Advent – Gott kommt in diese Welt – Seien wir wachsam

Für die Notleidenden Partei ergreifen, Gerechtigkeit einklagen, so wie Jesus es tat - Verantwortung der Mächtigen

Predigttext: Matthäus 24, 1–14 (mit Exegese)
Kirche / Ort: Johannes-Diakonie / Mosbach
Datum: 04.12.2016
Kirchenjahr: 2. Sonntag im Advent
Autor/in: Pfarrerin Birgit Lallathin

Predigttext: Matthäus 24, 1 – 14 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Und Jesus ging in den Tempel fort, und seine Jünger traten zu ihm und zeigten ihm die Gebäude des Tempels.
Er aber sprach zu ihnen: Seht ihr nicht das alles? Wahrlich, ich sage euch: Es wird hier nicht ein Stein auf dem anderen bleiben, der nicht zerbrochen werde..
Und als er auf dem Ölberg saß, traten seine Jünger zu ihm und sprachen, als sie allein waren: Sage uns, wann wird das geschehen? Und was wird das Zeichen sein für dein Kommen und für das Ende der Welt?
Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Seht zu, dass euch nicht jemand verführe.
Denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin der Christus, und sie werden viele verführen. Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei. Seht zu und erschreckt nicht. Denn das muss so geschehen. Aber es ist noch nicht das Ende da.
Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere. Und es werden Hungersnöte sein und Erdbeben hier und dort.
Das alles aber ist der Anfang der Wehen. Dann werden sie euch der Bedrängnis preisgeben und euch töten. Und ihr werdet gehasst werden um meines Namens willen von allen Völkern.
Dann werden viele abfallen und werden sich untereinander verraten und werden sich untereinander hassen. Und es werden sich viele falsche Propheten erheben und werden viele verführen.
Und weil die Ungerechtigkeit überhand nehmen wird, wird die Liebe in Vielen erkalten.
Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden.
Und es wird gepredigt werden das Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker und dann wird das Ende kommen.

Vorüberlegungen zur Predigtperikope

Das Predigtwort stammt aus den sogenannten Endzeitreden Jesu. ( Matthäus 24 und 25) Trotz der prophetischen Rede ist der zeitaktuelle Bezug unüberhörbar. Die Rede Jesu vom Ende des Tempels geschieht aus dem Rückblick nach der Zerstörung im Jüdischen Krieg um 70 n. Chr. Sowohl das traditionelle Judentum als auch das noch junge Christentum befindet sich in einer existenziellen Krise.

Da das Matthäusevangelium sich inhaltlich immer wieder mit den Traditionen des Judentums auseinandersetzt, ja Judenchristentum und Heidenchristentum immer wieder kontrastiert, kommt dem angegeben Text eine Schlüsselstellung zu. Schreibt doch der Verfasser des Matthäusevangeliums die Rede über die Zerstörung des Tempels Jesus selber zu. Nicht „warum“ das geschieht, wird thematisiert, sondern allein „dass“ es geschieht. (vgl. Conzelmann/Lindemann: Arbeitsbuch zum Neuen Testament, 5. Aufl., 1980) Die Zerstörung des Tempels ist kein Gerichtswort über Israel, wird auch nicht, wie im Johannesevangelium als Metapher für Tod und Auferstehung des Christus interpretiert. Mit der Zerstörung (wird … „nicht ein Stein auf dem anderen bleiben“) ist die Vergänglichkeit alles von Menschenhand Geschaffenen gemeint. Gleich anschließend (vom Verfasser so komponiert?) spricht Jesus – noch im Angesicht des dem Ölberg gegenüber liegenden Tempels – von den Leiden der Welt in Kriegen und gegenseitiger Vernichtung. Dem gleichgesetzt werden Hungersnöte und Erdbeben als schicksalhafte Ereignisse. Während Letzteres nicht beeinflussbar erscheint, wird die Verantwortung der Mächtigen dieser Welt an Leid und Zerstörung klar benannt und summiert in dem zeitlos bemerkenswerten Schlussurteil, Vers 12: „Und weil die Ungerechtigkeit überhand nehmen wird, wird die Liebe in Vielen erkalten“.

