Leid – kein Argument gegen Gott

Predigttext: Markus 8, 31-38
Kirche / Ort: Providenz-Kirche / Heidelberg
Datum: 02.03.2003
Kirchenjahr: Estomihi
Autor/in: Pfarrer Heinz Janssen

Predigttext: Markus 8,31-38 (9,1), (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

31 Und Jesus fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen. 32 Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren. 33 Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh weg von mir, Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist. 34 Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. 35 Denn wer sein Leben erhalten will, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird's erhalten. 36 Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden? 37 Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse? 38 Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem abtrünnigen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln. (9 1 Und er sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Es stehen einige hier, die werden den Tod nicht schmecken, bis sie sehen das Reich Gottes kommen mit Kraft.)

Hinweise zu Auslegung und Predigt

Die Perikope Markus 8,31-38 für den Sonntag Estomihi (vgl. die Abgrenzung bei E. Schweizer, Das Evangelium nach Markus, NTD 1, 4.Aufl., Göttingen 1975, S. 96: Markus 8,27-9,1) gehört in den großen Zusammenhang der Offenbarung Jesu und seines Rufes in die Nachfolge (Markus 8,22-10,52). Jesus lehrt seine Jünger im Hinblick auf seinen Weg, der durch Leiden, Verwerfung und Tod zur Auferstehung führt (V.31). Nach dem Evangelisten Markus ist mit V.31 der zentrale Inhalt der Lehre Jesu beschrieben, was am Anfang von V.32 hervorgehoben wird (vgl. E. Schweizer, a.a.O., S. 88). Die energische Einrede des Petrus („er begann, ihn zu bedrohen“/ aerxato epitiman auto V.32b) zeigt, dass Petrus trotz seines Bekenntnisses zu Jesus als dem Messias (sy ei ho christos V.29b) nichts von Jesus und von Gottes Weg mit ihm verstanden hat. Diese „Erkenntnis“ vermittelt ihm das Jesuswort „Du denkst nicht die Gedanken Gottes, sondern die der Menschen“ (V.33b). In Markus 8,34-38(9,1) sind vier (bzw. fünf) Jesusworte zusammengestellt: 1) V.34, 2) V.35, 3) V.36 (ursprünglich ein Sprichwort?, E. Schweizer, S. 94). 37, 4) V.38, 5) 9,1. Mit diesen Worten zeigt Jesus auf, wie Nachfolge möglich ist. Die Predigt steht vor der schwierigen homiletischen Aufgabe, diese Jesusworte, Markus 8,34-38 (9,1) in die heutige Lebenssituation zu übertragen. Was heißt heute „Jesus nachfolgen“/“ihm hinterhergehen“ (V.31)? Ich versuche zu „buchstabieren“: Es geht um ein Leben, an dem Gott Wohlgefallen hat, ein Leben, in dem ich mich „mit Herz, Mund und Händen“ öffne für die Welt und ihre täglichen Herausforderungen und für die Menschen, der Begleitung und Hilfe brauchen. Der Weg in der Nachfolge Jesu ist – wie Jesu Weg zeigt - durch Hingabe und durch ein Für-andere-dasein gekennzeichnet. Ein solcher Weg ist keineswegs Verzicht, sondern Lebensfülle und nicht zuletzt ein Sich-selbst-finden. So höre ich in Jesu Rufen in die Nachfolge sein Ruf zum Leben, der mich ermutigt und stärkt auf dem Weg des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe. Ich will mir sagen lassen und es weitersagen: Leid ist kein Argument mehr gegen Gott und unseren Glauben an ihn.

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Liebe Gemeinde!

