Unheils- und Heilsgeschichte: Ein Wechsel ohne Ende?
Predigttext: Markus 12, 1-12 (Übersetzung nach Martin Luther, Rev. 1984)
1 Jesus fing an, zu ihnen in Gleichnissen zu reden: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Turm und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes. 2 Und er sandte, als die Zeit kam, einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von den Weingärtnern seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs hole. 3 Sie nahmen ihn aber, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort. 4 Abermals sandte er zu ihnen einen andern Knecht; dem schlugen sie auf den Kopf und schmähten ihn. 5 Und er sandte noch einen andern, den töteten sie; und viele andere: die einen schlugen sie, die anderen töteten sie. 6 Da hatte er noch einen, seinen geliebten Sohn; den sandte er als letzten auch zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen. 7 Sie aber, die Weingärtner, sprachen untereinander: Dies ist der Erbe; kommt, laßt uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein! 8 Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg. 9 Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben. 10 Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen (Psalm 118,22.23): „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. 11 Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unseren Augen“? 12 Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen, und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, daß er auf sie hin das Gleichnis gesagt hatte. Und sie ließen ihn und gingen davon.Homiletisch - liturgische Vorbemerkungen
1) Schon die liturgische Zuordnung des Bibelabschnittes als eine Perikope in der Fasten- bzw. Passionszeit kann ihre Auslegung beeinflussen. Sowohl die Bezeichnung „Fastenzeit“ wie der im evangelischen Bereich vorherrschende Ausdruck „Passionszeit“ stellen je ein bestimmtes Element dieser Zeit des Kirchenjahrs besonders heraus. Der Begriff „Passionszeit“ war ursprünglich auf die Karwoche bzw. die beiden letzten Wochen vor Ostern beschränkt, während beim Terminus „Fasten“ auch der Bezug auf die Taufvorbereitung und auf die Bußpraxis eine Rolle spielte. Das neue römische Meßbuch behält den Namen „Fastenzeit“ bei, stellt ihm aber die Bezeichnung „Österliche Bußzeit“ zur Seite. In der Liturgiekonstitution des II.Vatikanischen Konzils heißt es (vgl. Karl-Heinrich Bieritz, Das Kirchenjahr, Berlin 1986, 94): Die vierzigtägige Fastenzeit hat die doppelte Aufgabe, vor allem einerseits durch Tauferinnerung oder Taufvorbereitung, andererseits durch Buße die Gläubigen, die in dieser Zeit mit größerem Eifer das Wort Gottes hören und dem Gebet obliegen sollen, auf die Feier des Pascha-Mysteriums vorzubereiten“ (Art. 109). Damit werden die beiden Elemente der Taufe und der Buße erneut in den Vordergrund gerückt; gegebenenfalls sollen sie „aus der älteren Tradition wieder hervorgeholt werden“. Zugleich wird der soziale Sinn der vorösterlichen Bußpraxis eingeschärft: „Die Buße der vierzigtägigen Fastenzeit sei nicht bloß eine innere und individuelle Übung, sondern auch eine äußere und soziale“ (Art. 110). Dieser Rahmen des Kirchenjahrs kann auch für den homiletischen Umgang mit unserem Text normativ werden, vor allem im Blick auf eine Mittelpunktstellung des Aspektes „Buße“, wobei weitere, auch geschichtsphilosophische Überlegungen eine Rolle spielen können. Ein Beispiel: „Undiskutabel ist es, das Gleichnis auf Geschichte und Geschick des Volkes Israel zu beziehen“ – so Claus Maier (DtPfBl 2/2003, 83) in Abwehr „antijudaistischer“ Vorstellungen. 