„Wer beharrt bis ans Ende, der wird selig werden“, (Vers 13) bezieht sich allein auf die Verfolgungssituation von Christen, damals phasenweise immer wieder erlebbar für die junge Kirche. Wir wissen, dass es eine das ganze römische Reich umfassende Verfolgung so nicht gegeben hat, nicht einmal unter Domitian, wohl aber, von politischen Interessen durchaus gewollte Pogrome gegen Christen in Zeiten der Verunsicherung oder bedrohter Macht, besonders in Kleinasien. Die Endzeitreden (Mt 24 u. 25) entlarven genau diesen Sachverhalt: Schwache Herrscher wollen das Christentum um ihretwillen zerstören, aber die Macht des herrschenden Christus überwindet sie alle. Dieses religiöse Selbstbewusstsein findet in den Psalmen des 1. Testamentes seine Entsprechung.

Hüten sollte sich der heutige Prediger, die heutige Predigerin, die Worte über die Verfolgung vorschnell auf aktuelle Leiden von Christen in anderen Ländern zu beziehen. Organisationen wie „Open Doors“ sammeln und dokumentieren zweifelsohne furchtbare Tatsachen über Christenverfolgungen. Diese jedoch aus dem Leid, das Menschen derzeit in aller Welt erleben, isoliert zu betrachten, führt m. E. zu einer eingeschränkten Sichtweise. Leid gegen Leid aufzurechnen, entspricht wohl kaum der Intention christlicher Überzeugung. Die Hintergründe zur Verfolgung christlicher Gruppen sind zu komplex und politisch so schnell zu missbrauchen, dass sie in einer Predigt über die Gesamtheit von Mt 24, 1 – 14 nicht isoliert werden sollten. Die Verfasserin dieser Überlegungen stellt vielmehr als Hauptanliegen der Predigt heraus: Wie können Christen in der Adventszeit 2016, aus der sicheren Lebensweise in Deutschland, dem Ruf an das christlich geprägte Gewissen folgen? Steht die handelnde Liebe Gottes nicht gegen die Ungerechtigkeit dieser Welt?

Lieder
bieten sich folgende aus dem EG an:

„O Heiland reiß den Himmel auf“ (30jähriger Krieg!) (EG 7)
„Die Nacht ist vorgedrungen“ (EG 16)
EG 428, „Komm in unsere stolze Welt“ (EG 428)

In der Johannesdiakonie singen wir am 2. Advent auch nach der Melodie von EG 181.6 „Laudate omnes gentes“ folgendes Lied von M. Morgenroth aus dem Jahr 1997:

Du willst, Herr, zu uns kommen in unsere dunkle Welt.
Wir haben es vernommen, Du bist zum Heil bestellt.
Du kommst zum Wohl der Armen, du schaffst Gerechtigkeit,
bringst Kranken dein Erbarmen, heilst Seele, Geist und Leib.

Wir wollen dir bereiten den Weg, Herr Jesu Christ,
den Weg, den du vor Zeiten vorausgegangen bist,
den Weg der Nächstenliebe, der uns zum Frieden führt, den Weg im Weltgetriebe, der noch das Leben spürt.

Wir wollen dich empfangen bei uns, Herr Jesus Christ, doch spüren wir mit Bangen, dass nichts bereitet ist:
Noch herrscht bei uns kein Frieden, keine Gerechtigkeit, den Starken bleibt das Siegen, den Schwachen Angst und Leid.

So komm du uns entgegen, ach komm, Herr Jesus Christ, komm du in unser Leben, dort, wo es finster ist.
Mach hell mit deinem Lichte der Herzen Dunkelheit,
zeig uns dein Angesichte, mach uns zum Heil bereit.

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„So schlimm wie jetzt war es noch nie!“, seit vermutlich knapp 2000 Jahren hören Christen diesen Satz und seit vermutlich knapp 2000 Jahren sagen Christen diesen Satz. Was ist nun dran an der Sicht auf die Welt, die immer das Schlimmste vermutet? Wenn ich jemandem sage, dass Christen seit Beginn der Kirche sagen, so schlimm sei es noch nie gewesen, höre ich durchaus ernstgemeint die Antwort: „Ja, aber so (!) schlimm wie jetzt war es auch noch nie in der Welt!“

