Mit den Augen Gottes sehen

In jedem Menschen ein wertvolles und wertzuschätzendes Geschöpf Gottes sehen

Predigttext: Apostelgeschichte 10,21-35 (mit exegetischer und homiletischer Einführung)
Kirche / Ort: Magdeburg
Datum: 26.01.2020
Kirchenjahr: 3. Sonntag nach Epiphanias
Autor/in: Pastor Dr. habil. theol. Günter Scholz

Predigttext: Apostelgeschichte 10,21-35 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

21 Da stieg Petrus hinab zu den Männern und sprach: Siehe, ich bin's, den ihr sucht; aus welchem Grund seid ihr hier?
22 Sie aber sprachen: Der Hauptmann Kornelius, ein frommer und gottesfürchtiger Mann mit gutem Ruf bei dem ganzen Volk der Juden, hat einen Befehl empfangen von einem heiligen Engel, dass er dich sollte holen lassen in sein Haus und hören, was du zu sagen hast.
23 Da rief er sie herein und beherbergte sie. Am nächsten Tag machte er sich auf und zog mit ihnen, und einige Brüder aus Joppe gingen mit ihm.
24 Und am folgenden Tag kam er nach Cäsarea. Kornelius aber wartete auf sie und hatte seine Verwandten und nächsten Freunde zusammengerufen.
25 Und als Petrus hereinkam, ging ihm Kornelius entgegen und fiel ihm zu Füßen und betete ihn an.
26 Petrus aber richtete ihn auf und sprach: Steh auf, auch ich bin ein Mensch.
27 Und während er mit ihm redete, ging er hinein und fand viele, die zusammengekommen waren.
28 Und er sprach zu ihnen: Ihr wisst, dass es einem jüdischen Mann nicht erlaubt ist, mit einem Fremden umzugehen oder zu ihm zu kommen; aber Gott hat mir gezeigt, dass ich keinen Menschen gemein oder unrein nennen soll.
29 Darum habe ich mich nicht geweigert zu kommen, als ich geholt wurde. So frage ich euch nun, warum ihr mich habt holen lassen.
30 Kornelius sprach: Vor vier Tagen um diese Zeit betete ich um die neunte Stunde in meinem Hause. Und siehe, da stand ein Mann vor mir in einem leuchtenden Gewand
31 und sprach: Kornelius, dein Gebet ist erhört und deiner Almosen ist gedacht worden vor Gott.
32 So sende nun nach Joppe und lass herrufen Simon mit dem Beinamen Petrus, der zu Gast ist im Hause des Gerbers Simon am Meer.
33 Da sandte ich sofort zu dir; und du hast recht getan, dass du gekommen bist. Nun sind wir alle hier vor Gott zugegen, um alles zu hören, was dir vom Herrn befohlen ist.
34 Petrus aber tat seinen Mund auf und sprach: Nun erfahre ich in Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht;
35 sondern in jedem Volk, wer ihn fürchtet und Recht tut, der ist ihm angenehm.

Exegetische Bemerkungen

Mit seiner Apostelgeschichte ist Lukas der erste „Historiker“ unter den Evangelisten. Indem er eine „Geschichte der ersten Ausbreitung des Christentums“ schreibt, begleitet er sie missionstheologisch. Die Geschichte der „jüngsten Vergangenheit“ kann modellhaft für die weltweite Verkündigung in der nächsten Zukunft stehen (Missionsreden, summarisches Missionskerygma, Machttaten der Apostel, Stärkung der Una-Sancta-Bewegung durch Angleichung von Petrus und Paulus).

Entsprechend ist das Thema der Perikope Apg 10,21-35(f) ein missionstheologisches: Was ist wahre Gottesfurcht? Ein gottesfürchtiger Heide wird abgeholt, wo er steht, und zur wahren Gottesverehrung hingeführt. Das ist der offensichtliche Erzählfaden dieser Geschichte. Mit ihm verwoben ist ein zweiter: Ein vom Judentum geprägter Apostel wird über jüdische Reinheits- und Abgrenzungsvorschriften hinausgeführt weg von einer partikularistischen hin zu einer universalistischen Exklusivität der Gotteskindschaft. Was also ist wahre Gottesverehrung?

Wahre Gottesverehrung richtet sich nicht auf einen Menschen, sei es dass er messianisch verehrt würde, sei es dass an ihn ethische Maximalforderungen gestellt würden. Hier gilt: „Auch ich bin ein Mensch“ (Apg 10,26). Wahre Gottesverehrung richtet sich allein auf Gott, der Jesus Christus auferweckt hat von den Toten, welcher ist Herr über alles (Apg 10,36.37-43). Wahre Gottesverehrung ist nicht Beachtung der Reinheitsgesetze und Abgrenzung gegen Kontamination (Apg 10,9-16.17-20.28-29), sondern Erkenntnis Gottes in seiner Zuwendung zu allen Menschen in jedem Volk und der aus dieser Erkenntnis folgende Missionsauftrag. Für den lukanischen Petrus ein Lernprozess.

