Epiphanie und Taufe

Predigttext: Jesaja 60, 2
Kirche / Ort: Providenz-Kirche / Heidelberg
Datum: 19.01.2003
Kirchenjahr: 2. Sonntag nach Epiphanias
Autor/in: Professor Dr. Richard Rieß

Kanzelgruß

"Gnade sei mit Euch und Friede, von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen."

Kanzelgebet

Lasst uns in der Stille um den Segen des Wortes Gottes beten: "DENN BEI DIR IST DIE QUELLE DES LEBENS UND IN DEINEM LICHT SEHEN WIR DAS LICHT. AMEN."

Predigttext

Das Wort, das unserer Predigt zu Grunde gelegt ist, stammt aus dem Prophetenbuch des Jesaja, dem 60. Kapitel. Es ist zugleich der Taufspruch von G. H. und lautet: "ÜBER DIR GEHT AUF DER HERR UND SEINE HERRLICHKEIT ERSCHEINT ÜBER DIR." Jesaja 60, 2

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Liebe Gemeinde,
insbesondere liebe Tauffamilie!

Die Taufe Ihres Kindes und Ihres neuen Gemeindegliedes an der Providenz-Kirche Heidelberg, die Taufe von G. H., haben wir mit Bedacht in dieser Zeit, der Epiphaniaszeit, gehalten. Es ist dies -ähnlich wie die Osterzeit – der Tradition nach eine für Taufen bedeutsame Zeit im Kirchenjahr. Schon deshalb, weil sich mit ihr eine Welt von faszinierenden Bildern verbindet: wie zum Beispiel die Metaphorik von den drei Königen oder Weisen aus dem Morgenland oder die Taufe von Jesus im Jordan durch Johannes den Täufer. Und wohl auch deshalb, weil uns in diesen Wochen des Winters noch deutlicher als sonst zu Bewusstsein kommt, was Licht bedeutet, jenes Wunder an Glanz, Helligkeit und Wärme, das unsere Welt, dieser Kosmos aus Pflanzen, Tieren und Menschen, so dringend zum Leben braucht.

Epiphanias – das ist, ganz ähnlich wie Advent, Weihnachten und Ostern, die große Zeit des Lichtes und der Lichter, so wie die Taufe und die Taufkerze als Sinnbilder für das Licht des Lebens stehen. Auch die Bilder des Taufspruches geben auf ihre geradezu poetische Weise die Bedeutung des Lichtes wider: die Herrlichkeit Gottes geht auf wie ein Stern, scheint auf wie die Sonne und spiegelt sich mit ihren Reflexen im Lächeln der Mutter und in den leuchtenden Augen des Vaters.

Epiphanias. Erscheinung. Ein vieldeutiges Wort, auf den ersten Blick wenigstens: Er hatte eine Erscheinung im Traum. Sie ist eine attraktive Erscheinung. Es, das Kind, erscheint sozusagen auf der Bildfläche und bezaubert mit seinem Charme alle Beteiligten und bald schon die halbe Welt.

Mehr noch. Es erscheint so vieles in letzter Zeit: ein neuer Erzählband von Umberto Eco, ein neuer Shooting Star in der Pop-Szene, ein neues Modell von Porsche – und was da auch immer am Markt, auf dem Bildschirm oder am Himmel unserer Zeit erscheinen mag. Wir leben in einer Welt von Erscheinungen, von glitzernden und leuchtenden Erscheinungen – und je mehr sie glitzern und je mehr sie leuchten, um so mehr finden sie die Aufmerksamkeit eines faszinierten Publikums. Zumeist freilich bewegen sich solche Erscheinungen, solche – im Fremdwort gesprochen – Phänomene doch eher an der Oberfläche, gehen über uns auf wie ein Feuerwerk in der Silvesternacht und verglühen doch wieder am Horizont.

Es nimmt nicht wunder, dass nachdenkliche Menschen aller Zeiten unsere Wirklichkeit immer wieder als zwiespältig und zerklüftet empfunden haben: zerklüftet und aufgespalten zwischen der Oberfläche und der Tiefe, den Phänomenen und der Grundidee, den Symptomen und dem Kern.

Wir treffen hier im Grunde auf eine lange Geschichte des Nachdenkens, für die Namen zu nennen wären wie Plato oder Heidegger, Paracelsus oder Einstein – und wie immer man auch zu dieser Geschichte steht – es kommt in ihr zumindest eine grundlegende Einsicht zum Tragen: Dass unsere Welt nicht monoton, nicht einförmig, nicht glatt gestrickt ist, sondern vielmehr komplex, tiefgründig und kunstvoll geordnet: die winzige Körperzelle wie der große Kosmos der Sterne, das Atom wie das Gen. Und dass es der Entdeckung und des ehrfürchtigen Blicks, der Intuition und – ich sage es mit Bedacht – der Offenbarung bedarf, um durch die Erscheinungen hindurch, ja in den Erscheinungen selbst etwas vom Geheimnis des Lebendigen zu erfahren. Wahrscheinlich sind dazu in der Tat die Kinder, die Wissenschaftler oder die Künstler in besonderer Weise imstande:

Kinder zum Beispiel, Kinder, die den Dingen nachgehen und mit ihren Fragen und in aller Ernsthaftigkeit ihre Botschaft ergründen wollen, des Schmetterlings, der Eidechse und des Vogels, und zugleich doch Staunende bleiben und den Dingen ihr Geheimnis lassen, ganz ähnlich wie die Künstler auch. Helmut Ammann zum Beispiel- ein väterlicher Freund und Künstler von Gottes Gnaden – hat am Ende seines Lebens im Anschluss an Novalis einen wundervollen Text verfasst, den ich gerne hier mit Ihnen teilen möchte. Er trägt den etwas umständlichen Titel: „Geheime Grundstrukturen und sonderbare Konjunkturen des Zufalls“, darin schreibt er unter anderem:

„ Ohne Zweifel gehören die Künstler zu denjenigen Menschen, die ein besonderes Sensorium für die Rätselsprache haben, von der Novalis berichtet. Entsprechend dem in ihnen angelegten Kompositionstalent finden sie Zusammenhänge, die sie in allen nur möglichen Materialien sichtbar und tastbar zu machen suchen … Die Suche nach dem Grundmuster, nach der ursprünglichen Struktur aller Erscheinungen, das Sich-Einschwingen in das Gefüge, und das Sichtbarmachen solcher Zusammenhänge. Das ist es, wofür ich brenne … Im Zusammenhang mit dieser neuen ,Beziehungswirklichkeit’ wird deutlich, wie sehr sich unser Sehen seit dem vergangenen Jahrhundert verändert hat. Wir haben eine andere Perspektive gewonnen.

Schon wenn wir über eine Landschaft fliegen, zeigen sich Entsprechungen. Wir sehen sie dann in ihren Strukturen, in ihrem Gefüge, in ihrem Geschiebe aus gegensätzlichen Schraffuren, in rhythmischen Wellenbewegungen. Zusammengefasst möchte ich sagen: Wir haben ein neues Strukturbewusstsein gewonnen auf allen Gebieten… Der abendländische Mensch hat im allgemeinen Mühe, sich auf diesen Weg einzustellen. Er fasst sein Ziel fest ins Auge, um zu treffen, er sucht, um zu finden. Der Wille bestimmt sein Tun. Er kennt nicht den beglückenden, anderen Weg des absichtslosen Entdeckens und spielerischen Wahrnehmens, den des Novalis, dessen Einsichten mit denen östlicher Denkweisen vielfach übereinstimmen entsprechend dem taoistischen Spruche: , Wollen ohne Wollen wollen.’

So kann es zum Beispiel unverhofft geschehen, dass schon ein kleines Stück Baumrinde am Wegrand mir bedeutsam wird in seiner Schichtung, die mich lockt, mit dem Taschenmesser eine Art Runenzeichen hineinzuschneiden, oder ich finde einen bemoosten Zweig von seltsamer Formation, oder ein Steinchen, das ich mit der Hand umfassen kann, um seine Form auf mich wirken zu lassen. Und der eigentümliche Magnetismus zwischen dem geheimnisvollen Gefüge des gefundenen Stückes und der träumenden Seele, die nach Gestalt dürstet, setzt dann ein.

Erstaunliche Verwandlungen geschehen: Drei kleine Mosaiksteinchen von verschiedener Farbigkeit in die Handfläche gelegt, ergeben einen Akkord, der zwingend einen neuen anfordert, und so in spielerischer Folgerung findet sich, was zueinander gehört, und es entstehen Spuren eines größeren Zusammenhanges.
Aus dem Spiel wird auf einmal Ernst. So könnte man sagen: Das Spiel ist das Herz des Ernstes, und der Ernst ist das Herz des Spieles. In den Zeremonien des Spieles liegen — wie in den sonderbaren Konjunkturen des Zufalls des Novalistextes – die Signaturen des Lebens wie Keimzellen, aus denen es sich jederzeit erneuern kann, wenn der schöpferische Blick des Menschen sie erweckt. ”

Epiphanie, von diesem Hintergrund her verstanden. Epiphanie des Geschaffenen. Epiphanie der Schöpfung. Das bedeutet demnach, dass die Oberfläche, dass die Haut des Wirklichen epiphan wird, durchsichtig, transparent für die Signaturen des Lebendigen, für das Geheimnis seiner Struktur. Dass der Glanz, der Zauber, der Lichtschein der Dinge von innen heraus aufscheint , wenn der liebevolle, der schöpferische Blick eines Menschen auf sie fällt und sie zum Leben und zum Leuchten erweckt.

Aber Helmut Ammann wäre am Ende nicht der Bildhauer und Maler, Dichter und Grafiker gewesen, der die Kirchen und Galerien, Münster und Friedhöfe mit seinen einmaligen Kunstwerken erfüllt hat, hätte er nicht – wie einst Rembrandt – sein ganzes Leben hindurch vor allen Dingen die Wirklichkeit der Auferstehung und den Widerschein ihres Lichtes ins Spiel gebracht – und auch wir würden wohl auf halbem Wege stehen bleiben, wollten wir unser Verständnis von Epiphanie nicht über den schöpferischen Blick des Menschen hinaus richten.

