Durch verschlossene Türen
Predigttext: Johannes 20,19-29 (Übersetzung nach Martin Luther, Rev. 1984)
19 Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mir euch! 20 Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, daß sie den Herrn sahen. 21 Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. 22 Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmet hin den heiligen Geist! 23 Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten. 24 Thomas aber, der Zwilling genannt wird, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. 25 Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich’s nicht glauben. 26 Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen versammelt, und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch! 27 Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! 28 Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott! 29 Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!Homiletisch-liturgische Vorbemerkungen
1) Rainer Oechslen (DtPfBl 3/2003, 140f.) geht von der Beobachtung aus, daß „die ersten, die entscheidenden Worte des Auferstandenen an seine Gemeinde ein Gruß sind“. Darum seine Gliederung: „Die gegrüsste Gemeinde“ – „Die grüssende Gemeinde“. Im Anschluß an Kornelis Heiko Miskotte („Wer predigt, hat den Gruss des Auferstandenen zu überbringen") betont Rudolf Bohren (Wider den Ungeist, 1989, 84): „Das heisst, von ganz oben Gnade herunterholen, Frieden nehmen vom Himmel und hier unten auspacken, dass etwas von Gott da sei und etwas wirke an uns und durch uns... Eine Gemeinde ist die Schar derer, die Gott grüssen lässt, denen er seinen Gruss zum Weitersagen anvertraut, die etwas von Gott auszupacken haben: den Frieden“. Manfred Holtze (HM 78, 2002/2003, Heft 6, 250ff.) erwähnt als weitere „thematische Façetten“ die Lehre vom allgemeinen Priestertum aller Gläubigen und die Verwandlung der Jünger durch die Begegnung mit dem Auferstandenen (aus Trauer wird Freude, als skeptischer Suche bekennende Gewissheit). 2) Über den bisher meist vorherrschenden historisch-kritischen und auch sozialgeschichtlichen Umkreis macht sich –so mein Eindruck- auch im Blick auf die Predigt immer mehr eine (wie auch immer zu definierende) „pastoralpsychologische“ Perspektive breit. Nicht ohne Grund wies vor einiger Zeit der Münchner Systematiker Friedrich Wilhelm Graf auf ein „neues Kirchenidiom“ hin: „Die früher an den unscharfen Rändern der evangelischen Kirche angesiedelte vagabundierende Religiosität findet sich nun auch in kirchlichen Binnenmilieus, und synkretistische ‚Cafeteria‘-Religion mit ganzheitlicher Körpererfahrung und Reinkarnationshoffnung wird inzwischen auch auf Kirchentagen gefeiert. Protestantische Religiosität ist schillernder, bunter geworden, geprägt von einer wild wabernden Psycho-Sprache“ (FAZ Nr. 190/2000 vom 17. August, 11). Eine Diskussion über diese Phänomene wird allerdings auch durch den Umstand erschwert, daß dieses Feld emotional hoch besetzt und auch gruppenmäßig verfestigt ist, wie z.B. unlängst eine Auseinandersetzung im „Deutschen Pfarrerblatt“ zeigte (DtPfBl 12/2002, 629ff. – DtPfBl 2/2003, 79-87). Dies reizt mich dazu, unseren Text einmal aus einer Perspektive Martin Luthers (WA 12, 517-524) –auch im (mehrpoligen) Gegenüber zu Eugen Drewermann- anzugehen, auch wenn dabei zunächst eher eine „Schreibe“ herauskommen mag. 3) Als Psalm bietet sich an: Psalm 116, 3. 8-9. 13, als Antiphon Johannes 20, 29. Lesungen: Jes 40, 26-31; 1. Petr 1, 3-9; Joh 20, 19-29 (oder Joh 21, 1-14).Lieder:
EG 102 (Jesus Christus, unser Heiland); EG 103 (Gelobt sei Gott im höchsten Thron); EG 107 (Wir danken dir, Herr Jesu Christ). EG 108 (Mit Freuden zart) .Liebe Gemeinde!