Homiletische Bemerkungen

Es gibt einige wenige Bibeltexte, die zu verlesen für das Verständnis kontraproduktiv sind. Dazu gehört m.E. Apg 10. Selbst wenn man für die Predigt die Perikope 10,21-35(f) herausschneidet, bleibt beim ersten Hören vieles auf der Strecke. Das liegt daran, dass es nicht von vornherein zu einer direkten Begegnung der Hauptakteure Kornelius und Petrus kommt, sondern diese durch himmlische und irdische Mittler auf jeder Seite vorbereitet wird. Ermüdung entsteht dann durch eine Erzähltechnik, die die Erscheinungen im Bericht der jeweils Betroffenen wiederholt; eine Technik, die ursprünglich vielleicht mal anders gewirkt haben mag, heute aber nicht besonders spannend erscheint. Ich entschließe mich daher, den Predigttext nicht zu verlesen, sondern die Begebenheiten mit meinen Worten zu erzählen. Das ist schon Teil der Predigt, wobei ich mich bemühe, die Erzähllinien und –stationen transparent werden zu lassen auf heutige Problemlagen hin.

Wie schon in den exegetischen Bemerkungen vorbereitet, kreist die Predigt um zwei Spitzensätze, die bekannt klingen, nachhallen, zum Weiterdenken anregen: „Auch ich bin (nur) ein Mensch“ (Apg 10,26) und „Gott sieht nicht die Person an, sondern …“ (Apg 10,34f). Den ersten Satz sollten wir stets vor Augen haben, wenn wir an eine „charismatische“ Gestalt quasi messianische Erwartungen richten. Zurzeit sehe ich eine solche Gestalt nicht, aber ab und zu taucht ein solcher Leader auf. Umgekehrt verlangen wir von einer herausragenden Persönlichkeit ethische Perfektion und stürzen sie bei einem falschen Wort oder ungeschickter Emotionalität. Auch sie ist nur ein Mensch.

Zum zweiten Satz: Kann ein Muslim, Céngiz Görür, bei den Passionsspielen in Oberammergau die Rolle des Judas übernehmen? Kann der Intendant Christian Stückl wie Petrus bekennen: „Nun erfahre ich in Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht, sondern in jedem Volk, wer ihn fürchtet und Recht tut, der ist ihm angenehm“? Céngiz Görür ist Muslim, ein begnadeter Schauspieler, gebürtiger Oberammergauer. – Der Prediger mag dieses Beispiel gern benutzen. Ich habe es in der Predigt offen gelassen.

 

 

 

 

 

zurück zum Textanfang

Die biblische Geschichte, die meiner heutigen Predigt zugrunde liegt, müsste eigentlich als kleine Szene gespielt werden. Da begegnet Petrus dem römischen Hauptmann Kornelius, einem Besatzungssoldaten im damaligen Israel. Aber nicht einfach so, sondern durch Engel und Boten vermittelt. Ich selbst habe beim Lesen und Hören Schwierigkeiten nachzuvollziehen, wie die beiden, Petrus und Kornelius, aufeinander zu gehen. Immer spielen dabei – so erzählt Lukas in der Apostelgeschichte – göttliche und menschliche Boten eine Vermittlerrolle. Am besten also, ich erzähle Ihnen die Geschichte mit meinen Worten.

I.

In der Stadt Caesarea am Meer hat der Hauptmann Kornelius mit seinem römischen Heer einen Stützpunkt. Kornelius ist bei der jüdischen Bevölkerung akzeptiert und angesehen; denn er gilt als „fromm und gottesfürchtig“. Eines Tages nun hat er eine Erscheinung; die sagt ihm: „Du sollst noch mehr erfahren über Gott. Lass den Apostel Petrus zu dir holen. Er kann dir von der Liebe Gottes erzählen und wie sie in Jesus Christus Person geworden ist.“ Kornelius tut das. Inzwischen ist der Heilige Geist auch über Petrus gekommen etwa 50 km weiter südlich in der Stadt Joppe am Meer, und er hat Petrus auf die Ankunft der Boten vorbereitet: Er soll sie in sein Haus lassen und auf ihr Anliegen, zu Kornelius nach Caesarea mitzukommen, eingehen. Petrus tut das. Er kommt tatsächlich in das Haus des Kornelius, wo der schon all seine Verwandten und Freunde versammelt hat; denn wenn es etwas Großartiges über Gott zu erfahren gibt, dann sollen auch sie es mithören.

Kornelius nun ist so „fromm und gottesfürchtig“, dass er den Apostel Petrus für einen Gott hält, vor ihm niederfällt und ihn anbetet. Das weist der heilige Petrus freilich zurück mit den Worten: „Steh auf, ich bin auch nur ein Mensch.“ Wir kennen das: „Ich bin auch nur ein Mensch“. Das kommt von dieser Geschichte. Hier will Petrus dem Kornelius sagen: Ich bin nicht heiliger als du. Gottes Auge wacht über uns beiden. Gott segnet deinen Weg, und er ist mit mir auf meinem Weg. Gott weist dich zurecht, wenn es notwendig ist, und er stellt sich mir in den Weg, wenn ich etwas Falsches tue. Gottes Auge wacht über uns beiden. Du weißt das, denn du erweist Gott die Ehre und tust Gutes – genau so wie ich mich bemühe, es zu tun.

