„…das schmeckt nach Vergebung der Sünden, ewigem Leben und Seligkeit“
Eine Predigt von Martin Luther mit einem Nachwort von Heinz Janssen
Predigttext: Lukas 14,16-24
Er (Jesus) aber sprach zu ihm: Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu. Und sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, zu sagen den Geladenen: Kommt, denn es ist alles bereit! Und sie fingen an alle nacheinander, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muß hinausgehen und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. Und der andere sprach: Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft, und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. Und der dritte sprach: Ich habe ein Weib genommen; darum kann ich nicht kommen. Und der Knecht kam und sagte das seinem Herrn wieder. Da ward der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knechte: Gehe schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen und Krüppel und Blinden und Lahmen herein. Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast; es ist aber noch Raum da. Und der Herr sprach zu dem Knechte: Gehe aus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, auf dass mein Haus voll werde. Denn ich sage euch, dass der Männer keiner, die geladen waren, mein Abendmahl schmecken wird. (Predigt aus: K. Aland (Hg.), Luther Deutsch. Die Predigten, 2. Aufl., Stuttgart 1965, S. 274-280. – Überschrift und Zwischenüberschriften von Heinz Janssen, redaktion@predigtforum.de)I. Das große Abendmahl
Wenn ich dem Evangelium glaube, so esse ich von Christus und weidet und stärkt sich meine Seele, das schmeckt nach Vergebung der Sünden, ewigem Leben und Seligkeit.
Wenn wir im Tode, Sünden, Pest, Lebensmittelknappheit, Gefahr, Schrecken, Furcht und allerlei Jammer sind: das ist unser Hunger und Durst, da bedürfen wir dieser Speise.
Und eben die sind es, die in solchen Nöten sind, welchen diese Speise recht schmeckt. Wenn solche erschrockenen und geängstigten Herzen und Gewissen im Evangelium hören, dass Christus, der für ihre Sünde gelitten habe, gekreuzigt und gestorben sei, sich habe zurichten, auftragen und vorlegen lassen zur Speise für alle hungrigen und durstigen Seelen, das ist für alle erschrockenen und geängstigten Herzen, und wenn sie solches ohne allen Zweifel glauben, dann wird ihr verschmachtendes Herz, betrübt Gewissen und bekümmerte Seele gestärkt, getröstet und erquickt.
Durch solchen Glauben muß man in Christus Vergebung der Sünden, Gerechtigkeit, ewiges Leben und Seligkeit ergreifen. Denn Christus allein kann diesen Seelenhunger dämpfen und diesen Seelendurst löschen, den Teufel und Tod verjagen und vertreiben, dass sie nicht mehr schaden können. Wenn du deshalb von dieser Speise ißt, an Christus glaubst, welcher dir durchs Evangelium vorgetragen wird, kannst du dich nicht fürchten, sondern hast ein frei, fröhlich Herz.
Wer diese Speise schmeckt, an Christus glaubt, dem soll es zugesagt sein und der soll es haben, dass er nicht sterben, sondern durch den Glauben an Christus ein Kind des ewigen Lebens sein soll, als der den Tod in Christus überwunden hat. Obschon der Tod in seinem Leib noch ist und er sterben muß, so soll es ihm dennoch nicht schaden. Sondern wenn er nun begraben und von den Würmern gefressen ist, soll er wieder von den Toten auferstehen, und der Leib soll am Jüngsten Tage wiederum hervorkommen. Denn seine Speise, Christus, dem er einverleibt ist durch den Glauben, lebt; er ist »von den Toten erwecket und stirbt hinfort nicht, der Tod kann hinfort über ihn nicht herrschen« (Röm. 6, 9), und wird alles lebendig machen. Von dieser Speise sagt Christus zu den Juden (Joh. 6, 53—56): »Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschensohnes und trinken sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch. Wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am Jüngsten Tage auferwecken. Denn mein Fleisch ist die rechte Speise und mein Blut ist der rechte Trank. Wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der bleibt in mir und ich in ihm.« Das ist so viel gesagt wie: Wer von Herzen glaubt, dass ich mein Fleisch für ihn gegeben und mein Blut für ihn vergossen habe, der soll vor dem Tode sicher sein. Wenn ihn schon der Tod frißt, soll er doch wieder hervorkommen. So wahr ich lebe, so soll er auch leben; ob er schon zeitlich stirbt, so bin ich doch in ihm und er in mir, weil er an mich glaubt, und er soll die Kraft haben, dass er nicht sterben könne. Der Tod wird über ihn nicht herrschen. Ich will seine ewige Speise sein und will ihm das ewige Leben geben. Denn in mir ist kein Tod, sondern eitel Leben.
