Die Kirche – eine Rebe am Weinstock
Predigttext: Johannes 15,1-8 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
1 (Jesus Christus spricht:) Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater der Weingärtner. 2 Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, wird er wegnehmen; und eine jede, die Frucht bringt, wird er reinigen, daß sie mehr Frucht bringe. 3 Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe. 4 Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt. 5 Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun. 6 Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie müssen brennen. 7 Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren. 8 Darin wird mein Vater verherrlicht, daß ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger.Zum Predigttext und zur Gestaltung der Predigt
Der Predigt zur Gleichnisrede Jesu vom Weinstock und Weingärtner gingen intensive Vorbereitungsgespräche mit acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Gemeinde voraus. Jesu Worte regten uns an, über unseren Platz und den Platz von Kirche und Gemeinde im Bild des Weinstocks nachzudenken. Die Ergebnisse der Gespräche habe ich in acht Sprecheinheiten zusammengefasst, die – wie auch die Bibelverse - von den genannten MitarbeiterInnen gesprochen werden. Zusammen mit mir sind es neun SprecherInnen, und es kommen die ChorsängerInnen hinzu, die im Wechsel mit der Gemeinde in das Verkündigungsgeschehen einbezogen sind (der Part des Chores kann auch von der Gemeinde oder einem kleinen ad-hoc-Chor übernommen werden). Selbstverständlich gehe ich bei dieser Verkündigungsform nicht auf die Kanzel, sondern bleibe auf der Ebene der anderen Mitbeteiligten.Liebe Gemeinde!
Das Bild vom Weinstock begleitet mich und inzwischen viele Menschen, die sich in der Providenz-Gemeinde treffen, seit einigen Jahren. In unserem Gemeindehaus ist auf der Westwand des großen Gemeindesaales ein überdimensionaler Weinstock zu sehen, künstlerisch gestaltet von einer jungen Frau unserer Gemeinde.
I.
Der Weinstock ist in der biblischen Tradition ein beliebtes Motiv und Symbol. Es steht in der Mitte des heutigen Predigttextes. Was bedeutet es uns? Wir haben den Bibeltext bereits als Schriftlesung nach der revidierten Übersetzung Martin Luthers (1984) gehört. Acht SprecherInnen wiederholen jetzt je einen Vers in der neueren ökumenischen Übersetzung „Gute Nachricht Bibel“ (1997) und sagen einige Gedanken dazu. Der Chor nimmt die Bibelworte und Gedanken mit Bittgesängen aus Taizé auf.
Vers 1 Jesus Christus spricht: Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater der Weinbauer.
Vers 2 Er entfernt jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt; aber die Frucht tragenden Reben reinigt er, damit sie noch mehr Frucht bringen.
Chor: Bleibet hier und wachet mit mir (EG 789.2)
SprecherIn 1:
Jesus ist der wahre Weinstock, gepflanzt von Gott, dem wahren Weinbauer. Gott gab Jesus einen Auftrag: er soll die göttlichen Wahrheiten und Weisheiten – wie ein Weinstock die Kraft und den Saft – weitergeben, damit viele und gute Früchte wachsen können. Die Früchte sind wir, die wir zu ihm gehören. Doch muss der Weingärtner nicht an verschiedenen Orten verschiedene Weinstöcke pflanzen?
SprecherIn 2:
Durch meinen Glauben an Gott fühle auch ich mich als Rebe am Weinstock – bestehend aus vielen einzelnen Trauben. Einige dieser Trauben symbolisieren für mich Glaube, Mut Kraft, Stärke und Liebe. Ich möchte sie einsetzen für meine Familie, für befreundete Menschen, für meinen Beruf, für meine Interessen und Hobbys, für neue Ideen, für Fremde, für meine Kirchengemeinde. Ich habe keine Angst, dass ich als Rebe am Weinstock keine Frucht bringe. Wenn auch die eine oder andere Traube vertrocknet oder gar verschimmelt, so geht die Kraft dieser Trauben auf die anderen über und lässt sie stärker, süßer und fruchtiger werden.
