Guter Hirte und Herdenimmunität

Jesus bietet uns seine verlässliche Weggemeinschaft an

Predigttext: 1. Petrus 2,21-25
Kirche / Ort: Luthergemeinde / Ettlingen
Datum: 26.04.2020
Kirchenjahr: Miserikordias Domini (2. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Pfarrer Dr. Thorsten Maaßen

Predigttext: 1. Petrus 2,21-25 (Über-setzung nach Martin Luther, Revision 2917)

21 Denn dazu seid ihr berufen, da auch Christus gelitten hat für euch und euch ein Vorbild hinterlassen, dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußstapfen; 22 er, der keine Sünde getan hat und in dessen Mund sich kein Betrug fand; 23 der, als er geschmäht wurde, die Schmähung nicht erwiderte, nicht drohte, als er litt, es aber dem anheimstellte, der gerecht richtet; 24 der unsre Sünden selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz, damit wir, den Sünden abgestorben, der Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr heil. geworden. 25 Denn ihr wart wie irrende Schafe; aber ihr seid nun umgekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen.

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Der 23. Psalm ist uns vertraut und lieb. In vielen Lebenslagen ist es uns wie ein warmes helles Licht, das Bild vom „guten Hirten“, der seine Schafe an die schönsten Weideplätze führt, der auch in finsterer Schlucht noch Orientierung und Hoffnung bietet, der uns selbst in größter Anfechtung noch den Tisch bereitet.

Viele verbinden mit diesem Hirten Jesus Christus. Wir hörten ja gerade im Evangelium, wie er sagte: „Ich bin der gute Hirte.“ In Jesus ist dieser Hirte zur persönlichen Zuwendung Gottes geworden. Es kann uns trösten und Halt bieten in vielen Lebenslagen sein, dass Gott für uns da ist wie ein guter Hirte für seine Schafe. 

Aber wenn wir das Bild weiterdenken, kommen wir schnell an Grenzen: wenn Jesus mein Hirte ist, bin ich dann einfach ein Schaf, das nichts Besseres zu tun hat als blindlings zu folgen? Bin ich nur eine Nummer in der Herde? Bin ich am Ende gar ein Opfertier, das alles mit sich machen lässt? Neben die Gefühle von Vertrauen und Geborgenheit, die wir mit dem guten Hirten verbinden, treten dann Widerstand und Ablehnung, vielleicht sogar Empörung. 

Wenn wir jetzt den Predigttext hören, nämlich die Epistel für den heutigen Sonntag, wird er uns das Bild von Schaf und Hirte auf den ersten Blick wahrscheinlich nicht leichter verdaulich machen. Denn es scheint, als habe sich mitten in die österliche Freudenzeit nun schon wieder ein kräftiges Maß an Karfreitag hineingemischt.

(Lesung des Predigttextes)

Wie gesagt, ein kräftiger Schluck Karfreitag, diese Erinnerung an das Leiden des Christus. Doch anders als am Karfreitag selbst, wo dieses Leiden als Ankündigung in der Lesung aus dem prophetischen Buch Jesaja zu hören ist, wird es nun im Rückblick besungen. Ostern liegt dazwischen, Gott sei Dank! Dem Tod ist der Stachel genommen. Wir können nun mit viel größerer Gelassenheit, ja mit Vertrauen und Freude hören: all diese Schmähung, das Leiden, das Sterben des Leibes auf dem Holz, das ist für uns geschehen. Doch nicht der Tod ist das Ziel, sondern das Leben – genauer, damit wir „der Gerechtigkeit leben“, wie es in der Lutherübersetzung heißt. 

Warum aber überhaupt dieser Rückblick auf das Leiden? Könnten wir nicht einfach weiter in ungebrochenem Jubel den Oster-Triumph feiern? 

Aber wenn wir ehrlich sind: so wirklich zum Feiern ist uns doch nicht zumute. Schließlich sitzen Sie jetzt an irgendeinem Bildschirm statt in der Kirchenbank Ihres Vertrauens. Es sind einige Geschäfte mehr auf als letzte Woche. Vielleicht wird es noch die ein oder andere Erleichterung mehr geben. Aber wer weiß es? Und vor allem: wer weiß, ob es gut wäre. Fachleute warnen. Das Coronavirus schert sich nicht um unsere hehren Grundwerte, nicht um Religionsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Reisefreiheit. Da mögen Hirten auftreten, die uns einen weiteren beschwerlichen Klettersteig empfehlen. Und Hirten, die uns schnell saftige Deichwiesen am Nordseestrand versprechen. Ob der verlockender klingende Weg wirklich der Weg zum Leben ist oder nicht eher ein todbringender Irrweg, wissen wir aber nicht. Also Vorsicht! Wir merken schon, es kommt wohl darauf an, auch bei den Hirten unterscheiden zu lernen. Jesus hat das selbst in aller Deutlichkeit gesagt. 

