Anvertraute Erde
Predigttext: Markus 12,1-12 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
1 Und er fing an, zu ihnen in Gleichnissen zu reden: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Turm und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes. 2 Und er sandte, als die Zeit kam, einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von den Weingärtnern seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs hole. 3 Sie nahmen ihn aber, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort. 4 Abermals sandte er zu ihnen einen andern Knecht; dem schlugen sie auf den Kopf und schmähten ihn. 5 Und er sandte noch einen andern, den töteten sie; und viele andere: die einen schlugen sie, die andern töteten sie. 6 Da hatte er noch einen, seinen geliebten Sohn; den sandte er als letzten auch zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen. 7 Sie aber, die Weingärtner, sprachen untereinander: Dies ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein! 8 Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg. 9 Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben. 10 Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen (Psalm 118,22-23): »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. 11 Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unsern Augen«? 12 Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen, und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, dass er auf sie hin dies Gleichnis gesagt hatte. Und sie ließen ihn und gingen davon.Gedanken zur Predigt
In der Predigtvorbereitung zum Gleichnis Jesu, Markus 12,1-12 (zur Exegese verweise ich auf E. Schweizer, NTD 1, Göttingen 1975, S.131-133) bin ich an dem schon im Ersten Testament (Jesaja 5,1-7) bekannten Bild „Weinberg“ hängen geblieben und habe mich davon leiten lassen. Der Weinberg steht in alter Tradition für die geliebte Braut, in theologischem Sprachgebrauch für das Volk Gottes, von dem Gott gute Früchte erhofft. Das Pflanzen des Weinbergs in Jesu Gleichnis, das Einzäunen, das Keltergraben und der Bau eines (Wach-)Turmes bis hin zur Enttäuschung des Weinbergbesitzers, die in Jesu Erzählung anklingt, erinnern an die Motive im prophetischen Weinberglied (Jesaja 5,1-7). Mit dem anvertrauten Weinberg assoziiere ich in meiner Predigt im weiteren Sinn den Garten Eden, in den Gott den Menschen „setzte“ und ihm den Auftrag gab, ihn zu bebauen und zu bewahren (1. Mose 2,15). Dieser Schöpfungsauftrag, der den Menschen zum Mandatar Gottes macht, gehört zum kostbaren Erbe der israelitisch-jüdischen Religion. Ich lege den Schwerpunkt nicht auf das oft zu einseitig und nicht selten anti-jüdisch/judaistisch verhandelte Thema „Christen und Juden“ bzw. „Synagoge und Kirche“ (vgl. schon die Überschriften zum Bibeltext – Lutherbibel (= Zürcher Bibel): „Von den bösen Weingärtnern“, rev. Elberfelder Bibel: „Gleichnis von den Weingärtnern“), sondern denke dem Handeln des Weinbergbesitzers nach, dass er seinen Weinberg anderen anvertraut. So weitet sich für mich die Rede vom Weinberg zur Metapher von der uns, allen Menschen, anvertrauten Erde. Eine wichtige Bedeutung hat für mich die Rede von den „Knechten“, in der sich das Schicksal nicht weniger Propheten spiegelt, die in Gottes Namen oft als unbequeme Mahner dafür warben, dem Vertrauen, das Gott in uns Menschen setzte, gerecht zu werden. Brauchen wir nicht auch heute im lärmenden Stimmengewirr die Achtsamkeit auf solche prophetische Stimmen, die uns an unsere eigentliche Bestimmung quer durch Nationen, Kulturen und Religionen erinnern?Liebe Gemeinde!
Vertrauen von einem anderen Menschen entgegengebracht zu bekommen, tut uns gut. Und mehr noch, wenn uns jemand etwas anvertraut, eine Aufgabe, die uns fordert und in eine Verantwortung stellt (Beispiele).
I.
In Jesu Gleichnis ist es ein Weinbergbesitzer, der seinen wohlbestellten Weinberg an Winzer verpachtet und mit dem Vertrauen verreist, dass alle in guten Händen liegt.
Weil Jesus den Menschen mit seinen Gleichnissen helfen wollte, in der Wirklichkeit unseres Lebens tiefer zu sehen und mehr auf jene „erste Wirklichkeit“ (so ein Ausdruck von Willigis Jäger) zu achten, liegt es nahe, den Weinbergbesitzer mit Gott in Verbindung zu bringen, den Weinberg mit der Erde und die Winzer mit uns Menschen.
„Anvertraute Erde“, so könnte die Überschrift über dem Gleichnis Jesu lauten. Wir werden dabei an die Schöpfungsgeschichte erinnert, wie sie auf den ersten Seiten der Bibel steht. Dort ist von dem Garten Eden die Rede, den Gott dem Menschen anvertraute mit dem Auftrag, ihn zu bebauen und zu bewahren. Dieser Auftrag ist nicht auf das Bestellen des Erdbodens beschränkt. Der Schöpfungsauftrag meint auch die menschlichen Beziehungen, die Achtsamkeit im Umgang miteinander, die Art und Weise, wie Konflikte im persönlichen und gesellschaftlichen Bereich gelöst werden.
II.
Wir spüren heute mehr denn je, wie wichtig ein „Weltethos“ ist, das alle Menschen, Gesellschaften und Völker trotz aller nationalen und kulturellen Verschiedenheit verbindet. Es war der katholische Theologe Hans Küng, der vor etwa 20 Jahren in Anlehnung an die Rede von der „Weltpolitik“ und „Weltwirtschaft“ diesen Begriff „Weltethos“ prägte und damit den so notwendigen Dialog der Kulturen und Religionen einforderte. Bestimmend in dieser Forderung war für Hans Küng die Erkenntnis, dass die großen Weltreligionen in den wichtigsten ethischen Menschheitsthemen viel mehr übereinstimmen als gegeneinander stehen. So z.B. in dem Thema „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“, wie es in diesem Dreiklang seit einigen Jahrzehnten benannt wird.
Ich empfehle, sich dazu einmal die Ausstellung anzuschauen, die am vergangenen Donnerstag im Gemeindhaus unserer katholischen Nachbargemeinde zur „Woche der Brüderlichkeit“ eröffnet wurde. Dort ist die sogenannte „Goldene Regel“ aus der Bergpredigt Jesu zu lesen: „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch“. Neben dieser Tafel mit der „Goldenen Regel“ sind dann Texte aus dem Koran, auch von Konfuzius zu lesen, die dadurch überraschen, dass sie inhaltlich mit Jesu Worten völlig übereinstimmen.
Es gibt also diese „Goldene Regel“ gerade in den Religionen, die bis heute leider noch viel zu wenig voneinander wissen, ich meine das Judentum, das Christentum und den Islam. Schon in vorchristlicher Zeit ist die eigentlich so einleuchtende Regel bei Konfuzius zu lesen, später im Tobiasbuch, das zu den jüdischen apokryphen Schriften des Ersten Testamentes gehört, mit dem uns vielleicht schon seit Kindsheitstagen bekannten Sprichwort: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu.“
III.