Im Grunde ist dieses Verständnis von Epiphanias ja längst schon in das Licht von Ostern getaucht, ist Epiphanias längst schon ein Vorschein, eine Antizipation von Ostern. Auf dem Weg nach Emmaus findet die Erscheinung des Auferstandenen statt. “Und sie redeten miteinander von allen diesen Geschichten”, heißt es da. “Und es geschah, da sie so redeten und sich miteinander befragten, nahte Jesus zu ihnen und wandelte mit ihnen. Aber ihre Augen waren gehalten, dass sie ihn nicht kannten…. Und es geschah”,heißt es dann später, “da er mit ihnen zu Tische saß, nahm er das Brot, dankte, brach es und gab es ihnen. Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen” (Lukas 24).

Es wird wohl auch in unserem Leben immer so sein, liebe Gemeinde, dass wir Menschen auf dem Weg sind und dass Er uns nahe ist , unerkannt auf diesem Weg, oder dass Er vom anderen Ufer unseres Lebens auf uns zukommt – und dass oft, leider allzu oft unsere Augen gehalten sind. Doch seien wir getrost: Er wird auch unsere Wirklichkeit – so aufgewühlt und zerklüftet, so finster und zerrissen sie auch sein mag – mit dem Licht seiner Epiphanie öffnen und auf unerwartete Weise in ein neues Licht setzen, in ein mildes Licht aus Staunen, Dank und Frieden. Lassen Sie mich das an zwei Beispielen noch ein wenig deutlicher machen:

1) Wir sehen jetzt in einem kleinen Kind wie G. zunächst nur das kleine Kind, das ganz auf die Fürsorge und Zuwendung von anderen Menschen angewiesen ist. Doch wer dieses Kind liebt, wird weiter sehen, wird bereits heute etwas von der Herrlichkeit wahrnehmen, die in diesem Menschenkind verborgen ist: das Lachen und die Freude am Leben, die Gesten der Liebe und der Zärtlichkeit, seine Gaben und seine Würde, seinen ersten Schritt vor die Tür und seinen Weg in die Zukunft. Und durch all die Herrlichkeit des kleinen Kindes schimmert auch etwas von der Herrlichkeit Gottes hindurch, der solche Wunder erschafft und sie unserer Obhut und Verantwortung anvertraut. Epiphanias. Erscheinung. Dazu gehören Achtsamkeit und wache Augen und ein Blick, der weiter schaut und wahrnimmt, was sich da vor Augen auftut, was sich da buchstäblich „offenbart”.

2) Dazu noch ein zweites Beispiel – ein Beispiel, das sich auf spätere Zeiten bezieht. Etwa wenn sich unser Leben wie ein einziges Verwirrspiel ausnimmt: wie ein andauerndes Auf und Ab, ein Durcheinander von Irrungen und Wirrungen, losen Fäden, Wendungen und Brüchen. Dass man ganz konfus wird und auch von einer unwahrscheinlichen Konfusion spricht. Und weil wir zum Gottesdienst hier in der Providenz-Kirche versammelt sind, greife ich aus der Geschichte der Kirche ein geflügeltes Wort auf, das Sie wahrscheinlich auch kennen:

“providentia dei
per confusionem hominum”

“per confusionem hominum providentia dei”

Soll heißen in etwas freier Übersetzung: “Gottes Vorausschau, Voraussicht, Vorsehung geschieht gerade durch die Verwirrung, durch die Irrungen und Wirrungen der Menschen hindurch.”

Wohlgemerkt: Sie geschieht nicht trotz oder gar wegen, sondern durch die Irrungen und Wirrungen der Menschen hindurch. In Zeiten der Trauer, des Unglücks und des Zornes auf das eigene Schicksal mag einem ein solcher Satz wie ein einziger Zynismus erscheinen. Aber es gibt auch Zeiten, in denen sich wider alles Erwarten die Wogen wieder glätten. So wie wenn Wolken aufreißen, mag einem dann im Stillen die Erleuchtung kommen, die ferne Ahnung: „Ja. Es ist gut so. Irgendwie ist es doch gut so.” In solchen Augenblicken und nicht nur in solchen Augenblicken mag einem das Wort des Heidelberger Philosophen, das Wort von Hans-Georg Gadamer, zu Hilfe kommen. Gefragt in einem Interview, kurz vor seinem Tod, nach seiner Hoffnung und ob er an ein Leben nach dem Tode glaube, antwortete er: “Ich halte mich da ganz an das Wort des römischen Hauptmanns im Evangelium:, Ich glaube, Herr. Hilf meinem Unglauben.’”

Epiphanias. Epiphanias und sein Evangelium “in, mit und unter” der Vielfalt der Erscheinungen und der guten Mächte: “Ich glaube, Herr. Hilf meinem Unglauben!” Amen.

“Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft – er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herren. Amen.”

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