Weihnachten für die Schöpfung

Gott wendet sich den Menschen zu und gibt ihnen die Kraft zur Verwandlung

Predigttext: Sacharja 2,14-17 (mit Exegese)
Kirche / Ort: Dortmund
Datum: 24.12.2019
Kirchenjahr: Christnacht
Autor/in: Pfarrer Johannes Gerrit Funke

Predigttext: Sacharja 2,14-17 (Übersetzung nach Martin Luther, revidierte Ausgabe 2017)

14 Freue dich und sei fröhlich, du Tochter Zion! Denn siehe, ich komme und will bei dir wohnen, spricht der HERR. 15 Und es sollen zu der Zeit viele (fremde) Völker sich zum HERRN wenden und sollen mein Volk sein, und ich will bei dir wohnen. – Und du sollst erkennen, dass mich der HERR Zebaoth zu dir gesandt hat. – 16 Und der HERR wird Juda in Besitz nehmen als sein Erbteil in dem heiligen Lande und wird Jerusalem wieder erwählen. 17 Alles Fleisch sei stille vor dem HERRN; denn er hat sich aufgemacht von seiner heiligenStätte.

Exegese

Die ursprünglichen prophetischen Sprüche Sacharjas stammen aus der Zeit, als die ersten Rückkehrer aus dem babylonischen Exil vor der Aufgabe standen, Jerusalem und den Tempel neu aufzubauen. Als Predigttext zu Heiligabend erscheinen sie in einem anderen Bezugskontext. Man kann die Wendung „Du wirst erkennen, dass der Herr mich gesandt hat“ auf das Kind von Bethlehem beziehen. Im Dasein Jesu Christi hat Gott Wohnung mitten unter uns genommen – an einem konkreten geschichtlichen Datum. Die prophetische Vision weist auf diese Ankunft Gottes unter uns hin. Sie hebt seine Kondeszendenz hervor. In der Predigt nehme ich das in der wiederholten Zusage auf, dass es Gott auf einen jeden und eine jede von uns so ankommt, als ginge es um eine ganze Welt.

In Sacharjas Vision wandeln sich die ausländischen Fremdnationen und schließen sich spontan dem Volk Gottes an. Im hebräischen Text finden sich hier zwei unterschiedliche Termini, um diesen Wandel auszudrücken: aus „gojjim“ (=Fremdnationen) werden Angehörige des Volkes („am“) Gottes.

Die weihnachtliche Botschaft bringt zusammen, was für uns wie durch Welten voneinander getrennt ist. Gott allein ist erhaben und souverän und kann es sich gerade darum „leisten“, unter uns so zu wohnen wie in dem Kind von Bethlehem. Darin sehe ich den zentralen Schlüssel, um die alte prophetische Vision von der Weihnachtsbotschaft her für Menschen heute auszulegen.  

 

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Weihnachtliche Vision

Eine weihnachtliche Vision tut sich für uns auf. Freude und Jubel brechen aus. Es geht zu, wie es der Engel in der Weihnachtsgeschichte sagt: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird. Denn euch ist heute der Heiland geboren.“

Die weihnachtliche Vision handelt von einer Welt, in der Menschen endlich zueinander finden, weil Gott mitten unter ihnen wohnt. Geschaut wird eine Welt, in der alle sich zusammentun, statt einander in Landsleute hier und Fremde dort einzuteilen. Konkurrenz und Wettbewerb drücken dem Leben in dieser Welt, in der Gott mitten unter uns wohnt, keinen Stempel mehr auf. Sie haben höchstens noch Sinn, wo man freiwillig miteinander spielt. Dann wohnt Gott mitten unter uns, und darüber verschwindet alle Angst. Stattdessen ist spontaner Jubel überall zu hören.  Freue dich und sei fröhlich, du Tochter Zion! Denn siehe, ich komme und will bei dir wohnen, spricht der HERR.“

Eine weihnachtliche Vision ist das. Sie schwärmt keineswegs bloß von einer phantastischen, aber irrealen Welt. Sie blickt auf ein konkretes Datum zurück, das fest eingeschrieben ist in unsere Weltgeschichte. Ein Mensch unter Menschen wurde geboren. Er wurde unter ärmlichen und dramatischen Umständen geboren, in einer Notunterkunft. Aber in ihm kam Gott zu uns, wurde einer von uns, wohnte mitten unter uns. Eine weihnachtliche Vision ist das. Doch weiterhin müssen Menschen erst noch erkennen, dass dieser Mensch wirklich von Gott zu uns gesandt worden ist. Dazu müssen sie darauf aufmerksam werden, wovon sie durch die weihnachtliche Geburt in Bethlehem befreit werden.

