“Siehe, dein König kommt zu dir…”

Predigttext: Matthäus 21, 1-11
Kirche / Ort: Johanneskirche / Heidelberg-Neuenheim
Datum: 01.12.2002
Kirchenjahr: 1. Sonntag im Advent
Autor/in: Pfarrer Dr. Klaus Müller

Predigttext: Matthäus 21,1-11(Luther-Übersetzung 1984)

Als sie nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt, und gleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir! Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen. Das geschah aber, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht: „Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.“ Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf, und er setzte sich darauf. Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Die Menge aber, die ihm voranging und nachfolgte, schrie: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe! Und als er in Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und fragte: Wer ist der? Die Menge aber sprach: Das ist Jesus, der Prophet aus Nazareth in Galiläa.

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Liebe Gemeinde!

Mit Palmen und mit Psalmen waren sie ihm entgegengezogen. Die festlich gestimmte Menge hatte sich hinausgedrängt zu den Toren der Stadt. Ihre Augen und Füße nach Osten gerichtet, zum Ölberg hin. Von dort her sollte sich der für dieses Mal vielleicht interessanteste aber auch umstrittenste Passafestpilger nähern: Jesus von Nazareth. Man würde ihm einen triumphalen Empfang bereiten. Sein Ruf eilte ihm voraus. In aller Munde war, was sich zugetragen hatte: Zwei Blinde, die am Weg saßen und ihn anflehten um Hilfe – „Herr, erbarme dich unser, du Sohn Davids!“ – habe er gesund gemacht, erzählte man sich. Heilungsgeschichten, Wundergeschichten, Siegergeschichten über Jesus machten die Runde in der Stadt.

1. Die Erwartung des Kommenden

Das Passafest lag in der Luft und damit der Duft der Veränderung zum Besseren hin, zu mehr Freiheit und mehr Gerechtigkeit. Mit Lobpsalmen wollten sie ihn willkommen heißen – die passa-festlich gestimmte Schar zu Ehren des einen besonderen Pilgers aus Nazareth. „Gelobt sei der da kommt im Namen des Herrn“. So rufen sie und nehmen damit ein Stückchen vom Passafest vorweg, indem sie Jesus einen Psalm zusingen, der in die Liturgie der Passafeier gehört. Genauso wie das Hosianna: „Hilf doch!“ – lass Knechtschaft in Freiheit münden, lass in Jubel enden, was im Schmerz begann!“

Passa – das bedeutet Erinnerung an die Anfänge der Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel, Passa das Fest der Befreiung aus Ägypten. Exodus, Auszug aus dem Sklavenhaus! Passa: Fest der Hoffnung auch auf die erneute Befreiung heute! Befreiung vom Joch der Römerherrschaft, vertreten durch den Statthalter Pontius Pilatus und seine Soldaten. „Gelobt sei, der da kommt, im Namen des Herrn.“ Davids Sohn, des großen Königs Thronfolger! Sie singen es ihm zu aus der Tiefe ihres Herzens in ihrer Passaerwartung, in ihrer Sehnsucht nach Befreiung, in ihrer gespannten Erwartung auf ein neues sichtbares Eingreifen Gottes. Wie vor Zeiten in Ägypten oder am Schilfmeer. Wann würde Gott durch seinen Gesalbten das Zepter der Weltherrschaft übernehmen?

Die so zu ihm hinausgezogen waren – Siegesfahnen schwenkend und Psalmen singend – richten ihre ganze Hoffnung auf ihn. Mit Pauken und Trompeten wird der neue Machthaber auftreten und seinen Thron einnehmen. Der da im Begriff ist, in Jerusalem einzuziehen, der könnte es sein, der könnte den Schneid und die Autorität haben, Gottes Herrschaft durchzusetzen hier und heute.

So waren sie hinausgezogen ohne zu ahnen, dass das, was da gespielt wird beim Advent des erwarteten Helden, der Anfang einer Passionsmusik ist.

2. Das Kommen des Unerwarteten

„Und als er in Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und fragte: Wer ist der?“ Dies ist eine aufregende Wendung der Ereignisse. Da schickt sich eine Schar hoffnungsfroher Christuspilger an, den Advent ihres Herrn zu feiern und die große Stadt fragt: „Wer ist der?“ Was als Triumphparade angelegt war, gerät zur offenen Frage. Und dies hat mit ihm selbst zu tun. Der adventliche Herr selbst sperrt sich dem Festtaumel. Sie wollen einen Siegeszug veranstalten, aber was macht Jesus? Wieder einmal fällt er aus dem Rahmen unserer Erwartungen. Wieder einmal wirft er die religiösen Vorstellungen über den Haufen. Das hat ja schon mit dem armseligen Kind in der Krippe angefangen – schon dies hat nicht ins Schema gepasst. Und so ging es weiter, immerfort. Jesus, der Freund der Sünder und Zöllner passte ebenso wenig zu einem Mann, dessen Karriere ihn zum Königstitel führen sollte.

Jesus bringt den protokollarischen Ablauf jener gut gemeinten Siegesparade am Stadttor von Jerusalem gehörig durcheinander – mit seinem Eselchen. Die Leute sind verwirrt, verunsichert, aufgebracht. „Wer ist der?“ Diese Frage wird sich noch verstärken, wenn er tags drauf im Tempel die Geldwechsler hinausjagen wird. „Wer ist der?“
Sie verstehen nicht! Einem König zujubeln, dem König von Israel, dazu hätte man sich verstehen können – aber nun ein Mann auf einem Eselchen, irgendwo ausgeliehen zum Zwecke irgendeiner Symbolhandlung?! Was soll das denn?