Tatsächlich muss man als Zeitgenosse, der die Zeitung liest, Fernsehen schaut, sich in Online-Medien informiert, schon sehr hartgesotten sein, um nicht zu verzweifeln über die Nachrichten vom Krieg in Syrien, dem von Attentaten zerrissenen Irak, das Flüchtlingselend im Mittelmeer. Ich brauche Ihnen nicht alles aufzuzählen an einem wunderschönen Adventssonntag hier bei uns im immer noch sehr sicheren und wohlhabenden Deutschland, in einer warmen geheizten Kirche, satt von Lebkuchen und schon voller Vorfreude auf den Sonntagsbraten. Nein, ich muss Ihnen nicht noch mehr Angst und Sorge bereiten über das Schlimme im Weltgeschehen. Ich brauche nicht zu erzählen, dass Leute mit schnellen Antworten auf schwierige Fragen und mit nicht guten Absichten das Weltgeschehen dominieren. Nur: Eines dürfen wir nicht tun in unserem guten Leben, das wir hier führen – wir dürfen nicht abwehrend sagen: „Was geht das mich an?“ Wir können uns nicht heraushalten und so tun, als ob es Menschenleid und –not nicht gäbe. Unsere Adventsfreude als Vorfreude auf das Weihnachtsfest wird hohl und nichtssagend, wenn wir nur das Liebliche, Sentimentale und Beschönigende an der christlichen Weihnachtsbotschaft wahrnehmen. Weihnachten ist nicht sentimental und schon gar nicht „tümlich“, wie Berthold Brecht einmal verächtlich das Volkstümliche verspottet hat.

Gottes Kommen in diese Welt wird in der christlichen Botschaft immer wieder als Anbruch des Lichtes in der Finsternis verstanden. Als die große, umstürzende Gegenbotschaft gegen das, was die Mächte und Herrscher der Welt anzubieten haben. Das Licht Gottes mitten in der Finsternis stellt die herrschende Macht bloß. Im Licht erscheint sie als das, was sie ist: nämlich vorläufig und vergänglich. Die, die sich gebärden als gehöre ihnen die Welt, vergehen und werden wieder zu Staub, aus dem sie geschaffen sind. Dass Gott ihnen diese Macht entgegen setzt, bekennen die Psalmen schon tausend Jahre vor dem Neuen Testament Jesu Christi. Diese Vergänglichkeit spricht Jesus an, während ihm die Jünger die Pracht und Herrlichkeit des Tempels in Jerusalem zeigen. Sie scheinen beeindruckt. Jesus aber sieht, was mit diesem Bauwerk in naher Zukunft geschehen wird, so wie mit allen anderen Prachtbauten, die der tyrannische Herodes hat bauen lassen.

Tatsächlich hat die junge Kirche erleben müssen, wie Kriege und furchtbare Zerstörung das so mächtige römische Reich erschüttert haben. Christen erlebten Verfolgungen. Davon weiß das Matthäusevangelium bereits, als es aufgeschrieben wurde. Und Christen erinnern sich an Jesus, der zu ihnen sprach und zu ihrer Stellung in der Welt um sie herum. Manche lasen aus den Worten des Matthäusevangeliums heraus, dass Christen sich nur lautlos wegducken sollten und das Unrecht der Welt über sich hinwegziehen lassen sollten. Vielleicht gibt es Zeiten, in denen fromme Menschen nicht anders können. Vielleicht gibt es Zeiten, in denen Christen Angst um Leib und Leben ihrer Angehörigen fürchten und sich versteckt halten. Nicht jeder ist ein Bekenner oder eine Bekennerin. Aber das gilt nicht uns! Wir sind frei! Wir können unsere Stimme erheben, wir können Unrecht beim Namen nennen und für die Notleidenden Partei ergreifen, Gerechtigkeit einklagen, so wie Jesus es tat. Wir werden nicht darunter zu leiden haben, im Geiste Jesu zu handeln. Wir bekommen keine ernsten Folgen zu spüren.

Aber dürfen Christen politisch sein? Natürlich ist das Christliche keine Partei, keine Interessenvereinigung, um Vorteile zu ergattern. Nein, nicht Politik in diesem Sinne. Aber politisch zu denken, zu handeln im Sinne des Jesuswortes: „Was ihr getan habt einem der geringsten meiner Brüder, oder Schwestern, das habt ihr mir getan“ (Matthäus 25,40), das ist sehr wohl ein Auftrag für Christen. Politik im Sinne des Samariters, der, selber nur ein Fremder, als Einziger das Leben eines Mannes rettete, der unter die von Räuber gefallen war. Der Verwundete war ihm nicht gleichgültig. Ja, das ist Politik! Politik heißt nicht: eine Regierung beklatschen oder bei Nichtgefallen abwählen. Nein, Politik heißt einstehen für das Recht! Und das tun wir, sollten wir, tagtäglich tun.

