Befreiende Lieder

Böses mit Zuwendung und Liebe überwinden

Predigttext: Philipper 2, 5 - 11
Kirche / Ort: Melanchthon- und Johannes-Brenzkirche / 70734 Fellbach
Datum: 20.03.2016
Kirchenjahr: Palmsonntag (6. Sonntag der Passionzeit)
Autor/in: Pfarrer Jürgen Bossert

Predigttext: Philipper 2, 5-11 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

5 Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht:
6 Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein,
7 sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.
8 Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.
9 Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist,
10 dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind,
11 und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.

Vorbemerkung zum Predigttext

Palmsonntag: Jesus zieht in Jerusalem ein. Die Karwoche beginnt. Vom "Hosianna" zum „Kreuzige ihn“. Dann kommt Ostern, das Zeichen dafür, dass das Leben siegt und Gottes Liebe stärker ist als die Sünde und der Tod. Diesen Durchgang besingt unser Predigttext, der Philipperhymnus. Seine „Drei-Stufen-Christologie“, Präexistenz – Erniedrigung – Erhöhung, zeigt, dass die Macht der widergöttlichen Mächte gebrochen ist. Dieses Bekenntnis ermöglicht Befreiung, wenngleich die Vollendung noch aussteht. „Wer bekennt, muss sich nicht mehr fürchten.“ (Karl Barth, KD III/4, S.94)
Martin Luther hat für mich diese Erfahrung und dieses Bekenntnis in seinem Lied „Nun freut euch, lieben Christen g’mein“ (EG 341) in Sprache und Melodie gebracht. Es mutet an, wie eine freie Nachdichtung des Christusliedes aus dem Philipperbrief. Darum möchte ich in der Predigt beide miteinander ins Gespräch bringen. So kann die Befreiungserfahrung, die Stärkung des Lebensmutes und die Trostkraft des Hymnus, die Paulus empfunden hat, spürbar werden.

Lieder

"Jesus zieht in Jerusalem ein" (EG 314)
"Nun freut euch" (EG 341)

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Ein etwa 2000 Jahre altes Lied geht um die Welt. Es erreicht uns immer wieder. So auch heute. Paulus lässt es uns zukommen. Ein Lied, das eine Biographie hymnisch und poetisch wiedergibt. Es schildert die Lebensgeschichte Jesu von Nazareth, nein, genauer, die von Jesus Christus, nein, noch genauer: ein Aspekt der Geschichte Gottes. Poesie tut im nüchternen Leben gut. Poesie baut auf. Poesie macht Mut. Nicht durch ihre Form und Melodie allein, auch durch ihren Inhalt und die Atmosphäre, die sie vermittelt. So auch dieser Hymnus aus dem Philipperbrief. Er eröffnet einen Raum, der wärmt, schützt und birgt in kalter Welt, versetzt einen in eine Schwingung, die lebendig werden lässt inmitten von Ängsten …

Die Kraft dieses Christusliedes hat der Apostel Paulus erfahren, und er lässt uns daran teilhaben wie die Gemeinde zu Philippi damals. Paulus saß gefesselt im Gefängnis, als er den Brief schrieb. Es ging für ihn um Leben und Tod. Ausgeliefert war er an die Herren damals und angegriffen von Mächten – Paulus lässt sie in der Schwebe -, die ihm hart zu setzten. Da stärkt dieses Christuslied seinen Lebensmut. Warum? Paulus weiß: In dieser Tiefe bin ich nicht allein. Gott ist da. Christus steht mir bei in diesem “finsteren Tal”. Gott ist mir nicht fern, er blieb nicht da oben, weit weg im Himmel, und lässt mich hier verloren gehen. Gott steht mir zur Seite. Gott kam in die Welt, wurde Mensch mir zu Gute. Gott kennt meine Verlorenheit, mein Verfangensein, mein Ausgeliefertsein.

Das Lied beschreibt nämlich zugleich, wie es um uns Menschen steht. Wir sind Sklaven, Knechte, wie Paulus schreibt, indirekt auf uns bezogen, wenn er sagt, dass Jesus Christus, dass Gott unsere Gestalt annimmt – er „nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich“. In dieser Welt bin ich Knecht, um dies Wort von Paulus zu gebrauchen. Ein Knecht ist einer, der ausgeliefert, gefangen, unfrei ist. Ich bin nicht allein Herr in meinem Haus, nicht alleiniger Autor meiner Lebensgeschichte. Ich bin, trotz meiner eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten, ausgeliefert, mit meiner Selbstbezogenheit, meiner Angst, zu kurz zu kommen, meinen Vorurteilen, die mich von anderen abschließen und Grenzen bauen. Ich spüre auch meine Grenzen. Ich erfahre, dass ich schuldig werde. Ich lebe auf den Tod zu, der mich in vielerlei Gestalt umgreift und ereilt. Nicht nur der natürliche Tod, der irgendwann kommt, sondern die anderen Tode, verursacht durch Ichsucht, Hass, Rachegelüste, Herrschsucht …
Ängste quälen mich. Sorgen plagen mich.

„Jeder muss sein Kreuz tragen“, sagt man. Wir haben unsere Lebenslasten zu tragen. Wir sind mannigfachen „Herren und Mächten der Welt“ unterworfen, die Lasten auferlegen und zu Angst und Verzweiflung führen. Martin Luther beschreibt es in der 2. und 3. Strophe seines Liedes „Nun freut euch liebe Christengmein“ (EG 341): “Dem Teufel ich gefangen lag, im Tod war ich verloren …” / “Mein guten Werk, die galten nicht …” In tiefster Verzweiflung gefangen, unmöglich, sich allein daraus zu befreien. Die Sünde hat mich besessen, nicht nur mich, sie durchzieht die Menschenwelt. Der Mensch braucht Beistand. Martin Luther drückt es in seinem Lied weiter so aus (EG 341,4.5): “Da jammert Gott in Ewigkeit mein Elend übermaßen; er dacht an sein Barmherzigkeit, er wollt mir helfen lassen …” / “Er sprach zu seinem lieben Sohn: ‘Die Zeit ist hier zu erbarmen’ …” Gott begibt sich in diese Tiefe. Er liefert sich den Mächten aus, den Herren dieser Welt, die sich ihre Herrschaft, die oft den Tod bringt, nicht nehmen lassen wollen. Er ist sich dafür nicht zu schade und hält sich aus der schuldigen und dem Tod verfallenen Menschenwelt nicht heraus. Gott nimmt auf sich, was uns bedrängt und gefangen hält. Aber er lässt sich von seinem Weg der Liebe, die das Leben achtet und wertschätzt, nicht abbringen durch die Anfeindungen. Weder Verrat noch Spott noch Hohn, weder Verfolgung noch Folter und Verurteilung.

Gott bleibt sich treu – bis zum bitteren Tod, dem Tod am Kreuz. Um das Kreuz zu tragen, das Wirken der Todesmächte zu durchkreuzen. Dafür steht sein Kreuz, das Zeichen für Gottes Liebe und Beistand, an dem wir Gott erkennen und was wir ihm wert sind. Dass wir dann frei werden von den Ängsten und Lasten, frei von den Schulden und uns so neu orientieren können. Mit Martin Luther: „Er sprach zu mir: ‘Halt dich an mich, es soll dir jetzt gelingen; ich geb mich selber ganz für dich, da will ich für dich ringen; denn ich bin dein und du bist mein, und wo ich bleib, da sollst du sein, uns soll der Feind nicht scheiden’“. Dass wir
nicht in unseren engen Grenzen und Mauern gefangen bleiben, sondern
offen füreinander werden, herzlich aufeinander zugehen,
das Böse durchkreuzen, den bösen Herren und Mächten standhalten und ihnen nicht auf den Leim gehen, unser Herz Gott, Jesus Christus, hingeben, und von ihm her leben, die dunklen Mächte in Liebe, ohne Hass und Resignation überwinden.

Denn am Kreuz wird deutlich, wer mein Herr ist: Jesus Christus. Dass ich mich zu ihm stelle, wie er sich zu mir stellt, dass ich mich zu ihm bekenn, wie er sich zu mir bekannt hat. „Wer bekennt, muss sich nicht mehr fürchten.“ (Karl Barth, KD III/4, S.94). Paulus lenkt unseren Blick auf das Kreuz: „Kreuz, auf das ich schaue, steht als Zeichen da; der, dem ich vertraue, ist in dir mir nah. Kreuz, zu dem ich fliehe aus der Dunkelheit; statt der Angst und Mühe ist nun Hoffnungszeit. Kreuz, von dem ich gehe in den neuen Tag, bleib in meiner Nähe, daß ich nicht verzag”. Gegen Angst und Verzweiflung, gegen lebensfeindliche Mächte hilft es, Lieder der Freiheit und Liebe anzustimmen, Lieder wie unseren Philipperhymnus, den Martin Luther in seinem Lied neu zur Sprache brachte.

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Ein Kommentar zu “Befreiende Lieder

  1. Pastor Heinz Rußmann

    Das Christuslied im Philipper-Brief des Paulus enthält nach Pfarrer Bossert mehrere Stufen der Christologie von der Schöpfung bis zur Vollendung der Welt. Genau genommen möchte man ergänzen, dass man eigentlich an allen hohen Feiertagen der Christenheit über diesen Text predigen könnte, auch zum Beispiel an Himmelfahrt. Pfarrer predigt über den dogmatischen Predigttext sehr tiefsinnig und lebendig, indem er Parallelen zieht zu der Nachdichting im Luther -Lied: Nun freut Euch lieben Christen g´mein… Übrigens das Wochenlied für Kaantate und den Reformationstag. Der Prediger beginnt schwungvoll mit der These: Ein Lied geht durch die Welt. Ein Lied, welches Abschnitte im Leben und Wirken von Jesus schildert. Die Poesie des Liedes eröffnet einen Raum und versetzt uns in Schwingung. Paulus hat die Kraft des Christusliedes erfahren. Es stärkt ihn im Gefängnis. Durch Christus ist Gott bei ihm. Jesus wurde auf Erden ein Knecht. Auch wir fühlen uns oft genug geknechtet. Jeder muss auch sein Kreuz tragen. Durch das Lutherlied wird der dogmatische Text auch von Erniedrigung und Kreuz anrührend aufgeschlossen. Jesus sagt: Ich geb mich selber ganz für dich…Uns soll der Feind nicht scheiden… Lieder wie die Christuslieder des Paulus und von Luther helfen uns gegen Angst und Verzweiflung. – Überaus gelungen und originell finde ich die Idee von Pfarrer Bossert, beide Lieder aufeinander zu beziehen. Auch wenn der Zuhörer nichts vom Einzug Jesu in Jerusalem am Palmsonntag hört, wird er durch diese Predigt mit dem Herzen und den Gedanken Jesus entgegen gehen. Er wird ihn mit Freude empfangen und gern bei ihm bleiben und Jesu Gesinnung verbreiten.

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