Rechtfertigung oder Selbstrechtfertigung?

Predigttext: 2. Korinther 4, 6-10
Kirche / Ort: Providenz-Kirche / Heidelberg
Datum: 09.02.2003
Kirchenjahr: Letzter Sonntag nach Epiphanias
Autor/in: Professor Dr. Christian Möller

Predigttext 2. Korinther 4, 6-10

Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi. Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überschwängliche Kraft von Gott sei, und nicht von uns. Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um. Wir tragen alle Zeit das Sterben Jesu an unserem Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserem Leibe offenbar werde.

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Liebe Gemeinde,

heute, am Sonntag der Verklärung Jesu Christi, will ich nicht nur dem Täufling im Licht von Christi Taufe das Wohlgefallen Gottes zusprechen, sondern auch euch allen, die ihr irgendwann einmal getauft worden seid. Ich will auch euch heute als Getaufte in das Licht von Christi Verklärung stellen, indem ich euch die Worte des Apostels Paulus zuspreche: „Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in eure Herzen gegeben, dass durch euch entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi“.

I.

Nun mag einer denken: Meine Taufe ist mir eigentlich nie zu Bewusstsein gekommen! Was soll ich denn damit? Meine Gegenfrage: Was hindert dich denn daran, auf die Suche nach deiner Taufe zu gehen und dabei einen Schatz zu entdecken, der dir tatsächlich einmal in den Anfang deines Lebens hineingelegt worden ist. Es könnte sein, dass dich deine Taufe in ein Licht gebracht hat, in dem du dich selten oder noch nie gesehen hast!

Dabei muss es mit deiner Taufe gar nicht so spektakulär gelaufen sein wie bei Paulus vor Damaskus, der in ein unwiderstehliches Licht getaucht wurde und vom Saulus zum Paulus umgekehrt wurde, so dass er blind für seine Vergangenheit und hellsichtig für seine neue Berufung wurde, als Apostel in den Dienst seines Herrn zu treten.

Es muss auch gar nicht so bewusst gelaufen sein wie bei dem Täufling heute, dass ihm mehr und mehr bewusst wurde, erst in seiner Schulzeit durch den Religionsunterricht, dann durch manches andere Ereignis und schließlich durch den Anfang seines Theologiestudiums, dass er gerne Christ werden und die Taufe empfangen möchte, damit er einen verlässlichen Anhaltspunkt dafür hat, dass Gottes Wohlgefallen auf ihm ruht.—

Es ist mit eurer Taufe vielleicht so gelaufen wie mit meiner eigenen Taufe, von der mir meine Mutter kurz vor ihrem Tod einmal erzählt hat, wie wichtig ihr diese Taufe geworden sei: Sie wusste bei meiner Geburt im Jahr 1940 nicht, ob sie mich als viertes Kind wirklich noch durch den Krieg hindurchbringen könne. Und als in der Taufe über mir ausgerufen wurde „Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöst, bei deinem Namen gerufen, mein bist du“, da sei es ihr auf einmal ganz leicht ums Herz geworden, weil ihr aufging, als sie mich im Licht meiner Taufe sah, dass ich von höherer Warte aus beschützt werde und es eigentlich ganz leicht sei, mich durch den Krieg zu bringen.

Wer weiß, was es mit eurer Taufe für eine Bewandtnis hat. So manche Mutter und mancher Vater haben erst bei der Taufe ihres Kindes die Angst um das Kind verloren oder sogar großen Respekt davor gewonnen, dass auf diesem Kind das Wohlgefallen Gottes ruht, und das für immer und ewig! Schau doch einmal nach, ob nicht dein Taufspruch so ein Licht ist, das am Anfang deines Lebens angezündet worden ist und dich still und unmerklich begleitet hat. Was hindert dich daran, dass du dich in diesem Licht einmal zu sehen versuchst, ja nicht nur einmal, sondern immer wieder!? „Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in dein Herz gegeben, dass durch dich entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi.“

II.