Gemeinde: Bleib mit deiner Gnade bei uns (EG 789.7)
Vers 3 Ihr seid schon rein geworden durch das Wort, das ich euch verkündet habe.
Vers 4 Bleibt mit mir vereint, dann werde auch ich mit euch vereint bleiben. Nur wenn ihr mit mir vereint bleibt, könnt ihr Frucht bringen, genauso wie eine Rebe nur Frucht bringen kann, wenn sie am Weinstock bleibt.
Chor: Bleibet hier und wachet mit mir (EG 789.2)
SprecherIn 3:
Rein werden durch Worte – welch ein großes Geschenk! Ich brauche Ohren, um zu hören und ein Herz, um zu glauben und berührt zu werden. Wenn ich die Worte der Verkündigung Jesu höre, annehme und in mir wirken lasse, so werden die dunklen, schattigen Seiten meines Lebens erhellt, und ich kann mich im Vertrauen auf Gott mit ihm vereint fühlen. „Die Worte, die Christus spricht, sind von Gottes Geist erfüllt und bringen das Leben.“
SprecherIn 4:
Jeder Weinstock braucht seinen bestimmten Platz. Wird er von uns wahrgenommen? Wer hilft mit bei der Pflege des Weinstocks? Wir haben eine Aufgabe. Ich wünsche mir, dass die guten Früchte auch in unserer Kirche wachsen und gesehen werden und wir dazu in unseren
Gemeindegruppen etwas beitragen können.
Gemeinde: Bleib mit deiner Gnade bei uns (EG 789.7)
Vers 5 Ich bin der Weinstock und ihr seid die Reben. Wer mit mir verbunden bleibt, so wie ich mit ihm, bringt reiche Frucht. Denn ohne mich könnt ihr nichts ausrichten.
Vers 6 Wer nicht mit mir vereint bleibt, wird wie eine abgeschnittene Rebe fortgeworfen und vertrocknet. Solche Reben werden gesammelt und ins Feuer geworfen, wo sie verbrennen.
Chor: Bleibet hier und wachet mit mir (EG 789.2)
SprecherIn 5:
Für mich ist dies eine großartige Verheißung, ein Versprechen der besonderen Zuwendung Jesu: Er ist der Weinstock, aus dem wir als Reben unsere Kraft zugeführt bekommen. So können wir als ein Jahrgang an diesem über 2000 Jahre alten Weinstock neu austreiben, Blätter bilden, Fruchtknoten ansetzen, die auf Bestäubung warten. Sie sollen vor Frost bewahrt bleiben. Es ist uns reiche Frucht verheißen, wenn wir mit ihm verbunden sind. Gott ist es, der den Jahreslauf bestimmt und damit auch unser Wachsen, die Reife – und die Ernte!
SprecherIn 6:
Es kommt darauf an, dass wir uns an Gott, seine Kraft, seinen Geist, an Jesus binden. Wir sind nicht immer in Verbindung mit Ihm, wir sind nicht immer in Ihm. Machen wir nicht alle diese Erfahrung? Wir fühlen uns oft wie verdorrt. Aber wir sind nicht allein. Wir werden gesammelt, wenn wir wie die Reben verdorrt sind, und wir kommen ins Feuer. Feuer ist für mich Sinnbild einer großen Verwandlungskraft. Es steht für mich für die Verwandlung, die mit uns geschehen muss, wenn wir nicht in Ihm sind.
Gemeinde: Bleib mit deiner Gnade bei uns (EG 789.7)
Vers 7 Wenn ihr mit mir vereint bleibt und meine Worte in euch lebendig sind, könnt ihr den Vater um alles bitten, was ihr wollt, und ihr werdet es bekommen.
Vers 8 Die Herrlichkeit meines Vaters wird ja dadurch sichtbar, daß ihr reiche Frucht bringt und euch so als meine Jünger erweist.