Dieser Sonntag ist an vielen Orten, auch hier in Heidelberg, von der Faschingszeit bestimmt. Ausgelassene Freude noch bis zum Aschermittwoch, dann beginnt am nächsten Sonntag die Passionszeit. Der Predigttext zum heutigen Sonntag Estomihi aus dem Evangelium nach Markus führt uns schon durch die Tür zu dieser schwer zu verkraftenden Zeit des Kirchenjahres, die uns mit den dunklen Seiten unseres Lebens konfrontiert. Wie gehen wir mit unseren leidvollen Erfahrungen um? Wie wirken sie sich auf unser Selbstvertrauen und auch auf unseren Glauben, unser Gottvertrauen, aus? Das Evangelium ruft uns heute auf, uns auf den Weg des Leidens Jesu zu besinnen. „Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken“, heißt es in einem Passionslied.

Orgelchoral zu EG 91 „Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken“

I. Und Jesus fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen. Und er redete das Wort frei und offen.

Jesus eröffnet seinen Jüngern, dass er leiden muss, verworfen und getötet werden wird. Frei und offen spricht Jesus über seinen Leidensweg. Er wirkt nüchtern, sieht klar, was geschehen wird. Er kennt seine Mitmenschen, die Großen seiner Zeit, die seine Vernichtung betreiben werden, er kennt seinen unausweichlichen Tod und er weiß von dessen Überwindung in der Auferstehung. Diese Eröffnung geht an die Menschen, die ihm nahestehen, seine Freunde, seine Begleiter, die Jünger, sein Vertrauten.

Menschen, die uns nahestehen, wünschen wir Gutes. Wir wollen nicht, dass es ihnen schlecht geht, dass sie leiden müssen. Auch uns geht es dann schlecht, und das Leben wird unerträglich. Gutes herbeiwünschen, Schweres fernhalten wollen – das gehört zur menschlichen Art. Was Jesus erleiden musste, das wünschen wir nichteinmal dem ärgsten Feind!

II. Und Petrus nahm Jesus beiseite und fing an, ihm zu wehren.

Wen wundert es, dass Petrus Jesus vor Gefahr und Leiden bewahren wollte. Wir können Petrus verstehen. Er kann es nicht ertragen, wenn Jesus vom Leiden und Sterben redet. Es passt weder in seine Wünsche noch in seine Erwartungen noch in sein Herz. Eben gerade hat er sich zu Jesus als dem Christus, dem Messias, bekannt. Petrus hört, was Jesus sagt, und es erscheint alles umsonst, verbunden mit Leid und Tod stirbt ihm seine Hoffnung, sein Glaube an eine Welt voller Gerechtigkeit und Liebe, wie Jesus sie gelehrt hat. Den Sieg in der Auferstehung kann er nicht mehr begreifen, weder hören noch verstehen.

„Warum wurde denn Jesus gekreuzigt?“, so fragte mich ein Kind im Religionsunterricht der zweiten Grundschulklasse. – Wir wissen es von unserer christlichen Lehre her und wenn wir verstanden haben, was “Auferstehung” bedeutet. Aber wäre es uns nicht lieber, wenn Gott Jesus diesen Weg erspart hätte? Schon die Evangelien und die Briefe an die Gemeinden spiegeln das mühsame Lernen, das Leiden und die Kreuzigung Jesu mit Gott und seinem Heilsweg in Verbindung zu bringen. “Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden…”, sagte Jesus. Wie sollen wir dieses ‘muss’ verstehen?

Auf welche Art und Weise der Christus, der Messias, seine Herrschaft antreten sollte, daran schieden sich die Geister, und sie scheiden sich bis heute. Es gibt in der Kunst der Vergangenheit und Gegenwart viele Jesusdarstellungen. Die beliebtesten sind bis heute Darstellungen einer herzlich milden und sanften Christusgestalt, wie sie besonders auf Bildern aus dem 19.Jahrhundert zu sehen ist; diesen entspricht auch das Christusfenster hier in der Providenz-Kirche.

Noch immer ist mit dem leidenden und gekreuzigten Jesus schwer umzugehen. Darum haben wir Verständnis für Petrus, der Jesus auf dessen Leidensankündigung beiseite nahm und anfing, ihm zu wehren.