Liebe Gemeinde, ich vermute, dass es nicht bloß Unbewusstheit und Vergesslichkeit sind, die uns das Licht von Gottes Wohlgefallen verdunkeln. Es gibt viele andere grelle oder trübe Lichter, die uns das Licht unserer Taufe verstellen, so dass wir gar nicht mehr ahnen, in unsere Wiege könnte uns einst ein Schatz gelegt worden sein, den es jeden Tag zu gebrauchen gilt: Irrlichter Zwielichter, künstliche Scheinwerfer, aber auch trübe Funzeln, die unser Leben beleuchten. Wenn du in das Licht von so einer trüben Funzel geraten bist, weißt du manchmal gar nicht, warum du morgens aufstehen sollst, weil ja dein Tag sowieso wieder trübsinnig wird.

Und wenn du dich morgens im Spiegel siehst beim Kämmen oder beim Zähneputzen, dann spuckst du am liebsten aus vor dir und denkst vielleicht: Ich, ich soll in meiner Taufe zum Sohn, zur Tochter Gottes ernannt worden sein, auf der Gottes Wohlgefallen ruht – niemals. Bestenfalls bin ich ein kleines Kirchenlicht, aber mehr nicht. So kann dir der Stolz auf die Taufe vergehen in wenigen Jahren, vielleicht sogar am Anfang eines Studiums, wo ständig Scheine und Leistungen verlangt werden, bis du am Ende meinst, nur noch ein Scheinmensch zu sein.

Und wenn ich über den Jahrmarkt der Eitelkeiten gehe, der ja gerade in einer Universitätsstadt besonders groß und mit grellen Scheinwerfern erhellt ist, dann möchte ich auch gern ein bisschen mithalten und mich in künstliches Licht tauchen: Sieh mal, was ich kann. Ich habe schon eine Homepage im Internet. Besucht mich doch mal! Ich habe gerade ein ganz neues Foto reingestellt, richtig gut, da habe ich noch ein paar Haare…hat der Photograph gut gemacht! Und dann könnt Ihr nachlesen, was ich alles schon geschrieben habe. Also, ich erwarte demnächst einen Ehrendoktor. Mal sehen, wer mich zuerst entdeckt. –

Ach, dieser Jahrmarkt der Eitelkeiten, ist es nicht auch ein Jahrmarkt der akademischen Eitelkeiten, auf denen es tausende von Buden gibt, in denen sich manche Gestalten präsentieren, die sich in helles, grelles, aber künstliches Licht tauchen lassen? Da kann dir schon das ewige Licht deiner Taufe in Vergessenheit geraten, weil du dem trügerischen Schein erliegst, du müsstest dir das Wohlgefallen von Gott und der Welt erst noch wie einen Titel erwerben, und du merkst gar nicht, wie du immer jämmerlicher wirst bei diesen Strampelversuchen auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten. Da tut es dir gut, ja es ist ein wahres Heilmittel für dich, wenn das helle, klare Licht von Gottes Schöpfung über dir aufgeht und du dich selbst darin von deiner Taufe her als neue Kreatur entdeckst: „Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi.“

III.

Dieses Licht, das Gott am Anfang der Welt hat aufleuchten lassen und in deiner Taufe auch in dir angezündet hat, das kann dir vielleicht am abgründigsten verstellt werden, wenn du mit deinem Glauben ins Zwielicht gebracht wirst. Es kann dir gehen wie dem Apostel Paulus in Korinth, dass du von anderen ins Zwielicht gebracht und eben dadurch unwirksam gemacht werden sollst. Wie das im einzelnen vor sich gehen kann, will ich ausführlicher schildern am Beispiel des Konflikts, den der Apostel Paulus in Korinth durchzustehen hatte.

Das Licht, das über dem Christenverfolger Saulus vor den Toren von Damaskus aufgeleuchtet und in ihm selbst aufgegangen war, so dass er zu einem Paulus, einem „Kleinen“, wurde, dieses Licht trug dieser Apostel nun weit über die Grenzen Israels hinaus in die antike Welt. So wurde er auch zu einem Gründer der christlichen Gemeinde von Korinth.