Chor: Bleibet hier und wachet mit mir (EG 789.2)
SprecherIn 7:
Diese Zusage Jesu kann eine tröstliche Perspektive sein, aber auch eine Hürde. Ein Mensch, dessen Bitten nicht oder nicht in der von ihm erhofften Weise erfüllt werden, könnte zu der Meinung kommen, er habe im Glauben versagt, was ihn in große Nöte stürzen kann. – Ich glaube nicht, dass es Jesus in das Belieben des Menschen stellte, um alles bitten zu können; vielmehr verstehe ich seine Worte so: Jesus hat es als eine Konsequenz von Glauben und Bewahrung seiner Worte angesehen, dass der Mensch gegenüber Gott Bitten äußern wird, wann immer ihm danach ist.
SprecherIn 8:
Jesu Gleichnis vom Weinstock steht im Zusammenhang seiner Abschiedsrede. Darin klingt die Angst seiner Jünger an, wie es weitergehen soll. Jesus ermutigt sie, auch nach seinem Abschied von dieser Welt weiterzumachen, in seinem Sinne zu leben und zu handeln, um damit Gott zu verherrlichen. In der Bergpredigt sagte Jesus: „Lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit die Leute eure guten Worte sehen und unseren Vater im Himmel preisen.“ Gott will in und durch uns wirken.
Gemeinde: Bleib mit deiner Gnade bei uns (EG 789.7)
II.
Liebe Gemeinde, wo ist der Platz der Kirche in Jesu Bildwort vom Weinstock, von den Reben, der Frucht und den Früchten? Gehen wir davon aus, dass der Weinstock im Ersten Testament, der Hebräischen Bibel, oft ein Bild für das Gottesvolk Israel ist, so ist von vornherein deutlich: Die Kirche nimmt nicht den Platz des biblischen Israel ein. Sie gehört zu den Reben. Jesus, der Christus, ist es, der in Jesu Gleichnis vom Weinstock, beide, Israel und die Kirche, verbindet. Der Weinstock und die Reben dürfen nicht miteinander verwechselt, und die Kompetenz Gottes, des Weingärtners, darf durch manche schnelle „Veredelungsversuche“ nicht eingeschränkt werden.
Mir gefällt das Bild, das uns Jesus mit seinen Worten vom wahren Weinstock vor unsere Augen malt. Ein starkes Bild für Zusammengehörigheit und Zusammenwachsen, zugleich eine Warnung vor dem „Ohne-mich“ oder „Nur-ich-allein“- Standpunkt. Alle haben einen Platz. Niemand ist unwichtig, geringer, weniger oder mehr Wert. Wir gehören zusammen. Wir können wachsen und zusammenwachsen.
III.
Und die Frucht, die Früchte? – Wir können sie mit dem Handeln der Kirche in Verbindung bringen, mit der Nächstenliebe, der Diakonie, der lebenspraktischen Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit.
„Wir wollen leben, was wir glauben“, ist ein Leitsatz in der Diakonie. In einem Glaubensbekenntnis aus unserer Tagen heißt es: „Ich glaube an Jesus von Nazareth, den Lebendigen…Jesus von Nazareth ermutigt mich zu hoffen, dass Menschen miteinander leben können, ohne sich gegenseitig auszustechen… und klein zu machen. Jesus ermutigt mich zu hoffen, dass die Menschen die Erde nicht zerstören werden. Deshalb glaube ich an eine Kirche der Zukunft, an eine Kirche, in der sich die Gebeugten aufrichten können, Hungernde satt werden und Traurige wieder atmen können…“
Der hoffnungsvolle Name unserer Kirche – „Providenz“ (1. Mose 22,8) – hier in der City der Altstadt zu Heidelberg erinnert uns täglich an die Sorge Gottes für uns. Der Kirchenname will in uns das Vertrauen wecken: Gott wird sorgen. Was immer sich verändert und sich ändern muss – eine Kirche, die Gott vertraut und mit Jesus in Verbindung bleibt, hat Zukunft und bringt reiche Frucht. Darüber freut sich Jesus mit Gott, und unser Herz wird bereit, entsprechend dem Sonntagsnamen „Jubilate“ dem Aufruf zum Lob Gottes zu folgen und mit den Anfangsworten des 66. Psalmes in das „Jubilate Deo“ (EG 181.7) einzustimmen. Amen.