III. Jesus aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh weg von mir, Satan! denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.

Jesus weist Petrus mit diesen Worten hart zurück: “Geh weg von mir, Satan! denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist”. Das so menschliche Denken erfährt durch Jesus ein vernichtendes Urteil: satanisch … Jesus schickt Petrus auf einen bestimmten Platz! Was Martin Luther mit “Geh weg” übersetzte, heißt wörtlich: “Hinter mich!” Dies bedeutet: Der vom Weg der Nachfolge Jesu abgewichene Petrus soll wieder hinter seinem Herrn hergehen. Hinter ihm sein bedeutet auch: ihn stützen, den Rücken stärken, auffangen und loyal sein, nur so ist ein Ihm-Nachfolgen möglich. Jesu Worte gelten allen, die seinen Weg nicht mit Leiden und Kreuz zusammenbringen wollen, auch unserer auf Jesus sich berufenden Kirche.

IV. Und Jesus rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: “Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s erhalten. Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden? Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse?

“Lasset uns mit Jesus ziehen”, so heißt es im heutigen Wochenlied, das uns auf den Weg Jesu einstimmen und uns in seine Nachfolge rufen möchte. Wer diesem Aufruf folgt, soll wissen, was er tut.

Auf dem Weg der Nachfolge Jesu geht es nicht immer nach menschlichen Wünschen. Christsein heißt: diesem Jesus “mit Herz, Mund und Händen” nachfolgen, sich auf ein Leben einlassen, in dem wir uns Gott anvertrauen. “Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich”, sagt Jesus; d.h. der mache sich nicht selbst zum Maßstab, sondern orientiere sich an Jesus, dem Christus, und mit ihm an Gott.

Jesus konfrontiert uns mit einem scheinbaren Widerspruch: “Wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s erhalten”. Gewinnen und Verlieren stehen auf dem Spiel – verlorenes, in die Irre laufendes und erhaltenes, bewahrtes Leben. Die Fortsetzung der Worte Jesu ruft es uns in Erinnerung und fordert uns heraus, über unser Leben nachzudenken: “Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sich selbst verliert und Schaden nimmt?” Jesus fragt, weil er will, dass wir erkennen, was uns wirklich trägt, was uns in einem tiefen Sinn rettet. Dass dies nicht käuflich und bezahlbar ist, dem gibt Jesus mit einer weiteren rhetorischen Frage Ausdruck: “Was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse?”

Orgelchoral zu EG 98: Korn, das in die Erde

Jesus stellt uns den Weg der Nachfolge vor Augen. Kein bequemer und leichter Weg. Wer Jesus nachfolgt, soll wissen, was er tut. Auf dem Weg der Nachfolge Jesu ist Hingabe, Für-andere-dasein, gefragt. Ein solcher Weg bedeutet keineswegs Verzicht, sondern Lebensfülle und nicht zuletzt Sich-selbst-finden. Den Kreuzweg Jesu mitgehen, sich dabei der Führung Gott anvertrauen – dieser Weg führt zum Leben, und an seinem Ende steht die Erfahrung: Gott hat alles wohlbedacht. Leid ist kein Argument mehr gegen Gott und unseren Glauben an ihn.

V. Wer sich aber meiner Worte schämt unter diesem abtrünnigen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.

Jesu Worte sind “Evangelium”, d.h. gute Meldung, Ankündigung, Nachricht, Botschaft – für uns, damit wir den Weg des Lebens nicht verfehlen, den Weg des “Glaubens, der Hoffnung und der Liebe”. „Wer sich aber meiner Worte schämt…, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen…“, sagt Jesus. Entscheidend wird sein, wessen sich Jesus schämt oder nicht. Gott wecke in uns den Glauben, das Vertrauen, dass er unsern Glaubensweg heute stärkend begleitet. Amen.

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