„Alle Welt läuft ihm nach“
Predigttext: Johannes 12,12-19 (Übersetzung nach Martin Luther, Rev. 1984)
12 Als am nächsten Tag die große Menge, die aufs Fest gekommen war, hörte, daß Jesus nach Jerusalem käme, 13 nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und riefen: Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel! 14 Jesus aber fand einen jungen Esel und ritt darauf, wie geschrieben steht (Sacharja 9,9): 15 »Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.« 16 Das verstanden seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, daß dies von ihm geschrieben stand und man so mit ihm getan hatte. 17 Das Volk aber, das bei ihm war, als er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte, rühmte die Tat. 18 Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörte, er habe dieses Zeichen getan. 19 Die Pharisäer aber sprachen untereinander: Ihr seht, daß ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach.Zum Predigttext:
Die Geschichte von Jesu Einzug in Jerusalem hat im Kirchenjahr an zwei Sonntagen ihren Platz: zum Beginn des Kirchenjahres am 1. Advent (Matthäus 21,1-9) und am Palmsonntag, dem letzten Sonntag in der Passionszeit. Die Psalmsonntagsperikope aus dem Johannesevangelium ist im Unterschied zu den Synoptikern mit Jesu Weg ins Leiden und mit der Auferweckung des Lazarus verbunden. Die schon in Jerusalem anwesenden Paesach-Festpilger gingen Jesus mit Palmzweigen entgegen, als sie von ihm hörten, dass er nach Jerusalem käme. Sie huldigen ihm wie einem König mit dem Hoschianna-Ruf nach Psalm 118,25.26: „Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel!“ Jesus ritt auf einem jungen Esel ein. Der Evangelist Johannes hebt hervor (V.16), dass dies seine Jünger zunächst nicht verstanden. Die Bibelstelle aus dem Sacharjabuch - »Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen« (9,9) - kannten sie wohl, aber sie konnten sie nicht mit Jesus in Verbindung bringen. Erst als Jesus „verherrlicht“ war, kam bei ihnen die Erkenntnis, verstanden sie, dass Jesu Reiten auf einem Eselsfüllen mehr bedeutete. In V.17f. erfahren wir, dass der Beweggrund, warum so viele Menschen Jesus entgegengingen, die Auferweckung des Lazarus war. Jesus hatte ihn aus dem Grab gerufen und damit das Staunen des Volkes und zugleich Aufsehen bei den Pharisäern erregt. Letztere mussten resigniert feststellen: „Ihr seht, daß ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach“. Jesus hatte viele Menschen bewegt. Sie hatten in ihm den von Gott gesandten König des Heils, den Messias/Christus Gottes, erkannt. Jetzt galt für die das Bekenntnis: JESUS (ist der) CHRISTUS. Die Jesusbewegung hatte begonnen, und sie ließ sich trotz Widerstand nicht mehr aufhalten. So ist das bis heute. Was setzt uns heute in Bewegung?Liebe Gemeinde!
Eine Stadt mit vielen Menschen in einer Festvorbereitung. Ein Stadttor, durch welches der Weg zu den Menschen und in die Stadt führt. Eine unglaubliche Nachricht hat sich dort ausgebreitet.
I.
Gespannte Erwartung
Es gibt einen Menschen, der Tote auferwecken kann und auf dem Weg in die Stadt ist. Aufregung. Wer ist er? Ein Magier, ein Arzt, ein Gottgesandter, der erwartete Messias, der König? Wir prächtig, wie mächtig muss er sein, und wie wird er kommen? Wie es einem König gebührt? Mit Fanfaren und Trommeln, mit Glanz und Gloria?
Die Menschen haben sich versammelt. Was wird geschehen? Und dann reitet ein Wanderprediger auf einem jungen Esel ein. Es ist Jesus von Nazareth. Viele haben schon von ihm gehört, zuletzt, als er den in Betanien verstorbenen Lazarus von den Toten auferweckte. Sie mussten diesen Jesus unbedingt sehen. Die Menschen, die bereits in der Stadt sind, eilen ihm entgegen. Sie jubeln dem Einziehenden zu, von dem auch sie jetzt Wundertaten erwarten, wirksame Hilfe im persönlichen Leben und in der momentanen politischen Lage. Doch alles kommt anders.
Durch ein Tor gehen bedeutet in etwas Neues eintreten, einen Durchgang in einen anderen Lebensabschnitt wagen, vom Rand des Geschehens ins Zentrum gehen oder umgekehrt von innen nach außen.
