“Der Dornbusch brennt noch immer”

Predigttext: 2. Mose (Exodus) 3, 1-10
Kirche / Ort: Heidelberg
Datum: 19.01.2003
Kirchenjahr: 2. Sonntag nach Epiphanias
Autor/in: Pfarrer Heinz Janssen

Predigttext: 2.Mose 3,1-10 (Übersetzung nach Martin Luther, Rev. 1984)

1 Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Steppe hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb. 2 Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, daß der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde. 3 Da sprach er: Ich will hingehen und die wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt. 4 Als aber der HERR sah, daß er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. 5 Gott sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land! 6 Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. 7 Und der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. 8 Und ich bin herniedergefahren, daß ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie herausführe aus diesem Lande in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt, in das Gebiet der Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter. 9 Weil denn nun das Geschrei der Israeliten vor mich gekommen ist und ich dazu ihre Not gesehen habe, wie die Ägypter sie bedrängen, 10 so geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst.

Gedanken zur Predigt

Mir ist wichtig, die Bedeutung der Berufungsgeschichte des Mose im Zusammenhang eines Epiphanie-Sonntags auszusprechen. Es geht um die Wahr-Nehmung unserer Berufung. Ein einladendes und zugleich entlastendes Paradigma stellt die Art und Weise der Berufung Moses dar. Mose sträubt sich mit allen Mitteln, Gottes ihm ganz persönlich geltenden Ruf zu folgen, und er erfährt, wie Gott immer wieder neu einen Weg zu ihm sucht. Ich möchte zwei Grunderfahrungen herausarbeiten, die im Bibeltext miteinander eng verbunden sind: die mystische Erfahrung der heiligen "brennenden" Nähe Gottes (seiner Erscheinung, "Epiphanie"), und die Erfahrung, dass Gott mit seinem Volk hier und jetzt und in Zukunft etwas zu tun und befreiend wirken will. Epiphanie und Berufung/Beauftragung stehen in einem inneren Verhältnis; ich denke dabei auch an den Zusammenhang zwischen der Taufe Jesu ("die Himmel öffneten sich") und dem gleich darauf folgenden Beginn seines öffentlichen Wirkens. Gott hat das Elend seines Volkes gesehen und sucht Verbündete, um dem brennenden Leid mit brennender Leidenschaft entgegenzutreten. Die Geschichte von der Berufung des Mose stärkt das Vertrauen darauf, dass Gott über die Leiden seiner Geschöpfe nicht hinwegsieht, sondern sie sieht und sich den "Pharaonen" der Gewalt, der Menschen- und Lebensverachtung entgegenstellt. Dadurch ein im tiefsten Sinn mit-leidender Gott. Bis heute sucht dieser Gott (der "Ich bin für euch da", 2.Mose 3,14!) Menschen, die - wie damals Mose und andere vor und nach ihm - seinen Ruf hören und ihm folgen. Der Dornbusch brennt noch immer.

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Liebe Gemeinde!

Es ist die “Erscheinung” Gottes im brennenden Dornbusch, die die Auswahl dieses Predigttextes für einen “Epiphanias”-Sonntag begründet. Für mich hat er noch wegen der darin erzählten Berufung des Moses eine besondere Bedeutung im Hinblick auf die Ämter in unserer Kirche, auf unseren Auftrag als Christinnen und Christen.

I. Am Hauseingang des Jüdischen Seminars in New York ist in Erinnerung an die Geschichte von der Berufung des Mose ein Relief mit dem brennenden Dornbusch zu sehen. Darunter steht in englischer Sprache: “And the bush was not consumend” – ” Und der Dornbusch wurde nicht verzehrt”. – Wirklich ? so mag man sich heute fragen, brennt er noch immer? Aber wer sieht ihn denn, den brennenden Dornbusch am Horeb? Und wer hört die daraus hervorgehende Stimme Gottes?

Gott ruft Mose beim Namen und fordert ihn auf, die Sandalen auszuziehen. Mose war gerade dabei, die Schafe seines Schwiegervaters zu hüten, und er war auf der Flucht, wie wir aus dem vorangehenden Kapitel erfahren. Weil er einen Ägypter erschlug, der seinerseits einen hebräischen Bruder mißhandelte.

II. Ein Hirte, ein Mensch, der gegen Unrecht kämpfte, dabei auch selbst schuldig wurde, betritt barfuß “heiliges Land”, wird von Gott beim Namen gerufen. Kein “Heiliger ” ist dieser Mose zu diesem Zeitpunkt, aber er betritt “heiliges Land” – “Boden der Heiligung”, so hat Martin Buber die Bibelstelle übersetzt. Mose begegnete dem Heiligen.

Zwei Grunderfahrungen benennt diese alte biblische Geschichte von der Berufung des Mose: die mystische, die innere Erfahrung von der Gegenwart Gottes, und die Erfahrung, dass Gott mit seinem Volk hier und jetzt und in Zukunft etwas zu tun haben will.

Beide Erfahrungen sind in der biblischen Geschichte aufs engste miteinander verbunden. Bei uns kommen sie, wenn überhaupt, nur getrennt vor. Aber diese neuzeitliche Trennung zwischen mystischer Gotteserfahrung und dem alltäglichen persönlichen und gesellschaftlichen Leben, zwischen Spiritualität bzw. Frömmigkeit und dem praktischen Tun, zwischen Kirche und Politik, findet in der Geschichte von der Berufung des Mose nicht statt.

Die Stimme Gottes und der Rückweg des Mose nach Ägypten zu seinen Schwestern und Brüdern – beides gehört zusammen. Gott sah, rief, sprach mit Mose. Der brennende Dornbusch und “der Boden der Heiligung” sind Hinweise auf diese Erfahrung. Das Heilige selbst bleibt unberührbar, unbetretbar und unsichtbar. Ein Tourist hätte nichts auf seinem Film gefunden.

Und doch war das, was da geschah, ein Offenbarwerden, gewisser als alle Gewissheiten. Mose zweifelte nicht an der Gegenwart des Heiligen. Die Lehre von Gott, der Glaube der Menschen, für die Gott gegenwärtig ist, Zuversicht und Stärke in den großen Nöten, sind nicht widerlegt oder aufgebraucht. Der Dornbusch brennt noch immer.

III. Aber Höhepunkt der Geschichte von der Berufung des Mose ist nicht die Gotteserscheinung, die sogenannte Epiphanie, sondern der Auftrag, den Mose bekam. “Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört, ich habe ihre Leiden erkannt”, sprach Gott. Also gerade das hat Gott gesehen, das Elend, die Schreie der Gequälten, das Leid. Darum beauftragt Gott Mose: “So geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten aus Ägypten führst.”

Wäre Gott nur jener Unnahbar-Heilige, es genügte, ihm die Ehrfurcht zu erweisen und mit Goethe das Unerforschliche ruhig zu verehren”. Wäre er nur “der Gott der Väter”, die Achtung vor der Tradition wäre durchaus genug.

Das Besondere aber in der Geschichte von der Berufung des Mose ist, dass Gott den gegenwärtigen Schrei des Volkes wahrnimmt. Das tatsächliche Ergehen seiner Geschöpfe, deren brennendes Leiden, ist das, worum Gott sich sorgt. Ihretwegen brennt das Feuer im Dornbusch, Symbol für Gottes leidenschaftliches Ringen um uns Menschen.

IV. Die Worte Gottes “Ich habe das Elend meines Volkes gesehen, ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört und ihre Leiden erkannt”, wurden in den letzten drei Jahrzehnten unseres Jahrhunderts zum Ausgangspunkt einer leider zu Unrecht umstrittenen und gebrandmarkten “Theologie der Befreiung” und damit der Hoffnung auf Gott, dem Elend und Leid bis heute nicht gleichgültig sind.

Christen aus den Ländern der Elendswelt, der sogenannten “Dritten Welt”, lesen, hören und beten diese Gottesworte als grundlegende Hoffnung ihres Glaubens. Sie halten sich daran fest, und diese Worte Gottes sind der Grund, warum sie nicht aufgeben. Sie glauben, dass Gott das Elend ihres Volkes sieht und ihr Schreien hört. Sie glauben tatsächlich, dass Gott sie aus der Hand der Bedränger errettet. Und mit ihnen vertrauen viele darauf, dass Gott ihr Elend sieht und das Leid eines jeden Menschen.

Gott – das wissen Christen, und wir verdanken es der israelitisch-jüdischen Tradition der Hebräischen Bibel, der Bibel Israels, dem Ersten Testament – Gott hört unser Wimmern und Weinen und wendet sich uns zu. In den Gebeten, auf denen seine Verheißung ruht, dürfen wir es erfahren, und wir dürfen es spüren im Heiligen Abendmahl, das uns mit ihm und seinem Christus verbindet und stärkt.

V. Bis heute gibt es die “Pharaonen” der Gewalt, der Menschenverachtung, der Machtbesessenen, Gleichgültigen und Lieblosen , der Gerüchte und üblen Nachrede. Bis heute sucht Gott Menschen, die zu ihnen hingehen, sich ihnen entgegenstellen und sich für Gerechtigkeit und Freiheit engagieren – wie in der Geschichte von der Berufung des Mose. Gott sucht auch bei uns die Wachsamkeit in der Auseinandersetzung mit neuen Menschenbildern in der Medizin oder in der Biologie mit Möglichkeiten und Grenzen der Gentechnik.

Für unseren Dienst in der Kirche gilt, was der Liederdichter ausgesprochen hat: “Und allein von seinem Brennen nehme unser Licht den Schein…”.

“Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedrängen gehört”, sagt Gott. Ist es denn das Interesse Gottes, allein zu sehen und zu hören? – Nein, Gott versucht ja gerade, Mose in dieses Sehen und Hören hineinzuziehen. Ein leuchtendes Zeichen der Gegenwart Gottes, seiner brennenden Liebe für seine Geschöpfe – der Dornbusch brennt noch immer. Amen.

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