Freude

Freue dich und sei fröhlich, du Tochter Zion! Denn siehe, ich komme und will bei dir wohnen, spricht der HERR.“ Wo Menschen sich unbändig freuen, legen sie alles förmliche Gehabe ab. Sie schreien ihre Freude heraus. Manchmal beginnen sie, zu hüpfen oder zu tanzen. Sie nehmen einander in die Arme. Sie wirken ganz gelöst und vergessen etwas von dem, was sie sonst zurückzuhalten gelernt haben. Was für eine Nachricht löst solch begeisterten Jubel aus? Es ist Gottes weihnachtliche Zusage: „Ich bin auf dem Weg zu dir. Ich will unter euch und bei dir wohnen.“

Gott lässt uns wissen: Kein Aufbruch um unseretwillen ist ihm zu beschwerlich, kein Weg zu weit, keine Bemühung zu aussichtslos. Gott verspricht: „An dir, Mensch – wer auch immer du bist, der jetzt diese Botschaft hört -, an dir liegt mir so viel, als ginge es um eine ganze Welt. Du bist es mir wert, zu dir zu kommen, wie auch immer es bei dir aussieht. Womit du dich sonst lieber vor anderen versteckst und das vielleicht nicht ohne Grund, dazu kannst du stehen, wenn ich, Gott in dem Kind von Bethlehem zu dir komme. Bedenke doch nur, unter was für Umständen es geboren wurde. Gibt es dann noch etwas, dessen du dich schämen müsstest, so dass nur ja nie jemand davon erfahren dürfte? Gäbe es da noch etwas, was jemandem das Recht gäbe, dich gering zu schätzen?

Die Wendung zu Gott

Die weihnachtliche Vision geht dann weiter: Und es sollen zu der Zeit viele (fremde) Völker sich zum HERRN wenden und sollen mein Volk sein, und ich will bei dir wohnen.“ Fast möchte ich sagen: Da geht es zu, als wäre das Losungswort „Sesam öffne dich“ endlich gefallen und die Schatzhöhle tue sich auf, wie es in der Geschichte von Alibaba und den 40 Räubern erzählt wird. Oder – um es mit einem zeitgenössischen Vergleich zu sagen –  es ist, als habe das Wort der göttlichen Zusage genau das Passwort getroffen, auf das hin sich ihm alle Zugänge öffnen und Menschen härteste innere Bollwerke spontan aufgeben.

Es ist, als könnten sie da endlich verinnerlichen, dass es Gott in einem jeden und einer jeden von ihnen um eine ganze Welt geht. Sie haben verinnerlicht, was für eine unantastbare Würde ihnen dadurch zuteilwird. Wo das geschieht, fängt im Grunde das Leben erst an. Da wachen wir erst wirklich zum Leben auf.  Davon handelt die weihnachtliche Vision, indem sie von einer ungeheuren Wandlung erzählt, die dann wie ein Ruck durch die Menschheit, ja die ganze Schöpfung gehen kann. Und es sollen zu der Zeit viele (fremde) Völker sich zum HERRNwenden und sollen mein Volk sein. Ganz freiwillig tun sie das, weil sie endlich spüren, wie Gott hier einen Ausweg aus den Teufelskreisen gefunden hat, in denen auf einer Seite der eine auftrumpft, während auf einer anderen jemand beschämt zurückgeblieben ist.  

Wollte man diese Vision in heutige Verhältnisse übertragen, dann könnte sie lauten: Plötzlich gehen uns die Augen auf, fast so, als wären wir bis dahin blind durchs Leben gelaufen. Wir waren daran gewöhnt, Menschen immer wieder nur wie Leute ohne Gesicht und ohne Namen wahrzunehmen. Das passiert z.B., wo man nur noch von Flüchtlingsströmen spricht und daraufhin unwillkürlich pauschal über sie urteilt. Doch nun gehen einem plötzlich die Augen auf. Man kann sie gar nicht mehr anders wahrnehmen als Personen mit einem individuellen Gesicht und einem Eigennamen.

Man ahnt ja, dass es Gott bei jedem und jeder von ihnen um eine ganze Welt geht. Auch wir selber werden dann von anderen nur noch mit solchen Augen wahrgenommen, die Gott endlich sehend gemacht hat. Befreit sind alle dann von jedem Blick, der fast reflexhaft in uns unbekannten Anderen mögliche Konkurrenten oder Konkurrentinnen wittern muss. Da begreifen wir erst richtig, wie abgestumpft wir sind, wo uns solche Reaktionen zur Routine geworden ist. Da spüren wir, was uns darüber an Leben entgeht. Da geht uns auf, wie wenig souverän wir auftreten, wenn man gegeneinander so abstumpfen muss, um einigermaßen über die Runden zu kommen.

Gott rückt Verhältnisse zurecht

Doch darum handelt die weihnachtliche Vision zuletzt betont von dem, der allein wirklich erhaben und ohne Einschränkung souverän ist. Und der HERR wird Juda in Besitz nehmen als sein Erbteil in dem heiligen Lande und wird Jerusalem wieder erwählen. Alles Fleisch sei stille vor dem HERRN; denn er hat sich aufgemacht von seiner heiligen Stätte!