Pluralismus als Bedrohung
Was tun, wenn man etwas nicht wahrhaben will? Nicht nur Journalisten haben da ein Erfolgsrezept: Man stellt verschiedene, am besten sich widersprechende Darstellungen und Deutungen eines Ereignisses nebeneinander und resümiert dann genüßlich: Da gibt es Widersprüche! Bei solchen Widersprüchen kann das umstrittene Ereignis bestimmt nicht stattgefunden haben!
Auch im Blick auf Jesu Auferstehung klappt dieses Rezept! Man braucht da übrigens nicht auf böse Atheisten oder Materialisten zurückzugreifen. Da genügen ausgewiesene Universitätstheologen.
Schauen wir genauer hin: Da gibt es eine lange Liste von Umschreibungen dafür, wie die Auferstehung Jesu eigentlich zu verstehen ist. Und solchen Umschreibungen wird dann häufig der „einfache, unverfälschte Bibelglaube“ gegenübergestellt.
In der Nachkriegszeit wies man hier gerne auf den Marburger Theologen Rudolf Bultmann hin, der sagte: „Jesus ist in das Kerygma hinein auferstanden“. Das bedeutet: Jesus lebt in der Predigt des Evangeliums weiter! Bultmanns Schüler Herbert Braun, der mich im Theologischen Examen geprüft hat, sagte es griffiger: „Ostern bedeutet: Die Sache Jesu geht weiter!“
Und der Paderborner katholische Theologe und Psychoanalytiker Eugen Drewermann schrieb: „Auferstehung ist die Hoffnung, die Jesus lehrte, im Vertrauen auf Gott den Tod als Daseinsmacht menschlicher Angst zu besiegen, so daß denjenigen, die an die Wahrheit seines Lebens und seiner Person zu glauben beginnen, das eigene Leben und die eigene Person als etwas Unzerstörbares zurückgeschenkt wird; solche vermögen es, Gräber ‚leer‘ zu sehen“. Auferstehung Jesu ist ein Symbol, eine Hoffnung.
Pluralismus als Chance
Verschiedene Deutungen der Auferstehung Jesu – also hat sie in Wirklichkeit gar nicht stattgefunden? Ich bin da anderer Auffassung und möchte Ihnen zu folgender Überlegung Mut machen: Je mehr Deutungsmöglichkeiten, je mehr Auslegungen der Auferstehung Jesu es gibt – desto lebendiger ist Jesus! Die Fülle der Überlegungen, der Bilder, der Symbole und des Brauchtums spricht gerade für Jesu Auferstehung! Die Fülle der Deutungen ist keine Bedrohung des Glaubens an Jesu Auferstehung, sondern eine Chance für ihn! Darüber wollen wir nachdenken!
Auferstehung als Geschmack am jetzigen Leben?
Unlängst spöttelte eine große deutsche Tageszeitung: Die Kirchen seien nur noch Einrichtungen für die Freizeitgestaltung; die religiösen Bedürfnisse befriedige besser Eugen Drewermann, der selbst in RTL plus seine Kanzel habe. Drewermann sei eine Labsal für alle, die religiösen Trost suchen und sich von einer bürokratisierten Kirche vernachlässigt fühlen. Obwohl katholischer Christ, geistert er unter ökumenischer Flagge auch durch evangelische Kirchen. Und wer es „griffiger“ , weniger anspruchsvoll haben will, der schalte im Fernsehen Jürgen Fliege ein! Er hat seine ergriffene Gemeinde!
Machen wir einmal die Probe aufs Exempel! In Drewermanns Kommentar zum Markus-Evangelium (Zweiter Teil, Olten/Freiburg i. Br. 1988, 700) heißt es: „Auferstehung ist die Hoffnung, die Jesus lehrte, im Vertrauen auf Gott den Tod als Daseinsmacht menschlicher Angst zu besiegen, so daß denjenigen, die an die Wahrheit seines Lebens und seiner Person zu glauben beginnen, das eigene Leben und die eigene Person als etwas Unzerstörbares zurückgeschenkt wird“. Das klingt Ihnen wahrscheinlich zu gelehrt! Vielleicht kann man das so übersetzen: Auferstehung hat es mit einer Hoffnung, mit etwas Seelischem, mit innerpsychischen Prozessen zu tun: Es ist die Erfahrung des Ostermorgens, daß wir unser ganzes Leben neu betrachten können. Es ist der Glaube an die Unzerstörbarkeit unseres Lebens.
Drewermann schreibt: „Die Botschaft des Ostermorgens gibt uns den Geschmack am Leben jetzt zurück. Sie schenkt uns die Kraft, diese wenigen Jahre unseres irdischen Lebens so zu führen, daß wir Jesus wieder begegnen in jedem Menschen, gemeinsam unterwegs mit ihm auf dem Weg zum Himmel“ (ebd. 695f.).
Gemeinsam auf dem Weg zum Himmel?
Geschmack am Leben jetzt zu finden: Das klingt sympathisch. Das bedeutet doch: Schon heute gemeinsam unterwegs zu sein auf dem Weg zum Himmel! Nicht Ausgrenzung, nicht Abschottung, sondern: Gemeinsam schon heute auf dem Weg zum Himmel zu sein! Das heißt „Auferstehung“! So Eugen Drewermanns Auferstehungsbotschaft.
Neu ist das allerdings nicht! Im Osterlob unserer orthodoxen Mitchristen klingt es zunächst ähnlich: „Ostern, Rettung aus Leid, denn Christus trat heute aus dem Grabe hervor wie aus einem Festsaal. Nun ist alles mit Licht erfüllt – Himmel, Erde und Totenreich. Es feiere die ganze Schöpfung die Auferstehung Christi, in dem sie begründet ist. Gestern bin ich zusammen mit Dir begraben worden, heute werde ich mit Dir, der Du auferstanden bist, auferweckt. Gestern wurde ich zusammen mit Dir gekreuzigt. Du selbst, Erlöser, verherrliche mich in Deinem Reich“! Hier geht es aber nicht um eine tiefenpsychologische Auslegung der Osterbotschaft wie letztlich bei Eugen Drewermann, sondern um ein Gebet, das sich an den auferstandenen Christus und nicht an uns selbst wendet!
Jesus kommt durch verschlossene Türen!
Auch dieses Gebet unserer orthodoxen Brüder und Schwestern klingt sympathisch, warm, herzlich. Wir können diesen Zuspruch bestimmt gebrauchen. Allerdings fehlt mir da etwas, wenn ich auf den Alltag schaue: Manches um uns herum und in uns ähnelt eher jenen Jüngern, von denen der Evangelist Johannes berichtet: „Am Abend aber desselben ersten Tages der Woche, da die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden“: Da gibt es Angst, verschlossene Türen, Mutlosigkeit, Verzagtheit. Das kennen wir bestimmt auch. Diese Erfahrungen von verschlossenen Türen machen traurig.
Nun sagt uns unser Evangelium: Jesus kommt durch verschlossene Türen! Er selbst weist sich als der Gekreuzigte und nunmehr Lebendige aus! Er spricht das befreiende, das froh machende Wort: „Friede sei mit Euch!“ Wir wollen diesen Gruss Jesu weiter bedenken! Martin Luther (WA 12, 517-524) soll uns dabei helfen! Am 12. April 1523 predigte er über unser Evangelium: „Der Glaube soll so gestaltet sein, daß ein jeder die Auferstehung des Herrn Jesu Christi sich zueigne. Es ist nicht genug, allein zu glauben, daß Jesus von den Toten auferstanden sei; denn daraus folgt weder Friede noch Freude, weder Kraft noch Macht. Darum mußt Du so glauben, daß er auferstanden sei um deinetwillen, Dir zugut…, daß er Dir und allen, die an ihn glauben, helfe, und daß durch seine Auferstehung Sünde, Tod und Hölle überwunden sei. Das ist wahrer Glaube“. Soweit Martin Luther. Glaube – das ist für Luther also nicht einfach ein Fürwahrhalten der Auferstehung Jesu, sondern ein davon Betroffensein, ein fest darauf Bauen!
