“Ich sehe mein Leben im neuen Licht …”
Neues Leben in Christus, das heißt ja nicht, alles Alte einfach abzuschütteln
Predigttext: 1.Korinther 15,12-20 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Wenn aber Christus gepredigt wird, dass er von den Toten auferstanden ist, wie sagen dann einige unter euch: Es gibt keine Auferstehung der Toten? Gibt es keine Auferstehung der Toten, so ist auch Christus nicht auferstanden. Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unsere Predigt vergeblich.
Wir würden dann auch als falsche Zeugen Gottes befunden,
weil wir gegen Gott bezeugt hätten, er habe Christus auferweckt, den er nicht auferweckt hätte, wenn doch die Toten nicht auferstehen. Denn wenn die Toten nicht auferstehen, so ist auch Christus nicht auferstanden. Ist Christus aber nicht auferstanden, so ist euer Glaube nichtig, so seid ihr noch in euren Sünden. So sind auch die, die in Christus entschlafen sind, verloren. Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen.
Regelmäßig gehe ich auf den Friedhof. Ich besuche das Grab meines Vaters, meiner Mutter und meiner Schwester. Sie alle Drei liegen auf engem Raum beieinander. Im Abstand von ungefähr jeweils fünf Jahren sind sie verstorben: Anfang 2005 mein Vater, 2010 meine Schwester, Ende 2014 meine Mutter. Ich pflege das Grab, so gut es geht, sorge dafür, dass frische Blumen darauf stehen. Die Bepflanzung muss je nach Jahreszeit zurückgeschnitten oder neu eingesetzt werden. Im Sommer ist Gießen wichtig. Im Winterhalbjahr brennt regelmäßig eine Kerze in dem kleinen Leuchter. Warum pflege ich das Grab eigentlich? Es ist doch eigentlich gar nicht wichtig, wo Verstorbene bestattet sind. Mein Vater, meine Schwester sind in anderen Orten in Deutschland verstorben, warum haben wir ihre Asche überführen lassen in das Dorf im Odenwald?
Als meine Mutter noch lebte, war sie die treueste Pflegerin des Grabes. Zuerst das meines Vaters. Meine Mutter hätte es nicht ertragen, sein Grab an einem Ort zu wissen, den sie selber verlassen hat, als sie zu meinem Mann und mir zog. Der größte Kummer einer Mutter war es dann, ihre älteste Tochter zu begraben. Sie begrub sie an dem Ort, an dem sie lebte. Und nun ist sie selber Teil dieses kleinen Erinnerungsgärtchens, wie ich das Grab manchmal nenne. Nun stehe ich am Grab und erinnere mich an meine Familie, was wir gemeinsam erlebt haben. Die Erinnerungen gehen jahrzehntelang zurück, schöne Erinnerungen, schwere Erinnerungen, Gespräche, Urlaube, unser Alltag.
Warum brauchen wir diese Orte der Erinnerung? Wir sind doch Christen, für uns soll es doch nicht den Blick zurück geben, sondern die Hoffnung auf die Zukunft – gemeinsam mit und in Christus. Haben wir denn nicht aus der biblischen Ostergeschichte gehört, was der Engel am Grab den trauernden Frauen gesagt hat: „Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten? Er ist nicht hier, er ist auferstanden“ (Lukas 24,5f). Wir kennen doch auch diese wunderbar anrührende Erzählung nach dem Johannesevangelium (Johannes 20), als die tränenblinde Maria Magdalena den Leichnam Jesu salben will, ihn nicht mehr findet und glaubt, der Leichnam sei gestohlen worden. In ihrer Verzweiflung kommt der auferstandene Jesus ihr entgegen. Sie erkennt ihn nicht, bis er sich selber offenbart. Aber anrühren darf sie ihn nicht. Stattdessen: Verkünden soll sie seine Auferstehung, und so bricht sich, aus tiefster Verzweiflung kommend, die Osterbotschaft Bahn.
