“Dennoch bleibe ich stets an dir …”

Das Dennoch des Glaubens

Predigttext: Hiob 14,1-6 (mit exegetischen Hinweisen)
Kirche / Ort: Heidelberg
Datum: 17.11.2019
Kirchenjahr: Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres
Autor/in: Kirchenrat Pfarrer Dr. theol. Heinz Janssen

Predigttext: Hiob 14,1-6 (Übersetzung nach Martin Luther)

1 Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, 2 geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht. 3 Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, daß du mich vor dir ins Gericht ziehst. 4 Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer! 5 Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann: 6 so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut.

Exegetische Hinweise zum Predigttext

Die Perikope Hiob 14,1-6 ist nur ein kleiner Ausschnitt aus der langen ersten Antwort Hiobs (12,1-14,22) auf die erste Rede seines Freundes Zofar (11,1-20), die seinerseits eine Antwort auf Hiobs Klage (3,1-26) und im jetzigen Zusammenhang auch auf seine Antworten an die Freunde Elifas (Hi 6f.) und Bildad (Hi 9f.) ist. Kam Hiob schon bei seinen ersten beiden Freunden nicht gut weg (Hi 4f.; 8), so noch weniger bei dem dritten Freund Zofar.

Als „Schwätzer“ wird er hingestellt, dessen „langem und leerem Gerede“ widersprochen werden müsse (11,2f.). Von der allumfassenden „Weisheit“ Gottes (hebr. chokma), durch die er seine Sünden und sein Fehlverhalten erkennen würde, habe er keine Ahnung (11,5-12). Solche wahre Erkenntnis würde den Leidgeprüften aber „alle Mühsal vergessen“ lassen (11,16).

Hiob antwortet leidenschaftlich und nicht ohne Ironie: „Ja, ihr seid Leute, mit euch wird die Weisheit sterben!“ (12,2). „Wollte Gott, dass ihr geschwiegen hättet, so wäret ihr weise geblieben“ (13,5). Hiobs Gotteserkenntnis dringt tiefer, er ahnt etwas von der Rätselhaftigkeit, dem Geheimnis, dem „Schrecken“ Gottes (13,11), und dass Gott ihn sogar umbringen kann (13,15). Der Auffassung seiner Freunde, das Unglück eines Menschen sei durch dessen Sünde verursacht, widerspricht Hiob. Dennoch kann er sagen: „Gott hat’s gegeben, Gott hat’s genommen; der Name Gottes sei gelobt!“ (1,21).

Es ist ein für jeden pastoralen Dienst bedeutungsschwerer und folgenreicher Unterschied, ob Worte in diesem Sinn dem Leidgeschüttelten von einem anderen Menschen, in der sicherlich guten Absicht, ihn zu trösten, gesagt werden oder ob der Betroffene zu solchen Worten findet. Das Zitieren von trostvollen Bibelworten kann leicht trostlos werden, wenn sie wie etwa die Worte in Hiob 1,21 unempfindsam aus dem biblischen Zusammenhang und ihrer eigentlichen (Lebens-)Situation gerissen werden.

Auffallend in der Antwort Hiobs an Zofar ist, dass sie plötzlich die Ebene der Kommunikation mit dem Freund verlässt und, wenige Verse vor dem Bibeltext, in ein Gebet mündet (13,21): „Lass deine Hand fern von mir sein, und dein Schrecken schrecke mich nicht…“ Als wollte Hiob damit gegenüber seinem Freund bei allem Zugeständnis guter Absichten, zum Ausdruck bringen, dass ein zwischenmenschliches Gespräch an eine Grenze gelangen kann; diese gelte es zu erspüren ebenso, auch den Zeitpunkt für einen Wechsel der Kommunikationsebenen. Gut, wenn sich das menschliche Gegenüber in die neue Sprechrichtung zu Gott hin mit hinein nehmen lässt, dann kommt es zu einem ganz anderen Gespräch, das tiefer greift.

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Zum „Dennoch“ des Glaubens vgl. Psalm 73,23 „Dennoch bleibe ich stets an dir…“ (Übersetzung nach Martin Luther).

Zum Predigttext vgl. Heinz Janssen, Gottes Wort und Menschenwort. Lesen – Hören – Weiter sagen, 2012 (384 S.).

Lied:

„Von Gott will ich nicht lassen“ (EG 365)

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Hiobs Botschaft im Alten / Ersten Testament ist durch das Evangelium im Neuen / Zweiten Testament nicht überboten, vielmehr bekräftigt. Eine Stimme im großen Chor der biblischen Boten, die nicht auf „Sprüche aus Asche“ (Hiob 13,12) setzten, sondern voller Hoffnung an Gott festhielten …

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Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit des Lebens, Ringen mit Gott und Verlangen nach ruhigeren Zeiten im Leben sind die existenziellen Themen dieser wenigen Verse aus dem Buch Hiob. Ein Buch mit Tiefsinn und Lebensweisheit, lebenspraktisch ausgerichtet. Die darin angesprochenen elementaren Lebensthemen haben sich seither kaum verändert. Es sind besonders die Erfahrungen von Leid und die damit verbundene Frage nach dem „Warum“. ‚Warum muss es gerade mich treffen, wie kann Gott dies zulassen?’


Die Themen sind mehr oder weniger vertraut: dem Kind, das die Scheidung und Trennung seiner Eltern miterlebt, ebenso wie dem älteren Menschen, um den es einsam wird; dem Menschen, den eine Krankheit überfällt, die auf einmal alle seine Lebenspläne in Frage stellt, oder dem Menschen, der nach einer Katastrophe seine Liebsten verliert und gerade noch mit dem nackten Leben davonkommt.

