Karfreitag: Gott hat aus dem Schlimmsten das Beste gemacht
Predigttext: Johannes 19,16-30 (Übersetzung nach Martin Luther, Rev. 1984)
(16) Da überantwortete er ihnen Jesus, daß er gekreuzigt würde. Sie nahmen ihn aber, (17) und er trug sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf hebräisch Golgatha. (18) Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte. (19) Pilatus aber schrieb eine Aufschrift und setzte sie auf das Kreuz; und es war geschrieben: Jesus von Nazareth, der König der Juden. (20) Diese Aufschrift lasen viele Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt. Und es war geschrieben in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache. (21) Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: Schreib nicht: Der König der Juden, sondern, dass er gesagt hat: Ich bin der König der Juden. (22) Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben. (23) Als aber die Soldaten Jesus gekreuzigt hatten, nahmen sie seine Kleider und machten vier Teile, für jeden Soldaten einen Teil, dazu auch das Gewand. Das war aber ungenäht, von oben an gewebt in einem Stück. (24) Da sprachen sie untereinander: Lasst uns das nicht zerteilen, sondern darum losen, wem es gehören soll. So sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt (Psalm 22,19): »Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen.« Das taten die Soldaten. (25) Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala. (26) Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebhatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn! (27) Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich. (28) Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet. (29) Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und steckten ihn auf ein Ysoprohr und hielten es ihm an den Mund. (30) Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht! und neigte das Haupt und verschied.Zum Predigttext:
Wichtig ist, die doppelte Blickrichtung deutlich herauszuarbeiten: Einmal das rein irdische Geschehen der Tötung eines Menschen am Kreuz. Dabei ist zu beachten, was Prof. Dalferth so ausdrückt: „Gott schwieg. Jesus verschied. Die Jünger liefen weg. Mehr gibt es im Kontext menschlicher Lebenserfahrung nicht zu verstehen. Von hier aus führt kein Weg zur Auferweckungsbotschaft. Das Kreuz ist soteriologisch stumm“ (Dalferth, Das Wort vom Kreuz...., KuD, 39, 1993, 128). Soteriologisch bedeutsam sind in der Erzählung der Johannes-Perikope die Worte Jesu am Kreuz, denn sie machen deutlich, dass der Karfreitag kein zufälliges Ereignis ist, sondern vielmehr wesentlicher Teil des Heilsplanes Gottes. Hier liegt begründet, warum an diesem Tag nicht etwa Trauer, sondern vor allem Dankbarkeit gegenüber Gottes Handeln am Platze ist.Liebe Gemeinde,
I. Der zweifache Blick
der Karfreitag gibt uns einen zweifachen Blick frei. Wir sehen die Welt. Wir sehen die Welt so wie sie ist. Und wir sehen Gott. Wir sehen Gott so wie er ist.
Beides wird uns heute besonders vor Augen geführt. Und wenn wir denn beides vor Augen haben, dann werden wir merken, dass Gott aus dem Schlimmsten, nämlich dem Tod eines Menschen, das Beste für uns Menschen gemacht hat. Das ist das Vorzeichen und das Schlusszeichen vor und unter dem Karfreitag: Gott hat aus dem Schlimmsten das Beste gemacht. Diese Aussage macht Mut, macht Mut hinzuschauen auf die Welt und auf Gott.
II. Der Blick auf die Welt
Zunächst der Blick auf die Welt. Im Großen wie im Kleinen kann man an ihr und in ihr verzweifeln. Da sind mitten in unserem Land zwei Kinder getötet worden und nicht nur eine ganze Stadt trauert um sie. Es ist doch wirklich zum Heulen. Da ist blühendes Leben vernichtet worden und Fassungslosigkeit macht sich breit. Und im Irak? Von Plünderungen hören wir, von Lynchjustiz, von Wassermangel, von Menschen, denen in den Krankenhäusern nicht mehr geholfen werden kann. Da ist also nicht nur die militärische Auseinandersetzung, sondern vor allem auch eine humanitäre Katastrophe, die jetzt erst langsam so richtig sichtbar wird. Beim Blick in die Welt kann man verzweifeln.
Und wenn wir heute am Karfreitag vor allem auch auf das Leiden und Sterben dieses einen Menschen, dieses Jesus von Nazareth blicken, so müssen wir sicher eingestehen: Es wird weiter gestorben, gequält, gemartert. Der Karfreitag zeigt uns die Welt so wie sie ist und dem müssen wir standhalten, denn das gehört zur Wahrheit und zur Wirklichkeit dieser Welt dazu, im Großen wie im Kleinen. Die Erzählung des Johannes erzählt eben auch dies Kleine: Wie die Soldaten die Beute unter sich aufteilen, wie sie ihm zu trinken geben: Essig. Das Johannes-Evangelium schildert uns, dass die Hohenpriester die Aufschrift auf dem Kreuz nicht aushalten konnten und eine Änderung verlangten: Nicht „König der Juden“ sollte draufstehen, sondern eben nur, dass Jesus behauptet habe, er sei der König der Juden.
Es sind die vielen Kleinigkeiten, die deutlich machen, wie Menschen miteinander umgehen, damals und heute. Irren wir uns doch bitte nicht, liebe Schwestern und Brüder, an Karfreitag, da geht es nicht nur um die Tötung eines Menschen, über die wir den Kopf schütteln und uns entsetzen können. Im Schatten des Kreuzes von Karfreitag wird der Mensch in seiner Vielgestaltigkeit deutlich: Hohn und Spott wird da ausgegossen, da sind die, die später immer nur sagen werden, dass sie Befehle ausgeführt hätten und in Wirklichkeit ihr bisschen Macht ausgekostet haben. Da sind die Feigen, die gar nicht erst gekommen sind, da sind die, die erstarrt sind vor Schreck und kein Wort mehr rausbekommen. Noch mal: Im Schatten des Karfreitags wird das abgründige Wesen des Menschen in großer Vielgestaltigkeit sichtbar.
III. Der Blick auf Gott
Aber das ist eben nur die eine Seite des Karfreitags. Mitten in diesem Karfreitagsgeschehen wird nun auch der andere Blick freigelegt: der Blick auf Gott. Oder sagen wir es präziser: Es wird deutlich, was der dieser Eine, Jesus von Nazareth, mit diesem anderen, Gott zu tun hat.
Deutlich wird dies, wenn wir hören, welche Worte der Evangelist Johannes von Jesus aufzuzeichnen wusste. Und wenn wir nun insbesondere auf diese Worte hören, dann nicht, weil uns vor allem interessieren würde, ob sie denn historisch genau so gefallen sind, sondern vielmehr weil mit diesen Worten die Wahrheit über den Weg Jesu deutlich wird, weil in diesen Worten die Wahrheit Gottes neu deutlich wird.
„Es ist vollbracht“ – diese drei Worte Jesu sagen alles. Der Karfreitag ist kein zufälliges Geschehen und dies bedeutet zweierlei. Er ist nicht zufällig geschehen, weil es eben unter den Menschen so ist. Das halten wir nicht aus. Da sagt Jesus die Wahrheit und dieser Wahrheit sehen wir nicht gerne ins Auge: die Römer haben das damals nicht gerne getan, die Juden, die Hohenpriester haben das nicht gerne getan und wir tun es genauso wenig. Und wenn dann jemand mit Vollmacht auftritt, eingefahrene Wege, auch und gerade Glaubenswege verlässt und neue Zugänge zu Gott eröffnet, dann ist Abwehr, Abschottung die Antwort.
Jesu Weg musste so enden, weil die Machthaber der damaligen Zeit nicht ausgehalten haben, mit der Wahrheit konfrontiert zu werden. Es ist wichtig, dies so herauszustellen, denn indem wir diesen Satz „Es ist vollbracht“ hören, müssen wir mithören: Menschen haben ihn getötet, Menschen haben aus politischen und religiösen Motiven heraus so gehandelt, die Wahrheit abgewehrt und den Tod befohlen.
Aber die Wahrheit Gottes lässt sich nicht gewaltsam verdrängen, hinausdrängen aus dieser Welt und schon gar nicht töten. Das ist es, was ich meine, wenn ich sage: Gott hat aus dem Schlimmsten das Beste gemacht. Da steht auf menschlicher Seite der befohlene gewaltsame Tod eines Menschen und auf Gottes Seite steht: „Es ist vollbracht“, was heißt: „Genau indem sich die Gewalt der Menschen untereinander wieder einmal austobt, genau da bin ich mit dabei, genau da gehöre ich hin, genau da mache ich deutlich, wer ich, Gott bin und was ich tue.“
Der sterbende Jesus, kurz vor seinem Tod, er bringt seinen Lieblingsjünger und seine Mutter zusammen. „Frau, siehe, das ist dein Sohn!“ sagt er zu seiner Mutter und „Danach“ so heißt es „spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter“. Inmitten des Elends arbeitet dieser Jesus weiter an den Beziehungen zwischen Menschen. Er lässt seine Mutter nicht allein zurück und bindet seinen Lieblingsjünger an seine Mutter.
So arbeitet Gott an dieser Welt. Mitten im Elend, noch kurz vor dem Tod geht es um nichts anderes als das Beziehungen gefestigt, Spuren neu gelegt, Menschen untereinander verbunden werden. „Es ist vollbracht“ – diese letzte Aussage Jesu meint auch: „Ich habe alles gesagt. Ich habe alles über mich und damit über Gott gesagt“. So sieht er die Welt: mit all ihrer Sünde, mit all Ihren Irrungen und Wirrungen. Aber eben auch: So arbeitet Gott an und in dieser Welt: „Frau, siehe, das ist dein Sohn“ und „Siehe, das ist deine Mutter“.
Liebe Schwestern und Brüder, das ist einfach großartig, ich darf dieses Wort an Karfreitag in den Mund nehmen. Nicht Trauer ist angesagt heute, sondern Dankbarkeit. Da arbeitet dieser Gott am Beziehungsgeflecht dieser Welt, wo diese Welt doch alle Beziehungen zu ihm abbrechen will. Denn das ist doch das Schreckliche an jedem Tod: Die lebendige, auf Zukunft hin orientierte Beziehung zu einem Menschen bricht ab. Es bleibt nur die Erinnerung. Nicht so bei Gott, nicht so bei Jesus. Gerade inmitten des Karfreitags wird mit diesem Satz Jesu „Es ist vollbracht“ deutlich: „Ich habe alles gesagt, ich habe alles getan, damit die Beziehung zu Gott überhaupt neu lebendig werden kann. Ihr habt meine Worte. Ihr wisst um meine Taten. Ihr wisst vor allem um meinen Anspruch, dass ihr an mir erkennen könnt, wie und wer Gott ist“.
Der Karfreitag markiert eben nicht das Ende einer Beziehung, sondern einen neuen Anfang. Schaut zurück auf diesen Jesus von Nazareth und ihr seht Gott vor Euch, in Eurer Gegenwart, in Eurer Zukunft. Merken Sie, wie inmitten der Nacht menschlicher Taten das göttliche Osterfeuer schon aufscheint. Das tut gut, das tut uns gut. Es tut uns gut, dass nicht wir die Machenden sind, sondern Gott am Werke sehen. Er macht aus dem Schlimmsten das Beste für uns. Er sorgt dafür, dass wir Menschen nicht ans Ziel kommen und Beziehungen nicht einfach abbrechen, der Tod nicht endgültig herrschen darf.
„Es ist vollbracht“, ja, liebe Gemeinde, so merk-würdig das klingt: Gott vollbringt, dass mitten im Tod neue Lebensmöglichkeiten aufscheinen und wir uns alle in diesem Schein Jesu Christi sehen dürfen als von Gott geliebte, als von Gott bejahte, als von Gott geführte Menschen. Das brauchen wir, denn gerade weil wir uns all zu häufig weder bejaht noch geliebt fühlen, allein deshalb brechen Beziehungen in sich zusammen, brechen wir zusammen. Der Karfreitag durchkreuzt dieses Beziehungschaos.
„Mensch, in Jesus Christus siehst du vom ersten Tag an, Weihnachten, bis zum letzten Tag, Karfreitag, wie sehr du geliebt und bejaht bist, lebe davon! Mensch, in Jesus Christus siehst Du, wie sehr Gott immer wieder einen neuen Anfang mit dir sucht und ermöglicht, lebe davon! Mensch, in Jesus Christus siehst Du, wie sehr Gott mitten im größten Elend nicht abseits, sondern mitten drin dabei ist, damit Beziehungen nicht abbrechen, sondern Leben neu möglich wird. Bleib an ihm, an diesem Jesus dran und du wirst spüren, dass das, was morgen oder übermorgen in deinem Leben aufleuchten wird nicht einfach das ist, was du gestern oder vorgestern hattest. Und also bleib heute in der Nähe des Kreuzes stehen und halte diesen doppelten Blick aus und verlass dich darauf, ich dein Gott, nehme dich mit und lass dich nicht stehen. Mitten am dunkelsten Tag bricht das neue Leben schon an. Es ist vollbracht“.
Amen