Doch was bekam Paulus eines Tages, als er von Korinth wieder abgereist und irgendwo in Ephesus oder Philippi gerade weilte, aus Korinth zu hören? Andere Leute aus Jerusalem seien da aufgetaucht, die sich auch als Apostel ausgeben und die christliche Botschaft verkündigen wollen, was ja Paulus eigentlich nur recht sein kann. Doch das, was sie dann noch hinzufügen, war gar nicht gut, nämlich: sie reden über Paulus und versuchen ihn ins Zwielicht zu bringen. Er sei eigentlich gar kein richtiger Apostel, habe ja den Herrn Jesus selbst gar nicht mehr gesehen, wie sie selbst an seiner Seite mitgegangen wären, sondern sei später hinzugekommen und habe sich noch diesen oder jenen Weggenossen wie den Silas und andere gesucht. Aber wenn man diesen Paulus höre, dann sei er doch eigentlich ein schwacher Redner, habe doch irgendwie gar keine Vollmacht. Gut, starke Briefe könne er schreiben, aber wenn er dann persönlich auftrete, merke man doch ziemlich schnell, dass der Geist nicht aus ihm rede, sondern nur ein ziemlich schwacher Mensch.

So bringen sie denn die Gemeinde von Korinth in Verwirrung, schlimmer noch: sie bringen die Botschaft des Paulus ins Zwielicht; sie stellen sein apostolisches Amt als Gründer der Gemeinde von Korinth in Frage. Das ist starken Tobak, und wer so etwas schon einmal am eigenen Leib erlebt hat, und sei es nur in ganz schwacher Andeutung, der weiß, dass einem da die Knie wacklig werden können und der Zorn in den Kopf und die Wut in den Bauch gehen kann.

Was sollte Paulus nun machen? Nach den Gesetzen des Jahrmarkts der Eitelkeit, den es ja in religiöser Verkleidung auch geben kann, hätte Paulus vielleicht eine Imagekampagne starten sollen, um sich auf allen Litfasssäulen und an allen Ecken öffentlich anzupreisen: Sehen Sie mich an! Bin ich nicht gut? Wählen Sie meine Hotline! Ich bin immer für Sie da! Nein, Paulus klebt keine Plakate, schon gar nicht von sich selbst. Auf solche und ähnliche Mittel verzichtet er.

Vielleicht hätte er sich ja irgendwie in der Heilungsszene betätigen können, irgendeinen Toten auferwecken oder eine wunderbare Brotvermehrung in Korinth in Szene setzen. Doch wer die Paulus-Briefe durchliest, der weiß, dass sich Paulus auf solche Wunder nicht beruft. Vielleicht hat er sie getan, er selbst aber schreibt nicht davon.

Hätte er nicht wenigstens seine Bekehrungsgeschichte vor den Toren von Damaskus den Korinthern breit ausmalen können, um zu demonstrieren, dass er erleuchtet, gläubig und persönlich vom Herrn erfasst sei? Das tut zwar Lukas in seiner Apostelgeschichte, und er erzählt diese Geschichte über Paulus drei Mal. Paulus selbst aber deutet sie in seinen Briefen nur ganz, ganz zart an, als wollte er sagen: Mit so einer Geschichte geht man nicht hausieren! Bekehrungsgeschichten haben es eben häufig an sich, dass ich mich selbst in ein sehr herrlich-frommes Licht setze, in dem die anderen, die Nichtbekehrten, ziemlich klein und ärmlich erscheinen.

IV.

Stattdessen schreibt Paulus: „Wir predigen nicht uns selbst, sondern Jesus Christus als unsern Herrn.“ Alles kommt also darauf an, dass das Licht dieses Herrn zum Leuchten kommt. Und wenn dieser Herr das Licht seiner Liebe nicht nur über Paulus hat aufstrahlen lassen, sondern in ihm selbst angezündet hat, dann kommt wieder alles darauf an, dass der Apostel so durchsichtig wird wie ein Transparent, damit auch dieses Licht in ihm als Licht seines Herrn für alle zur Erscheinung kommt. Und deshalb schreibt Paulus weiter: „Wir haben diesen Schatz in tönernen, irdenen Gefäßen, damit deutlich wird, wie die Kraft dieses Lichtes von Gott ausgeht und nicht von uns.“ Also kann sich der Apostel seine Schwachheit, die seine Gegner an ihm so anprangern, nicht nur leisten, sondern er kann sich geradezu seiner Schwachheit rühmen, weil sie ein Transparent für Gottes Stärke ist.

