Es ist so als hättet ihr kein Vertrauen
Predigttext Markus 4, 35-41 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 84, Veränderung in Vers 40: Vertrauen statt Glauben):
35 Und am Abend desselben Tages sprach er zu ihnen: Lasst uns hinüberfahren. 36 Und sie ließen das Volk gehen und nahmen ihn mit, wie er im Boot war, und es waren noch andere Boote bei ihm. 37 Und es erhob sich ein großer Windwirbel, und die Wellen schlugen in das Boot, so dass das Boot schon voll wurde. 38 Und er war hinten im Boot und schlief auf einem Kissen. Und sie weckten ihn auf und sprachen zu ihm: Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen? 39 Und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig und verstumme! Und der Wind legte sich, und es entstand eine große Stille. 40 Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so furchtsam? Es ist ja als hättet ihr kein Vertrauen. 41 Sie aber fürchteten sich sehr und sprachen untereinander: Wer ist der? Auch Wind und Meer sind ihm gehorsam!Zugang zum Text und homiletische Entscheidungen
Jesus befiehlt Wind und Meer. Jesus setzt im Umgang mit Naturgewalten die eigene Sprachgewalt ein, menschliche Sprache für sprachlose Natur. Das Handeln Jesu erschüttert gängige Vorstellungen. Jesus offenbart sich als Sprechender. Nicht „cogito ergo sum“, sondern: ich spreche, also bin ich. Das ist eine andere Art zu sein. Jesus schafft im Akt des Sprechens Beziehungen. Wind und Meer begegnet er nicht mit Furcht und Fremdheit, Heldenhaftigkeit und Kühnheit, Erklärungs- oder Forschungsbedarf. Sein Sprechen erinnert ihren Ursprung aus Gottes Wort. Im Ursprung gab es keine Trennung von Geist und Natur und gibt es deshalb auch nicht. Das ist lediglich eine menschliche Wahrnehmungsschwäche, weil: „wir nicht sehen, was wir nicht sehen“ (weiterführende Literatur Maturana und Varela, Der Baum der Erkenntnis, Goldmann Taschenbuch oder Gregory Bateson, Geist und Natur, Surkamp Taschenbuch 1987). Die Geschichte beantwortet die Frage am Ende: Wer ist der? Jesus, kein Wundertäter, kein Magier, kein…, ein handelnder und sprechender Mensch, ein Mensch mit Vertrauen in die Wirkung seiner Fähigkeit zu sprechen, so zeigt er sich hier. In der Predigt will ich versuchen, wieder zusammen zu bringen, was in einer langen Predigttradition dieses Textes getrennt wurde. Gegenüber der Tat wurde der Erfolg in den Vordergrund gerückt. Die Geschichte ist als die „Stillung des Sturms“ bekannt. Das Wort Stillung bezeichnet in unserem Sprachgebrauch eine einmalige Form der Beziehung. Der griechische Text spricht nicht davon. Dieser spricht lediglich von Stille. Im Vorgang des Stillens verschwimmen zwei vorübergehend wieder ineinander, die im Ursprung zusammengehören, doch nur als Getrennte leben können und sichtbar sind. Ich habe das Wort Glauben im Luthertext deshalb mit Vertrauen übersetzt. Im Unterschied zu Glauben gründet Vertrauen in Wissen und Erfahrung. Ich glaube nicht, dass Jesus mit seiner Tat die gläubige Anerkennung seiner Jünger beabsichtigte. Seine Geste und sein Sprechen ist eher dazu angelegt, das eigene Vertrauen in einer schwierigen Situation zurück gewinnen zu können. Worte wirken oft Wunder in auswegslosen Situationen.Liebe Gemeinde!
Eröffnung/ Die Wirkung von Worten
„Wir sitzen doch alle im gleichen Boot“, wo dieser Satz fällt, ist immer Vorsicht geboten. Und wäre das Boot noch so klein, nie und nimmer sind deshalb alle gleich. Und kommt Gefahr durch Sturm und Wellen, so kann uns – wie unsere Predigtgeschichte zeigt – schon die Angst voneinander unterscheiden. Wo dem einen schon vor Angst das Herz in die berühmte Hosentasche fällt, da lächelt ein anderer noch lange gelassen. Und wo alle schon Angst haben und um ihr Leben bangen, da schläft Jesus noch sanft und selig auf einem Kissen im hinteren Teil des Schiffes.