2) Noch in der Agende der VELKD Band I von 1955 ist als Evangelium für „Reminiszere“ die „Geschichte vom kanaanäischen Weib“ (Matth. 15, 21-28) vorgesehen. In der Einleitung zu diesem Sonntag heißt es: „Das Evangelium macht uns zu Zeugen dessen, daß der Herr (=Jesus) durch den demütigen Glauben des heidnischen Weibes überwunden, den Willen des Vaters erkennt und erfüllt, die Epistel (1. Thess. 4, 1-7) ruft auf zum Gehorsam auf dem Wege der Heiligung“. Im „Evangelischen Gottesdienstbuch“ (2000) findet sich dann Mk. 12, 1-12 als Evangelium und Röm. 5, 1-5[6-11] als Epistel. Warum diese Änderung? In der von mir eingesehenen Predigtvorbereitungsliteratur wird das stillschweigend übergangen. 3) Exegetisch läßt sich eine mehrstufige Überlieferungsgeschichte unseres Textes rekonstruieren: „Das Gleichnis für sich allein erklärt Jesu Passion, parallel dem Schicksal der Propheten, mit dem Unglauben Israels und ist also Bußruf. Mit V. 10f. hat die Gemeinde ihre Überzeugung vom Ostersieg Gottes über die Ablehnung der Menschen als eigentliche Pointe angefügt. Markus schließlich unterstreicht durch seine redaktionelle Einfügung am Anfang und Ende, daß Jesu Botschaft nur von dem verstanden werden kann, der sich so davon ergreifen läßt, daß er selbst dabei beteiligt ist. Ob dies ein Nein oder ein Ja zu Jesus bedeutet, hängt nach Markus vor allem daran, ob der Mensch meint, ein Vorrecht auf Gott zu besitzen und ihn für sich beanspruchen zu können, oder ob er, wie die Heiden, Gottes Gnade mit leeren Händen begegnet“ (Eduard Schweizer, Das Evangelium nach Markus. NTD 1, Göttingen 111967, 138). Was V. 10 anbelangt, so kann man dies – auch neueren ideen- und theologiepolitischen Vorstellungen entsprechend- anders profilieren: „Die Gemeinde hat die Parabel mit eher allegorisierenden Zügen gelesen und mit V10f. als Rechtfertigung für ihre Abgrenzung vom Judentum stärker ihr heilsgeschichtliches Selbstverständnis betont“, während Markus zeige, „daß die Repräsentanten und Führer Jesus verworfen haben, nicht das gesamte jüdische Volk“ (Norbert Ittmann, in: Homiletische Monatshefte 78, 2002/2003, Heft 4, 2003, 161). Spätestens hier wird deutlich, wie Zeitgeschichte und Zeitbedürfnisse die Auslegung kanalisieren können. Neben allegorischen Auslegungen verschiedenster Art und der Abwehr „antijudaistischer“ Vorstellungen (Was ist eigentlich „Antijudaismus“ genau?) finden sich in der neueren Predigtgeschichte hier z. B. sozialgeschichliche Auslegungen mit ihrem Bemühen, die „bösen Knechte von heute“ zu identifizieren (der Bogen reicht von Gorge W. Bushs „Achse des Bösen“ über reiche Staaten, raffgierige Manager, Globalisierer bis hin zur „Amtskirche“) und auch solche eher psychoanalytischen Charakters: so z. B. bei Helga Bundesmann-Lotz (PrSt 2002/2003, 1. Halbband, 2002, 212): „Mit dem dritten Schritt bin ich bei mir selber. Jeden Menschen als gottgewollte Rebe in Gottes Pflanzung, Gottes Weinberg zu sehen! Gottes Anlagen sind in jedem von uns, und sie bewahrend, pflegend und fördernd sind wir auch selber ‚Pächter‘ “. 