“Meine Augen haben meinen Heiland gesehen”
Theologisch-homiletische Vorbemerkungen
Der Perikope wird innerhalb der Predigt verlesen. Der Kalender im Jahre 2003 gibt uns die Möglichkeit, den Sonntag am 2. Februar statt eines üblichen 4. Sonntags nach Epiphanias einen anderen ganz frühchristlichen Festtages zu feiern, nämlich als ein „Christusfest“, das im Kirchenjahr zum Abschluss des weihnachtlichen Festkreises zuhause ist. Zur „Darstellung Jesu im Tempel“ gehen die Eltern mit dem Jesuskind fest verwurzelt in ihrem jüdischen Glauben in den Tempel am 40. Tage nach der Geburt ihres ersten Kindes und Sohnes ( i.e. nach dem 25.12. am 2. Februar !), vgl. Ex 13, 11-16; Lev 12, 1-8; Jes 8, 14-15; 42,6. Das Fest der « Darstellung Jesu im Tempel » ist immer auch im reformatorischen Festkalender ein besonderer Festtag geblieben, wenn auch , wie das Epiphaniasfest bedauerlicher Weise zu einem Stiefkind geworden. Gerade dieses Fest als „Christusfest“ ist ein besonderes ökumenisches Angebot, zumal dieses Fest auch in den orthodoxen Kirchen eine herausragende Bedeutung hat – der Messias besucht zum ersten Mal den Heiligen Tempel! Wir wissen von Martin Luther, dass er dieses Fest sehr liebte und gerne zu diesem Fest gepredigt hat. Das Fest ist eines der ältesten Christusfeste und schon im 5. Jahrhundert in Jerusalem bezeugt, seit dem 7. Jahrhundert in der römischen Tradition zu finden. Die Ostkirche feiert diesen Tag als „Hypapanthe“, i.e. „Begegnung“. Seit dem 2. Vaticanum wird dieses Fest auch in der katholischen Kirche „Darstellung des Herrn“ genannt, wobei der Lobgesang des Simeon im Zentrum der Verkündigung steht. Eine Fülle von Traditionen und Brauchtum sind mit diesem Fest verbunden, die sicher auch in der Predigt erwähnt werden können. Sie vermitteln, gerade heut zu Tags, wo immer mehr Werte und Traditionen – und damit auch ein gewisses Geschichtsbewusstsein auch in der Kirche - verloren gehen, und damit ganzheitliche Sinninhalte, deren wir immer dringlicher bedürfen. Interessante Hinweise hierzu finden wir im Internet unter den Begriffen Kirchenjahr, religiöses Brauchtum und Lichtmess. Den eigentliche Skopus der Predigt sehe ich im Loblied des alten Simeon, das seinen bedeutenden Platz im täglichen Abendgebet der Komplet gefunden hat. Sicher hat diese Perikope zur „Darstellung Jesu im Tempel“ zu diesem Fest eher einen Bezug als ihre neuerliche Zuweisung zur 1. Reihe am 1. Sonntag nach Weihnachten und damit der viel selteneren Möglichkeit darüber predigen zu dürfen. *Das Gebet habe ich gefunden in einer Rundfunkpredigt am 4.2.1996 zu dieser Perikope mit noch ein paar anderen guten Gedanken von OKR D. Theo Glaser, München. In: KIRCHE IM RUNDFUNK, 45.Jg./ Nr.3, S. 35ff.Liebe Gemeinde,
in diesen Tagen haben wir unsere Kinder im Schwarzwald besucht und fanden fast überall in den Dörfern noch die stattlichen, leuchtenden Weihnachtsbäume auf dem Dorfplatz oder vor der Kirche. Wir fühlten uns noch mal ein wenig zurückversetzt in die weihnachtliche Zeit und Stimmung. Sind diese Weihnachtsbäume etwa aus Versehen stehen geblieben?
Ich erinnere mich jedenfalls noch genau, dass bei meinen Großeltern auch noch um diese Zeit der geschmückte Weihnachtsbaum in der guten Stube stand, er wurde erst nach dem 2. Februar abgeschmückt und die Weihnachtskrippe wieder sorgfältig verwahrt.
