“Nimm, was dein ist und geh!” oder: Gott ist gut und kein Despot
Predigttext Matthäus 20,1-16 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
1 Denn das Himmelreich gleicht einem Hausherrn, der früh am Morgen ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen. 2 Und als er mit den Arbeitern einig wurde über einen Silbergroschen als Tagelohn, sandte er sie in seinen Weinberg. 3 Und er ging aus um die dritte Stunde und sah andere müßig auf dem Markt stehen 4 und sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist. 5 Und sie gingen hin. Abermals ging er aus um die sechste und um die neunte Stunde und tat dasselbe. 6 Um die elfte Stunde aber ging er aus und fand andere und sprach zu ihnen: Was steht ihr den ganzen Tag müßig da? 7 Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand eingestellt. Er sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg. 8 Als es nun Abend wurde, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und fang an bei den letzten bis zu den ersten. 9 Da kamen, die um die elfte Stunde eingestellt waren, und jeder empfing seinen Silbergroschen. 10 Als aber die ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und auch sie empfingen ein jeder seinen Silbergroschen. 11 Und als sie den empfingen, murrten sie gegen den Hausherrn 12 und sprachen: Diese letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, doch du hast sie uns gleichgestellt, die wir des Tages Last und Hitze getragen haben. 13 Er antwortete aber und sagte zu einem von ihnen: Mein Freund, ich tu dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir einig geworden über einen Silbergroschen? 14 Nimm, was dein ist, und geh! Ich will aber diesem letzten dasselbe geben wie dir. 15 Oder habe ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem, was mein ist? Siehst du scheel drein, weil ich so gütig bin? 16 So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein.Exegetisch-homiletische Hinweise
Das Gleichnis Jesu von den Arbeitern im Weinberg, Matthäus 20,1-16(a), eignet sich bestimmt nicht als neues Modell für die umstrittene Tarifpolitik. Jesus umschreibt damit die Güte Gottes, der kein Mensch Grenzen setzen kann. Wichtig die narrative Aussage „ego agathos eimi“ (V.15), die im narrativen Gewand als die theologische Kernaussage verstanden werden kann: Gott ist (den Seinen) gut. Diese Aussage möchte ich in der Predigt entfalten entgegen den Vorstellungen von einem Gott als „Hausdespoten“, wie man das griechische Wort oikodespotaes (V.1) missverstehen könnte (W.Bauer, WbNT, Sp. 1104: „Hausherr“. „In Gleichnissen und Bildern v. Gott“). In diesem „Gleichnis von dem gütigen Arbeitsherrn“ entfaltet und verteidigt Jesus „die Rechtfertigung der Frohbotschaft gegenüber ihren Kritikern“ (J.Jeremias, Die Gleichnisse Jesu, Siebenstern – Taschenbuch 43, 3. durchges. Aufl., Göttingen 1969, S. 92). „Das also ist die Frage, mit der Jesus seine Hörer entlässt: ob sie es von ihm lernen können, mit Gottes Augen zu sehen und nicht mehr mit dem eigenen „bösen Auge“. Daß Gott den Menschen brauchen will, daß er sein Werk sieht und nicht vergisst, ihm sogar Lohn zuspricht, ist schon Ausdruck seiner Güte. Aber der Mensch, der mit seinem eigenen Begriff von Gerechtigkeit kommt, kann das nicht verstehen“ (E. Schweizer, Das Evangelium nach Matthäus, 2.Aufl., Göttingen 1976, S.257). Jesus verbindet in seinem Gleichnis Indikativ und Imperativ: Gott hat uns „eingestellt“ (V.1), er lässt uns nicht ohne Lohn (misthosasthai „für sich mieten, dingen, um Lohn annehmen“, W.Bauer, Sp. 1036) – und Gott fragt uns nach unserer „Einstellung“!Liebe Gemeinde!
„Denn das Himmelreich gleicht einem Hausherrn“ – was für ein seltsamer Vergleich! Von diesem Hausherrn wird gesagt, dass er sich früh am Morgen aufmacht und Arbeiter sucht, die er für die Arbeit in seinem Weinberg einstellen will. Die zuletzt eingestellten werden am Ende die ersten und die zuerst eingestellten die letzten.