4) Ich gehe von Hans Weders (Die Gleichnisse Jesu als Metaphern, 1990, 158) aus: Die Parabel will das „werbende, um Verständnis bittende Handeln Gottes (ausdrücken), das mit den Propheten des Alten Bundes angefangen hatte und in der Sendung des Sohnes seine Klimax und zugleich sein Ende erreicht hat, indem Gott mit der Auferstehung Jesu von den Toten der Welt so nahe gekommen ist, daß er auch ihr Nein zu ihm überholt hat“. Damit wird der „unselige Rhythmus der Unheilsgeschichte“, die unaufhörliche Fortsetzung des „Schemas der Unheils- und Heilsgeschichte“ unterbrochen: „Das Wunder (V. 11!) beendet diesen Circulus vitiosus, indem es diese Welt des Unrechts zu Ende bringt und eine neue Schöpfung beginnen lässt. Dass dieser Neubeginn noch nicht das ersehnte Ende der alten Welt und den Wiederanbruch des Paradieses im neuen Jerusalem bedeutet, war der ersten Christenheit noch nicht klar“ (Dietrich Stollberg, in: PrSt 2002/2003. 1. Halbband, 2002, 208). Da von Anfang an also die Auslegungsgeschichte ein wichtiger Bestandteil des Textes selbst ist, versuche ich, die Hörerin/den Hörer mit in dieselbe hineinzunehmen. Nicht nur der Text, sondern auch wir selbst haben eine Geschichte. Das hat mit „Relativierung der biblischen Botschaft“ nichts zu tun, wohl aber mit ihrer Aktualität jenseits blindem Aktionismus oder quietistischem Biblizismus. 5) Auch wenn das Kirchenjahr nur noch an bestimmten Festtagen eine Rolle zu spielen scheint, möchte ich nicht auf Psalm 25, 6 ( „Reminiscere“: „Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit..“) als Leitvers verzichten. Als Introitus empfiehlt sich eine Auswahl aus Psalm 10 (etwa 3-4. 12. 18). Als Epistellesung legt sich Jes. 5, 1-7 nahe. Auf das Wochenlied EG 366 (Wenn wir in höchsten Nöten sein) braucht man nicht zu verzichten, wenn man nicht eine strenge „Homiletisierung“ des ganzen Gottesdienstes anstrebt. Das Oszillieren zwischen Fasten- und Passionszeit sowie manche Melodien machen die weitere Liedauswahl schwierig. Ich schlage vor: EG 76 (O Mensch bewein dein Sünde groß); EG 79 (Wir danken dir, Herr Jesu Christ); EG 97 (Holz auf Jesu Schulter); EG 398 (In dir ist Freude).Liebe Gemeinde!
Anything goes?
„Im Auslegen seid frisch und munter. Legt ihr’s nicht aus, so legt es unter“!: Goethes bissige Bemerkung in seinen „Zahmen Xenien“ gilt auch im Blick auf den Umgang mit biblischen Texten! Nicht nur die Bergpredigt und das Gleichnis vom barmherzigen Samariter sind hier zu „Märtyrern“ geworden. Auch die Suche nach den für die jeweilige Zeit „bösen Weingärtnern“ hat nie aufgehört. Selbst diejenigen, die sich für „bibeltreu“ erklären und an einem „wörtlichen“ Verständnis der Bibel festhalten wollen, machen da keine Ausnahme. Auch sie sind Kinder ihrer Zeit.
Was unsere Zeit anbelangt, so ist das „Anything goes“ modern: Alles geht! „Anything goes“ heißt es da! Nicht mehr „Abgrenzung“, sondern „Dialog“ gilt als Gebot der Stunde. Nicht wenige Zeitgenossen verstehen darunter schlicht „Beliebigkeit“! Sokrates, Goethe, Walt Disney, Simmel, Marx und Mao, der Papst und Eugen Drewermann, Feminismus, Vollwertkost, indianische Erdreligion und Okkultismus: zwar andersartig, aber gleichwertig! Da lautet ein sogenanntes „Religionsbekenntnis“ von 1988: „Ich bin ein jüdisch-christlicher-islamischer-buddhistischer Taoist mit hinduistischen Neigungen“.
Damit wird das Bekenntnis zur Gleichgültigkeit noch übertroffen, das mir nicht nur während meiner Zeit als Pfarrer in Nassau und Oberhessen begegnete:“Was wollen Sie denn, Herr Pfarrer? Ob Christ, ob Jud, ob Hottentott – Wir glauben all an einen Gott“!
Das war nicht unbedingt böse gemeint; denn, liebe Gemeinde: Ist es eigentlich heute noch so wichtig, an was wir glauben? Ist nicht entscheidend, daß man überhaupt noch an etwas glaubt? Müssen wir in unserer „Risikogesellschaft“ (Ulrich Beck) nicht selbst aus den vielen religiösen Angeboten unser eigenes religiöses „Menu“ zusammenstellen?
