Nicht übersehen, worauf es im Leben wirklich ankommt
Sich in Menschen einfühlen und verstehen
Predigttext: Lukas 16, 19-31 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984):
19 Es war aber ein reicher Mann, der kleidete sich in Purpur und kostbares Leinen und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. 20 Es war aber ein Armer mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Tür voll von Geschwüren 21 und begehrte, sich zu sättigen mit dem, was von des Reichen Tisch fiel; dazu kamen auch die Hunde und leckten seine Geschwüre. 22 Es begab sich aber, dass der Arme starb, und er wurde von den Engeln getragen in Abrahams Schoß. Der Reiche aber starb auch und wurde begraben. 23 Als er nun in der Hölle war, hob er seine Augen auf in seiner Qual und sah Abraham von ferne und Lazarus in seinem Schoß. 24 Und er rief: Vater Abraham, erbarme dich meiner und sende Lazarus, damit er die Spitze seines Fingers ins Wasser tauche und mir die Zunge kühle; denn ich leide Pein in diesen Flammen. 25 Abraham aber sprach: Gedenke, Sohn, dass du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun wird er hier getröstet, und du wirst gepeinigt. 26 Und überdies besteht zwischen uns und euch eine große Kluft, dass niemand, der von hier zu euch hinüber will, dorthin kommen kann und auch niemand von dort zu uns herüber. 27 Da sprach er: So bitte ich dich, Vater, dass du ihn sendest in meines Vaters Haus, 28 denn ich habe noch fünf Brüder, die soll er warnen, damit sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual. 29 Abraham sprach: Sie haben Mose und die Propheten, die sollen sie hören. 30 Er aber sprach: Nein, Vater Abraham, sondern wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun. 31 Er sprach zu ihm: Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten auferstünde.Exegetische Überlegungen
Der Predigttext gehört zum lukanischen Sondergut. Die Erzählung gliedert sich in zwei Abschnitte: Die Verse 19-26 beinhalten die Erwartung, dass das irdische Schicksal im Jenseits ausgeglichen wird. Die Verse 27-31 machen deutlich, dass der Glaube Voraussetzung ist für das Verstehen, nicht umgekehrt. Die Schlussverse sind von Lukas deutlich auf den Tod Jesu und seine Auferstehung hin gedeutet. Auch Jesu Auferstehung ist kein Beweis, sondern Akt des Glaubens. (Literatur: Werkstatt für Liturgie und Predigt 4/2003 S.173)Zur Predigt:
Ausgangspunkt der Predigt ist der letzte Satz des Textes: „Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten auferstünde.“ Warum lohnt es sich heute noch, auf diese uralten Texte zu hören? Dieser Frage gehe ich ins Besondere in Hinsicht auf die neuen Konfirmandinnen und Konfirmanden nach, die für die nächsten Monate zu den kritischsten PredigthörerInnen zählen werden. Die Predigt möchte deutlich machen, dass der Reiche in der Erzählung nicht an seinem Reichtum scheitert, sondern an seiner Beziehungsunfähigkeit.Liebe Gemeinde, und heute ganz besonders: Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,
keiner von Euch, keiner von Ihnen, ist heute zum ersten Mal im Gottesdienst. Darum wissen auch alle, was jetzt kommt: die Predigt, natürlich. Für viele von uns „Gottesdienstgewohnten“ ist sie der Höhepunkt des Gottesdienstes, von dem wir uns neue Einsichten, gute Denkanstöße, vielleicht aber auch Trost und Ermutigung erhoffen.
Für euch Jüngeren – das weiß ich noch ziemlich gut aus meiner eigenen Konfirmandenzeit – ist die Predigt etwas, das man eher übersteht als genießt. Darum seid Ihr für mich auch eine echte Herausforderung, nämlich so zu predigen, dass ihr nicht gleich beim ersten Satz abschaltet.
Vielleicht sagen einige unter euch – und auch unter den Erwachsenen: Warum muss denn die Predigt immer über die Bibel gehen? Das ist doch ein uraltes Buch, warum nimmt man da nicht was Neues, Modernes?
Die Bibel erzählt von der Welt, wie sie ist
Wenn die Predigt tatsächlich auch nicht immer von einem Bibeltext handelt, so hoffe ich doch, dass ihr im Laufe eures Konfirmandenjahres – und wir mit euch – erfahrt, dass die Bibel nicht nur etwas davon erzählt, was früher ein Mal passiert ist. Sondern dass wir und unsere Welt heute auch in ihr vorkommen.
Der Abschnitt aus der Bibel, den ich jetzt gleich vorlesen werde, macht das auf ziemlich beunruhigende Weise deutlich. Ich lese aus dem Lukasevangelium im 16. Kapitel.
(Textverlesung)
Reichtum, schönes und luxuriöses Leben auf der einen Seite – bittere Armut und Elend auf der anderen: Das ist ein Zustand, der uns sehr vertraut vorkommt.
