In den Konflikten den Gott der Liebe, der Gerechtigkeit und des Friedens nicht aus den Augen verlieren

Strategien im Umgang mit Konflikten

Predigttext: 1. Mose (Genesis) 50, 15-21
Kirche / Ort: Heidelberg
Datum: 06.04.2003
Kirchenjahr: Judika (5. Sonntag der Passionszeit)
Autor/in: Pfarrer Heinz Janssen

Predigttext: 1. Mose 50,15-21 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Die Brüder Josefs aber fürchteten sich, als ihr Vater gestorben war, und sprachen: Josef könnte uns gram sein und uns alle Bosheit vergelten, die wir an ihm getan haben. Darum ließen sie ihm sagen: Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach: So sollt ihr zu Josef sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, daß sie so übel an dir getan haben. Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines Vaters! Aber Josef weinte, als sie solches zu ihm sagten. Und seine Brüder gingen hin und fielen vor ihm nieder und sprachen: Siehe, wir sind deine Knechte. Josef aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes Statt? Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk. So fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen. Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.

Zur Wahl des Predigttextes

Die aktuelle Situation – immer noch tobt der Krieg im Irak – , die Psalmbitte „Iudica“/ „Gott, schaffe Recht“ und die Josefsgeschichte, auf die ich wiedereinmal bei meiner persönlichen Bibellektüre stieß, haben mich dazu gebracht, mich in Abweichung von der Perikopenordnung für 1. Mose 50,15-21 als Predigttext zu entscheiden. Der Perikopentext, Markus 10,35-45, kommt in der Liturgie als Lesung vor, zumal es sich dabei um das Sonntagsevangelium handelt. Ich wünsche mir mit vielen, dass die für den individuellen Bereich erkannten Konfliktlösungsstrategien auch in den politischen Auseinandersetzungen aufgegriffen werden. Die Kinder, die „Kleinen“, in Elternhaus, Kindergarten und Schule lehren wir, wie sie friedlich miteinander umgehen und Streitigkeiten ohne Gewaltanwendung lösen, auch mit Konflikten leben können, wenn eine Lösung noch Zeit braucht. Und die „Großen“? – Zur Exegese: G. v. Rad, ATD 2/4, S. 303ff.

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Liebe Gemeinde!

Mit dem Sonntagsnamen Judica rufen wir Gott an, Recht zu schaffen (Psalm 43,1). Wir stimmen damit in das Psalmgebet, nach dessen ersten Wort der lateinischen Bibelübersetzung dieser Sonntag bezeichnet wird. Zugleich bitten wir darum, einander gerecht zu werden. Heute, am 18. Tag nach Kriegsbeginn, besonders, dass die Suche nach dem, was dem Frieden dient, obenan steht. Ich stieß in diesen Tagen wieder einmal auf die biblische Josefsgeschichte, eine exemplarische Konfliktgeschichte, an die und an deren Strategien zum Umgang mit Konflikten ich in Abweichung von der Perikopenordnung heute erinnern möchte.

Die kurze Episode, die wir soeben gehört haben, ist das glückliche Ende einer langen Geschichte, einer Familiengeschichte, einer Geschichte von Beziehungen mit Höhen und Tiefen. Gilt die Bibelgeschichte wirklich nur für die individuellen Lebensbereiche, wie sie in diesem Sinn oft ausgelegt und gepredigt wird?

I

Die biblische Josefsgeschichte geht glücklich aus, wir erleben ein wirkliches happy end: Josef, mit dem seine Brüder nichts Gutes im Sinn hatten und es ihn hart spüren ließen, macht den ersten Schritt, dass wieder eine gute Beziehung im geschwisterlichen Kreis aufgebaut werden kann: “Ihr gedachtet es böse zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen…” (V.20) – “So fürchtet euch nun nicht”, sagt er, “ich will euch und eure Kinder versorgen”, und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen” (V.21)

II

Wie begann alles? – Damit, dass e i n Kind Papas Liebling war – Josef – und als äußeres Zeichen noch einen bunten Rock bekam, der das Kind aus dem Kreis der Geschwister heraushob (37,3). Verständlich, dass dadurch die Brüder neidisch wurden und es ihnen schwer fiel, Papas Liebling auch nur e i n freundliches Wort zu sagen (37,4).