Das klingt liberal, zeitgemäß! Kann aber eine solche „Speisekartenreligion“ wirklich, um die Formulierung der Frage 1 des „Heidelberger Katechismus“ von 1563 zu gebrauchen, unser „einziger Trost im Leben und im Sterben“ sein? Um diesen „einzigen Trost im Leben und im Sterben“ geht es aber auch in diesem Gleichnis Jesu von den „bösen Weingärtnern“!
Wir sind nicht die ersten Hörer Jesu!
Wir sind allerdings nicht seine ersten Hörer! Andere haben längst vor uns diese Geschichte gehört, bedacht und weiter an ihr geschrieben, um Jesus in ihrer Situation zu verstehen. In der uns heute vorliegenden Gestalt des Gleichnisses geht es um das werbende Handeln Gottes, das mit den Propheten des Alten Bundes begonnen und das in der Sendung und im Geschick Jesu seinen Höhepunkt erreicht hat. Gott ist mit der Auferweckung Jesu von den Toten unserer Welt so nahe gekommen, daß er auch ihr Nein zu ihm überholt hat.
Im Gleichnis wird Gott zunächst als ein extrem frustrierter, leidender und verhöhnter Herr des über alles geliebten Weinbergs vorgestellt. Als solcher kommt er wütend zum Gericht. Er läßt die bösen Pächter „umbringen und den Weinberg anderen geben“. Das entspricht auch unserem Verständnis von einer „Durchgriffsreligion“: Gott setzt seinen Willen, seine Gebote durch. Da wird streng „von oben nach unten“ gedacht!
Daß Gottes „Strafe“ in Barmherzigkeit und Gnade umschlagen kann, daß um Jesu willen Gott auch „von unten nach oben“ denkt– das paßt nicht in unsere „normale“ Gottesvorstellung, die „von oben nach unten“ geht, hinein. Aber: Der Gott Jesu ist offenbar anders! Davon ist unser Gleichnis überzeugt! Der Herr des Weinbergs hat „ein Wunder vor unseren Augen“ vollbracht! Und dieses Wunder wird so beschrieben: Die unselige Fortsetzung des Kreislaufs von Unheils- und Heilsgeschichte hört auf: In Jesus hat Gott diese Welt des Unrechts zu Ende gebracht. In Jesus hat er eine neue Schöpfung begonnen.
Der Kreislauf von Unheils- und Heilsgeschichte: Blättern wir da ein wenig in der Bibel! Gott schafft ein Paradies – der Mensch zerstört die liebevolle Beziehung zu dem Herrn des Gartens Eden und muß unter dem Fluch der Vertreibung leiden – Gott erbarmt sich – erneut geschieht ein Bruch – wiederum segnet Gott seine Schöpfung durch einen Bund (Noah!)- erneut zerstört der Mensch, was gut gewesen war – und noch einmal erbarmt sich Gott. Das ist schon eine Grundmelodie der Bibel.
In Jesus wird nun -davon ist unser Gleichnis überzeugt- dieser Kreislauf beendet. In ihm kommt Gott zu seinem Ziel. In Jesus überholt er auch das Nein der Welt zu ihm. Dankbar bekennen die ersten Hörer unseres Gleichnisses, daß sie nun neue Miterben des Weinbergs, des Reiches Gottes sind.
Damit ist aber unsere Geschichte noch nicht zu Ende. An ihr wurde und wird weiter geschrieben! Auch die neuen Pächter des Weinbergs bleiben dem Rhythmus von gnädiger Neuschöpfung, Verrat, Gericht und Wiederanfang unterworfen. Auch die Christen als neue Miterben des „Weinbergs“ sind auf die Hoffnung angewiesen, daß Gott immer wieder neu beginnt. „Simul iustus et peccator“: „Gerechter und Sünder zugleich“ – so hat Martin Luther das umschrieben. Auch für uns ist dieses Gleichnis, wie bei Jesu ersten Hörern, ein Bußruf!
Buße als Dauerthema der Kirche?