Was ist das für ein Datum, das wir heute im Kalender haben? Diesen Tag nennt man im kirchlichen Kalender „Die Darstellung des Herrn“ oder einfach Lichtmess, in katholischen Gegenden früher „Mariä Reinigung“ oder „Mariä Lichtmess.“
Ende des weihnachtlichen Festkreises
Mit diesem Fest, das unser Reformator Martin Luther so sehr liebte, geht der weihnachtliche Festkreis zu Ende an der Schwelle zur Fasten- und Passionszeit. So manches Brauchtum rankt sich um diesen Tag. Die ersten Zeichen der gebrochenen Winterkraft sind zu spüren, die Tage werden wieder sichtbar länger. Früher wurden die Dienstboten und Knechte ausbezahlt. Sie konnten die Stelle wechseln und einen neuen Lebensabschnitt beginnen. Alte Bauernregeln knüpfen sich an diesen 2. Februar.
An Lichtmess hoffte man auf ein echtes Sudelwetter. Dann nämlich sollte es ein baldiges Frühlingswetter geben. Am Lichtmesstag werden noch in manchen Gegenden die Kerzen gesegnet, die über das Weihnachtsfest hinaus „das Licht der Welt“ in diesem Jesuskind in seiner göttlichen Epiphanie – Erscheinung und Erleuchtung künden wollen, jetzt schon ein wenig hin in den Festkreis des österlichen Lichtes des Auferstandenen Christus.
Ich erinnere an so manche Lichterketten in unsrer jüngeren Geschichte auch an die , welche in diesen Tagen das Bekenntnis zum Frieden bezeugen wider alle Kriegsdrohungen und Machtgetöse. Dieser „Tag zur Darstellung des Herrn“, liebe Freunde, gibt uns die Gelegenheit, ein wenig über die von Weihnachten herkommende Botschaft des göttlichen Friedens nachzudenken und in der Botschaft dieses Festes als ein Christusfest neu zu entdecken. Ich lese dazu zunächst, was uns der Evangelist Lukas am Ende seiner Weihnachtsgeschichte im 2.Kapitel schreibt:
Als die Tage ihrer Reinigung nach dem Gesetz des Mose um waren, brachten Maria und Joseph ihr Kindlein Jesus nach Jerusalem, um ihn dem Herrn darzustellen, wie geschrieben steht im Gesetz des Herrn, und um das Opfer darzubringen, wie es gesagt ist, zwei Turteltauben oder zwei junge Tauben, Und siehe, ein Mann war in Jerusalem mit Namen Simeon. Und dieser Mann war fromm und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, und der Heilige Geist war mit ihm. Und ihm war ein Wort zuteil geworden von dem heiligen Geist, er solle den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen. Und er kam auf Anregung des Geistes in den Tempel, und als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun wie es Brauch ist nach dem Gesetz, da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach:
< Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast, denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, den du bereitet hast vor allen Völkern ein Licht zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel.>
Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich über das, was von ihm gesagt wurde. Und Simeon segnete sie.
Diese Geschichte , liebe Gemeinde, ist voller Klarheit und Zärtlichkeit. Wir wissen nicht, wie alt dieser Simeon bei dieser Begegnung war, als er in den Lichtkegel dieses Kindes eintritt. Drei Generationen sind es jedenfalls bei diesem ersten Besuch Jesu im Tempel von Jerusalem. Das Kind, seine Eltern und der greise Simeon, zu dem sich die 84 jährige Prophetin Hanna hinzugesellt.
Meine Augen haben meinen Heiland gesehen
Ich will mit Ihnen, liebe Gemeinde, versuchen, diesem Blick des alten Simeon nachzuschauen. Ich will ihn selber sprechen lassen.
