„Gepriesen seist du, Ewiger, unser Gott, König der Welt!“
Allen Zweifeln und Ängsten zum Trotz
Liebe Gemeinde,
Abschiede stimmen traurig; häufig, jedenfalls. Denn oft sind sie von der bangen Frage begleitet: Wann werden wir uns wiedersehen? Werden wir uns überhaupt wiedersehen?
Mir persönlich sind zwei Abschiedsszenen in besonderer Erinnerung.
Die eine war vor bald genau sechzig Jahren, im Herbst 1943, als mein Vater nach kurzem Fronturlaub wieder zurück zu seiner Einheit musste und dabei auf den bereits anrollenden Zug aufsprang, um den Abschied so lange wie möglich hinauszuzögern. „Unkraut vergeht nicht!“ rief er uns zu, um uns zu trösten. Dennoch: Würden wir uns jemals wiedersehen? Wir sahen uns nach Jahren wieder; aber das konnten wir damals nicht wissen.
Die andere Szene ereignete sich in Israel. Meine Tochter war damals in einem Kibbuz und hatte einige Tage frei bekommen, um mit mir und einer Reisegruppe, die ich leitete, zwei Wochen durchs Land zu fahren. Als wir sie dann auf unserer Fahrt zum Flughafen an einer Bushaltestelle in der Wüste absetzten, von wo aus sie wieder zu ihrem Kibbuz fahren wollte, brach mir fast das Herz. Würde sie gesund dort ankommen? Würde ich sie wieder sehen? – Abschiede machen traurig.
In unserem heutigen Predigttext hören wir von den Jüngern, sie seien mit großer Freude wieder nach Jerusalem zurückgekehrt. Merkwürdig! Musste sie dieser Abschied nicht genau so traurig stimmen? Wieso konnten sie von großer Freude erfasst sein?
Eines dürfte klar sein: Wären sie nicht von solcher Freude erfasst gewesen, dann säßen wir heute nicht hier, dann gäbe es kein Christentum, dann wären sie niemals als Verkündiger in die Welt hinausgezogen; denn wer zieht schon mit einer Trauerbotschaft und Leichenbittermiene hinaus!?
Versuchen wir also, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, warum sie trotz dieses Abschieds von großer Freude erfasst wurden. Es muss an den Worten des Scheidenden liegen!
1.
„Indem er sie segnete, schied er von ihnen“, lautet die letzte Mitteilung über ihn. Ich versuche, mir bewusst zu machen, was das heißt, „er segnete sie“, was er dabei gesagt hat, wie seine Worte gelautet haben werden.
Bis auf den heutigen Tag beginnt jeder jüdische Segen mit haargenau den gleichen Worten – egal, ob man vor einer Mahlzeit Wein und Brot segnet oder die rituelle Händewaschung vor der Mahlzeit vollzieht, am Morgen die Gebetskapseln anlegt oder eine andere Segenshandlung vornimmt – immer beginnt der Segen mit den Worten: baruch ata, adonai, elohenu, mäläch haolam – „Gepriesen seist du, Ewiger, unser Gott, König der Welt!“, und dann geht es weiter: „der du den Weinstock erschaffen hast“ oder „der das Brot aus der Erde hervorbringt“ oder „der uns durch seine Gebote geheiligt hat“. Aber immer beginnt dieser Segen mit den Worten: „Gepriesen seist du, Ewiger, …“
Wenn man das Wort „gepriesen“ ganz pingelig übersetzen wollte, könnte man auch sagen, „wir beugen die Knie vor dir“ oder „wir gehen in die Knie vor dir“.
„Er segnete sie“, d. h. er versicherte ihnen nochmals ausdrücklich, wer das Geschick der Welt in der Hand hat: „Du, der Einzige, Du, unser Gott, Du, der König der Welt“.
Man könnte auch sagen: Jesus machte seine Jünger eigenständig, mündig. Er stellte sie auf eigene Füße. Er machte ihnen bewusst, dass sie nicht mehr am Gängelband geführt werden mussten, nicht mehr ständig bei ihm, dem sichtbar, leibhaftig Anwesenden Beistand, Schutz und Zuflucht suchen mussten. Allen Zweifeln und Ängsten angesichts der Unbilden des Lebens zum Trotz vergewisserte er sie: Der Ewige ist unser Gott, der Ewige ist einzig, er ist der König der ganzen Welt, und wenn wir ihn fürchten, brauchen wir sonst nichts zu fürchten.