So soll das Himmelreich sein? Widerspricht das nicht gänzlich unseren Vorstellungen? Sieht nicht unser Himmelreich ganz anders aus?
Ein Paradies, wunderschön, friedlich, Menschen, die achtsam miteinander umgehen, alles ist gerecht verteilt, ein Paradies auf Erden! Oder eine Welt, in der „der Himmel voller Geigen hängt“, wir auf der „Wolke sieben“ schweben, eine Traumwelt, die uns manchmal gut tut!
I.
Anders die Schilderung Jesu in seinem Gleichnis: Abhängigkeit vom Hausherrn, Arbeit, bezahlte Arbeit, Ungerechtigkeit entgegen unserer gängigen Praxis. Wieso dann Himmelreich?
Himmelreich ist ein Wort für Gottes Welt, für das Leben, in welchem die Regeln Gottes gelten – im Gleichnis wird dies klar benannt: „Habe ich nicht die Macht zu tun, was ich will, mit dem, was mein ist?“ Gott setzt die Regeln. Er ist der Hausherr, also hat er die Macht, seine Vorstellungen in die Tat umzusetzen. Oder: Gott ist die Hausherrin – wir dürfen es auch so übertragen. Können wir dies gut ertragen. Eine Hausherrin oder einen Hausherrn, die uns zur Arbeit anwerben und dann so unberechenbar handeln?
II.
Unberechenbar, so geht es in diesem Himmelreich zu. Für eine Stunde Arbeit – einen Silbergroschen als Lohn. Für einen Tag Arbeit – einen Silbergroschen als Lohn. Unberechenbar, so stellen wir fest, weil wir immer wieder etwas anderes erwarten. Übertragen wir es in unser Leben: Wer viel arbeitet, soll auch viel verdienen. Umsonst wird nichts geleistet. Sogar mit dem Ehrenamt, in Kirche, Verein, Schule oder Selbsthilfegruppe, erwarte ich mir einen Lohn. Nicht Geld, aber Anerkennung meiner Leistung sollte es schon sein. Der Lohn könnte auch sich so ausdrücken: in sozialen Kontakten, die ich finde, Bewunderung für das, was ich kann, oder manchmal auch negativ: in der Durchsetzung meiner Privatvorstellung „so wäre es besser, so muss man es machen, erst dann ist es richtig“.
Lohn hat also viele Gesichter, und ich rechne fest damit, dass ich ihn bekomme. Warum aber geht die Rechnung oft nicht auf? Habe ich nicht mein Leben für die Firma geopfert, und jetzt schiebt man mich ab? Habe ich nicht mühevoll meine Kinder großgezogen, und jetzt kümmern sie sich gar nicht um mich? Habe ich nicht, habe ich nicht, habe ich nicht? – Kein Himmelreich auf Erden, sondern „Undank ist der Welt Lohn“! Sollte es bei Gott in seinem Reicht nicht anders sein? Aber da kann ich lernen.
III.
Jesu Gleichnis ist nicht geeignet für neue Modelle der Tarifpolitik, obwohl es wahrscheinlich die Situation der damaligen Arbeitslosigkeit aufgreift. Die Arbeitszeit entspricht im Gleichnis der Zeit, in der ein Mensch in Gottes Dienst gestellt wurde, dem Zeitpunkt der Begegnung mit seinem Angebot einer Arbeitsstelle in seinem Weinberg, auf unserer Erde. In der Beschreibung im Gleichnis geht es zu wie in einer Firma. Da gibt es einmal die Arbeiterin, die schon lange dazugehört, viel Erfahrung hat, die aufopferungsvoll ihre Kraft in die Firma gesteckt hat – hat sie nicht Anspruch auf Anerkennung für all das? Oder da gibt es den Arbeiter, der zwar sein Bestes gibt, aber neu und unerfahren ist und in seiner Unkenntnis einiges durcheinander bringt. Soll er dafür noch Lohn bekommen? Vorstellungen, die unserem traditionellen Gerechtigkeitsempfinden entsprechen.