Der Tod ist besiegt, Christus ist auferstanden. Die Trauer ist überwunden, Freude kann in die Herzen einziehen. Die Angst vor dem eigenen Tod wird überwunden. Der Tod steht doch auch für all das Schreckliche, das Menschen begegnet. Er steht für schwere Schuld. Wenn Christus den Tod besiegt hat, so hat er doch auch all das Schlimme überwunden. Wir vertrauen Christus, er bestimmt in unserem Leben. Dann können wir doch alles, was zum Tod gehört, hinter uns lassen, aufbrechen in ein neues Leben. Und alles, alles Andere ist vergessen. – Halt, fast alles stimmt. Nur eines nicht: das Andere ist nicht vergessen. Solange ich selber in diesem Leben stehe, trage ich in mir auch die Erinnerung an die Menschen, die mir lieb sind, die mir Wert waren. Ich denke, so ging es auch den Menschen damals in Korinth, an die Paulus seinen Brief schrieb. Sie waren ergriffen von der neuen, der christlichen Botschaft. Sie wollten, konnten alles hinter sich lassen, voller Enthusiasmus und Freude ihr Christenleben beginnen. Aber mit der Zeit merkten sie: Halt! Wir sind ja immer noch Menschen, die mitten in einer Welt voller Sterblichkeit leben. Der Tod ängstigt uns nicht mehr. Aber wir vermissen schmerzlich die, die uns schon vorausgegangen sind. Wir wissen sie in Gottes unendlicher Liebe geborgen. Aber auch wir brauchen einen Ort, an den wir unseren Schmerz tragen.
Beides soll in Einklang gebracht werden: Der Schmerz, der Verlust und das neue, das Befreiende. Neues Leben in Christus, das heißt ja nicht, alles Alte einfach abzuschütteln wie einen lästigen Gedanken. Das Alte gehört immer auch zu uns, im Guten wie auch im weniger Guten. Ich glaube nicht, dass Jesus uns zumuten wollte, uns selber und unser altes Leben zu verleugnen. Ich glaube, Jesus zeigt uns in der Auferstehung einen anderen Weg: Die Befreiung! Befreiung von den Mächten des Todes, den Mächten der Sünde. Das Alte vergeht nicht wie ein Traum am Anbruch eines neuen Tages. Es bleibt und gehört zu den Erinnerungen. Befreiung aber heißt: Jetzt sehe ich mein Leben im neuen Licht. Was dunkel war, wird hell ausgeleuchtet. Das Dunkel hat keinen Bestand mehr. Auferstehung heißt Befreiung!
Ich höre und lese die Erfahrungen der ersten Jünger, die die Auferstehung bezeugen, als Befreiungsgeschichten. Wir erwähnten schon Maria aus Magdala, die tränenblind den vergangenen Jesus sucht und ihn nicht mehr findet. Der Auferstandene zeigt ihr seine neue Gegenwart, nähert sich ihr liebevoll, ja zärtlich und nimmt ihren Schmerz wahr. Die Befreiung vom Schmerz des Todes, des Verlustes schenkt Maria Magdalena neues Leben. Das Licht des Ostermorgens erfüllt ihre zu Tode verletzte Seele mit Hoffnung, mit Mut, mit Tatkraft, Vertrauen, mit einem Wort gesagt: mit Glauben. Mit dieser Kraft reißt sie die verängstigen Jünger, die noch in der Angst des Todes Jesu, in der Angst vor dem eigenen Tod, eingesperrt leben, zu neuem Bekenntnis. Der Glaube an den Auferstandenen ist geweckt, das ist Befreiung. Befreit werden auch die beiden Freunde aus Emmaus, die gebeugt von der Last, die Kreuzigung erlebt zu haben, Jerusalem den Rücken kehren und Schutz in einem alten Leben suchen. Unerwartet und unerkannt schließt sich ihnen auf dem Weg ein vermeintlich Fremder an, der ihr Herz zum Brennen bringt. Als sie ihn als neuen Freund in ihr Haus einladen und gemeinsam das Brot brechen, offenbart er sich ihnen als Jesus Christus selbst, der Auferstandene. Befreit, voll neuer Kraft eilen sie zu den Jüngern und Jüngerinnen in Jerusalem. Von Angst, von Not, von Schuld und Versagen befreit, leuchtet ihr Leben österlich.