Das ist nicht nur auf einem Schiff so. Was den Vater die Nachtruhe kostet, ist für seine Kinder Vergnügen. Was der Arbeiterin den Schlaf raubt, ist für den Unternehmer eine notwendige Rationalisierung. Wie auf jedem Schiff so auch bei allen anderen Formen des Zusammenlebens, -wohnens oder –arbeitens, die Möglichkeiten einzugreifen und zu steuern sind verschieden.
Nehmen wir zwei wichtige Worte von heute: Krieg oder Steuern. Beides Worte, geeignet, um einen Sturm der Entrüstung auszulösen oder aber für Ruhe und Entspannung zu sorgen. Je nachdem, wie die nächsten Worte im Umfeld der genannten lauten. Ob Sturm oder Ruhe – das hängt davon ab, wer wie von Krieg oder wer wie von Steuern spricht, das hängt davon ab, wieviel Macht jemand in dieser Welt hat. Das Wort des Kanzlerkandidaten Schröder „wir werden uns nicht an einem Krieg im Irak beteiligen“, war diplomatisch unklug, aber es hatte Wirkung, unterschiedliche Wirkung. Denn einen tat es gut, dies zu hören, bei Busch löste es Befremden aus. Sie wissen das alles selbst. Und das ist zwar nicht längst, aber eben doch auch schon vorbei.
Heute noch am 25.1.2003, an dem ich diese Predigt schreibe, kann die Frage gestellt werden: Wird es Krieg geben? Noch können Experten so gefragt werden. Noch könnte es andere Lösungen geben, noch gäbe es ein Zurück, doch das kann morgen schon anders sein. Noch könnte dem Sturm geboten werden, noch sind lediglich alle Vorbereitungen getroffen, noch könnte das ganze Kriegsgeschrei auch ein gutes Ende nehmen. Doch wer hat, wie in unserer Geschichte die Macht, dass ihm die Weltmächte gehorsam sind?
Papst Johannes Paul II hat von seiner Macht Gebrauch gemacht. Der Papst hat, wie es heißt, deutliche Worte gefunden, und die deutsche Bischofskonferenz hat sich ihm angeschlossen. Überall auf der Welt finden Menschen deutliche Worte: „Wir sagen Nein zu diesem Krieg“, ist tausendfach zu hören und zu lesen. Doch da ist noch das andere. Das Nein zum Krieg kann kein Nein zum Handeln sein. Und das ist das weitaus Schwierigere. Wenn kein Krieg, was dann?
Deutung von Katastrophen
Das haben wir alle am 11.September 2001 gesehen, es gibt einen Willen zur Zerstörung, der weltweit Angst freisetzt, weil er unberechenbar zuschlägt. Krankheiten, die ihre mittelalterliche Unberechenbarkeit für die Menschheit verloren hatten, können wiederkommen. Aber nicht als Strafe Gottes, nicht als Schicksal, sondern als Terrorinstrument in den Händen von Menschen. Neben solchen Möglichkeiten verblasst die Geschichte von Jesu Sturmstillung. „Wer ist der? Denn Wind und Meer sind ihm gehorsam.“
Noch leben viele unter uns, die es erlebt haben. Es bedurfte weniger Worte, und es gab kein Zurück mehr. Die Geschwindigkeit, mit der sich der Terror und dann der 2. Weltkrieg ausbreitete , war so blitzartig, wie die bei einer mächtigen Naturkatastrophe, die gnadenlos hinwegfegt, was sich ihr in den Weg stellt. Und wer sich ihr in den Weg stellte, wurde fortgerissen, entging dem Schicksal nicht. Schon längst ist alles durcheinander gekommen. Wir werden fast besser mit den Naturkatastrophen fertig als mit den selbstgemachten Katastrophen. Sturm und Wetter müssen uns immer weniger unvorbereitet treffen. Viele Unfälle geschehen, weil Warnungen in den Wind geschlagen wurden. Flutkatastrophen, das wissen wir längst, sind eine Mischung aus Natur und unseren Eingriffen in die natürlichen Bedingungen.
Worte in übermächtigen Situationen
In unserer Predigtgeschichte greift Jesus ins Naturgeschehen ein. „Und er stand auf und ermahnte den Wind und sagte zum Meer: Schweig und verstumme.“
Das Erstaunen oder auch das Entsetzen der Jünger gilt weniger der Tatsache, dass Ruhe im Schiff einkehrte. Das Erstaunen und Entsetzen gilt vielmehr der Geste Jesu.
„Und er stand auf und ermahnte den Wind und sagte zum Meer: Schweig und verstumme.“ Als Jesus so sprach, waren Wind und Meer im Glauben der Menschen Geschöpfe in Gottes Hand. Er allein ließ sie los und verstummen, er allein entschied, wer darin umkam oder überlebte. An Wind und Meer fand menschlicher Übermut seine Grenze. Wind und Meer konnten vielleicht bezwungen werden, aber ihnen gebieten, das lag außerhalb des für Menschen Denkbaren. Nun aber hatten es die Jünger mit eigenen Augen gesehen: „Er stand auf und ermahnte den Wind und sagte zum Meer: Schweig still.“
Jesus hat ein Machtwort gesprochen. Und so wie es aussieht, ist das für ihn völlig in Ordnung. “Was seid ihr so furchtsam, es ist ja als hättet ihr kein Vertrauen.“ Sagt er zu den entsetzten Jüngern.
Ich will die Szene in einen heutigen Zusammenhang verlegen, um nachvollziehbar zu machen, was sich damals abgespielt hat. Ich nehme das Wort vom Anfang: „Wir sitzen doch alle in einem Boot“. Stellen wir uns eine politische oder auch kirchliche Versammlung vor. Die Versammelten sind sich weitgehend einig. Jeder glaubt dem anderen, was er sagt. Die Rede ist von der ernsten Lage und dass man Opfer bringen müsse und vor allem zusammenstehen, um den kommenden Problemen gemeinsam begegnen zu können. Weil die Lage ernst ist, führen vor allem die Bedenkenträger das Wort. Weh dem, der dabei einschläft. Schon das eine Ungehörigkeit, die sich allenfalls Alte oder Kinder herausnehmen können. Wer schläft, hat einfach nicht begriffen, wie ernst die Lage ist. Doch wenn nun ein solcher dann aufstünde und mit einer Handbewegung und einigen Worten den Ernst der Lage in Frage stellte, einfach wegwischt, das würde weniger zu Erstaunen als zu Entsetzen führen.
Als vor einiger Zeit die Autos dick verschneit waren, half mir ein junger Mann die Tür meines Autos zu öffnen. Wir kamen ins Gespräch und als er mir sagte, wo er herkäme, fragte ich ihn: „Was meinen Sie, wird es Krieg geben?“ Er lachte mich an und sagte, „das ist mir zur Zeit ganz egal, ich habe keine Lust mehr auf das alles. Mein Freund ist da, wir fahren heute Nachmittag nach Frankreich.“ Ich glaube er hat ausgesprochen, was viele Menschen denken und schon immer gedacht haben, nämlich, dass sie eigentlich keine Lust haben, sich in Angst und Schrecken versetzen zu lassen, weil irgendwelche Machthungrigen das so wollen.
Bedeutung von Worten
„Was seid ihr so furchtsam, es ist ja als hättet ihr kein Vertrauen.“ Dieser Satz gilt uns heute, wie den Jüngern damals. Das ist das Evangelium von Jesus Christus, das wir weiter zu sagen haben. Liebe Gemeinde, Sie spüren wie brisant das ist in finsteren Zeiten, wie den unseren. Das ist so brisant, wie mitten in Sturm und Wetter friedlich zu schlafen, das ist so brisant, wie auf offener See und mitten im Sturm sich getragen und geborgen zu fühlen. Jesus greift ins Naturgeschehen ein, aber ganz anders als wir es von Wissenschaft und Technik gewohnt sind. Bei ihm ist keine Angst vor der Übermacht der Natur zu spüren, vor der es sich mit allen denkbaren Mitteln zu schützen gilt. Jesus spricht mit Wind und Wetter, wie mit zwei Jugendlichen, die zu laut geworden sind. „Könnt ihr nicht einfach einmal ruhig sein.“
Und Wind und Wetter lassen sich von Jesus so anreden. „Und der Wind legte sich, und es ward eine große Stille.“
Wind und Wetter reagieren auf menschliche Sprache. Warum eigentlich nicht, wenn auch Tiere und Pflanzen unsere Stimme vernehmen. Warum eigentlich nicht, wenn wir Menschen sterben würden, würde nach unserer Geburt kein Mensch mit uns reden. Nach einer der biblischen Schöpfungsgeschichten sind es Worte, die alles ins Leben gerufen haben, nicht nur die Menschen und Tiere, auch die Pflanzen, die Sonne, den Mond und die Sterne, das Land und das Meer und den siebten Tag, den Sonntag. „Und Gott sprach, es werde…, und es geschah so.“ Wir haben mehr Erfahrung mit der Wirkung zerstörender Worte. Auf menschliche Befehle hin wird der Regenwald zerstört, Bomben gezündet, Menschen deportiert, in den Tod gejagt. Mit Worten wird Gehorsam erzwungen, abgewertet, gehetzt. In diesen gehen die aufrichtenden, tröstenden, ermahnenden, liebenden Worte eher unter.