Eine geradezu feindliche Gesinnung wurde genährt, als Josef von zwei Träumen erzählte, mit denen er sich in den Augen der Brüder noch in religiöser Hinsicht wichtig machte: im ersten Traum, der vom Garbenbinden auf dem Feld handelte, richtete sich die Garbe Josefs auf, und die Garben der Brüder neigten sich vor ihm; im zweiten Traum neigten sich vor Josef Sonne, Mond und elf Sterne (V.6-11).

In ihrem Neid stiegen in ihnen Mordgedanken auf: “Lasst uns ihn töten und in eine Grube werfen und sagen, ein wildes Tier habe ihn gefressen…” (37,20) Gott sei Dank gab es Widerspruch unter den Geschwistern: Ruben, der Älteste, wollte, dass Josef nichts angetan wird. Die Grube sollte ein Schutz für Josef sein, aus der ihn Ruben herausholen wollte, nachdem die Brüder weitergezogen wären.

Juda hat schließlich die Idee, Josef als Sklaven einer gerade auf sie zukommenden Ismaeliterkarawane zu verkaufen, was so auch geschieht (37,21-28). Josef wird an Potifar, an einen hohen Minister des Pharao weiterverkauft (37,36/39,1). Im Haus der Potifar erlebt Josef nocheinmal eine Bösartigkeit: die Frau des Potifar will ihn verführen, und als es ihr nicht gelang, beschuldigte sie Josef, er habe sie sexuell belästigen wollen und erreichte seine Bestrafung mit Gefängnis (39,2-23).

“Aber Gott war mit ihm…und was er tat, dazu gab Gott ihm Glück ” (39,21/23). Im Gefängnis deutet er die Träume zweier Mitgefangenen. Diese Gabe der Traumdeutung bringt ihn vor den Pharao, dessen zwei schwere Träume von den sieben fetten und sieben mageren Kühen und von den sieben vollen Ähren auf e i n e m Halm und den sieben dünnen niemand deuten kann (41,1-36). Josef kann es. Der Sinn der Träume des Pharao ist – mit einem volkstümlichen Sprichwort gesagt: Spare in der Zeit, so hast du in der Not (41,25-36).

Der Pharao erkennt Josefs Verstand und Weisheit (41,39) und macht ihn zum Landesvater von Ägypten mit der Aufgabe eines Ernährungsministers, der für das stete Wohl des Volkes sorgen soll (41,37-44.47-49.53-57). Mit dem Amt überträgt der Pharao Josef auch einen ägyptischen Namen, Zafenat-Paneach, und gibt ihm Asenat, die Tochter des onitischen Priesters Potiferas zu Frau (41,45-46), und sie werden Eltern von Manasse und Ephraim (41,50-52).

Als über Ägypten und andere Länder eine Hungersnot kommt, ziehen auch die Brüder Josefs – mit Ausnahme des Jüngsten, Benjamin – nach Ägypten, um Getreide zu kaufen (erste Reise: 42).

Nach einer zweiten Reise, auf der auch Benjamin dabei ist, gibt sich Josef seinen Brüdern zu erkennen (43-45): “Ich bin Josef, euer Bruder, den ihr nach Ägypten verkauft habt…Und nun bekümmert euch nicht und denkt nicht, dass ich darum zürne…den um eures Lebens willen hat mich Gott vor euch hergesandt” (45,4.5).

Josef schickt die Brüder nocheinmal in die Heimat zurück. Sie sollen den Vater Jakob mit der ganzen Familie nach Ägypten holen, wo sie im Land Goschen, im nördlichen Nildelta, sich niederlassen können (45,17-24.25-28). Es kommt zu der langersehnten Begegnung Josefs mit seinem Vater (46,1-27.28-34). 17 Jahre lang lebt Jakob noch in Ägypten, dann stirbt er (47.48.(49)) und wird in der Höhle auf dem Feld von Machpela bestattet (50,1-14). Jetzt fürchten sich die Brüder und zweifeln an der Tatsächlichkeit der Vergebung durch Josef, Josef aber ermöglicht ihnen, die geschwisterliche Beziehung neu zu gestalten. Sie kann wieder langsam wachsen (50,15-21). Gott hat andere – gute – Wege im Sinn, als Menschen planen und gehen wollen (50,20). Es sind Wege mit den Menschen und nicht gegen sie.