3. Der Esel ist Botschaft und Programm

Zu allen Zeiten zwingt Jesus die Schar derer, die mit ihm zu tun bekommen, zum Umdenken. Er mischt in die Siegesfreude am Ölberg den Zug von etwas Eselshaftem. Jesus ist anders. Er rückt Vorstellungen zurecht und mutet uns zu, immer wieder neu an ihm selbst zu lernen, wer er ist. Er bringt einen Esel mit. (Warum es gleich zwei sind, darüber spreche in gleich.) So dass einige am Ölberg sicher schallend losgelacht haben. Einen Esel! Nicht auf dem hohen Ross des Siegers kommt er daher, nein auf einem Eselchen.

Dieser Esel ist für Jesus in diesem Moment nicht bloß ein Beförderungsmittel. Im Esel steckt seine Botschaft. Am Esel sollen wir den Sinn seines Kommens ablesen! Er ist zum Ziehen da, zum Schuften, zum Rackern für andere. Das Tragetier armer Leute! Wer? Jesus oder der Esel? Beide! Er wird sich wie ein Esel verhalten, dieser Jesus, wenn er nach Jerusalem kommen wird. Er wird seinen Mund nicht auftun, wenn er beschuldigt wird, wenn er geschlagen wird. Er wird auf die Legionen Engel verzichten, die er sich von seinem Vater im Himmel erbitten könnte. Er wird seine Verräter und die ihn in der Todesstunde im Stich lassen werden, weiter „Freunde“ nennen.

Alle werden sie den Kopf schütteln über diesen Esel am Kreuz. Und 100 Jahre später wird man in Rom in einer Höhlenzeichnung ein antichristliches Spottbild dargestellt finden: der Gekreuzigte mit dem Körper und dem Kopf eines Esels.

Das ist unser König, der da kommt im Auftrag Gottes. Das ist unser König, den wir heute willkommen heißen am 1. Advent und ihm die Tore weit und die Türen in der Welt hoch machen. Er ist anders. Seine Herrschaft ist nicht von der Art, wie in der Welt geherrscht wird. Sein Reich ist nicht von dieser Welt. Er ist anders als wir ihn erwarten.

4. Den Propheten beim Wort genommen

„Das ist Jesus, der Prophet aus Nazareth in Galiläa“ (V. 11) ist die erste tastende Antwort auf die Frage der Jerusalemer: „Wer ist der?“ Ein Prophet und einer der sich nicht nur auf das Eselshafte, sondern auch auf das Prophetische versteht. Der da kommt im Namen des Herrn, stellt sich ganz hinein in die Heiligen Schriften seines Volkes. Jesus findet im prophetischen Wort des Sacharja (9,9) die Deutung seines Kommens: „Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin.“

Nehmen wir den Propheten Sacharja an zwei Stellen genauer beim Wort: Wenn man den Vers aus dem hebräischen Text genau überträgt, dann heißt es: Siehe dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein – jetzt nicht wie Luther übersetzt – ein Helfer, sondern ein Hilfsbedürftiger, einer der selbst der Hilfe bedarf, der sich auf eine Stufe stellt mit den Hilfsbedürftigen dieser Welt. Nur so kann er mir helfen, wenn er selbst erleben und erleiden muss, was Hilflosigkeit bedeutet. Er wird ganz der Hilfe bedürftig sein, unser König auf dem Eselchen, abhängig vom Vater im Himmel, wenn ihn der Weg hinausführen wird nach Golgatha. Der 1. Advent hat viel zu tun mit dem Palmsonntag.

Und die zweite Stelle bei Sacharja beim Wort genommen lautet: „Siehe, dein König kommt zu dir … und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen der Eselin.“ Und – als wären es tatsächlich zwei Esel: ein älteres Lasttier und ein junges Füllen. Doch wir kennen diese Stilform der hebräischen Sprache der Bibel, dass eine Sache zweifach zum Ausdruck gebracht wird. Hier darf eigentlich nicht eins zum anderen addiert werden, sondern kann eins durchs andere genauer verstanden werden. „Er reitet auf einem Esel, das heißt genauer gesagt: auf dem Füllen eines Lasttiers.“ Das weiß auch Matthäus. Aber der Evangelist geht aufs Ganze, wenn es darum geht, die Treue Jesu zum prophetisch-biblischen Wort zu betonen. Wenn kein Jota am biblischen Wort vergehen darf, wie der Bergprediger Jesus bei Matthäus bereits an früherer Stelle gesagt hat, dann doch wohl auch nicht ein ganzes „und“. Darum zwei Esel.

Aber wichtiger als die Zahl der Esel ist, was er transportiert – jener einziehende König von eigener Art. Was er mitbringt an Vorstellungen, steht bei Sacharja direkt in der Fortsetzung, die wir am 1. Advent ganz genau hören sollten: „Denn ich will die Wagen wegtun aus Ephraim und die Rosse aus Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde“ (9,10).

Dies bringt er mit, der adventliche Herr: den unbedingten Friedenswillen für eine gefährdete Welt. Da braucht es eins, zwei, da braucht es viele Träger und Lasttiere, um mitzuhelfen diese Botschaft zu transportieren: Frieden von einem Meer zum anderen, vom Strom bis an die Enden der Erde.

So weit sind wir noch nicht. Aber wir werden es noch sehen. Das Heil für die ganze Welt, der große Friedensschluss Gottes mit der ganzen Kreatur am Ende der Zeit wird vom Ölberg ausgehen. Dann werden wir wiederum den Propheten Sacharja beim Wort nehmen können, wenn er den zukünftigen Advent des göttlichen Friedensfürsten ansagt mit den Worten (14,4.9): „Und seine Füße werden stehen zu der Zeit auf dem Ölberg, der vor Jerusalem liegt nach Osten hin. Und Gott der HERR wird – endgültig – König sein über alle Lande.“

Amen.

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