Auferstehung als „Symbol“
Von diesem lebendigen Glauben her kann Martin Luther unser Evangelium auch bildhaft, „symbolisch“ verstehen! Es ist für ihn ein Symbol, eine bildhafte Redeweise, daß Christus durch verschlossene Türen hineinkommt und mitten unter die Jünger tritt und steht. Luther sagt: „Dieses ‚Stehen‘ ist nichts anderes, denn daß der Auferstandene in unseren Herzen steht… Und wenn er nun so mitten in unseren Herzen steht, so hören wir sogleich eine liebliche Stimme, wie er zu dem Gewissen sagt: ‚Sei Du zufrieden; es hat keine Not; Deine Sünden sind Dir vergeben und hinweggenommen und sollen Dir nicht mehr schaden!“
Ja: Luther geht mit seiner bildhaften Auslegung noch einen Schritt weiter! Dass Jesus durch verschlossene Türen hindurchgeht, ohne etwas zu beschädigen, das besagt für ihn: „Damit ist angezeigt, auf welche Weise der Herr in unser Herz kommt: ‚das geschieht durch das Predigtamt‘ “.
Die Sache Jesu geht weiter!
Und das ist mit Luthers Worten für mich eine der schönsten Umschreibungen der Auferstehung Jesu: „So haben wir nun zwei Stücke, Predigen und Glauben; daß er, Christus, zu uns kommt, ist das Predigen; daß er aber steht in unserem Herzen, ist der Glaube. Die Frucht aber des Glaubens ist der Friede, nicht allein der, den man äußerlich hat, sondern der, von dem Paulus redet im Brief an die Philipper Kapitel 4, daß es ein Friede über alle Vernunft, Sinne und Verstand ist“.
Ich bin davon überzeugt: Diese Sätze Luthers sprechen für sich! Solcher Glaube, der um die Nähe Jesu weiß, wirkt „Frieden“! Ein umstrittenes Wort, genauso wie Jesu Auferstehung! Manches, was sich heute als „friedensbewegt“ gibt, ist gar nicht so friedlich, sondern schlicht Machtausübung. Was „Friede“ im biblischen Sinne ist, das kann uns Martin Luther sagen: „Das ist der Unterschied zwischen weltlichem und geistlichem Frieden. Weltlicher Frieden besteht darin, daß da weggenommen werde das äußerliche Übel, das Unfrieden macht; etwa wenn die Feinde vor einer Stadt liegen, so ist Unfrieden; wenn aber die Feinde hinweg sind, so ist wieder Frieden“.
„Christlicher oder geistlicher Frieden“ ist für Luther mehr als politisch herstellbarer Frieden: Selbst wenn „außen das Unglück bleibt, wie Feind, Krankheit, Armut, Sünde, Teufel und Tod: Dennoch ist inwendig Frieden und Stärke und Trost im Herzen. Es ist ein solcher Friede, der die Vernunft und alle Sinne übertrifft“. Darum geht es dem Auferstandenen: Frieden auch mitten in allem Unfrieden in uns und um uns!
Mit welchen Augen sehen wir Ostern?
Mit welchen Augen sehen wir Ostern? Es gibt viele Sehweisen! Die Wiederholung biblischer Formeln genügt nicht. Noch leben wir im Glauben und nicht im Schauen. Noch leben wir im Relativen und nicht im Absoluten. Sei’s drum!
Mir imponiert der Heidelberger Theologe und spätere Staatssekretär im Preußischen Kultusministerium Ernst Troeltsch, der 1911 in seinem Buch „Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen“ schrieb:
„Der Glaube ist die Kraft des Lebenskampfes, aber das Leben bleibt ein auf immer neuen Fronten sich immer neu erzeugender Kampf. Für jede bedrohliche Kluft, die sich schließt, geht eine neue auf. Es bleibt dabei: Das Reich Gottes ist inwendig in uns. Aber wir sollen unser Licht in vertrauender Arbeit leuchten lassen vor den Leuten, daß sie unsere Werke sehen und unseren himmlischen Vater preisen. Die letzten Ziele aber allen Menschentums sind verborgen in seinen Händen“.
Auch das ist eine heute zeitgemäße und schriftgemäße Auslegung der Osterbotschaft. Dahinter steht die Überzeugung: Die letzten Ziele sind in guten Händen! Das zeigt auch Jesu Ostergruß: „Friede sei mich Euch!“