Gott rückt die Verhältnisse heilsam wieder zurecht. Die weihnachtliche Vision drückt das mithilfe einer Wendung aus, die uns wahrscheinlich zunächst befremdlich klingt. „Alles Fleisch sei stille vor Gott“. In der Bibel meint „alles Fleisch“ die ganze universale Schöpfung. Eigentlich könnte alles in ihr – alles, was lebt, aber auch alles, was wir anorganische Natur nennen; alles, was mikrokosmisch- und alles, was makrokosmisch da ist; alles, was sich gerne ein „intelligentes Wesen“ nennt und alles, was davon ausgeschlossen zu sein scheint – eigentlich könnte das alles zusammen wie eine universale Solidargemeinschaft sein. Dazu hat Gott es erschaffen, um füreinander da zu sein mit jeweils ganz spezifischen Gaben und Möglichkeiten.

Doch nun ist offenkundig etwas anderes daraus geworden. Wir erleben das im Großen wie im Kleinen. Wir erleben es im Großen. Eines der Geschöpfe Gottes, genannt der Mensch, spielt sich mehr und mehr so auf, als wäre die Erde mit ihren Gütern wie seine Sklavin, mit der er machen kann, was er will. Was sie an natürlichen Ressourcen bereitstellt, wird verbraucht, so als wäre man bei einem Plünderungs- oder Beutezug. Selbst die Meere werden überfischt und zugemüllt. Das Gleichgewicht der Natur läuft aus dem Ruder. Da erleben wir im Großen, wie es zugeht, wenn trügerische, ja wahnhafte Maßstäbe von dem, was einen souverän und erhaben macht, in Gottes Schöpfung eingezogen ist.

Wir erleben es im Kleinen. Wir gewöhnen uns frühzeitig daran, dass man kaum auskommt, ohne die eine oder andere Hab-Acht-Stellung einzunehmen. Wir erlernen frühzeitig, dass man seine Schwachstellen am besten gut zu überspielen lernt, um nicht untergebuttert zu werden. Jedes Mal, wenn wir damit rechnen müssen, unser Gesicht zu verlieren, rückt uns etwas davon auf die Pelle, dass es dem Geschöpf Gottes nicht genug war, vor seinem Schöpfer mit allen anderen zusammen einfach nur solidarisch zusammenzugehören, sondern es sich gerne erhabener vorkommt als andere Geschöpfe und sich entsprechend aufspielt.  

Weihnachten für die Schöpfung

Darum betont die weihnachtliche Vision des Propheten Sacharja, wie Gott die Verhältnissewieder zurechtrückt. Und der HERR wird Juda in Besitz nehmen als sein Erbteil in dem heiligen Lande und wird Jerusalem wieder erwählen. Alles Fleisch sei stille vor dem HERRN; denn er hat sich aufgemacht von seiner heiligen Stätte!“ Wirklich erhaben und konkurrenzlos ist nur er allein. Denn nur er allein nimmt uns, jeden und jede von uns so wahr, als ginge es jeweils um eine ganze Welt. So kann uns nur jemand wahrnehmen, der wirklich ganz souverän ist. Jemand, der wirklich ganz souverän über alle Verhältnisse erhaben ist, in denen hier welche gewinnen und dort welche als Verlierer zurückbleiben; wo die einen auftrumpfen und andere beschämt dastehen. Jemand, der allein zu seiner gesamten Schöpfung wie mithilfe seines schieren Wortes die Zugänge findet, so dass sie ihre gelernten trügerischen Maßstäbe davon, wer wann und wie auftrumpfen darf, während andere dabei leer ausgehen oder sogar beschämt dastehen, aufgeben, um wieder zueinander zu finden.

Und du sollst erkennen, dass mich der HERR Zebaoth zu dir gesandt hat.Da ist es, als hörten wir die Stimme des Kindes, das in Bethlehem geboren wurde, direkt zu uns sprechen. „Ich bin es, den Gott zu dir gesandt hat“, so sagt sie zu uns. Es gehört auch zu der souveränen Erhabenheit Gottes, dass er die Verhältnisse nicht mit einer Gewalt zurechtrückt, bei der uns nichts anderes übrigbliebe als uns ihnen zu unterwerfen und anzupassen. Nein. Er kommt zu uns in dem Kind von Bethlehem. Er wird einer von uns und wohnt mitten unter uns. Seine erhabene Hoheit erschließt sich so, dass wir uns ihr spontan auftun und ihr gegenüber spontan und bereitwillig öffnen. Wir dürfen verinnerlichen, welche Würde er uns in dem Kind von Bethlehem zuteilwerden lässt. Er verwandelt unsere Lage so, dass wir uns daraufhin wandeln können, indem er uns so gelten lässt, als ginge es mit einem jeden und einer jeden von uns immer um eine ganze Welt. 

 

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