Mag er von allen Seiten bedrängt sein und in Ephesus sogar im Gefängnis in Ketten liegen, so macht ihm das keine Angst, weil er sich in Wahrheit in Gottes Licht geborgen fühlt. Mag er auf dem Marktplatz von Athen ausgelacht werden, weil er von der Auferstehung Jesu Christi predigt, so fühlt er sich doch nicht verächtlich, weil er sich geachtet weiß von seinem Herrn. Mögen ihn seine ehemaligen Glaubensgenossen aus den Synagogen ausstoßen und ihn gar verfolgen, so weiß er doch, dass er nicht umkommt, weil er in der Nachfolge seines Herrn letztlich aufgehoben ist.

Wohl gemerkt, liebe Gemeinde, hier wird nicht die Schwachheit an sich gepriesen, nicht das Leiden als solches, denn es gibt ja auch eine sehr bigotte Logik, die nach der Weise verfährt: Wer sich selbst erniedrigt, will erhöht werden, und wer sich selbst kasteit, der ist voller Stolz! Es gibt eine sehr dumpfe und dumme Schwächlichkeit, wenn einer seinen Kopf in den Sand steckt und mit den Beinen in der Luft rumzappelt. Jesus hat nicht umsonst geboten, dass du dein Licht nicht unter den Scheffel stellen sollst, damit die Leute nicht dich, sondern deinen Vater im Himmel zu preisen lernen.

Das ist die Eigenart der paulinischen Schwachheit, dass in ihr eine ganz eigentümliche Stärke verborgen ist, nämlich eine Gelassenheit, die es darauf ankommen lässt, dass und wie Gottes Licht in ihm und durch ihn zum Leuchten kommt und Gott dadurch gepriesen wird.

Eben das meint auch Paulus, wenn er zum Schluss schreibt: „Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserem Leibe, damit das Leben Jesu an unserem Leibe offenbar werde!“ Das sind so starke, klare, eindeutige Worte, dass ich wohl kaum mehr etwas hinzufügen muss. Wie viel dümmliche Eitelkeit könnte überwunden werden, wie viel bigotte Demut könnte verschwinden, wie viel elende Selbstrechtfertigung könnte verstummen, wenn wir im Licht unserer Taufe auf den gekreuzigten und auferstandenen Christus gelassener würden, so gelassen, dass wir einander den Blick freigeben auf den, in dessen Namen wir getauft sind. Dann würde wohl auch manches Leiden, mit dem wir uns herumquälen, eine andere Qualität annehmen, wenn die Art und Weise, wie du mit deinem Leiden umgehst, dir selbst und deinem Nächsten den Blick freigibt auf den, der für dich am Kreuz gelitten hat.

V.

Erlaubt mir zum Schluss noch ein Gedankenspiel, weil mich ein Gedanke bei der ganzen Predigtvorbereitung überhaupt nicht losgelassen hat: Was wäre, wenn sich irgendeiner aus der Fußgängerzone in diese Kirche hineinbegeben, sich still in eine Bank gesetzt hätte, diese Predigt gehört hätte und sich fragte: Ich bin aber gar nicht getauft, was mache ich nun? Bin ich ausgeschlossen von dem, was ich da gehört habe?

Meine Gegenfrage wäre ganz einfach: Was hinderts, dass du auch getauft wirst, vielleicht schon am nächsten Sonntag ?! Für die Taufe ist es nie zu spät! Der Herr, der hier im Kirchenfenster in verklärtem Licht zur Erscheinung kommt, will mit seinem Licht auch in deinem Herzen aufscheinen. Deshalb gilt: Mache dich auf, werde Licht, denn dein Licht kommt und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir und in dir. Amen.

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