Tatsächlich werden wir ja hinsichtlich des Coronavirus wieder wie so eine Art Schafherde betrachtet. Sie haben sicher das Wort von der „Herdenimmunität“ schon gehört – neulich entdeckte ich es schon als Vorschlag für das „Unwort des Jahres“: Es geht darum, dass erst mit einer großen Prozentzahl infizierter oder geimpfter Personen die Gefahr einer schnellen Ausbreitung des Virus gebannt wäre. In diese Richtung läuft die Idee der Corona-Partys. Einige Menschen sind zu ungeduldig, um auf einen Impfstoff zu warten. Dann könnte der andere Weg verlockend sein: so viele wie möglich infizieren sich mit dem Virus und hoffen, dass ihnen nichts Schlimmes passiert. Doch ist das Geschenk unseres Lebens nicht doch zu kostbar, um damit so eine Art Russisches Roulette zu spielen? Der schnelle Weg zu den grünen Auen ist nicht unbedingt der Weg des „guten Hirten“. Dann bleibt also der andere Weg, weiterhin geduldig beim eigenen Schafstall zu bleiben. 

Ja, für das Coronavirus sind wir tatsächlich nur eine unbestimmte Herde, Schafe wie Nummern, bereit angefallen zu werden, Opferlämmer. Einen passierbaren Weg zur Herdenimmunität gibt es gerade eben noch nicht. Der Weg zu unseren Lieblingsauen und frischen Wassern wird in diesem Sommer womöglich verschlossen bleiben. 

Da geht es uns Christen nicht anders als anderen in der Menschheits-Herde. Wir können davon träumen, wie es auf unserer Lieblingsinsel wäre, wir können uns in Sehnsucht nach festlicher Gottesdienstgemeinschaft und dem Abendmahl verzehren. Aber es wird auch uns, wenn wir verantwortlich mit dem Leben umgehen wollen, nichts anderes übrig bleiben, als weiter auszuhalten in so manchem Verzicht. Christus als Vorbild zu haben, der so vieles ertragen hat, mag da ein bitterer Trost sein. 

Und doch liegt gerade darin Trost: zu wissen – Gott selbst hat alles getragen, was an Leiden denkbar ist. Wir sind auch in finsterster Schlucht nicht von Gott verlassen. Wenn wir uns alleingelassen fühlen, legt er noch den Arm um unsere Schulter und flüstert uns ins Ohr: „kenn‘ ich“; wenn wir durch jemand anderen verschuldet eine schwere Krankheit tragen, ist er an unserem Krankenbett und ich weiß: Ja, Jesus, du kennst es auch. 

Jesus Christus als Hirte betrachtet uns eben nicht als beliebige Nummern. Sondern er ist zugleich der Bischof, der den Überblick über die ganze Herde hat, als auch der Seelsorger, der dich und mich kennt und für uns da ist – als Tröster und als Vorbild, er schenkt sich, die Liebe Gottes als Gabe und Aufgabe.

Durch ihn bekommt „Herdenimmunität“ einen anderen Klang. „Durch seine Wunden seid ihr heil geworden.“ Das ist Gottes Liebe als Gabe, das ist der Trost im finsteren Tal, im Angesicht der Feinde, von denen wir umzingelt sind: wie Klimawandel, Coronakrise, Flüchtlinge ohne sicheres Dach über dem Kopf, Unternehmer mit Angst vor der Pleite, Familien mit Sorge um den Arbeitsplatz. Ja, auch nach Ostern lebt die Herde in Anfechtung. Die Fußstapfen Jesu bis hin ans Kreuz sind groß. Aber es sind seine Fußstapfen, die durch das Leiden, durch Kreuz, Tod und Auferstehung hindurchtragen. Darum gilt: Durch seine Wunden seid ihr heil geworden. Denn ihr wart wie irrende Schafe; aber ihr seid nun umgekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen.

Die Herdenimmunität überkommt uns also nicht als willenlose Schafe, sondern weil Gott sich uns ins Jesus Christus zuwendet und wir seiner Stimme vertrauen lernen.

Christus macht uns nicht immun gegen das Coronavirus. Auch sind wir nicht herausgehoben aus all den Gefährdungen dieser Welt. Aber wenn wir Schafe seiner Herde sind, werden wir immun gegen die Macht des Todes und der Verzweiflung. Wir können uns aufrecht dem Kampf gegen die Wellen stellen: alles dafür tun, dass gefährdete Menschen vor den Folgen des Coronavirus geschützt werden, uns einsetzen für Nachhaltigkeit, Klimaschutz, gegen Artensterben in Gottes wunderbarer Schöpfung, Geflüchtete aus tiefstem Elend retten; Frieden stiften, wo Krieg und Misstrauen finstre Täler hinterlassen.

Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Das ist nicht das Blöken von Schafen, die alle Verantwortung wegschieben wollen. Es ist der mutige und zuversichtliche Aufbruch der Herde, die sich aller Resignation entgegenstemmt. Es ist die begründete Zuversicht und Hoffnung, dass es genug sein wird, auch wenn wir heute noch nicht absehen können, wieviel Proviant wir brauchen, um diese und andere Krisen durchzustehen. O

und das Passfest erinnern an die Freiheit, die Gott seiner Herde schenkt. Aber in der Zeit danach geht es durch die Wüste. Dass es dort heiß und trocken ist, lässt sich nicht ändern, so wenig wie sich das Coronavirus jetzt einfach abschalten ließe. Doch gegen allen Schein bewahrt Gott sein Volk vor Hunger und Durst, vor Orientierungslosigkeit und Gewalt, Mit Manna und Wachteln, mit sprudelnden Felsen, mit den 10 Geboten, durch die Macht des Gebets.

Auch wenndie grünen Auen und das frische Wasser weit weg scheinen, sind sie eine begründete Hoffnung. Eines Tages konnten die Kundschafter schon einen leibhaftigen Vorgeschmack auf das verheißene Land bieten.

Schafe in Jesu Weide zeichnen sich eben nicht durch besondere Einfalt und Duldsamkeit gegenüber jedem Unrecht aus. Sondern sie brechen mutig auf zum Weg der Gerechtigkeit. Als Schafe seiner Herde können wir zuversichtlich die schweren Wege der Gegenwart wagen. Denn unser Hirte kennt alle Höhen und Tiefen des Weges. Und er steht ein dafür, dass wir nicht in die Irre laufen.

Wenn wir konsequent in den Fußspuren Jesu wandeln, also die Liebe als Maßstab haben, als Hirtenstab, dem wir folgen, dann sind wir auf dem guten Weg zum Leben: Christus als Vorbild in der Liebe – das geht auch nach Ostern unter den Bedingungen des Coronavirus: „Noli me tangere“ – Rühr mich nicht an! – Zuwendung ohne Körperkontakt – das gehört schon seit Maria von Magdala am Grab zur österlichen Erfahrung mit dem Auferstandenen: Liebe, die achtsam füreinander ist, wo der Weg miteinander oder füreinander wichtiger sein kann als die Umarmung, wo das Skype-Konzert oder der handgeschriebene Brief für die Großeltern an die Stelle des Besuchs tritt, wo Eltern sich mehr Zeit nehmen für ihre Kinder, wo die ein oder anderen Krisengewinnler teilen mit denen, die durch die Umsatzpause in echte Not geraten. In dieser Krise haben wir ja auch Chancen zu wirklicher Umkehr.

Wir können neu ordnen, was wirklich wichtig ist und wo wir in der Vergangenheit Zeit und Geld und Liebe hineingesteckt haben, was uns heute eher als Irrweg vorkommt.  Der gute Hirte tritt in all dem auf unseren Weg. Er leitet und begleitet uns. Er lässt uns nicht aus der Liebe fallen.

Jesus gibt uns den Maßstab der Liebe und Gerechtigkeit. Und er bietet uns seine verlässliche Weggemeinschaft an. Das ist dann doch Grund zu österlicher Freude. So erlaube ich mir, heute mit meinem persönlichen Taufspruch zu schließen: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.

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Ein Kommentar zu “Guter Hirte und Herdenimmunität

  1. Pastor i.R.Heinz Rußmann

    Jesus. der gute Hirte für uns, ist eins der schönsten Symbol-Bilder der Bibel.Ein Trostwort für unzählige Christen in den dunklen Tälern auf dem Lebensweg.Unzählige Konfirmannden haben deshalb Psalm 23 auswendig gelernt und gebetet. Pfarrer Dr Maaßen interpretiert den Predigttext aus dem neuen Tstament deswegen vielseitig durch den Psalm und stellt auch kritische Fragen: Bin ich ein blindes Schaf in Jesu-Kirchenherde oder ein Opfertier, dessen liebevolles Handeln nur ausgenutzt wird ? Etwas von Karfreitag taucht auf bei den Christen. Der Pfarrer aktualisiert das Thema: der gute Hirte mit dem Jahres-Unwort Herden-Immunität.Aber der tiefe Trost für uns ist, dass Gott selbst durch Jesus alles Leid getragen hat für uns. Wir sollten in der Gemeinschaft mit dem guten Hirten und seiner Herde in den Fußspuren Jesu wandeln.Der gute Hirte begleitet uns auf unserem Weg bis zum ewigen Leben.Viel österliche Freude wird auf uns übertragen. – Sehr ausführlich und originell und prägnant aktualisiert Pfarrer Dr Maaßen das NT durch das AT an dieser Stelle. Welcher Trost heute !

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