„Buße“ – sind wir aber damit nicht wieder bei einem Dauerthema der Kirche? „Tut Buße!“ – das ist für die einen leicht ein Appell an die anderen, für die anderen aber ein Grund, es mit der Kirche gar nicht erst zu versuchen, weil in ihr offenbar eine depressive, eine negative Grundeinstellung herrsche.
„Kirche sagt stets, was man nicht darf“! – so formulieren es nicht nur Konfirmanden! Der Ausdruck „abkanzeln“ ist längst zu einem „Geflügelten Wort“ geworden. Hat nicht der bekannte Journalist Johannes Gross Recht mit seiner Behauptung: „Zum öffentlichen Klima der Bundesrepublik tragen auch die Kirchen ihren Scheffel Mehltau bei.
Seit der Stuttgarter Schulderklärung von 1945 ist die protestantische Kirche den Deutschen keine Handreichung schuldig geblieben, die weniger frohe Botschaft enthielt als den permanenten Ruf zur Buße und Umkehr. In ihr herrscht heute gleichsam ein ewiger Karfreitag, so daß die Verheißungen des Evangeliums dem Kirchenvolk nur in violetten Farben verkündigt werden. Ein schlechtes Gewissen gegenüber der Welt wird den Christen als ein gutes Bewußtsein eingeredet“. Soweit Johannes Gross mit seinen ärgerlichen, aber bedenkenswerten Sätzen. Gross hätte hier allerdings auch auf Friedrich Nietzsche hinweisen können: „Die Christen müßten erlöster aussehen, wenn ich an ihren Gott glauben soll“.
Buße als Dauerthema der Medien?
Was Johannes Gross der Kirche ins Stammbuch schreibt, das müßte er heute, wenn er noch leben würde, allerdings auch seiner eigenen Zunft, nämlich vielen Zeitungen, Illustrierten, Magazinen oder Fernsehsendungen ankreiden. Es gibt doch mehr Prediger ohne Talar als mit Talar! Auch wenn man sich da öfters über die Predigt der Kirche erhaben dünkt: Nicht wenige Journalisten predigen ebenfalls, wenn auch ohne Talar! Ich denke hier an so manche Leitartikel, Kommentare und auch Berichte, in denen die Farbe Violett vorherrscht und der „Ewige Karfreitag“ längst zu einer Dauerstimmung geworden ist. Was ist in unserer Welt nicht alles in Unordnung? „Gute Nachrichten sind keine Nachrichten“: das ist dann die Grundmelodie des ewigen Karfreitags mit seinen vielen „weltlichen“ Kreuzen.
Allerdings versuchte mich ein Kenner der Publizistik zu trösten. „Klappern gehört eben zum Geschäft!“ Unterschätzen wir aber dennoch die modernen Bußprediger nicht! Wer nämlich die Übel nur benennt und nicht sagt, wie sie realistisch beseitigt werden können, der vergrößert das Übel, weil er zu dem Übel noch das Bewußtsein des Übels schafft. Einfacher gesagt: Der verstärkt noch die Übel! Für den setzt sich der Kreislauf von Heils- und Unheilsgeschichte unaufhörlich fort. Der glaubt an die Sünde und nicht an die Gnade.
Wie kann man das aber aushalten? Auch hier haben wir längst Überlebensstrategien entwickelt. Wir versuchen, dem Gericht zu entkommen, indem wir es selber werden. Da wechselt man schnell vom „Gewissen haben“ in das „Gewissen sein“! Die Bösen – das sind die anderen!
Noch einmal: Es gibt heute viele Bußprediger auch ohne Talar! Will unser Gleichnis die Zahl solcher Bußprediger noch vergrößern?
Ermutigt statt entmutigt!
Unser Gleichnis geht davon aus, daß Jesu Bußruf nur von dem richtig verstanden wird, der sich davon ergreifen läßt, der weiß, daß er selbst davon betroffen ist.