Viel wird darum gestritten, ob oder inwiefern Christen politisch aktiv sein sollen oder Kirchen politisch sind. Spannenderweise, je nach Interessenlage, wird mal die Parteinahme von Kirchen, mal das Heraushalten von Christen gefordert. In der Zeitung „Christ und Welt“, ganz aktuell, wird zum Beispiel der bayrische Finanzminister Söder (CSU) so zitiert: „Die Kirchen sollen sich stärker auf den Glauben konzentrieren und weniger Politik machen“. Nur: Der christliche Glaube mahnt das Gewissen, auch das politische. Wie kann christlicher Glaube ohne Gewissen sein? Auch der Innenminister Deutschlands, De Maizière, spricht sich für eine klare Rollenverteilung von Staat und Kirche aus. Er wirft den Kirchen „tagespolitische Wortmeldungen“ (Christ und Welt) vor. Aber Kirche kann nicht zeitlos über den Dingen schweben. Sie ist genauso Teil der Welt, wie alle Menschen, die Leid erfahren. Ich bin dankbar, dass es einen evangelischen Bischof wie den hannoverschen Ralf Meister gibt, der ganz tagesaktuell und weltpolitisch, sich so geäußert hat: „Aber, so offen und unverschämt, wie von gesellschaftlichen Eliten, übrigens auch von den wirtschaftlichen, in den vergangenen Monaten gelogen wurde – das ist ungewohnt in unseren Demokratien.“ (EPD Wochenspiegel 48/2016) Er hat Recht, wo gelogen wird, dürfen Christen nicht schweigen. „Eine Stimmung, wird geschürt, die Rassismus salonfähig macht, die entwürdigt und verletzt.“ (EPD Wochenspiegel 48/2016)

Kirche darf nicht bequem für die Mächtigen sein, und sie darf es sich nicht bequem machen, auch wenn es einfacher wäre. Da fordert sogar der Ex-Bundespräsident Wulff (Christ und Welt): „Mehr Kirche, mehr Christsein, das geht zu Lasten von niemandem, aber wäre zum Nutzen aller“. Schlimm wäre es, meint Wulff, wenn „der Wind of change der gesellschaftlichen Stimmung immer stärker in die egoistische und einseitig interessengeleitete Richtung dreht“. Lassen Christen sich verführen, auf die falsche Seite ziehen? Christus hat ja Recht, wenn er warnt vor falschen Christussen. Wie viele Verführer hat die Geschichte, auch die Kirchengeschichte bereits gesehen, von einem, der sich „Führer“ nannte, ganz zu schweigen? Seien wir wachsam und bleiben wir es. Gehen wir einem Christsein nach, das aus Glaube, Hoffnung und vor allem der Liebe lebt (nach 1. Korinther 13). Das kann nicht falsch sein! Die Liebe soll in uns Christen nicht erkalten, sondern wärmen, uns und andere.

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Ein Kommentar zu “Advent – Gott kommt in diese Welt – Seien wir wachsam

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Sehr beherzt, couragiert und überzeugend predigt Pfarrerin Lallathin über den eigentlich sehr schwierigen Adventstext zur traditionlen Buße im Advent. Man kann über die Endzeit zuerst erschreckt zusammenzucken. Den Satz “So schlimm war es noch nie wie heute” relativiert Frau Lallathin als Spruch, welchen schon die Christen am Anfang und immer wieder hören konnten. Sie will uns die wohlige Adventsfreude in wohlhabender Umgebung nicht vermiesen. Aber wir Christen können uns nicht raushalten. Jesus ist ja immer wieder als Licht in der Finsternis der Welt verstanden worden und nicht im Wellness- Raum. Jesus hat immer wieder die Vergänglichkeit der Welt und auch des Tempels vor Augen gemalt. Aber erst recht das ewige Friedensreich Gottes am Ziel. Christen sollen und können, von Jesu Liebe motiviert, durch die Nächstenliebe auch politisch tätig sein und etwas zum Beseren wenden. Kirche muss wachsam sein, wenn zum Beispiel in der Politik gelogen wird und Rassismus salonfähig gemacht wird. Das hat der Landesbischof Ralf Meister nach der Predigt deutlich herausgestellt. Seien wir auch in der Adventszeit wachsam und lieb! – Die Predigt von Pfarrerin Lallathin gibt uns einen freien und erfreuenden und ermutigen Blick auf Weihnachten. Erfreut und erwartungsvoll werden wir weiter den Gedanken Jesu nachhängen.

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