Doch da kommen Petrus plötzlich Zweifel, ob er sich nicht zu leichtfertig diesem Römer und seiner Verwandtschaft angenähert hat. Immerhin kommt dieser aus einem ganz anderen Kulturkreis. Und Petrus weiß, dass es einem jüdischen Mann nicht erlaubt ist, sich einfach mit einem Fremden einzulassen. Aber hat Gott ihm nicht gesagt, er solle die Boten des Kornelius hereinlassen und auf ihr Begehren eingehen? Ja, so war es! Es fällt nicht leicht, Grenzen zu öffnen und zu überwinden; denn schließlich haben Grenzen auch etwas Schützendes, Identitäts-Stiftendes an sich. Aber wenn Gottes Auge über beiden wacht? Über Petrus ebenso wie über Kornelius? Über dem Juden ebenso wie über dem Römer? Über dem Christen ebenso wie über dem irgendwie Gottgläubigen?

Petrus überwindet die Grenze und öffnet sich dem Kornelius: „Erzähle: Warum hast du mich zu dir holen lassen?“ Da erzählt Kornelius ihm seine Geist-Geschichte: „Ich hatte eine Erscheinung; die sagte mir: Du sollst noch mehr erfahren über Gott. Lass den Apostel Petrus zu dir holen. Er kann dir von der Liebe Gottes erzählen und wie sie in Jesus Christus Person geworden ist.“

Als Petrus das hört, da wird ihm sofort klar, dass er mit dem Auge Gottes gar nicht so verkehrt gelegen hat: Das Auge Gottes wacht über beiden, über Juden und Nichtjuden. Ehrfurcht vor Gott kann jedes Volk haben und Gutes tun auch, und das gefällt Gott, nicht mehr und nicht weniger. So kann er nun im Haus des Kornelius vor dessen Verwandten und Freunden sagen: „Nun erfahre ich in Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht; sondern in jedem Volk, wer ihn fürchtet und Recht tut, der ist ihm angenehm.“ Das ist die großartige Erleuchtung, die Petrus an diesem Tage hat. Und dann erzählt er von der Liebe Gottes, die in Christus Person geworden ist.

Nicht nur Kornelius hatte an diesem Tag Erleuchtendes gehört, sondern auch Petrus hatte eine Offenbarung: „Gott sieht nicht die Person an, sondern in jedem Volk, wer ihn fürchtet und Recht tut, der ist ihm angenehm.“ Über beiden, über Kornelius und über Petrus wacht das Auge Gottes; denn beide sind Gottes ehrfürchtige Kinder.

II.

Ich habe Ihnen die Geschichte nicht vorgelesen, sondern erzählt. Dabei ist sie durchscheinend geworden für manches Problem, das uns auch heute das Leben schwer macht, für manche Mauer, die wir nicht öffnen können oder wollen. Aber es gibt trotz – vielleicht sogar notwendiger – Grenzen Wege zueinander, wenn wir die Menschen diesseits und jenseits der Mauer mit den Augen Gottes zu sehen versuchen. Das ist ein schwieriges Unterfangen. Aber Gott sieht nicht die Person an. Wie wäre es, wenn auch wir nicht die Person ansehen würden? Wenn ich die Person ansehe, dann sehe ich hie den Christen, da den Moslem. Aber ist der Mensch nicht mehr als das, was seine Religion ihm zuschreibt? Gott sieht mehr. Gott sieht den ganzen Menschen.

Wenn ich die Person ansehe, dann sehe ich hie den lupenreinen Demokraten, da den unreinen Populisten. Aber ist der Mensch nicht mehr als das, was seine politische Einstellung ihm zuschreibt? Gott sieht mehr. Gott sieht den ganzen Menschen. Könnte mir das auch gelingen? In jedem Menschen ein wertvolles und wertzuschätzendes Geschöpf Gottes zu sehen. Gott will, dass es errettet werde und zur Erkenntnis der Wahrheit gelange (1.Tim 2,4). Den Weg will ich gern mitgehen, indem ich mich dem, der Gott fürchtet und Recht tut, nicht verweigere. Und wenn es sich ergibt, dann sollte ich das Motiv meines Mitgehens offenlegen, so wie Petrus es einst tat: Das Auge Gottes sieht nicht auf die Person, sondern auf den ganzen Menschen, und zwar jeder Nationalität; und seine Liebe ist in Jesus Christus Person geworden, für alle Menschen, die sich davon ansprechen lassen.

 

 

 

zurück zum Textanfang

Ein Kommentar zu “Mit den Augen Gottes sehen

  1. Hans-Dieter Krüger

    Der Predigttext ist anschaulich nacherzählt, der Skopus schön heraus gestellt. Das versteht die Gemeinde: Wichtig ist, ob die innere Einstellung und das Handeln dem Willen Gottes entsprechen. Dabei kommt es nicht auf die Religion oder Weltanschauung an. Ein guter Beitrag zum interreligiösen Dialog.

Ihr Kommentar zur Predigt

Ihre Emailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert.