Süßer als Honig

Hesekiel wird berufen und verkündet Gottes Wort

Predigttext: Hesekiel / Ezechiel 2, 1-5 (6+7)8-10; 3, 1-3 (mit Einführung)
Kirche / Ort: St. Christophorus Gemeinde / Lübeck
Datum: 16.02.2020
Kirchenjahr: Sexagesimae (60 Tage vor Ostern)
Autor/in: Pastorin Ellen Naß

Predigttext: Hesekiel 2, 1-5 (6+7)8-10; 3, 1-3 (Übersetzung nach Martin Luther)

1 Und er sprach zu mir: Menschensohn, stelle dich auf deine Füße, und ich will mit dir reden.
2 Und als er zu mir redete, kam der Geist in mich und stellte mich auf meine Füße; und ich hörte den, der zu mir redete.
3 Und er sprach zu mir: Menschensohn, ich sende dich zu den Kindern Israel, zu den empörerischen Nationen, die sich wider mich empört haben; sie und ihre Väter sind von mir abgefallen bis auf diesen selbigen Tag.
4 Und diese Kinder sind schamlosen Angesichts und harten Herzens; zu ihnen sende ich dich, und du sollst zu ihnen sprechen: "So spricht der Gott der Herr!"
5 Und sie, mögen sie hören oder es lassen (denn sie sind ein widerspenstiges Haus) sie sollen doch wissen, dass ein Prophet in ihrer Mitte war.
6 Und du, Menschensohn, fürchte dich nicht vor ihnen und fürchte dich nicht vor ihren Worten; denn Nesseln und Dornen sind bei dir, und bei Skorpionen wohnst du. Fürchte dich nicht vor ihren Worten, und erschrick nicht vor ihrem Angesicht; denn ein widerspenstiges Haus sind sie. 7 Und du sollst meine Worte zu ihnen reden, mögen sie hören oder es lassen; denn sie sind widerspenstig.
8 Und du, Menschensohn, höre, was ich zu dir rede; sei nicht widerspenstig wie das widerspenstige Haus; tue deinen Mund auf und iss, was ich dir gebe. -
9 Und ich sah: Und siehe, eine Hand war gegen mich ausgestreckt; und siehe, in derselben war eine Buchrolle. '
10 Und er breitete sie vor mir aus, und sie war auf der Vorder- und auf der Hinterseite beschrieben; und es waren darauf geschrieben Klagen und Seufzer und Wehe. -
3,1 Und er sprach zu mir: Menschensohn, iss, was du findest; iss diese Rolle, und geh hin, rede zu dem Hause Israel.
2 Und ich öffnete meinen Mund, und er gab mir diese Rolle zu essen.
3 Und er sprach zu mir: Menschensohn, speise deinen Bauch und fülle deinen Leib mit dieser Rolle, welche ich dir gebe. Und ich aß sie, und sie war in meinem Munde süß wie Honig.

Einführung zum Predigttext

Hesekiel gehörte zu der ersten Gruppe der Verschleppten nach der Niederlage gegen Nebukadnezar II. 597 v. Chr. Er war der Sohn eines Priesters, wirkte in Babylonien, dem heutigen Irak. Er hat viele genaue Datierungen an seine Worte geknüpft. Bekannt ist er vor allem durch seine großartigen Visionen, z.B das Leichenfeld, in dem die Skelette auferstehen.

Der Predigttext ist Teil seiner Berufungsvision, die eigentlich schon in 1,1 beginnt. Am Ende des 1. Kapitels fällt er nieder, das erklärt 2,1 (stelle dich auf deine Füße). Nach der Vision von Kapitel 1 beginnt in Kapitel 2 die eigentliche Sendung. Dem Propheten wird in dieser Sendung wenig Hoffnung gemacht, dass seine Botschaft gehört wird. Dabei ist wahrscheinlich gemeint, dass Israel schon immer, schon in Ägypten, widerspenstig war und nicht hören wollte.

Außerdem bereitete in Jerusalem König Zedekia einen Aufstand gegen die Babylonier vor. Die Verschleppten waren über die Zustände in der Heimat gut informiert, so dass Hesekiel auch davon gewusst hatte. Im Jahre 587 v. Chr.  endete dieser Aufstand mit der vollständigen Niederlage Israels, der Zerstörung des Tempels und der Verschleppung nach Babylonien.

 

 

zurück zum Textanfang

Warum sind Sie eigentlich Pastorin geworden?“ so wurde ich in den Jahren meiner Berufstätigkeit immer wieder gefragt. Es war meistens so, dass nicht meine Kompetenz in Frage gestellt wurde, sondern dass meine GesprächspartnerInnen eine Art Berufungsgeschichte erwarteten, den einen großen Moment, zu dem ich wusste: Das erwartet Gott jetzt von mir.

Mir war das immer eher peinlich, denn den einen großen Moment hat es bei mir nie gegeben. Zwar sagten meine Klassenkameradinnen bei einem Klassentreffen 25 Jahre später, sie hätten immer gewusst, dass ich einmal Pastorin werden würde, aber mir selbst war das längst nicht so klar, ich habe auch die ersten Semester nicht Theologie studiert. In Zeiten, als es noch nicht so selbstverständlich war, dass eine Frau diesen Beruf ausübte (und in einigen Gemeinde ist es heute noch nicht selbstverständlich!), hätte ich mir manchmal solch ein eindeutiges Berufungserlebnis gewünscht, vielleicht nicht ganz so großartig und furchteinflößend, wie Hesekiel das erlebte, aber so ein kleines hätte ich schon gern gehabt.

Dabei bin ich mir ziemlich sicher, dass Hesekiel nicht so ganz erfreut war über das, was er erlebte. Er erlebte einen Sturm, vielleicht so wie das Tief Sabine in der letzten Woche, Wesen, die wie Menschen aussahen, aber vier Gesichter hatten und in jede Richtung gehen konnten, ohne sich umzudrehen, große Räder, so dass er vor Angst hinfiel.

Als Gott dann in unserem Predigttext zu ihm sprach, war es auch nicht so besonders erfreulich. Er soll wieder aufstehen, und dann wird er zu den Israeliten gesandt und zu den Völkern, und es wird ihm gleich gesagt, dass Israel abtrünnig ist und Gott nicht gehorcht. Er soll sich nicht fürchten, obwohl sie nicht auf ihn hören werden, ihn auch verfolgen werden – und wenn er sie nicht warnt und sie deshalb ohne Warnung in ihr Verderben laufen, dann ist er verantwortlich. Ich finde, das sind keine schönen Aussichten für die Zukunft.

Prophetische Zeitgeschichte

Hesekiel steht dabei in einer Tradition mit Jesaja, Amos und Jeremia, der zur gleichen Zeit lebte und Gottes Wort verkündigte. Jeremia lebte allerdings in Israel, sprach zu dem Volk dort, während Hesekiel in Babylon wirkte. Er war mit vielen anderen 597 vor Chr. dorthin verschleppt worden, nachdem Israel gegen Nebukadnezar II. einen Krieg verloren hatte. Trotzdem waren die Mächtigen nicht zur Einsicht gekommen, wie er und Jeremia es bezeugen. Sie verfielen in die alten Fehler wie vor der Niederlage, und 587, also 10 Jahre, nachdem Hesekiel und die anderen nach Babylon verschleppt wurden, verloren sie wieder gegen Babylon und fast alle wurden umgesiedelt.

Was mich immer erstaunte, war, dass die Propheten des Alten Testaments Dinge kritisiert haben, unter denen wir heute noch immer leiden. 2500 Jahre später haben wir vieles immer noch nicht umgesetzt, was diese Menschen forderten, haben wir immer noch nicht aus ihren Worten gelernt.

Nicht erledigte Aufgaben

So ermahnen sie immer wieder, man sollte Witwen, Waisen, Arme und Fremdlinge nicht unterdrücken und betrügen. Das sind altertümliche Worte, deshalb erkennen wir vielleicht nicht sofort, dass genau diese Bevölkerungsgruppen immer noch benachteiligt sind. Rentnerinnen – meistens Witwen, wenn die Rente des Ehemannes wegfällt – gehören zu den Ärmsten in unserem Land. Alleinerziehende und ihre Kinder – in gewisser Weise Waisen – gehören zu einer der größten Gruppen der Hartz IV Bezieher. Und die Ausländerfeindlichkeit – Fremdlingenfeindlichkeit – ist groß.

Lebensmittel sind zu billig“, so wurde es gerade offiziell festgestellt, Billigmode ist verpönt. Dabei haben die Tafeln großen Zulauf von Bedürftigen, wenn Lebensmittel wirklich zu billig wären, bzw das Grundeinkommen auch für teurere Lebensmittel reichen würde, dann müsste es Tafeln gar nicht geben. Teure Kleidung kann man von dem Hartz IV Satz auch nicht kaufen. Und nun wird diesen Menschen auch noch Schuldgefühle gemacht, dass sie schuld sein sollen an Umweltzerstörung und der Ausbeutung von Näherinnen überall auf der Welt. Geflüchtete und andere Neubürger sind für einige bei uns schuld an allem Unglück bei uns, müssen teilweise um Leben und Gesundheit fürchten.

Außerdem wird dem Volk Israel immer wieder vorgeworfen, dass es Götzendienst begeht. Baal, Astarte und andere Götter wurden in alten Heiligtümern verehrt. Es wurden aber auch alte Heiligtümer Gottes verboten. Jakob z.B. träumte in Bethel von Gott und errichtete ihm dort einen Altar, später galt dieses Heiligtum als verboten. Unabhängigkeit von einer Großmacht, nationale Identität ist auch etwas, von dem wir träumen. Der Brexit ist Folge solch eines Traums, und auch in Deutschland gibt es Menschen, die gerne wieder als Deutsche allein entscheiden wollen, was wir tun und was wir lassen, Deutschland zuerst sozusagen.

Richtig und falsch

Das war bestimmt für die Menschen damals nicht immer einfach zu entscheiden, was gut war und was böse. Wir wissen jetzt, dass die Propheten Recht hatten – aber es wird immer wieder erzählt, dass es damals auch andere Propheten gab, die das genaue Gegenteil von Hesekiel, Jesaja, Amos, Jeremia und den anderen Schriftpropheten als Wort Gottes verkündigten. Ihre Worte sind nicht überliefert, weil sich im Laufe der Geschichte ihre Prophezeiungen als unwahr herausgestellt haben – ihre Zuhörer damals wussten aber davon nichts.

Ganz genau so geht es uns heute immer noch. Es ist schwierig zu entscheiden, was gut ist und was richtig, was Gottes Wille ist und was nicht. Sind die Lebensmittel zu teuer, müssen Menschen hungern, sind sie zu billig, geht es den Bauern schlecht und die Umwelt leidet. Fremde kommen zu uns, die andere Sitten und Gebräuche – und andere Religionen – haben, und einige vertragen sich nicht mit dem, was unsere Vorstellung von Menschenwürde, von Gottes Geboten sind. Es ist immer wieder schwer, und immer wieder wird neu diskutiert und gestritten, wie man sich zu verhalten hat.

Da wäre es schon schön, solch ein Berufungserlebnis zu haben wie die Propheten, wie heute hier Ezechiel es schildert. Aber auch von anderen kennen wir Visionen und Gottesworte. Wer solch eine Vision gehabt hat wie Hesekiel, zu dem Gott so direkt gesprochen hat wie zu ihm, der weiß, dass er recht hat, dass seine Worte wirklich die Worte Gottes sind und nicht irgendwelche eigenen Meinungen.

Andererseits macht es auch intolerant. Wenn ich meine, Gottes Wille wäre es, A zu tun, und jemand anders ist sich genauso sicher, dass B Gottes Willen entspricht, und wir sind uns beide sicher, dass es Gott selbst war, der zu uns gesprochen hat, dann gibt es keinen Kompromiss mehr, man kann sich nicht mehr irgendwo in der Mitte treffen. An den amerikanischen Evangelikalen, die sich ganz sicher sind, dass Donald Trump der von Gott gewählte amerikanische Präsident ist – weil er Abtreibungen verbieten und Waffen weiter erlauben will – kann man gut sehen, wohin das führt. Dass er Frauen benutzt hat, Arme noch ärmer macht, Unfrieden stiftet, das fällt dann angesichts des angeblichen Willens Gottes nicht mehr ins Gewicht.

Bücher essen

Deshalb finde ich das Ende unseres Predigttextes entscheidend: Gott gibt Hesekiel eine Buchrolle zu essen – damals wurden Bücher ja als großes Papierstück beschrieben und dann zusammengerollt – und diese Buchrolle war so inhaltsreich, dass sie von beiden Seiten beschreiben war. Nun war Papyrus ein Naturprodukt, und auch Tinte bestand aus natürlichen Zutaten, aber trotzdem möchte ich das nicht essen müssen. In Spionagefilmen oder Krimis essen Menschen manchmal ja wichtige Nachrichten, damit sie niemand anderes lesen kann, ich habe mir das immer schrecklich vorgestellt.

Diese Buchrolle ist auch nicht besonders erfreulich. Darauf geschrieben waren Klagen und Seufzer und Weherufe, so wird es beschrieben, nicht unbedingt das, was man essen und danach verkündigen möchte. Doch dann kommt die große Überraschung: Die Buchrolle schmeckt süß. In Psalm 119, 103 wird gesagt: Dein Wort ist in meinem Munde süßer als Honig, und genau so erlebt Hesekiel es hier. Und genauso können wir es auch erleben.

Natürlich müssen wir dazu unsere Bibel nicht essen, aber wir können sie lesen, sie verschlingen, auf Gottes Wort hören, es befolgen. Es wird uns vielleicht nicht die Antworten geben, die wir hören wollen, wir werden auch nicht alles verstehen, so wie die Visionen des Hesekiel auch ohne viel Vorwissen unverständlich sind.

Aber Gott wird uns nahe sein, Er wird uns trösten und stärken. Vielleicht werden wir es nicht als Berufungserlebnis nehmen, so wie ich mich an keines erinnern kann, aber wir werden wissen: Das ist es, was Gott von uns will, dafür sollen wir uns einsetzen, dort sollen wir helfen, dort sollen wir fernbleiben. Gottes Wort ist die Verbindung zwischen damals und heute, und durch Sein Wort spricht Gott noch heute zu uns, und es ist süßer als Honig.

zurück zum Textanfang

Ein Kommentar zu “Süßer als Honig

  1. Pastor i.R.Heinz Rußmann

    Ungewöhnlich tiefsinnig und lebendig aktualisiert Pastorin Naß die Berufung des Propheten Hesekiel und seine Botschaft für heute. Sie selbst hätte sich so eine prägnante Berufung zur Pastorin gewünscht. Hesekiel war über seine Berufung zum Propheten nicht erfreut. Er sollte ja die Israeliten und Völker warnen vor den Folgen der Sünde . Er steht in der Tradition von Jesaja, Amos ,Jeremia. Die Israeliten aber hörten nicht auf die Gerichts-Propheten, verloren auch militärisch gegen die Babylonier und wurden umgesiedelt. – Ganz geschickt macht die Predigerin die Hörer neugierig, indem sie die Kritik von damals auf unsere Zeit überträgt und aktualisiert. Arme, Witwen und Waisen und Fremdlinge und Flüchtlinge leiden heute auch bei uns durch Armut. Den Israeliten wird Abfall von Gott vorgeworfen, wie bei uns durch Atheismus und Nationalismus. Oft ist es auch heute schwer, das Gottwohlgefällige zu erkennen. Ein erfreulicher Predigtschluss folgt: Wir sollen wie Hesekiel die Bibel “verschlingen”. So wird uns Gott auf den rechten Weg bringen und trösten. In Lübeck kenne ich eine Pastorin, die vorbildlich und lebendig in fast jeder Woche am Bibel-verschlingenden Predigtvorbereitungskreis teilnimmt: Pastorin Ellen Naß. Eine sehr gute Predigt,welche uns Gottes Wort stärkend nahebringt so wie süßer Honig !

Ihr Kommentar zur Predigt

Ihre Emailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert.