Geist der Verständigung

Vor allem in unseren Worten zieht die Liebe in unser Leben ein

Predigttext: 1. Korinther 14, 1-5.20-25
Kirche / Ort: Lutherkirche / Karlsruhe
Datum: 17.06.2012
Kirchenjahr: 2. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrerin Ulrike Krumm

Predigttext: 1. Korinther 14, 1-5.20-25 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

1 Strebt nach der Liebe! Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber um die Gabe der prophetischen Rede!
2 Denn wer in Zungen redet, der redet nicht für Menschen, sondern für Gott; denn niemand versteht ihn, vielmehr redet er im Geist von Geheimnissen.
3 Wer aber prophetisch redet, der redet den Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung.
4 Wer in Zungen redet, der erbaut sich selbst; wer aber prophetisch redet, der erbaut die Gemeinde.
5 Ich wollte, dass ihr alle in Zungen reden könntet; aber noch viel mehr, dass ihr prophetisch reden könntet. Denn wer prophetisch redet, ist größer als der, der in Zungen redet; es sei denn, er legt es auch aus, damit die Gemeinde dadurch erbaut werde.
20 Liebe Brüder, seid nicht Kinder, wenn es ums Verstehen geht; sondern seid Kinder, wenn es um Böses geht; im Verstehen aber seid vollkommen.
21 Im Gesetz steht geschrieben: „Ich will in andern Zungen und mit andern Lippen reden zu diesem Volk, und sie werden mich auch so nicht hören, spricht der Herr.“
22 Darum ist die Zungenrede ein Zeichen nicht für die Gläubigen, sondern für die Ungläubigen; die prophetische Rede aber ein Zeichen nicht für die Ungläubigen, sondern für die Gläubigen.
23 Wenn nun die ganze Gemeinde an einem Ort zusammenkäme und alle redeten in Zungen, es kämen aber Unkundige oder Ungläubige hinein, würden sie nicht sagen, ihr seid von Sinnen?
24 Wenn sie aber alle prophetisch redeten und es käme ein Ungläubiger oder Unkundiger hinein, der würde von allen geprüft und von allen überführt;
25 was in seinem Herzen verborgen ist, würde offenbar, und so würde er niederfallen auf sein Angesicht, Gott anbeten und bekennen, dass Gott wahrhaftig unter euch ist.

Exegetische und homiletische Einführung

Ohne dass ich es bewusst erreichen wollte, rücken die paulinischen Briefe seit einiger Zeit wieder näher in den Horizont meines Erlebens hinein. Die Gemeindesituation wird vergleichbarer, zumindest in der (Groß)Stadt. Ein paar hundert Meter von meiner Kirche entfernt praktiziert eine charismatische Gemeinde „Glossolalie“ und macht sich damit genauso attraktiv wie damals in Korinth. In den Gottesdiensten in meiner Kirche sitzen geübte Kirchgänger neben „Unkundigen“, für die unser Ältestenkreis gerade eine Art Verstehenshilfe zum Gottesdienst entwirft, weil sie die Liturgie nicht mehr mitsingen können. Die Frage nach dem Gemeindeaufbau stellt sich in einer Situation, in der nur noch wenige die Möglichkeit haben,  sich dauerhaft in der Gemeinde zu binden, viele aber trotzdem in der Kirche gerade dies suchen: eine vertraute Gemeinschaft, in die man sich einklinken kann, aber nicht wie sonst zur ständigen Übernahme von Verantwortung verpflichtet ist.