In all den Geschichten, in denen sich Jesus Christus der Auferstandene seinen Freunden zeigt, nimmt er ihren Schmerz mitfühlend auf und wendet ihr Leben in das neue Licht. Er begegnet Petrus und den Aposteln am See Genezareth (Johannes 21). Er sorgt für den guten Fischfang und teilt mit ihnen die Mahlzeit. Dann gibt er seinen neuen Auftrag, bleibt in ihrem Leben präsent. Das Alte ist nicht vergessen, doch verwandelt. Thomas, der Jünger, glaubt die Auferstehung nicht, bevor er nicht noch einmal die Wunde gefühlt hat (Johannes 20, 24 -29). Welch ein Symbol! Deshalb begehen wir Christen auch den Karfreitag. Wir denken an die Leiden Jesu, sparen nicht die Schuld der Jünger aus. Wir erinnern uns, bevor wir Ostern feiern, dass Jesus aus Liebe sich selbst dem Tod auslieferte. Dann ist Ostern nicht einfach ein triumphierendes Siegesgeschrei. Nein, es ist wirklich die Befreiung von dem Alten, das uns gefangen hielt. Wir verstehen die Befreiung nur, wenn wir begreifen, wovon wir befreit worden sind.
Warum stehen wir an den Gräbern, wenn wir doch wissen, dass die, um die wir trauern, nicht wirklich dort in der Erde verbleiben? Wir bekennen an den Gräbern die Auferstehung der Toten. Wir lassen sie nicht dort, wo unser trauriges Herz sie festhalten will. Ich habe, wie wahrscheinlich Viele von Ihnen, jetzt zu Ostern Blumen auf das Grab gestellt: Leuchtende Osterglocken, deren Name Programm ist. Die Kirchenglocken verkünden die Botschaft: Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden. So alt wie die Kirche ist dieser Ruf. Als kleines Abbild der großen Glocken stehen für mich nun die sonnengelben Osterglocken auf dem Grab. Ich werde erinnert, dass der Tod nicht gesiegt hat, sondern Gottes Ruf ins Leben, auch meine Befreiung. Ich darf leben, und Jesu Liebe lebt in mir. Damit kann ich durch das Leben gehen, gestärkt, ermutigt, voller Hoffnung, voll Vertrauen, im Glauben. Wenn ich die Tore des Friedhofes hinter mir schließe und in das Licht der Osterzeit hineingehe, kommt mir das Gedicht eines Mannes in den Sinn, der nie von sich behauptet hat Christ zu sein, der aber zeitlebens fasziniert war von der Kraft der biblischen Botschaft, Berthold Brecht (Berthold Brecht, in: Die Gedichte, Suhrkamp 2004).
Karsamstagslegende:
Seine Dornenkrone nahmen sie ab.
Legten ihn ohne Würde ins Grab.
Als sie gehetzt und müde
anderen Tages wieder zum Grabe kamen,
Siehe, da blühte
aus dem Hügel jenes Dornes Samen.
Und in den Blüten, abendgrau verhüllt
Sang wunderleise
eine Drossel süss und mild
eine helle Weise.
Da fühlten sie kaum
Mehr den Tod am Ort.
Sahen über Zeit und Raum
Lächelten im hellen Traum
Gingen träumend fort.
Mit dem Besuch auf dem “Erinnerungsgärtlein” , dem Friedhof, beginnt Pfarrerin Lallathin ihre Predigt. Mit vielen solchen originellen und poetischen Formulierungen erfreut die Pfarrerin den Leser und verbreitet indirekte Osterfreude. Warum brauchen wir Erinnerungsgärtlein? Christen erinnern sich, aber sehen vor allem mit dem auferstandenen Christus hoffnungsfroh in die Zukunft. Der Tod ist besiegt, die Trauer ist überwunden, Freude kann ins Herz einziehen, die Angst vor dem eigenen Tod ist überwunden. Aber die schmerzliche Erinnerung an unsere geliebten Menschen bleibt. Doch die Auferstehung heißt Befreiung. Die Auferstehung nimmt den Schmerz auf und wendet unser Leben ins neue Licht. Das erfahren wir dann auch bei Besuchen an Gräbern. – Eine besonders erfreuende Osterpredigt. Alles strahlt im hellen Licht von Jesu Auferstehung, aber die Pfarrin kennt trotz aller Poesie den Schmerz der Erinnerung. Dadurch tröstet sie besonders mitfühlend und intensiv. Eine sehr erfreuliche Osterpredigt !