Noch härter empfinden wir es im Vergleichen unserer Lebensschicksale. Die eine Person muss um jede Kleinigkeit kämpfen, der anderen gelingt alles mühelos, fliegt alles zu. In dem einen Haus wohnt die Liebe zwischen Ehepartnern, zwischen Eltern und Kindern, im anderen herrscht Gewalt. Es ist schmerzlich, wenn wir Vergleiche ziehen und das Gefühl haben, benachteiligt zu sein. Unverständnis und Neid fangen an, an uns zu nagen. Kann bei einer solchen Ungleichheit, um nicht zu sagen Ungerechtigkeit, von einem Himmelreich gesprochen werden – und noch dazu von einem Himmelreich auf Erden? Der eine kehrt jetzt Gott und der Lehre Jesu den Rücken zu und sagt: „Angesichts solcher realen Ungerechtigkeiten kann ich an keinen Gott glauben“. Der andere erhofft sich ein Himmelreich nach dem Tod, vertröstet sich auf das Jenseits, wo die paradiesischen Zustände auf ihn warten und die höllischen Qualen auf die anderen, denen gegenüber er sich im Leben benachteiligt fühlte.
IV.
Aber es gibt noch eine andere Möglichkeit, nämlich: noch einmal auf den Bibeltext zu achten und auf das Unberechenbare, das Gott mir gibt.
Martin Luther übersetzt den erhaltenen Lohn mit „Silbergroschen“. Im griechischen Urtext steht „Denar“. Ein Denar war genau die Summe, welche ein Mensch für seinen Lebensunterhalt für einen Tag benötigte. „Tag“ steht im Gleichnis für unser Leben. Dies bedeutet: Gott gibt genau das und so viel, was ich zum Leben brauche.
Ein Gleichnis beschreibt in einem Bild die Realität. So heißt das, was der Mensch braucht, also der Silbergroschen, für die eine Person, die gerade irgendwo gescheitert ist, den Mut, neu anzufangen. Für eine kranke Person Hilfe durch Pflege und Begleitung oder Hoffnung auf Genesung. Für Zerstrittene eine Möglichkeit, den Streit zu beenden, vielleicht sogar, sich zu versöhnen.
V.
Der Silbergroschen im Gleichnis Jesu wird somit zum immensen Schatz. Dieser Schatz ist mit der Güte und Gerechtigkeit Gottes verbunden. Gott hält für uns bereit, was wir brauchen. Uns bleibt damit nicht das normale Leben erspart – im Gleichnis steht dafür die Arbeit im Weinberg. Diese Arbeit, unser Leben, bedeutet auch der pflegliche Umgang mit Gottes Schöpfung sowie die Achtsamkeit in den zwischenmenschlichen Beziehungen, damit wir einander gerecht werden. Solche Arbeit, Lebens- und Seelenarbeit ist nicht nur angenehm, sondern sie belastet, fordert Kraft, Mühe und Anstrengung. Sie ist auch nicht für alle gleich. Ich darf auch keine extra Vergütung erwarten, wenn ich schon lange dabei bin oder besonders hart gearbeitet habe. Aber ich darf im Vertrauen auf Gottes Güte von seiner Gerechtigkeit ausgehen, dass Gott mir zugedacht hat, was ich wirklich brauche. Mit diesem Maßstab verstehe ich den Satz im Gleichnis: „So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein“.
Hierarchien, die wir in unserem Menschenleben nach Leistung, Macht, Wissen oder Geld aufbauen, entsprechen dem Motto „Wer viel hat, der ist jemand“ – sie sind bei Gott ungültig. Gott rechnet nicht wie wir, berechnet nicht unsere Zeit oder unseren Erfolg. Seine Güte und Liebe sind unberechenbar wie ein Geschenk und für uns nicht einklagbar. Abrechungen werden nicht erfolgen. Gottes Güte wird es recht machen. Letzte und Erste sind vor Gott nicht verschieden weit weg und mehr oder weniger nah – sie sollen bekommen, was sie zum Leben brauchen. Dafür sucht der gute Gott unsere Mitarbeit und unsere Einstellung. Amen.