Dem Wunderbaren und Geheimnisvollen um uns herum sich öffnen

„Aus dem Leben eines Taugenichts“ und Vorstellungen unseres christlichen Glaubens - Elemente für einen Literaturgottesdienst

Predigttext: 1. Mose (Genesis) 2, 8-15
Kirche / Ort: Johanneskirche / Heidelberg
Datum: 01.06.2003
Kirchenjahr: Exaudi (6. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Prälat i. R. Gerhard Bechtel

Elemente für einen „Literaturgottesdienst“

Predigttexte:

2. Mose 2,8-10.15 Psalm 32,8 Philipper 4,4-6 Und Gott der HERR pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte. Und Gott der HERR ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen....Und es ging aus von Eden ein Strom, den Garten zu bewässern...Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte. So spricht der HERR, dein Gott: Ich will dich unterweisen und dir den Weg zeigen, den du gehen sollst; ich will dich mit meinen Augen leiten. Und solches aufgreifend schreibt Paulus an die Gemeinde zu Philippi: Freuet euch in dem Herrn allewege -immerzu-, und abermals sage ich euch: Freuet euch! Eure Güte lasst kund sein allen Menschen! Der Herr ist nahe! Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kund werden!

Vorspann zur Predigt - Hinweise zu dem literarischen Werk „Aus dem Leben eines Taugenichts“ von Joseph von Eichendorff und Texte daraus:

Mit einer großen Delegation aus Wertheim haben wir vor wenigen Tagen die große Freude gehabt, in Zabkowice, dem ehemaligen Frankenstein, in Schlesien eine Gedenkstätte einzuweihen, die an die 80-jährige Tätigkeit der Frankensteiner Diakonissen bis zu ihrer Ausweisung 1946 erinnern wird. Die vertriebenen Diakonissen haben dann in unserer Landeskirche in Wertheim eine neue Heimat gefunden. So habe ich für den heutigen Gottesdienst das literarische Werk ebenfalls eines Schlesiers ausgewählt. Es ist die Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ von Joseph von Eichendorff. Wir haben diese Novelle in unserer Schulzeit vielleicht als Pflichtlektüre lesen müssen, und sie wurde dann im Deutschunterricht „durchgenommen“. Möglicherweise hat sie uns damals wenig beeindruckt. Aber das könnte sich ändern, wenn wir sie uns jetzt in diesen Frühlingstagen nochmals vornehmen würden und uns von der darin ausgebreiteten Welt aus Licht und Beschaulichkeit neu erhellen und begeistern ließen. Zur Erinnerung zuerst kurz die der Novelle zugrunde liegende Geschichte. Dieser Taugenichts, Sohn eines Müllers, bricht eines Tages aus dem gewohnten Alltag aus, nimmt Geige und Rucksack und strebt nach Süden. In einem Schloss bei Wien findet er eine Anstellung als Zolleinnehmer. Aber es hält ihn auch dort nicht lange. Er verliebt sich dort zwar in eine schöne junge Frau. Aurelia aber, die er für die Gräfin hält, scheint ihm unerreichbar. So beschließt er, wieder aufzubrechen. Er zieht weiter nach Süden, erreicht nach vielen Abenteuern Rom, erlebt dort seltsame Geschichten. Doch er vergisst seine heimatliche Mühle nicht, aber die Sehnsucht nach Aurelia zieht ihn nochmals zuerst ins Schloss. Dort klärt sich das große Missverständnis auf. Seine Angebetete, die vermeintliche Gräfin, ist ein armes Waisenkind. Sie heiraten und kehren beide in ein ganz normales Leben zurück. Die Reise war sozusagen nur eine Unterbrechung in seinem Leben. Eichendorff nannte seine Novelle nicht „Das Leben des Taugenichts“, sondern „Aus dem Leben eines Taugenichts“. Aber was diese Phase eines scheinbaren Taugenichts-Daseins einbrachte, kann nur als eine beglückende Bereicherung des Lebens festgestellt werden. Eine wunderbare Leichtigkeit des Seins hat sie ins Leben gebracht und es auch fernerhin erfüllt. Dazu jetzt leider nur ein paar wenige und kurze Texte aus diesem Werk: Immer wieder - so schildert es Eichendorff - kommt es vor, dass er sich einfach auf den Boden legt oder vor eine Türschwelle, in den Wipfel eines Baumes klettert oder hinter einem Busch sitzt und das ihn Umgebende auf sich wirken lässt Und jetzt wörtlich: „An schwülen Nachmittagen legte ich mich auf den Rücken hin, wenn alle so still war, dass man nur die Bienen sumsen hörte, und sah zu, wie über mir die Wolken nach meinem Dorfe zuflogen und die Gräser und Blumen sich hin- und herbewegten...“ . „Und so saß ich auf dem Baume droben, wie die Nachteule im Schlosse und rings ums Schloss herum auf dem Rasenplatz und den steinernen Stufen und Säulen sah alles so still, kühl und feierlich aus,; nur der Springbrunnen vor dem Eingange plätscherte einsam in einem fort...“. „In dieser Zeit saß ich einmal...im Wipfel eines hohen Baumes, der am Abhange stand, und wiegte mich auf den Ästen langsam über dem stillen, tiefen Tale. Die Mücken summten zwischen den Blättern um mich herum, sonst war alles wie ausgestorben, kein Mensch war zwischen den Bergen zu sehen, tief unter mir auf den stillen Waldwiesen ruhten dien Kühe auf dem hohen Grase. Aber ganz von weitem kam der Klang eines Posthorns...“. Oder in Rom: „Da steckte ich meine Geige ein und legte mich auf die Schwelle vor der Haustür hin...die Blumenbeete vor der Haustüre dufteten lieblich, eine Wasserkunst weiter unten im Garten plätscherte immerfort dazwischen und betrachtete die stille Stadt, die in der plötzlichen Einsamkeit bei heller Mittagsstunde ordentlich schauerlich aussah“. Abend und Morgen sind seine besonderen Stunden: „Ich setzte mich auf dem Platze, der nun ganz einsam war, nieder,...Der Mond schien prächtig, von den Bergen rauschten die Wälder durch die stille Nacht herüber, manchmal schlugen im Dorfe die Hunde an, das weiter im Tale unter Bäumen und Mondschein wie begraben lag. Ich betrachtete das Firmament, wie da einzelne Wolken langsam durch den Mondschein zogen und manchmal ein Stern weit in der Ferne herunterfiel“. „Hin und her in den Zweigen neben mir erwachten schon die Vögel, schüttelten ihre bunten Federn u8nd sahen, die kleinen Flügel dehnend, neugierig und verwundert ihren seltsamen Schlafkameraden an. Fröhlich schweifende Morgenstrahlen funkelten über den Garten weg auf meine Brust. Da... sah ich zum ersten Male wieder einmal so recht weit in das Land hinaus, wie da schon einzelne Schiffe auf der Donau zwischen den Weinbergen herabfuhren und die noch leeren Landstraßen wie Brücken über das schimmernde Land sich fern über die Berge und Täler hinausschwangen“. Vor allem hat dieser angebliche Taugenichts sich den Blick in die Augen des anderen bewahrt, den Blick aus den Augen, in dem sich Menschen begegnen und darin zu lesen wissen. „Da sah ich aus dem dunkelkühlen Lusthause zwischen den halb geöffneten Jalousien und Blumen, die dort standen, zwei schöne junge, frische Augen hervorfunkeln. Ich war ganz erschrocken“. „Da sah ich nun allemal die allerschönste Dame noch heiß und halb verschlafen im schneeweißen Kleide an das offene Fenster hervortreten. Bald flocht sie sich die dunkelbraunen Haare und ließ dabei die anmutig spielenden Augen über Busch und Garten ergehen...“. Er nimmt aber auch das Spiel seiner eigenen Augen wahr: „...und die Morgenstrahlen schimmerten mir durch die geschlossenen Augen, dass mirs so dunkelhell war, wie wenn die Sonne durch rotseidene Gardinen scheint“. Und er sieht, wenn Augen böse blicken: „Dabei sah ich, dass es eigentlich ein kurzer stämmiger Kerl war und vorstehende, glotzende Augen ...hatte. und wie er immerfort nichts weiter sagte als „he! he!“ und dabei jedesmal einen Schritt näher auf mich zukam, da überfiel mich auf einmal eine so kuriose Angst...“. Es war eine etwas große, korpulente, mächtige Dame... mithochgewölbten Augenbrauen...Sie sah mich mit ihren großen funkelnden Augen so majestätisch an, ...als wenn sie mich mit ihren feurigen Kugeln durchbohren wollte“. Aber meist begegnet er einem Menschen, der „kniff und winkte mir so pfiffig mit den Augen“. Oder es ist wieder eine Frau, „die ihn zurückholt in den stillen Bann ihrer schönen Augen“. In der Tat: Eine Welt aus Licht und tiefsinniger Beschaulichkeit kommt uns aus diesem literarischen Meisterwerk entgegen, der wir uns mit dem nächsten Lied noch mehr öffnen wollen.