Dass ich das in meinem Alter noch erleben darf. Wer hätte das gedacht, lieber Gott. Dass 2000 nach mir noch einer über den glücklichsten Tag meines Lebens redet. Dass mein Lied noch täglich in euren Abendgebeten über dem ganzen Erdenkreis gesungen wird. Ich bin nur eine bescheidene Randfigur in diesem Geschehen. Aber welches Privileg ist mir vergönnt. Dieses Kind in meinen alten Armen zu wiegen, es an mein Herz zu drücken und die Wärme und das helle Licht zu spüren, das in der Verheißung von diesem Kind aus geht. Ihr werdet´s selber nachsingen:
Heute geht aus seiner Kammer Gottes Held, der die Welt reißt aus allem Jammer. Gott wird Mensch dir, Mensch, zugute, Gotteskind, das verbindt sich mit unserem Blute. (EG 36,2).
Im Pulsschlag dieses Kindes spüre ich den Pulsschlag des Herzens Gottes in seiner Liebe, die von nun an allen Menschenkindern gilt und in seiner Wärme spüre ich die Wärme des Lebens, das durch Leiden Schuld und Tod hindurch jedem von euch unverbrüchlich zugesagt ist.
Wenn Gott einmal gesagt hat: „ Fürchte dich nicht! Ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, Du bist mein!“, dann gilt das unverbrüchlich. Daran könnt ihr euch festhalten, gerade auch ihr alten Menschen wie ich einer bin und davon weiß, wie schwer es manchmal ist, gelassen und voller Hoffnung zu bleiben. Von seinem Geist geleitet konnte ich durch alle Lebenskrisen hindurch zuversichtlich und geistesgegenwärtig sein. Mein Lebensrhythmus wurde geprägt, dass ich Woche für Woche mich auf die schönen Gottesdienste im Hause des Herrn freute. Auch in meinem Tagesrhythmus lebte ich vom Lobpreis des göttlichen Vaters und Schöpfers in Gedanken, Worten und Werken.
Meine Augen haben im Leben viel gesehen: Freude und Leid, Kommen und Gehen, Krieg und Frieden, Glaube und Unglauben, Verrat und Unmenschlichkeit, aber auch Mut und Zivilcourage, Opferbereitschaft und hingebende Liebe. Ich habe erfahren, was es heißt, wie es in der Bibel gesagt ist:
„Ich will euch tragen bis ins Alter und bis ihr grau werdet. Ich will es tun – spricht Gott der Vater – ich will heben und tragen und erretten.“ Das sagt der Gott, der nicht veraltet, weil er in jedem Kinde stets neu zur Welt kommt. Ihr könnt im Gebet einer alten Äbtissin einiges davon lernen, wenn ihr mit ihr beten könnt:
Herr, du weißt besser als ich, dass ich von Tag zu Tag älter werde und eines Tages alt sein werde. Bewahre mich davor, schwatzhaft zu werden und schütze mich vor der Einbildung, bei jeder Gelegenheit und zu jedem Thema etwas sagen zu müssen. Bewahre mich vor der großen Leidenschaft, die Angelegenheiten anderer ordnen zu wollen. Lehre mich nachdenklich, aber nicht grüblerisch, hilfreich, aber nicht diktatorisch zu sein. Bei meiner ungeheuren Ansammlung von Weisheit erscheint es mir ja schade, sie nicht überall weiter zu geben. Lehre mich schweigen über meine Krankheiten und Beschwerden. Sie nehmen zu, und die Lust, sie zu beschreiben wächst von Jahr zu Jahr. Ich wage nicht, die Gabe zu erflehen, mir Krankheitsschilderungen anderer mit Freuden anzuhören, aber lehre mich, sie geduldig zu ertragen. Ich wage auch nicht um ein besseres Gedächtnis zu bitten, nur um etwas mehr Bescheidenheit, wenn mein Gedächtnis nicht mit dem anderer übereinstimmt. Lehre mich die wunderbare Weisheit , dass ich mich irren kann. Erhalte mich so liebenswürdig wie möglich. Ich weiß, dass ich kein Heiliger bin und möchte auch keiner sein. Mit ihnen lebt es sich so schwer. Aber ein alter Griesgram ist das Krönungswerk des Teufels. Mache mich teilnehmend, aber nicht sentimental, hilfsbereit, aber nicht aufdringlich. Gewähre mir, dass ich Gutes finde, wo ich es nicht vermutet habe. Lehre mich, an anderen Menschen unerwartete Talente zu entdecken und verleihe mir, Herr, die Liebenswürdigkeit, es ihnen zu sagen. Am Ende aber lass mich nicht einsam sein. Ich brauche dann ein paar Freunde, lieber Herr, gute Freunde. Aber das weißt du auch. *Anm.
