Der Engel Predigten und Singen war nicht vergebens
Predigttext: Lukas 2, 15—20 (Übersetzung nach Martin Luther, Rev. 1984)
Und da die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Joseph, dazu das Kind in der Krippe liegen. Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich der Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott um alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war. Predigt aus: Luther Deutsch, Die Predigten, 2. Auflage, Stuttgart 1965 (= Luther Deutsch, Die Werke Martin Luthers in neuer Auswahl für die Gegenwart, hg. v. Kurt Aland, Bd. 8)Zum ersten
sieht man hier an den Hirten, dass der Engel Predigen und Singen nicht vergebens gewesen ist. Denn so lieb lassen sie sich ihre Herden nicht sein, sie machen sich auf und wollen das Kindlein sehen, welches die Engel selbst einen Herrn nennen. Das ist eine Frucht, die da aus der Engel Predigt folgt. Die andere Frucht ist, dass die Hirten auch zu Predigern werden und jedermann sagen, was sie von diesem Kindlein gehört haben. Sie gehen hin und predigen in dem Wirtshause und anderswo, was sie gehört und gesehen haben. Solchem Vorbild sollen wir folgen, Christus im Wort suchen, an ihn glauben und ihn öffentlich vor jedermann bekennen.
Zum zweiten
sieht man, wie sich das Volk zu dem neugeborenen Kindlein stellt. Denn der Evangelist sagt: »Alle, vor die es kam, wunderten sich der Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten«. Sie verwundern sich alle, aber sehr wenige glaubens. Bei dem größten Teil ists ein solch Wundem gewesen, das nicht lang gedauert hat. Denn das weiß man aus Erfahrung, dass Gott unter seinem Regiment solche Menschen hat; er tue ihnen gut oder übel, er stäupe sie oder gebe ihnen gute Worte, so ists bald vergessen. So ein schändlich Ding ists um eines Menschen Herz, dass es so schnell eine Sache vergisst und unsern Herrgott immerdar austreibt, so dass er stets neue Wunderzeichen und Strafen ergehen lassen muss, sollen wir wach sein und seiner Wohltat gedenken, sonst wirds gar bald vergessen. So ist auch dies hier zu verstehen, dass der Evangelist sagt: »Al!e, vor die es kam, wunderten sich der Rede«. Man hat von dieser Geschichte etwa ein Vierteljahr geredet, dass ein Kindlein zu Bethlehem geboren sei, von dem die Engel in den Lüften gepredigt und zu dem die Weisen aus dem Morgenland gezogen sind und es angebetet haben. Aber ehe zwei, drei oder vier Jahre vergangen sind, hats jedermann vergessen. Und hernach, über dreißig Jahr später, als der Herr auftrat, predigte und Wunderzeichen tat, ists ganz vergessen gewesen und hat niemand etwas mehr davon gewusst, dass zu Bethlehem je solch Kind geboren worden sei.
Zum dritten
wird uns hier an der Maria ein Beispiel derer hingestellt, die Gottes Wort recht hören und behalten. »Maria«, sagt der Evangelist, »behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen«. Das ist, sie bedachte es fleißig, eben wie die tun, die Gottes Wort festhalten, darüber nachsinnen und es bedenken, die finden je länger je mehr größere Bedeutung und Trost darinnen und werden von Tag zu Tag ihres Glaubens gewisser. Die ruchlosen Geister aber, die es mit einem Ohr hören und zum ändern wieder hinauslassen, man predige ihnen solange und soviel man wolle, behalten es so lange, wie ein Schlag ins Wasser zu sehen ist. Das tut Maria nicht; der ist daran gelegen gewesen, darum behält sie es, schreibt es in ihr Herz, bewegts, das ist, sinnt ihm nach, denkt bei sich selbst: Was bedeutet das? Es ist ein überaus groß Ding, daß ich des Kindes Mutter sein soll, bei dem die himmlischen Engel sind, von dem sie predigen und singen: Es sei der Welt Heiland, Christus der Herr. Mit solchen Gedanken ists ihr so tief ins Herz hineingesunken, dass sie es hat behalten müssen, und wenn gleich die ganze Welt dagegen gewesen wäre und gesagt hätte, dies Kind sei nicht der Welt Heiland, so hätte es ihr doch niemand nehmen noch ausreden können, sie wäre fest darauf geblieben, ihr Sohn wäre Gottes Sohn und der ganzen Welt Heiland und Herr.