Das war nichts Neues. Das war ihr jüdisches Bekenntnis von Kind auf und das Bekenntnis ihrer Vorfahren seit -zig Generationen. Aber es gibt im Leben immer wieder Ereignisse, die unsere klaren Glaubensüberzeugungen erschüttern, uns ins Wanken bringen. In solchen Augenblicken brauchen wir solche neuen Anstöße, Auffrischungen unseres Glaubens.
Die Kreuzigung Jesu war für die Jünger eine solche tiefe Erschütterung, eine totale Verunsicherung. „Wir aber hofften, dass er Israel erlösen würde“, sagen die beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus in der Erzählung unmittelbar vor unserem Predigttext. – Jetzt brauchten sie einen neuen Glaubensimpuls. Der Auferstandene segnete sie: Gepriesen seist du, Ewiger, unser Gott, König der Welt“. Jetzt konnten sie mit großer Freude wieder zurückkehren nach Jerusalem, ins Leben, in die Welt.
2.
Das wäre allerdings viel zu allgemein gewesen, viel zu sehr auf Gefühl und Stimmung beschränkt. In der Diskussion mit Leuten, die nicht von Gottes Allmacht überzeugt sind oder wohl an einen über den Sternen thronenden Lenker der Geschicke glauben, aber ihn sich nicht als uns Menschen und unseren Nöten zugewandten Gott vorstellen, ihn nicht „unser Gott“ nennen können, – in der Diskussion mit solchen und ähnlichen Leuten würde dieser Glaube wenig Bestand haben, wenn nicht noch etwas Entscheidendes hinzu käme.
Lukas nimmt hier nochmals etwas auf, was schon in der Erzählung von den beiden Jüngern auf dem Weg nach Emmaus wichtig war: Der Bezug auf die heiligen Schriften Israels. „Da öffnete er ihnen das Verständnis, so dass sie die Schrift verstanden.“
Das war für die ersten Christen die Kraftquelle, die Schatzkammer des Reichtums an Deutungsmöglichkeiten dessen, was sie mit Jesus erlebt hatten – zu seinen irdischen Lebzeiten und danach! Gerade im “Jahr der Bibel” ist dieser Hinweis besonders aktuell.
Gehen Sie aber nun ja nicht nach Hause und suchen Belege in ihrer Bibel: Da ist dies vorausgesagt und dort jenes, und so oder so hat es sich erfüllt, und wer dies nicht einsieht, ist verstockt oder verblendet. So funktioniert das nicht, und so ist es auch damals nicht vor sich gegangen, dass man Stück um Stück in der jüdischen Bibel als Voraussage entdeckt und dann als eingetroffen bewiesen hätte. Dies hat man etwa hundert Jahre nach dem Tod Jesu so gemacht und dann den Juden, die dies nicht mitmachten, vorgeworfen, sie seien verstockt und von Gott verworfen.
Am Anfang aber waren dies eher überraschende Entdeckungen, die man beim Lesen der Bibel und beim Beten der Psalmen machte. Gab es da nicht ganz auffällige Parallelen zwischen dem Geschick Jesu und den Klagen frommer Gerechter in den Psalmen? Und das Schuldbekenntnis des Volkes in Jesaja 53, dass man den unbeirrbaren Zeugen der Treue Gottes, der von den Feinden misshandelt und ermordet wurde, als von Gott gefoltert und gestraft ansah, passte das nicht auch auf Jesus? Boten diese Glaubenserfahrungen Israels nicht einen Schlüssel zum Verständnis gerade auch des Leidens Jesu? Musste es mit Jesus nicht so kommen, weil auch er unbeirrbarer, treuer Zeuge Gottes war? Man lebte in der Schrift und aus der Schrift und empfing daraus Kraft und Klarheit.
3.
Dabei entdeckte man noch etwas anderes: Schon in den Schriften Israels wird diesem Zeugen Gottes gesagt, er solle sich nicht entmutigen lassen, wenn er im eigenen Volk nicht genügend Gehör findet. Er habe seine Botschaft bis zu den fernsten Inseln zu tragen, die darauf warten.
Konnte es für die Jünger eine deutlichere Aufforderung geben, sich mit ihrer neu gewonnenen und gestärkten Glaubensüberzeugung an alle Völker zu wenden? Kein Wunder, dass sie mit großer Freude von diesem Berg des Abschieds zurückkehrten und einen Neuanfang wagten!
Wollen wir uns ihnen nicht anschließen?!
Amen