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Liebe Gemeinde,

dieser angebliche Taugenichts will eigentlich in Wahrheit zu einem sehr ernst zu nehmenden Zeitgenossen werden, der uns auf ein paar biblische Weisungen aufmerksam macht, nach denen uns das Leben besser und fröhlicher gelingen könnte.

Er sucht das Paradies auf Erden. Und in Fragmenten und Mosaikstücken findet er es sogar. Wenn er im Gras liegt. Wenn er seine Geige spielt. Wenn er im Freien den Morgen anbrechen sieht und sich in der Nacht in den gestirnten Himmel sich vertieft.

Da kommt er nämlich Jesus sehr nahe, der stets unterwegs war und oft kein Dach über sich hatte, wenn er abends sein Haupt niederlegte. Die Evangelien erzählen dicht und gedrängt, wie Jesus predigte und heilte. Aber was tat Jesus, wenn er gerade einmal nicht heilte und predigte? Wenn er also mit seinen Jüngern durch ihm unbekannte Landschaften zog: Staunte er da über ihre Schönheiten, die Weite der Ebenen, die steil aufragenden Berge Judäa? Wenn er in einen Ort kam: Interessierten ihn da die Arbeit und Gewerke, denen die Menschen nachgingen? Wenn er die Landstraßen entlang zog: Besaß er die Zeit und innere Bedachtsamkeit für das, was links und rechts am Weg wuchs, für die Farben der Blumen und Sträucher, das üppige Laub der Bäume?

Die Evangelien berichten darüber leider nichts. Aber es war bestimmt so! Wie hätte Jesus sonst seine Botschaft in so bildhafte und naturnahe Gleichnisse fassen können. Doch erst wenn man selbst genau hingesehen hat und dem Wunderbaren und Geheimnisvollen um uns herum sich öffnete, kann man überzeugend und werbend so einladen, wie es Jesus in der Bergpredigt tat: Seht die Vögel unter dem Himmel an… Schaut, beschaut die Lilien auf dem Feld, das Gras, die Wildkräutergemeinschaften am Wegrain! Beobachtet doch, wie ein guter Hirte sich vom unzuverlässigen und betrügerischen unterscheidet! Wie die Weintraube über die Rebe ihren Lebenssaft aus dem Weinstock und seiner Verwurzelung im Boden bezieht!

Darin ist der angebliche Taugenichts in Wahrheit ein Jünger Jesu und taugt jetzt sogar sehr viel, nämlich uns für diese wundersamen Gegebenheiten wieder und wieder Auge und Gemüt zu öffnen. Und Paul Gerhardt hat das dann auf seine Weise in den 15 Strophen seines Liedes „Geh aus, mein Herz“ verstärkt, ein Lied von dem wir im Gottesdienst immer nur wenige Strophen singen und dann die Auswahl so schwer fällt, weil eine Strophe schöner als die andere ist.