Diesem Beispiel der heiligen lieben Mutter des Herrn sollen wir folgen (denn darum ists uns vorgeschrieben) und auch mit solchem Fleiß und Ernst das Wort in unser Herz einprägen, dass gleichsam ein ganzes daraus werde. Wie im 8. Kapitel des Hohenliedes (V. 6) steht: »Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm«. Da will er, dass sein Wort uns nicht allein auf der Zunge schwebe wie ein Schaum auf dem Wasser oder Geifer im Munde, den man ausspeit, sondern dass es ins Herz hineingedrückt werde und ein solch Kennzeichen bleibe, welches niemand abwaschen kann, gerade als wäre es drin gewachsen und ein natürlich Ding, das sich nicht herauskratzen lässt. Ein solch Herz ist das der Jungfrau Maria gewesen, in welchem diese Worte wie hineingegraben geblieben sind. Alle nun, die das Wort so erfassen, die haben das rechte Kennzeichen Christi, das rechte Siegel und Merkmal, lassen sich das Wort nicht nehmen, es stehen gleich Rottengeister auf oder der Teufel selbst. Wie sie einmal davon gehört und geglaubt haben, so bleiben sie dabei. Bei den ändern, ob sie es gleich hören und sich darüber verwundem, bleibts doch nicht lange, sondern es ist bald vergessen. Nun folget weiter: »Die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott um alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war«.
Zum vierten
Nachdem die Hirten das Kindlein Jesus gesehen und das Geschrei von ihm allenthalben verbreitet haben, dass die ganze Stadt Bethlehem davon zu sagen weiß, da gehen sie wieder hin zu ihren Herden, preisen und loben Gott, singen auch und sprechen: Gott sei Lob und Dank, der uns das neugeborene Kindlein hat offenbar werden und finden lassen, wie sie denn von den Engeln gehört und gelernt hatten, die da sangen: »Ehre sei Gott in der Höhe« usw. Dies ist auch eine feine, gute Lehre, dass die Hirten, nachdem sie erleuchtet und zur rechten Erkenntnis Christi gekommen sind, bei ihrem Beruf bleiben und so ihrem Nächsten dienen. Denn der rechte Glaube macht nicht solche Leute, die das äußerliche Leben fahren lassen und ein neues anheben, wie z. B. die Mönche meinten. Christus kommt nicht so, dass er äußerliche Dinge ändern oder seine Schöpfung zerstören und anders machen wolle. Darum soll man den Leib nach Notwendigkeit, und wie es überall ist, kleiden, seine Nahrung geben und zur Arbeit brauchen. Das ist Gottes Schöpfung und Ordnung, da lässt ers bei bleiben. Er ist nicht gekommen, dass er etwas daran ändern wolle.
Das ist aber die rechte Änderung, um welcher willen Christus gekommen ist: dass ein Mensch inwendig im Herzen anders werde. Gleichwie ich nun ein ander Herz, Mut und Sinn habe als damals, bevor das liebe Evangelium wieder an den Tag kam. Damals meinte ich, Gott nehme sich meiner nicht an, dachte auch nicht, dass ich Gott dienete, wenn ich in meinem Beruf bliebe und mein Amt ausrichtete. In Summa, ich kannte Gott nicht, ich wusste nicht, wie ich Sünde und Tod überwinden, in den Himmel kommen und ewig selig werden sollte. Ich meinte, ich müsste das alles mit meinen Werken ausrichten. Daran aber liegts, dass das Herz erleuchtet werde und, wie oben gemeldet, ein neues Siegel kriege, dass es sagen könne: Ich weiß, daß Gott sich meiner annimmt und mich mit Treue meint, denn er hat seinen Sohn gesandt, ihn Mensch werden lassen, dass ich durch ihn Sünde und Tod überwinden und das ewige Leben haben soll.
Das ist nun die rechte Änderung. Denn so etwas hat mein Herz zuvor nicht gewusst noch geglaubt. Nun aber weiß es und glaubt, ist deshalb auch ganz und gar anders gesinnt als zuvor. Das richtet unser lieber Herr Christus an, dass das Herz und die Seele ein ganz neues und anderes Verständnis, Willen, Lust und Liebe kriegen. Das ist z. B. so: Wo zuvor der Mensch nach Geld und Gut getrachtet hat, setzt er jetzt, nachdem er zur Erkenntnis Christi gekommen ist, nicht allein Geld und Gut, sondern auch Leib und Leben aufs Spiel, ehe er Christus und sein Wort lassen wollte. Zuvor hätte sein Herz nicht einen Heller um des Glaubens willen verlieren wollen, jetzt ließe er sich Christus nicht nehmen, wenn es schon tausend Welten kosten sollte.