Jesus will keine Zuschauer, sondern Angesprochene, Beteiligte, Betroffene! Ob aus einer solchen Haltung dann ein Ja oder ein Nein zu Jesus wird, das hängt auch davon ab, ob wir meinen: Wir haben Gott etwas vorzuweisen, das er belohnen muß – oder ob wir mit leeren Händen vor ihm stehen und auf seine Gnade angewiesen sind. Leere Hände sind da eine Chance! Denn: Jesus sagt gerade nicht: Bessert euch! Werdet fromm! Dann kommt das Reich Gottes! Für ihn ist es genau umgekehrt: Durch sein Kommen ist das Reich Gottes schon im Anbruch, ist das Maß der Zeit schon voll.
Die neue Schöpfung hat schon begonnen. Gott läßt sich von unserer Gottlosigkeit nicht mehr imponieren. Darum Jesu Ruf: Traut dieser guten Botschaft etwas zu! Ermutigt statt entmutigt, fördert statt fordert, erweitert statt bedrängt! Beispiele gelingenden Lebens sind wichtiger als Anklagen, Nörgelei und Dauerproteste, die heute des öffentliche und private Leben zu vergiften drohen.
Christlicher Glaube bedeutet genau dies: Das von Gott Gewährte wahrnehmen und annehmen. „Sünde“ ist nicht in erster Linie Übertretung einzelner Verbote, sondern das Übersehen der Güte, der Gaben Gottes. Der Sünder ist ein „Kostverächter“, einer, der an Gottes Gaben achtlos vorübergeht.
Christlicher Glaube zerstört sich selbst, wenn er nicht zuerst und zuletzt von dem Guten redet, das Gott an uns tut. Martin Luther hat dies in seiner Auslegung des 147. Psalms so gesagt: „Du sollst bauen und Riegel machen, die Stadt befestigen und dich rüsten, gut Ordnung und Recht stellen, das best du vermagst. Aber da siehe zu, wenn du solches getan hast, daß du dich nicht darauf verlassest. Gott könnte dir wohl Korn und Früchte geben ohne dein Pflügen und Pflanzen. Aber er will es nicht tun. So will er auch nicht, daß dein Pflügen und Pflanzen Korn und Früchte geben, sondern du sollst pflügen und pflanzen und darauf einen Segen sprechen und beten also: Nu berat Gott, nu gib Korn und Frucht, lieber Herr. Es ist deine Gabe“.
Martin Luthers Auslegung ist das Gegenteil von folgender Geschichte: „Ein Mann kaufte sich ein Haus mit einem völlig verwilderten Garten. Sieben Jahre arbeitete er darin unermüdlich, und der Garten wurde wunderschön. Eines Tages kam der Pfarrer vorbei und sagte: ‚Wahrhaftig, es ist ein Wunder, was Gott in seiner Güte mit ein wenig menschlicher Hilfe aus einem Garten machen kann‘. Gewiß, Herr Pfarrer, sagte der Mann, sie hätten den Garten aber mal sehen sollen, als der liebe Gott noch alles alleine machte“!
Es gibt viele Antipredigten zu diesem Gleichnis Jesu. Nicht wenige wollen Gott Nachhilfeunterricht erteilen, wie er die Welt regieren und seine Gemeinde bauen müßte. Nicht wenige sind dauernd damit beschäftigt, die heutigen bösen Pächter des Weinbergs ausfindig zu machen. Der Bogen spannt sich von George W. Bushs „Achse des Bösen“ über die reichen kapitalistischen „Ausbeuter-Staaten“, raffgierige Manager, Globalisierer bis hin zur „Amtskirche“, die den Weg zu Gott verstelle.
Die Besserwisserei hat Hochkonjunktur. Es gibt viele Bußprediger mit und ohne Talar. Aber: Viele, die so den Himmel auf Erden schaffen wollten, haben die Hölle zurückgelassen.
Unser Gleichnis macht uns Mut, Jesu Urteil über uns anzunehmen, wenn es mit dem Zitat aus dem Osterpsalm 118 schließt: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unseren Augen“. Dietrich Bonhoeffer hat das 1933 so übersetzt: „Kein Mensch baut die Kirche, sondern Christus allein. Wer die Kirche bauen will, wird einen Götzentempel bauen. Wir sollen bekennen: Christus baut!“ Gilt das aber nur im Blick auf die Kirche?