Aus Jesu Worten an Wind und Wetter spricht Vertrauen in die Dinge, die ihn umgeben und Vertrauen in die eigenen, menschlichen Fähigkeiten. Wir kennen auch den schweigenden Jesus. Nichts, kein Wort sagt Jesus auf die vielfachen Verleumdungen, die bei seiner Verurteilung vorgebracht werden. „Antwortest du nichts auf das, was diese gegen dich bezeugen?“ fragt der Hohepriester. „Er aber schwieg still und antwortete nichts.“ Warum nicht? Das war eine Szene, in die Jesus kein Vertrauen haben konnte. Das war eine Szene, in der alles, was er getan hatte, zu seinen Ungunsten umgedeutet wurde. Das sind mörderische Szenen. Das sind Szenen, in denen, die Stärksten unterliegen. Wer bei gewissen Herrschaften in Ungnade fällt, ist verraten und verkauft, geht unrettbar unter. Nicht von Wind und Wetter geht die Gefahr aus, wirklich fürchten müssen wir Menschen unseresgleichen.
Nicht Gott, Menschen sind es, die Kriege anzetteln. Nicht Gott, Menschen sind es, die unser Vertrauen erschüttern. Und Gott spricht kein Machtwort, wenn die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden. Warum sollte er auch. Es steht in der Macht der Reichen abzugeben. Es steht in der Macht der Herrschenden, Kriege zu meiden. Jesus spricht ein Machtwort. Er erhebt sich und spricht zu Wind und Wetter:„Schweig still, verstumme.“ Anders als seine Zeitgenossen begegnet er Sturm und Wind, nicht mit Angst, nicht mit Geschrei, nicht mit hektischem Tun. Er stellt sich neben sie, spricht zu ihnen. Und er spricht nicht mit Menschen, die sich ein Urteil über ihn anmaßen. In einer solchen Situation verkommt Sprache. In einer solchen Situation verliert Sprache, das wozu sie gut ist, Leben zu schaffen. In einer solchen Situation wird aus Kreativität Destruktivität, aus Schöpfung Zerstörung, aus Leben Tod. Jesus spricht ein Machtwort. Jesus spricht ein Wort wie am ersten Schöpfungstag.
Orientierung und Lehre
„Was seid ihr so furchtsam? Es ist als hättet ihr kein Vertrauen. “ Es ist so. Es ist keine gute Zeit, um leicht durchs Leben zu gehen. Das in langen Jahren hart Erarbeitete will bewahrt werden. Schrecklich die Vorstellung, ein Sturm könnte alles durcheinander wirbeln, das unterste zu oberst kehren, der Boden wanken, das Gleichgewicht gestört werden. „Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr kein Vertrauen, das alles in seine Schranken verweisen zu können? Das geht nicht immer, das ist am härtesten, wenn Menschen einander bedrohen, aber es geht immer wieder. Immer sind es Worte, mit denen wir uns in dieser Welt einrichten und heimisch fühlen, nichts, was ist, ohne dass wir nicht einen passenden Namen dafür suchen. Es sind die Worte der Mutter, die uns zur Welt bringen, Worte der Eltern , Geschwister und Freunde lehren uns Dinge zu lieben, zu meiden, zu fürchten, zu verabscheuen, zu hassen, zu loben. Jesus lehrt die Seinen Vertrauen in alles, was Gott ins Leben rief, nicht zuletzt zu den eigenen Begabungen. Amen