II.
Sehnsucht nach Leben
Jesus kommt zur Mitte seiner Bestimmung. Er ist durch das Osttor eingeritten. Im Osten geht die Sonne auf, im Osten beginnt der neue Tag, etwas Neues, eine neue Zeit, steht bevor. Die Menschenmenge jubelt Jesus mit Palmzweigen zu. Ihr Jubel war mehr als ein Willkommensgruß. Es war die Sehnsucht nach dem in ihren Heiligen Schriften verheißenen König, dem „Christus“ (= zum König Gesalbten) Gottes, der sie vom gegenwärtig bedrängenden Joch der Römer und von allen menschlichen Unterjochungen befreien sollte. Ihre Sehnsucht nach Leben muss groß gewesen sein, der Wunsch, dass Jesus auch sie aus den Grab herausruft, aus den Gräbern der Sinnlosigkeit und Lebensverneinung, der Ungerechtigkeit und Friedlosigkeit.
Bevor Jesus nach Jerusalem aufbrach, salbte ihn Maria, die Schwester des Lazarus, mit kostbarem Öl. War es – vielleicht noch unbewusst – die Salbung zum König, der die Herzen der Menschen, was auch immer geschieht, erreicht?
III.
Gott ist anders
Jesus ritt auf einem Esel ein. Der Esel galt als königliches Tier. Die Bibelstelle aus dem prophetischen Sacharjabuch – »Fürchte dich nicht, du Tochter Zion (damit war Jerusalem gemeint)! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen« (9,9) – war damaligen Bibelkennern wohlbekannt. Aber sie konnten sie nicht mit Jesus in Verbindung bringen.
Wir wissen heute, was damals in Jerusalem geschah. Auf die Hosianna-Rufe folgte der furchtbare Ruf „ans Kreuz mit ihm“. Jesus wurde der König mit der Dornenkrone, musste wieder durch ein Tor, und der Weg führte ihn in tiefstes Dunkel. Umkehrung aller Werte? Der zuerst Bejubelte wurde zum Gespött und zum Allerverachtesten.
Aus der Vorstellung: Gott ist gleich einem König, der stark, machtvoll, immer siegend und niemals unterliegend ist, zeigt uns Jesus eine andere Macht Gottes. Gottes Stärke ist, im Leid zu begleiten. Gottes Liebe wendet sich machtvoll den Menschen zu. Gottes Sieg ist die Überwindung der todbringenden Mächte. Der Gott Jesu wird die Menschen niemals verlassen, selbst wenn sie ihre Verzweiflung hinausschreien wie Jesus am Kreuz (mit den Psalmworten) „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
König ist der mitleidende Gott, der die Abgründe der Menschen kennt, der in Jesus von uns Menschen gekreuzigt wurde. Und wird er nicht bis heute täglich gekreuzigt? Diesem König sind wir anvertraut, „ihm läuft alle Welt nach“. Wirklich?
IV.
Heilsame Bewegung
Ist es nicht damals wie heute? Die machtgierigen und gewalttätigen Könige gibt es nach wie vor. Sie haben ihre Vasallen und ihre Zujubler und denken, dass sie alle Welt unterwerfen können. Ihnen nachfolgen heißt nach ihrem Verständnis: Du tust, was ich dir befehle und denkst, was ich dir zu denken vorschreibe. Es gibt sie leider bis heute, diese kleinen Marionettenkönige, die ihre Macht an dunkle, unberechenbare und zutiefst menschenfeindliche Gestalten oder Banden abgeben, sich kaufen lassen und andere verkaufen. Wieviele laufen ihnen nach.
Auf der ganzen Welt gibt es aber auch die Menschen, die das wahre Königtum Gottes begreifen und es heute am Palmsonntag feiern, weil sie an die Zukunft Gottes und dass sich seine Macht gegen alle Widerstände durchsetzt. Sie öffnen die Tore. Sie lassen sich wie damals von Jesus in heilsame Bewegung bringen. Sie folgen seiner Lebensrichtung, seiner Ethik und Lehre. Sie werden Widerwärtiges durchstehen, geben diesem aber nicht die beanspruchte Macht. Sie vertrauen dem Christus Gottes, sie warten auf ihn, und sie beten im Sinne der Liedstrophe (EG 314,6), in die einzustimmen auch wir jetzt eingeladen sind: „Komm, Herr Jesus, komm, Herr Jesus, komm, Herr Jesus, auch zu uns“. Amen.