Das räumliche Bild von der „Erbauung“ (oikodomae) gibt der Komplexität und Unstetigkeit heutigen (und vielleicht auch damaligen) Gemeindelebens dadurch Ausdruck, dass es sich bei diesem Bau um kein Fertigprodukt, sondern um ein ständiges Werden handelt. Für eine Kirche, die aus dem Wort geboren ist, spielt dabei gerade die Geistesgabe des Redens eine besondere Rolle. An ihr scheiden sich die Geister. An ihr konkretisiert sich auch die Geistesgabe, die in 1 Kor 13 besungen wird: die Liebe. So eindeutig sie die „höchste unter ihnen“ ist, so eindeutig wertet Paulus Prophetie höher als Zungenreden. Interessant ist, dass Paulus die Gabe der Prophetie mit Erbauung, aber auch Ermahnung und Trost kombiniert (vgl. Schrage, 387). Die Prophetie „durchschaut das Vordergründige ... auf die dahinterliegende Gegenwart und Wirklichkeit Gottes hin“ (Schrage 412). Dazu sollen potenziell alle Gemeindemitglieder befähigt sein. So kann es ein Akt der Liebe sein, klare Worte zu finden und nicht um des guten Miteinanders willen Kritisches außen vor zu lassen. Das Zungenreden wird dabei nicht verurteilt, solange es übersetzbar bleibt – möglichst von dem Redenden selbst.

Auf solche Übersetzungsvorgänge wird es ankommen, wenn mehrere Sprach-Welten zusammenfinden wollen. Auch manche Sprachwendungen unserer Gottesdienste können Uneingeweihten wie fremdes Zungenreden erscheinen. Es deshalb aufzugeben, würde Verarmung bedeuten – aber die Aufgabe zu übersetzen (z. B. als Predigtreihe über die liturgischen Stücke) würde auch von manchen „Eingeweihten“ dankbar angenommen werden.  Wichtiger sowohl im Blick auf die innergemeindliche Erbauung als auch auf die missionarische Wirkung ist dennoch das prophetische Wort: Verstehbar von Gott reden, das heißt auch menschlich, ehrlich, in der Koexistenz von Gewissheit und Zweifel, die dem Glauben eigen ist. Wertschätzung und Bewertung, Mut und Ermutigung, Ermahnung und Eingeständnis können miteinander verbunden sein: bei den „Hauptamtlichen“ und als „Prophetentum aller Glaubenden“ (Schrage 383).

Literatur: Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament (EKK) VII/3, Wolfgang Schrage: Der erste Brief an die Korinther (1Kor 11,17-14,40), Neukirchen 1999.

 

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Die Hochzeitsglocken läuten wieder, jeden Samstag mehrmals in den verschiedenen Kirchen in Karlsruhe. Bei einer evangelischen Trauung spielt der Trauspruch eine große Rolle. Meistens sucht ihn sich das Paar selber aus. Dabei gibt es Lieblingssprüche. Zu den großen Favoriten zählen Verse aus dem 13. Kapitel des 1. Korintherbriefs. Paulus hat ihn geschrieben. „Die Liebe glaubt alles, hofft alles, duldet alles, hält allem stand“ zum Beispiel – oder: „Die Liebe hört niemals auf“ und: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, aber die Liebe ist die Größte unter ihnen“. Das Hohelied der Liebe wird dieses Kapitel auch genannt, entsprechend seinem Pendant aus der Hebräischen Bibel. Ein Lobgesang, fast eine Apotheose der Liebe. Die Liebe ist das Höchste überhaupt. Wie wird die Liebe konkret? Liebe in der Gemeinde? Aber wie? Was kommt nach der Verheißung, dass die Liebe die Größte ist? Der Apostel Paulus beginnt ein neues Kapitel. Darin geht es darum, wie die Liebe konkret werden kann. Paulus schreibt allerdings keinen Ratgeber für frisch Verheiratete. Er schreibt an eine christliche Gemeinde. Aber seine Worte über die Liebe sind so sehr zu einem Lobgesang auf das private Glück geworden, dass wir ihre Beziehung auf die Gemeinde ganz aus dem Blick verlieren. Liebe ist das Band, das die Mitglieder einer Gemeinde zusammen hält. Das zu hören ist eine Herausforderung, und es ist übersetzungsbedürftig. Mir ist das Wort „Herzlichkeit“, auch „Vertrautheit“ oder „Offenheit“. Herzlichkeit, Vertrautheit, Offenheit – das könnten heute Worte sein, die aufnehmen, was Paulus mit Liebe meint. Wie entsteht so eine Atmosphäre?

(Lesung des Predigttextes)

Liebe Gemeinde, vielleicht denken Sie jetzt: Na ja, das ist aber doch nicht wirklich unsere Welt. Zungenreden – wir sind doch keine Charismatiker! Aber charismatische Gemeinden gibt es, nicht nur in Afrika und auch nicht nur in Amerikas „Bibelgürtel“, dem „bible belt“, sondern auch hier bei uns in Karlsruhe. Charismatische Gemeinden und wir als Landeskirche – für uns liegen Welten dazwischen. Aber wenn jemand ganz von außen käme, würde er vielleicht sagen: Wieso? Das sind doch alles Christen! Wieso haben sie etwas gegeneinander? Bei Paulus ist interessant, dass er gerade diese von außen kommenden Menschen zum Maßstab nimmt. „Wenn nun die ganze Gemeinde an einem Ort zusammenkäme und alle redeten in Zungen, es kämen aber Unkundige oder Ungläubige hinein, würden sie nicht sagen, ihr seid von Sinnen?“, so heißt es am Ende. Die Offenheit gegenüber denen, die von außen kommen, ist der oberste Maßstab. Deshalb hat Paulus Vorbehalte gegen das charismatische Zungenreden, auch wenn er es selber praktiziert. Wichtig ist ihm, dass die, die von außen kommen, auch etwas verstehen, sich angesprochen fühlen. Die traurig sind, sollen den Trost des Evangeliums erfahren. Die Vielbeschäftigten sollen spüren: Hier ist wirklich von mir die Rede, ich höre etwas davon, wie ich zu einem sinnvollen gelingenden Leben komme, ein Leben, wie Gott es sich erträumt, es für mich und andere für möglich hält. So von Gott zu reden, ist für Paulus ein Zeichen, dass Liebe konkret wird. Liebe wird konkret durch die Art, wie wir miteinander reden. Vor allem in unseren Worten zieht die Liebe in unser Leben ein. In der Gemeinde kann das heißen: Herzlich miteinander sein. Einander freundlich aufnehmen. Herzlich, d. h. von Herzen und damit auch: ehrlich. Dies ist, mit Paulus gesprochen, „erbaulich“, es baut die Gemeinschaft auf, weil das Baumaterial trägt.

In dem Mut und der Liebe, die dazu nötig ist, scheint Gott durch, wird Gott gegenwärtig. Bei Paulus sagen am Ende die von außen Kommenden: Gott ist wahrhaftig unter euch. Liebe Gemeinde, schön, wenn wir mit diesem Gefühl aus jedem Gottesdienst wieder hinaus gehen könnten: Gott war wahrhaftig unter uns! Ich glaube, Paulus wusste schon, warum ihm die von außen kommenden Menschen als Maßstab für die Liebe und als Maßstab für richtiges Gottesdienstfeiern so wichtig waren. So riesig groß sind die Unterschiede zwischen denen „drinnen“ und denen „von außen“ nämlich nicht – weder damals in Korinth noch heute. Alle sollen spüren: Hier ist von mir die Rede, hier spricht Gott zu mir. Seine großen Geheimnisse, Gnade und Friede und Versöhnung, sind wie Knospen, die in unserem Leben immer wieder neu aufgehen, zur Blüte und Frucht werden wollen. Gott ist Liebe, sie ist die Größte, weil Gott selbst uns in ihr berührt, wo wir gerade sind menschlich und miteinander reden, von der Welt, vom Leben und von ihm, mit all unseren Fragen und all unseren Einsichten, die uns das Herz bewegen. Gott sendet uns seinen Geist, der auch von Jesus, seinem Sohn, ausgeht. Gott ist mitten unter uns.

 

 

 

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Ein Kommentar zu “Geist der Verständigung

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Der schwierige Text übers Zungenreden wird verständlich. In der gut aufgebauten Predigt wird das Anliegen des Paulus auf unsere Gemeindesituation und unseren persönlichen Glauben übertragen und aktualisiert.

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