Anvertraute Erde, anvertraute Menschen, auch Tiere und Pflanzen, anvertraute Schöpfung. Wieviel Zerstörung jeden Tag, wieviel Bedrohung im persönlichen und gesellschaftlichen Bereich! Um es mit den Worten des Gleichnisses Jesu zu sagen: die einen werden geschlagen und mit leeren Händen fortgeschickt, die anderen werden beschimpft und wieder andere sogar getötet. In Serbien war es in diesen Tagen der Mord an Ministerpräsident Zoran Djindjic, der sein Land aus der menschenfeindlichen Diktatur in die Demokratie führte. In den USA war es vor vierzig Jahren der Mord an Martin Luther King, der zur Geschwisterlichkeit zwischen Schwarzen und Weißen aufrief und dazu, den Krieg als Mittel der Politik zu ächten und als überholt zu erklären. Der Gott des Friedens bewahre seinen Garten Eden, seinen Weinberg, vor dem drohenden Krieg. Mögen sich diejenigen, die meinen, dass es ohne Krieg nicht gehe, im Sinne unseres Gleichnisses „vor dem Volk fürchten“, welches in aller Welt aufsteht und sich gegen einen Krieg erklärt. Nicht zu vergessen die alltäglichen Hiebe, die wir mit unseren Worten täglich austeilen können. Auch Worte können töten, und ich füge hinzu: auch unser Verhalten.
IV.
„Uns ist gesagt, was gut ist,“ heißt das Motto der „Woche der Brüderlichkeit“, zu der die Gesellschaften der christlich-jüdischen Zusammenarbeit aufgerufen haben. Es ist bewusst im Anklang an die Worte des Propheten Micha formuliert: „Es ist dir gesagt Mensch, was gut ist und was Gott bei dir sucht: nämlich Gottes Rechtswillen tun, Gemeinschaftssinn (Solidarität) lieben/pflegen und wachsam/aufmerksam mitgehen mit deinem Gott (Micha 6, 8, Übersetzung nach H.W.Wolff).
Es sind die Propheten, welche die Menschen und Völker immer wieder an ihre eigentliche Bestimmung und ihren Auftrag erinnert haben und damit auch an jene „erste Wirklichkeit“, die Quelle, der wir uns verdanken, dem Licht, das Wärme bringt, dem Atem, der uns mit allen Geschöpfen zu einem lebendigen Wesen werden lässt, der Beziehungsfähigkeit, die uns den Kontakt, den Dialog, das Wahrnehmen des Anderen und Fremden, ermöglicht.
Jesus erinnert in seinem Gleichnis mit der Rede von den Knechten an jene Propheten, die unermüdlich den Menschen und Völkern zu Herzen redeten, sie auch aufrüttelten und forderten, weil der Mensch nicht des Menschen Feind sein darf.
In dem Schicksal der Knechte spiegelt sich das Schicksal nicht weniger Propheten, die wegen ihrer so menschenfreundlichen aber gerade darum nicht bequemen Botschaft verspottet, für verrückt erklärt, geschlagen oder sogar getötet wurden. Denken wir nur an Jeremia, der nach Ägypten verschleppt und dort von Angehörigen des eigenen Volkes umgebracht wurde.
V.
Und da ist noch ein Prophet. In der Mitte des Gleichnisses hören wir:
“ Da hatte er noch einen, seinen geliebten Sohn; den sandte er als letzten auch zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen. Sie aber, die Weingärtner, sprachen untereinander: Dies ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein! Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg“. Unüberhörbar spricht aus diesen Worten der Leidensweg Jesu – bis hin zu seinem Tod am Kreuz, draußen vor den Toren Jerusalems.
Am heutigen zweiten Sonntag in der Passionszeit, der den Namen „Reminiscere“ trägt, bitten wir Gott mit Worten aus dem 25. Psalm, dass er seiner Barmherzigkeit gedenke – reminiscere . Gleichzeitig sind wir aber durch Jesu Gleichnis aufgerufen, Gottes zu gedenken und Jesu, seines geliebten Sohnes, jenes Propheten aus Nazareth. „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist (mit ihm) zum Eckstein geworden“ (Psalm 118,22f.).
„Denn sie verstanden, dass er auf sie hin dieses Gleichnis gesagt hatte“, so heißt es gegen Ende der Winzerparabel. Mögen wir erkennen, dass Jesus auch auf uns hin dieses Gleichnis erzählte, nicht um uns zu verurteilen, sondern um uns zu gewinnen, weil Gott will, dass wir die Früchte seines Weinbergs auch ernten können. Amen.