Die Armen und Kranken liegen zwar nicht vor unseren Haustüren, aber sie kommen in unsere Wohnzimmer und sogar Schlafzimmer, wenn wir abends den Fernseher einschalten und nicht gleich zur Quizshow umschalten.
Die Gegensätze zwischen denen, die viel haben und denen, denen es am Nötigsten fehlt, werden immer größer, auch hier bei uns im reichen Deutschland. Wir alle wissen das – aber wie der Reiche in unserer Geschichte lassen wir uns nicht wirklich dadurch beunruhigen. Es fällt ja auch immer etwas ab von unserem Reichtum: ein bisschen Entwicklungshilfe, eine Spendenaktion, ein Almosen. So ist die Welt, so war sie zur Zeit Jesu.
Die Geschichte geht dann weiter, wie in einem Märchen: der Reiche und der Arme sterben – und nun sieht die Sache auf ein Mal ganz anders aus: Lazarus liegt buchstäblich in Abrahams Schoß, während der Reiche Höllenqualen leidet.
Dieses Bild erzählt von der Hoffnung, die Menschen bis heute haben: nämlich dass es eine ausgleichende Gerechtigkeit geben wird. Dass diejenigen, die jetzt gar nichts haben außer Hunger und Dreck und Krankheiten, irgendwann entschädigt werden. Und dass auf der anderen Seite diejenigen, die trotz ihres Reichtums nichts oder fast nichts für die Armen getan haben, am eigenen Leib erfahren, was das bedeutet. Spätestens hier sollte es uns anfangen, im Bauch zu rumoren.
Nun könnt Ihr, können Sie, mit Recht einwerfen: Aber das ist doch nur ein Märchen. Kein Mensch weiß doch, was nach dem Tod kommt! Stimmt, und darum will uns diese Geschichte, die Jesus erzählt, auch nicht Angst machen vor einer Strafe nach dem Tod, sondern Mut machen zu einem anderen Leben hier und jetzt.
Die Bibel erzählt von der Welt, wie sie sein soll
Das ist nämlich die zweite Seite der Bibel: Sie erzählt uns von der Welt, wie sie ist, und von der Welt, wie sie sein soll, wie Gott sie will. Wir hätten die Geschichte wohl nur sehr oberflächlich gehört und verstanden, wenn wir als ihre Botschaft nur hören würden: Ihr Reichen, gebt mehr Almosen!
Die eigentliche Botschaft dieser kleinen Geschichte steckt für mich in den Worten des Abrahams an den Reichen: „Und überdies besteht zwischen uns und euch eine große Kluft, dass niemand, der von hier zu euch hinüber will, dorthin kommen kann und auch niemand von dort zu uns herüber.“
Lazarus kann dem Reichen in der Hölle nicht mehr helfen, weil Welten sie von einander trennen. Es besteht überhaupt keine Beziehung zwischen den beiden. Der Reiche kann nicht ein Mal mit Lazarus, sondern nur über ihn reden. Noch in der Hölle kann er in dem ehemals Armen nur jemanden erkennen, der herumzuschubsen ist: Lazarus soll herkommen und ihm die Zunge kühlen. Lazarus soll wieder auf die Erde zurückkehren, um seine Brüder zu warnen.
Der Reiche hat überhaupt nicht begriffen, dass Lazarus ihn gar nicht wahrnehmen kann, weil zwischen ihnen beiden nie eine Beziehung bestanden hat.
Lasst es nicht so weit kommen, sagt uns Jesus in seiner Geschichte. Lasst es nicht zu, dass ihr alles zu haben glaubt und dabei das überseht, auf das es wirklich ankommt: eure menschlichen Beziehungen. Denn die werden darüber entscheiden, ob euer Leben gelingt oder nicht. Versucht, euch in Menschen einzufühlen, zu verstehen, was sie brauchen, was sie bewegt. Nehmt sie wahr mit ihren Eigenheiten, ihrer Persönlichkeit. Dann werdet ihr merken, dass das, was ihr schenkt, auf euer eigenes Leben zurückwirkt.
Gott will, dass unser Leben gelingt
Es geht um unser Leben. In dieser Geschichte wie in der ganzen Bibel geht es um unser Leben. Gott will, dass unser Leben gelingt. Dass wir spüren: Es ist wichtig, dass es mich gibt. Gerade mich. Wir spüren das, wenn wir merken, dass wir anderen Menschen gut tun. Wenn wir ihnen etwas geben können, was nur wir zu geben haben. So, wie wir bei anderen erleben: Gut, dass es diesen, gerade diesen Menschen, gibt, der mich versteht, der mich ernst nimmt, der mir gut tut.
Der reiche Mann hatte so lange Zeit, in Lazarus diesen Menschen zu entdecken, der gerade ihn gebraucht hätte. Als er bemerkt, dass er seinerseits Lazarus genauso braucht, ist es zu spät. Für uns aber ist es nicht zu spät. Wir leben. Wir können die Menschen um uns herum wahrnehmen. Das tut den anderen gut. Das tut uns gut.
Amen.