Den Hirten fiel es nicht ein, dass Christus, der Heiland, geboren sein sollte. Nun sie es aber von den Engeln hören, laufen sie in die Stadt und suchen das Kindlein. Da sie es gefunden, von ihm gepredigt und Gott für solche Gnade und Offenbarung gedankt haben, kommen sie wieder zu ihrer Herde, haben nur einen Rock und Stab wie zuvor, bleiben Schäfer, ändern an dem äußerlichen Wandel nichts. Das heißt christlich gelehrt und gelebt. Denn Christus ist nicht gekommen, die Schöpfung zu ändern, bis zum Jüngsten Tag. Wenn die Seele vorher vollkommen und neu geändert ist (was hier auf Erden durch das Evangelium nur anfängt), dann wird auch der Leib geändert werden, dass wir nicht mehr einer warmen Stube, Kleidung, Essen oder anderes bedürfen, sondern wir werden in den Lüften schweben wie die Engel und leuchten wie die schönen Sterne. Da wird das Äußerliche auch anders werden, da werden wir nicht essen, nicht ruhen, nicht schlafen, keinen Rock anhaben usw. Aber vor diesem Tag soll alle äußerliche Kreatur bleiben, wie sie Gott geordnet hat und keine Änderung geschehen.
Danach soll sich ein jeglicher in seinem Stande und Beruf richten, züchtig, gerecht und gottselig leben und wissen, dass solch äußerliches Wesen den christlichen Glauben nicht hindert. Auch fragt Christus nicht danach, ob du äußerlich ein Mann oder Weib seiest, Kaiser oder Stallknecht, Bürgermeister oder Scherge; solches lässt er alles bleiben und sagt: Du sollst Gott in solchem Stand und Leben gehorsam sein und davon nicht abstehen.
Darum taten die Hirten auch nicht mehr, als dass sie Gott lobten und priesen. Sie sagen nicht: Ich will fortan Gott so dienen, dass ich in eine Wüste laufen und in der Welt unter den Leuten nichts mehr tun, sondern allein in einem beschaulichen Leben Gott mit Fasten und Beten dienen will. Nein. Ursache: solches heißt nicht Gott dienen, sondern aus dem Gehorsam treten und dir selbst dienen. Gort aber dienen heißt, wenn man in dem Stand bleibt, in den dich Gott eingesetzt hat, dass Mann Mann, Weib Weib bleibe, Kaiser Kaiser, Bürger Bürger bleibe, und ein jeder in seinem Stand Gott erkennen lerne und ihn preise, so dient er ihm recht. Denn er bedarf deiner Mönchstracht und deines Fastens nicht, sondern dass du in deinem Stand und Beruf gehorsam seiest und seinen Sohn preisest, so dienst du ihm recht.
So sehen wir auch in den Propheten, dass unser Herrgott zornig drüber ist, wo das Herz ungeändert bleibt und die Menschen sich dennoch um ihrer äußerlichen Werke und Gottesdienst willen für fromm halten. Was plagt ihr mich mit eurem Opfer? sagt Jesaja 1 (1ff.), Jeremia 7 (21 ff.) und Psalm 50 (9 ff.): Gehet hin, fresset euer Fleisch selbst und habt ein böses Jahr dazu. Wenn ichs brauche, will ichs immer eher kriegen, als ihr es mir opfert; habe ichs euch doch nicht aufgetragen. Das aber habe ich euch geboten, dass ihr meiner Stimme gehorchen, mich loben und mir danken sollt. Schafe, Kühe, Ochsen habe ich euch gegeben, damit ihr sie essen sollt. Ihr aber wollt mir damit schmeicheln, als müsste ichs von euch erbetteln. So ist es den Propheten also auch allenthalben darum zu tun, dass das Herz geändert und wir vor allen Dingen gegen Gott recht gesinnet seien.
So wills sich Gott gefallen lassen. Denn dass du ein Christ seiest und Gott wohlgefallest, das ist nicht am äußerlichen Leben gelegen, sondern an deinem Herzen, dass du wissest, dass Jesus der rechte Heiland sei und dich sein tröstest, Gott dafür dankest und lobest. Alsdann will Gott sich das andere äußerliche Leben oder Stand gefallen lassen. Darum sollen wir gar wohl lernen und fleißig merken, dass wir den christlichen Glauben nicht vom Wort noch die Gottseligkeit auf äußere Werke setzen. Solches ist wider den Strom und die eigentliche Meinung des christlichen Glaubens: der will das Herz haben. Auswendig soll es gehen, wie Gott einen jeden gefordert hat und es üblich ist. Solches soll bis in jenes Leben bleiben, da soll der Leib auch schön und rein werden. In diesem Leben mögen wir die unreine Haut tragen, aber dort werden wir ganz rein werden. Dazu helfe uns Christus, unser Heiland, Amen.