Der alte Simeon preist die für ihn wichtigste Begegnung seines Lebens. Er hat vor seinen inneren Augen dieses Elternpaar mit ihrem Kind. Er weiß, warum sie gekommen sind. Nach der Beschneidung in der ersten Lebenswoche, ganz wie es sich gehört für einen Knaben, und nachdem die Mutter nach der Geburt wieder kultisch rein ist, kommen sie nun nach 40 Tagen zur Darstellung ihres erstgeborenen Sohnes in den Tempel, um, so ist das Gebot nach dem Ritus der Väter, Gott für das Geschenk zu danken und ein Dankopfer im Form eines Taubenpärchens darzubringen.
Wären es reichere Leute gewesen, hätten sie ein Lammopfer dargebracht. Simeon sieht in die Augen des Kindes, und er spürt, wie ihn in diesem Kinde alle Liebe der Welt anschaut, die das Licht für sein ganzes Lebens beinhaltet. Er weiß: Der Mensch sieht mit den Augen; Gott aber mit dem Herzen. Mit dem Herzensblick Gottes genese ich und werde jung. Da ist ihm auf einmal das Alter vergangen. Es ist alles wie neu geworden.
Ich erinnere mich an eine sehr alte Frau, die zu mir sagte: Ich bin froh, dass ich so alt werden durfte, um nochmals mit meinen Enkeln jung zu werden. Dieses Kind bringt Licht in unsere alte Welt aus einer neuen Welt. „Siehe es ist alles neu geworden!“
Es holt den Atem und den Pulsschlag der Ewigkeit in unsere Zeit.
Zukunft im Lichte der Ewigkeit
Hört, was später der Kirchenvater Augustinus gesagt hat: Der Gottgeliebte wird jünger mit jedem Jahr. Er geht einer neuen Geburt zum ewigen Leben entgegen. Er trägt den in sich, der jünger ist als alle. Weigert euch nicht, eure Jugend in Christus wieder zu gewinnen. Er sagt euch, dass die Welt vergeht und alt wird. Aber fürchtet euch nicht, jugendfrisch wirst du durch ihn. Ich lebe so in einer abnehmenden und zugleich aufsteigenden Linie. Im Schnittpunkt dieses Lebenskreuzes möchte ich leben. So habe ich, sub speciae aeternitatis, Zukunft im Lichte der Ewigkeit.
„ Meine Augen haben meinen Heiland gesehen.“
Ja, vis à vis, Auge in Auge , von Angesicht zu Angesicht. Ich erblicke durch seine Augen das Menschenkind, die Schwester und den Bruder, den Nächsten. Eure Welt, in der ihr lebt, braucht diesen Blick, braucht dieses Licht in ihren Dunkelheiten. Da ist das reine Schwarzsehen ferne, erst recht das bloße Schwarzweißsehen, da ist alles ferne , das wider das Leben ficht. Lasst euch das sagen auch in diesen bösen Tagen, wo der Frieden in Gefahr ist, wo der Tod das Leben bedrohen will und wo statt Versöhnung und Dialog, Zerstörung und Machtansprüche die Oberhand zu gewinnen scheinen.
Unser Lobgesang ist der Refrain auf den Lobgesang der himmlischen Heerscharen
Am Ende der weihnachtlichen Festzeit wird das Licht der Welt in Jesus Christus für meinen Weg zur Fußesleuchte und zum Lichte meines Weges. Meine Freude ist Nachfreude, zu dem , was ich gesehen und gehört habe, mein Lobgesang Refrain und – wie in der Liturgie eine jeden Gottesdienstes zuhause – Nachklang des Lobgesangs der himmlischen Heerscharen über den Feldern von Bethlehem: „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried den Menschen seines Wohlgefallens.“ Amen.