III

Was hat sich in dieser alten Familiengeschichte an Konflikten, Streitigkeiten, Kränkungen und Verletzungen abgespielt. Erfrischend, wie offen damit in der Bibel – gerade im Alten Testament – umgegangen wird. Nichts wird beschönigt, aber es wird auch nichts als hoffnungslos verfahren hingestellt!

Bis heute gibt es in christlichen Kreisen immer noch die Angst, Konflikte offen anzusprechen und im gegenseitigen Aufeinanderzugehen, im gemeinsamen Gespräch, eine Klärung zu suchen. Da wird vieles lieber unter den Teppich gekehrt, um nach außen hin so zu tun, als ob alles voller Harmonie zugehe.

“Mit Konflikten leben”, hieß die Losung des Deutschen Evangelischen Kirchentages in Dortmund, an dem ich vor 40 Jahren (1963) als Schüler teilnahm. Die Losung war umstritten, weil damit auch die Konflikte, die Christen miteinander hatten, offen angesprochen wurden. Sie bedeutete nicht, was viele damals meinten, Konflikte, also das Zusamenstoßen verschiedener Interessen, einfach bestehen zu lassen, sondern: sie als realistische Faktoren im Lebensalltag wahrzunehmen.

Wie empfindsam gehen wir miteinander um? Wie einfühlsam begegnen wir dem anderen Menschen? Nehmen wir ihn an, wie er ist, lassen wir ihn bestehen oder beurteilen und verurteilen wir ihn – aus welchen Gründen auch immer? Haben wir das persönliche Gespräch mit einem Menschen gesucht, wenn er uns seine Worte oder sein Verhalten irritieren? Wie konsequent gehen wir aufeinander zu?

Die Wege Josefs und seiner Brüder zueinander waren nicht leicht. Es waren schmerzvolle Wege. Josef ging sie voller Gottvertrauen. Er verhält sich nicht herablassend gegenüber seinen Brüdern und demütigt sie nicht. “Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes Statt?” (50,19f.), sagt er zu ihnen, als er sie mit ihrem schlechten Gewissen ganz ängstlich erlebt und ihren Zweifel an der Tatsächlichkeit seiner Vergebungsbereitschaft erkennt.

“…Gott gedachte es gut zu machen” (50,20) – Dies – so hat es Josef erkannt – ist es, was allein zählt: dass wir durch alles, was wir erleben, tiefer sehen – und aufsehen auf Gott hin, der alles zu einem guten Ende führen will. Damit verlieren die gegenseitigen Schuldzuweisungen ihre Bedeutung. Konflikte, Streit, Enttäuschungen – sie kommen in den besten Familien vor. Die Frage ist, wie wir damit umgehen, ob wir vor ihnen davonlaufen oder ihnen standhalten. Gott sei Dank ist das nicht alles.

Die Josefsgeschichte ist ein orientierungsreiches Beispiel dafür, dass wir in unseren Konflikten Gott nicht aus den Augen verlieren, der für uns alle Gutes und nichts Böses, Liebe und Frieden im Sinn hat. Darum können wir fürsorglich und achtsam miteinander umgehen, einander wie Josef trösten und freundlich miteinander reden, aufeinander zugehen, auf Klärung bedacht, streitfähig mit Argumenten und nicht mit Gewalt. Das ist der Dienst, den Jesus im heutigen Sonntagsevangelium von seinen Jüngern und Jüngerinnen und seiner Gemeinde auf der ganzen Welt fordert: nicht nach (Gewalt-)Herrschermanier die anderen mit Gewalt niederhalten (Markus 10,42), „sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein…“ (Markus 10,43). – Die umstrittene Gottesfrage findet hier ihre Antwort, und unser Leben bekommt im persönlichen und öffentlichen (gesellschaftlichen/politischen) Bereich seinen eigentlichen Sinn und die ersehnte Erfüllung. Der Lobgesang der Engel ist nicht nur Zukunftsmusik: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden…“ Amen.

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