keinen Raum? Ich stelle mir vor, dass nicht lange über das Wetter gesprochen wurde. Paulus musste einfach von dem erzählen, was ihn umtreibt, was ihn bewegt, was der Grund seines Lebens ist. Und die Frauen hören zu, stellen Fragen, sind neugierig. Von Suchen und Finden spricht der Fremde. Von einem neuen Sein. Von einem Juden, der alle unsere Sünden auf sich genommen und zur Strafe den Verbrechertod am Kreuz (die schlimmste Strafe der Römer) erlitten habe. Doch dadurch sei alles neu geworden. Der Fremde berichtet, dass sich in seinem Namen eine Gemeinschaft gebildet habe, die ein neues Leben führen. Als ob sie schon bei Gott seien. „Wir arbeiten alle, sind unterwegs, haben Familien, Freunde – und auch Konflikte. Aber sie fühlten sich wie eine „Gemeinschaft der Heiligen“. Und er ruft den Zuhörenden begeistert zu: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur, ein neuer Mensch. Das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden!“ (2. Kor 5,17)

Die Menschen hören mit offenem Mund zu. Sollte das wirklich stimmen? Dann wäre das Leben leichter. „In Christus sein“ würde unsere Sicht der Dinge, der Menschen, der Probleme, der Verhältnisse verändern! Die Purpurhändlerin fackelt nicht lange: Lydia lässt sich taufen und lädt ihr (ganzes) Haus ein. Das Herz ist ihr aufgegangen, als sie die Geschichte der Emmausjünger hört. Auch die wie wir unterwegs und auf der Suche nach Sinn. Auch da ein Unbekannter, der von einem Jesus erzählt, der Menschenherzen wenden kann, der Menschen ins Leben gerufen und Gelähmte ins Leben gezogen hat. Der gekreuzigt wurde und in den Menschen weiterlebt – bis heute. „Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete?!“ (Lk 24,32) Auch Lydias Herz „brennt“. Und noch einmal will sie sich vergewissern: Wenn ihr der Meinung seid, dass ich an den richtigen Herrn (Var: Gott) glaube, dann auf in mein Haus! Sollte das ein Kriterium für richtigen Glauben sein, dass die Türen der Häuser und Wohnungen aufspringen und sich öffnen für Menschen? Dass es keine Angst mehr von (den) Menschen gibt? Dass ein Christ Begegnungen förmlich sucht, das Gespräch, den Austausch? Das wir spüren: Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen (Mt 18,20). Später wird der fremde Mann, der nun nicht mehr fremd ist, Paulus, in einem Brief an die Gemeinde in Rom schreiben: So kommt der Glaube aus dem Zuhören (Rm 10,17).

Unser Herz ist unruhig – das haben wir heute als Motto genommen, weil wir dies oft genug am eigenen Leibe spüren. Wir haben von zwei Menschen gesprochen, die wie wir unterwegs sind. Was haben sie anders gemacht als wir? Oder was können wir von Paulus und Lydia lernen? Die Türen des Herzens und der Wohnungen öffnen. Sich begegnen, austauschen über das, was und wer uns trägt. Ehrlich sein über Zweifel und Zuversicht. Dann sei  E r  mitten unter uns. Sagt Jesus. Und so können wir den Satz von Augustinus vollständig sagen: Unser Herz ist unruhig in uns, bis es ruht in dir, Gott.

 

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Ein Kommentar zu “Begegnung

  1. SabineRußmann

    Die Predigt von Pastor Kühne trifft ins Zentrum unserer Existenz und ist darum im besten Sinne als existentiell zu bezeichnen. Wer kennt nicht dieses unruhige Herz in sich
    und das Getriebensein nach allem möglichen? Insofern liest man gespannt weiter, weil man eine Antwort erwartet, ja, auch eine Lösung , die uns zu ssgen verspricht, wie wir endlich “ankommem” können.
    Fast hätten wir es erwartet, und es ist wie ain “Nachhausekommen”: Jesus ist
    für Männer und Frauen gleichermaßen (explizit stehen Paulus und Lydia dafür) die Lösung gegen Unruhe und Ungewißheit. Mit dieser gelassenen Art und Weise, von Jesus vorgelebt, hier können wir es wieder vernehmen und einatmen. Das nehmen wir aus der Predigt mit,es so noch einmal neu zu versuchen, wenn unser unruhiges Herz überhand nehmen will.

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