Aber auch in seiner Sorglosigkeit, in der er loszieht, gleicht der vielleicht doch sehr zu Unrecht „Taugenichts“ Genannte in erstaunlicher Weise Jesus. „Sorget nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet, nicht um euren Leib, auch nicht, wie man der Länge seines Lebens ein Stück zusetzten könnte“. Selbstverständlich ist das nicht Jesu grundsätzliche Absage an eine verantwortliche Lebensplanung. Wovon er uns weghaben will, das ist die das Leben zernagende Sorge der Heiden. Der Heiden! Das Sorgen von Menschen, die nichts von einer letzten Geborgenheit in Gott wissen und wahrhaben wollen. Menschen, die in ihrer Selbstbeschränkung auf das nur Materielle dann zwangsläufig von der Gier nur nach den Dingen dieser Welt gepackt sind.

Die Sorglosigkeit, zu der uns Jesus befreien möchte, stellt sich ein, wo diese Worte des Apostels zum Leitsatz unseres Lebens werden: „Sorget euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen vor Gott kund werden“. Zuerst und vor allem anderen das Gebet. Das Gebet ersetzt keine Tat, aber es ist eine Tat, die durch nichts anderes ersetzt werden kann. Und diese durch nichts anderes zu ersetzende Tat ist die stets neue Einkehr bei dem, der unseres Lebens Länge bestimmt. Eine Einkehr freilich, die ohne Danksagung wertlos verläuft. Denn über den Dank erst öffnen sich uns die Augen für bereits erfahrene Wohltaten.

Wie sehr uns doch das Danken abhanden kommen kann, darauf bin ich in der Schlosskirche zu Meersburg gestoßen, wo ich seit einigen Jahren im Sommer als Urlauberpfarrer tätig bin Dort gibt es die begrüßenswerte Einrichtung auf Zetteln Gebete niederzulegen, die dann sonntags in den Gemeindegottesdienst einbezogen werden. Auf den über 40 Zetteln, die im Verlauf einer Woche eingelegt wurden, war nur dreimal ans Danken gedacht. Aber im Danken erst öffnen sich uns die Augen dafür, dass unser himmlischer Vater weiß, was wir eigentlich brauchen.

Damit kommt nun nochmals dieser angebliche Taugenichts ins Bild, jetzt mit seinem Blick für die Augen der Menschen. Noch einmal taugt er uns in seiner Art, wie er in den Augen der anderen zu lesen versteht, wie er Augen für das Wunder der Augen hat.

Denn die Augen, die ein Spiegel des inneren Wesens sind, sind in der Bibel Bild und Gleichnis dafür, wie wir uns Gottes Nähe vergegenwärtigen dürfen. „Ich will dich mit meinen Augen leiten“, so hörten wir es gleichnishaft von Gott aus Psalm 32. Im Abschlussgottesdienst des Ökumenischen Kirchentags, den die Delegation Ihrer Gemeinde vor dem Bildschirm in der Kirche der Partnergemeinde mitfeiert, hören sie jetzt auf die Worte des 67. Psalms: “Gott sei uns gnädig und segne uns. Er lasse über uns sein Angesicht leuchten“. Und was ist ein Gesicht ohne die Augen! Damit ist aber nicht das detektivische Auge eines allgegenwärtigen großen Beschatters gemeint, der alles und jedes bis ins Verborgendste registriert.

„Ich will dich mit meinen Augen leiten“, das ist das Bild, wie Gott mit Augen der Liebe und Fürsorge uns, seine Menschen anschaut. Diese Augen spüren uns nicht von hinten her nach, sondern sie sind der uns entgegen strahlende Blick. Der Blick aus den Augen dessen, der uns will, und auch dann noch will, obwohl wir so sind, wie wir nun einmal sind.

Daran erinnert uns in jedem Gottesdienst der Segen am Ende: Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir.

Er lässt seine Augen leuchten. Aber an uns ist es, ob wir darin lesen wollen. Ob wir uns von dem Blick aus diesen Augen, von dem ewigen Augen – Blick der Liebe Gottes stets neu aufwecken und erleuchten lassen wollen. Ob wir im Leuchten dieser Augen unser wahres Selbst und die eigentliche Bestimmung unseres Lebens entdecken wollen, um so immer wieder zu uns selbst zu kommen.

Amen.

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