Im Buch Hiob geht es in der Person des Hiob nicht allein um ein Einzelschicksal. Der Name Hiob steht exemplarisch für den Menschen, der Schweres erlebt und dem zugemutet wird, damit umzugehen. Da sind die bedrängenden „Hiobsbotschaften“, mit denen Einzelne oder eine Gemeinschaft konfrontiert werden. Dort Hiobs Botschaft, die Aufmerksamkeit für die Art seiner Auseinandersetzung mit den leidvollen Erfahrungen sucht und nicht zuletzt mit Gott, den er zeitweise wie seinen schlimmsten Feind erlebt. Dieses Erleben klingt in dem hebräischen Namen Hiob (’ijjob) an, der „Feind“ oder „Angefeindeter“ bedeuten kann, auch „Wo ist der Vater?“, eine Frage, die sich als existenzielle Frage nach Gott verstehen lässt. Schwierige Zeiten, Traurigkeit und Verzweiflung bleiben den Menschen, auch Glaubenden, nicht erspart. Es braucht Zeit und eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Situation, um das Schwere im Leben anzunehmen. Das Exempel des Hiob ermutigt, gegen das Leid anzukämpfen, ohne das Vertrauen auf Gott aufzugeben.

Hiob weiß um die mögliche Kurzlebigkeit des Menschen und um die Unruhe, die ihn umtreibt. Wörtlich ist im hebräischen Bibeltext von der „Aufregung“ die Rede, die jeder Mensch kennt. Die verhältnismäßig kurze Zeit, die dem Menschen bleibt, ist im Bild von der aufblühenden und bald wieder verwelkenden Blume veranschaulicht, und die Ruhelosigkeit im Bild vom fliehenden Schatten. Das Grübeln über leidvolle Geschehnisse im eigenen Leben und im Leben anderer kann in eine Auseinandersetzung mit Gott führen, Hiob führt sie heftig (V. 5f.): „Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann, so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat…“

Die Hiobsworte stehen im Zusammenhang einer Antwort Hiobs auf eine Rede seines Freundes Zofar, der ihn wie die anderen Freunde ständig mit der Frage nach den Ursachen seines Unglücks bestürmte. Hiobs Antwort weist diese Art des Umgangs mit seinem Schicksal entschieden zurück: „Was ihr wisst, das weiß ich auch, und ich bin nicht geringer als ihr“. Er ruft sie auf zu schweigen, weil ihm ihr Schweigen in seiner momentanen Lebenssituation mehr helfen würde. Sie haben offensichtlich noch nichts vom „Schrecken Gottes“ (Hiob 13,11) erlebt, darum können sie nicht mitreden. Hören müssten sie, viel mehr hören auf den Leidgeschüttelten (Hiob 13,13). Als ihn seine Freunde ständig mit der Frage nach einer Ursache seines Unglücks bedrängten, ließ Hiob im unverständlichen Leid nicht von Gott ab und suchte unermüdlich die Begegnung mit ihm.

Hiob ringt mit aller Kraft und Leidenschaft um Gott. Gottes Wege sind für ihn undurchschaubar, zuweilen geradezu furchtbar. Hiob hat keine Erklärung für die schweren Schicksalsschläge. Seine Kinder, all sein Hab und Gut und zuletzt seine Gesundheit wurden ihm genommen. Nachdem ihn seine Freunde trotz ihres Aufgebotes von viel Wissen aus den Frömmigkeitstraditionen nicht trösten konnten, wünscht sich Hiob nichts sehnlicher als Gott, dem wahren Gott, zu begegnen, obwohl Gott für ihn immer rätselhafter wird. Der Tag kam, an dem Hiob erfahren durfte, dass ihm  schwere Erfahrungen zwar nicht erspart blieben, aber Gott ihn im Leiden bewahrte und ihm hindurch half.

Hiobs Botschaft im Ersten Testament ist durch das Evangelium im Zweiten Testament nicht überboten, vielmehr bekräftigt. Eine Stimme im großen Chor der biblischen Boten, die nicht auf „Sprüche aus Asche“ (Hiob 13,12) setzten, sondern voller Hoffnung an Gott festhielten. Hiob gehört zur weltweiten Familie Gottes. Jesus von Nazareth, der an der Vergänglichkeit des Lebens teilhatte, selbst schwerstes Leid erfuhr und dennoch, „bis zum Tode, zum Kreuzestod“ (Philipper 2,8), an Gott festhielt, verkündigte in der Bergpredigt: „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden“.

 

 

 

 

 

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Ein Kommentar zu ““Dennoch bleibe ich stets an dir …”

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Sehr prägnant und existentiell hat Kirchenrat Janssen den Hiob- Text ausgelegt. Die ständige Menschheits -Frage, wie Gott ungerechtes; unschuldiges Leiden verbreitet zulassen kann, wird aktuell mit Tiefsinn interpretiert. Der Bogen wird am Schluss geschlagen zu Jesu Wort: Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.- Im Exegese-Kreis haben wir gegrübelt, warum dieser individualistische-existentialistische Text gerade für den Volkstrauertag ausgesucht wurde ? Kriege und Kriegsgefahr sind bedrückend aktuell und die Pläne und Aktionen für weltweiten Frieden sind recht schwach. Wir brauchen am Volkstrauertag die eschatologische Hoffnung im Neuen Testament.

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