So ist auch in Christus eitel Gerechtigkeit und keine Sünde; die Sünde hat nichts an ihm. Wer nun Christus hat und von dieser Speise ißt, wo eitel Gerechtigkeit und keine Sünde ist, der ist auch durch diese Speise gerecht. Die Sünde soll ihn nicht verklagen noch Gottes Zorn wider ihn erregen. Denn Christus ist seine Speise: weil er an den glaubt, muß die Sünde hinweg sein. Ob er schon die Sünde noch fühlt, soll er dennoch getrost hinaufsehen zu Christus, zur Rechten des himmlischen Vaters, und das Wort des Evangeliums fest fassen, darin Christus vorgetragen wird. Wenn er das tut, so lasse er die Sünde danach böse sein: sie soll schließlich nichts ausrichten; denn Christus, unsere Speise, ist größer als unsere Sünde. Darum heißt auch unsere Gerechtigkeit nicht die unsere (wenn sie auch unser durch den Glauben wird), sondern Christi.
Das heißt ein großes Abendmahl, welches der himmlische Vater und ewige Hausherr bereitet hat und schenkt, nicht einem, zwei oder drei Menschen allein auf Erden, sondern der ganzen Welt. Und so noch zwei oder mehr Welten wären, könnten sie alle gespeist und gesättigt, das heißt von Sünden, Tod und Teufel erlöst und selig werden, wo sie nur dem Evangelium glauben und von dieser Speise essen wollten. So ein großes Abendmahl ist es. Leibliches Brot und Speise hält einen Tag vor, bis auf den Abend. Vergängliche Speise hilft nicht länger als bis ins Grab. Das ist ein kleines, enges Abendmahl. Aber dies ist ein großes, ewiges, wahrhaftiges und unvergängliches Abendmahl, das da nährt, stärkt, Trost, Freude, Leben und Seligkeit gibt. Deshalb heißt es auch ein großes Abendmahl, weil es unendlich und unbegreiflich ist und ewige Gerechtigkeit, Freude und Leben gibt, so sicher wie Christus selbst diese Güter hat. Nur dass wir zu diesem Abendmahl kommen, diese Speise annehmen und an diesem Tische im Reiche Gottes essen und trinken. Und so nährt man sich und ißt das Brot im Reich Gottes. Das ist ein anderes Essen als das Essen in dieser Welt.
So lehrt und vermahnt uns unser lieber Herr Jesus Christus in diesem Gleichnis vom Abendmahl, dass wir den Glauben gut üben und ihn recht fassen sollen, dass er unsere Speise, Gerechtigkeit, Trost, Freude und Leben sei und sein will, auf dass wir nicht so schnell erschrecken vor Sünde, Tod und Teufel. Denn er kann das alles leicht wegnehmen. Und das ist unser einziger, wahrhaftiger Trost. Denn wir Menschen haben alle die Sünde und den Tod vor uns und können nicht entlaufen. Da ist nun kein anderer Rat, als dass wir zu diesem großen, köstlichen Abendmahl kommen und uns unseren lieben Herrn Jesus Christus im Evangelium vortragen lassen und von ihm essen. Das geschieht, auf dass unser Herz durch den Glauben an ihn getröstet und gestärkt werde, und wir, wenn da Traurigkeit oder Schrecken kommt, sagen können: Ha, Christus ist unerschrocken. Kommt Krankheit, dass wir sagen: Christus wird deswegen nicht sterben, kommt Sünde, dass wir sagen: Christus wird nicht zum Bösewicht und Sünder im Himmel. Bin ich böse, ist das unserem Herrn Christus ohne Schaden; bin ich traurig, ist Christus fröhlich; bin ich hungrig, arm, betrübt, ist Christus satt, reich und voll Trostes. Weil er nun gerecht, heilig und lebendig ist, so bin ich auch gerecht, heilig und lebendig. Weil ihm weder Hunger noch Armut noch Trübsal schaden, so soll mirs auch nicht schaden, denn er ist mein, und ich bin sein. Und dies sei genug vom ersten Stück dieses Evangeliums.
II. Die große Verstockung
Das andere Stück in diesem Evangelium ist, dass unser lieber Herr Jesus Christus über die große Verstockung der Welt klagt, dass die Menschen diese Speise nicht mögen und andere Speise suchen. Sie verachten dies reiche, große, köstliche Abendmahl, mögen nicht die Predigt des lieben Evangeliums, darinnen Christus aufgetragen und vorgelegt wird. Und das tun die großen Heiligen, die können das Evangelium Christi nicht annehmen noch zu diesem Abendmahl kommen vor ihrem Acker- und Ochsenkaufen, Weibnehmen usw.
Nun ist es nicht böse noch von Gott verboten, zeitliche Güter zu haben, Äcker und Ochsen zu kaufen, ein Weib zu nehmen. Denn Weib und Kind muß man haben, wenn sie Gott bescheret; und die müssen essen und trinken, wozu man denn Kühe, Ochsen, Äcker, Wiesen usw. haben muß. Deshalb ist das nicht der Schaden, dass sie Äcker, Ochsen, Weib und Kind haben (denn das alles möchten sie wohl haben, wenn sie nur dies Abendmahl nicht verachteten), sondern das ist die Klage, dass sie nicht zum Abendmahl kommen wollen und dem Acker, Ochsen, Weib so anhängen, dass sie dies Abendmahl darüber verachten und versäumen.
Und das ist es, dass Christus diesen Tischgesellen, welcher trefflich klug sein und weise von der Sache reden wollte, zurückweist, dass er schweigen muß. Denn da er sagt (Luk. 16,15): »Selig ist, der das Brot isset im Reiche Gottes!«, antwortet ihm Christus mit diesem Gleichnis, als sollte er sagen: Ja, es ist gut, du redest recht und trefflich; alle Welt wäre selig und möchte das Brot im Reiche Gottes essen. Das Abendmahl ist bereitet, und das Brot und die Speise im Reiche Gottes wird aufgetragen und vorgelegt, wenn sie sie nur nicht verachteten. Ja, du und deinesgleichen wäret vor ändern selig, wenn ihr es nur tun wolltet. Denn ihr werdet zum Abendmahl des Reiches Gottes geladen, wenn ihr nur dazu kommen wolltet. Die Speise steht auf dem Tische, Johannes der Täufer zeigt mit Fingern und sagt (Joh. 1, 29): »Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt.«
Aber wo nehmen wir Gäste her, die da kommen, essen und trinken wollen? Welche zu diesem Abendmahl geladen und gebeten werden, die bleiben draußen, welchen Christus verheißen und zugesagt ist, die wollen ihn nicht annehmen. Darum soll man diese zwei Dinge gut unterscheiden: Äcker, Ochsen, Weib haben, und zum Abendmahl des Reiches Gottes kommen, und soll ein jedes in
seiner Ordnung bleiben lassen. Äcker und Ochsen kaufen, Weib nehmen, ist jedermann wohl erlaubt. Gott fragt nichts danach, ja, er will, dass ein jeder sein Weib habe, um Unkeuschheit zu vermeiden (1. Kor. 7, 2).
Aber das ist es, worüber Christus hier klagt, dass man um des Ackers, Ochsen, Weibes willen zu seinem Reich nicht kommen will und nach seinem großen, herrlichen Abendmahl nichts fragt. Wir beten im Vaterunser zuerst: Geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe; danach beten wir: Unser täglich Brot gib uns heute. Das ist recht und gut gebetet. Denn Christus selbst hat das Gebet so aufgestellt, auch geheißen und befohlen, so zu beten. Wenn man aber das Vaterunser umkehren wollte und zuerst das tägliche Brot suchen und erbitten, unangesehen, wo das erste, nämlich Gottes Name, Reich und Wille bliebe, das wäre unrecht und falsch gebetet. So sollen wir auch zuerst das Evangelium hören und lernen und danach den Bauch ernähren. Aber um des Bauches willen das Evangelium fahren lassen, das ist verboten und sträflich.
III. „…dass uns der Welt Güter, Freude, Ehre nicht betrügen“ oder: Warnung vor dem Verschmähen der himmlischen Speise
Nun taten die Juden so, sie blieben bei ihrem Acker, Ochsen, Weib und ließen Christus und sein Evangelium fahren. Unsere Geistlichen unter dem Papsttum tun heutigen Tages auch so: sie wollen den Christus nicht essen, sondern laufen dafür ins Kloster, geloben Armut, Keuschheit, Gehorsam und vermeinen, dadurch in den Himmel zu kommen. Wo bleibt aber Christus? Diese verlassen die große, ewige Speise und kochen sich selbst Speise, Kröten, Schlangen und anderes Ungeziefer. Und, auf dass ich vom Papst und den Seinen schweige, was tun die Unsern, die sich Evangelische rühmen? Bauern, Bürger, Adel kleben so fest an dem Zeitlichen und Vergänglichen, dass sie den Herrn Christus und sein Evangelium darüber vergessen. Nun hätten sie an Christus genug, sie könnten auch bei Weib und Kind wohl bleiben, aber sie wollen zu Christus nicht kommen. Sie sollten so sagen: Wir wollen zeitlich essen und trinken, aber unterdes wollen wir das große Abendmahl nicht verachten noch versäumen und Christus unsere rechte Speise sein lassen. Wo sie das täten, so wären sie selig. Aber das tun sie nicht.
Darum laßt uns gut zusehen, dass uns der Welt Güter, Freude, Ehre nicht betrügen. Alle Welt hört jetzt das Evangelium, aber wenn sie es gehört haben, sucht jedermann seinen Mutwillen mehr als zuvor. Das ist hier die Klage, dass niemand nach dem Evangelium fragt; sondern jedermann bleibt bei seinen Käfern, Raupen, Ungeziefer. Wer aber ein Christ sein will, der hüte sich davor, dass er diese Mahlzeit nicht vorübergehen lasse.
Der Hausvater fällt ein schreckliches Urteil über die Geladenen, die nicht kommen wollten, und spricht: »Ich sage euch, dass der Männer keiner, die geladen waren, mein Abendmahl schmecken wird.« Das ist soviel gesagt wie: sie sollen ewig in der Höllenglut brennen, sollen nicht getröstet noch gestärkt werden. Denn es ist kein Trost, Freude, Leben, Seligkeit, Gerechtigkeit, außer allein in Christus. Wenn man nun Christus verloren hat, so muß Sünde, Tod, Teufel, Hölle, Ach und Wehe dableiben. Darum will uns der Herr warnen und sagen: Sehet euch ganz genau vor. Welche mein Wort und Evangelium verachten, die sollen meine Gerechtigkeit, Leben, Seligkeit, Friede und Freude nimmermehr schmecken, sondern in Sünden, Tod, Hölle, Unfrieden und Traurigkeit ewiglich bleiben.
Aber solches alles verachtet die Welt und läßt sich nichts sagen. Wir aber sollen uns warnen lassen; denn uns ist es gesagt, dass wir nicht auch roh werden, sondern an Jesus Christus glauben, der uns im Evangelium vorgelegt wird. Wer den rechten Glauben an Christus hat, der hat das ewige Leben. Wenn er auch noch Sünde, Tod, Traurigkeit fühlt, hat er dennoch Gerechtigkeit, Leben, Trost und Freude durch Christus im Himmel.
Dazu helfe uns der Hausvater, durch Jesus Christus samt dem Heiligen Geist, gelobet in Ewigkeit, Amen.
(Aus: K. Aland (Hg.), Luther Deutsch. Die Predigten, 2. Aufl., Stuttgart 1965, S. 274-280. – Überschrift und Zwischenüberschriften von Heinz Janssen, redaktion@predigtforum.de).
Nachgedacht – Zu Martin Luthers Predigt über Lukas 14,16-24
von Heinz Janssen (redaktion@predigtforum.de)
Martin Luthers Predigt über Lukas 14,16-24 lässt sich in drei (bzw. zwei, wenn man III noch zu II zieht) Teile gliedern: I. Das große Abendmahl, II. Die große Verstocktheit, III. Warnung vor der Verachtung der himmlischen Speise.
I. Das große Abendmahl oder: „(von) Christus essen“
Im ersten Teil bringt Martin Luther zunächst markante Ausführungen darüber, was es im Sinne dieses Evangeliums bedeutet, an Christus zu glauben. Glauben im Sinne des Evangeliums heißt von Christus essen – m. a. W. die Seele weiden und stärken, „das schmeckt nach Vergebung der Sünden, ewigem Leben und Seligkeit“. Schon hier wird wie auch im Verlauf der Predigt deutlich, dass es sich nicht um ein Essen im eigentlichen Sinn handelt, sondern gleichsam um eine Seelenspeise, eine innere Stärkung, einen spirituellen Vorgang. Denken wir etwa an Jeremias Konfession: „Dein Wort ward meine Speise, sooft ich’s empfing, und dein Wort ist meines Herzens Freude und Trost…“ (Jeremia 15,16)
Es sind, so hebt Martin Luther hervor, die Menschen in schlimmen Notsituationen, die dieser „Speise“ bedürfen. Christus wird dem Menschen „durchs Evangelium vorgetragen“, aufgetischt. Erhellend und wie eine implizite Abendmahlslehre ist M. Luthers Auslegung der von ihm zitierten Johannes-Perikope (6,53-56): Das Essen des Fleisches des Menschensohnes und das Trinken seines Blutes heißt von Herzen glauben, dass Christus für uns gestorben ist. So wird Christus dem Glaubenden zur ewigen Speise, und der Tod hat keine Macht mehr über ihn. Synonym für „Christus essen“, „an Christus glauben“ steht auch „Christus haben“.
Die in Christus gegebene ewige Speise ist nach M. Luther das große Abendmahl. Gott hat es für die ganze Welt bereitet. Dem großen, ewigen, wahrhaftigen und unvergänglichen – kurz: dem weiten Abendmahl stellt M. Luther das kleine, enge Abendmahl gegenüber, das nur jeweils einen Tag vorhält. Die Speise des großen Abendmahles empfangen beschreibt M. Luther als „ein anderes Essen als das Essen in dieser Welt“.
Die ewige Speise „nährt, stärkt. (gibt) Trost, Freude, Leben und Seligkeit“. Christus = unsere Speise bedeutet für M. Luther Christus = unsere Gerechtigkeit, Trost, Freude und Leben“. Es gilt, „dass wir den Glauben gut üben“, Christus ist angesichts unserer Sünde und unseres unaufhaltsamen Todes „unser einziger, wahrhaftiger Trost“. Darin sieht M. Luther den Grund für den dringlichen Rat, am großen Abendmahl teilzunehmen: „Da ist nun kein anderer Rat, als dass wir zu diesem großen, köstlichen Abendmahl kommen und uns unseren lieben Herrn Jesus Christus im Evangelium vortragen lassen und von ihm essen.“ „Jesus Christus im Evangelium vortragen lassen“ ist als eine Umschreibung des Hörens der Predigt des Evangeliums, der Einladung Gottes an alle Menschen, zu verstehen (in Teil II hören wir, dass in der Predigt „Christus aufgetragen und vorgelegt wird“).
Homiletisch stark sind die antithetischen Ausführungen, in die der erste Predigtteil mündet: Durch das im Glauben an Christus getröstete und gestärkte Herz können wir sagen: „Ha, Christus ist unerschrocken. Kommt Krankheit, dass wir sagen: Christus wird deswegen nicht sterben, kommt Sünde, dass wir sagen: Christus wird nicht zum Bösewicht und Sünder im Himmel. Bin ich böse, ist das unserem Herrn Christus ohne Schaden; bin ich traurig, ist Christus fröhlich; bin ich hungrig, arm, betrübt, ist Christus satt, reich und voll Trostes. Weil er nun gerecht, heilig und lebendig ist, so bin ich auch gerecht, heilig und lebendig. Weil ihm weder Hunger noch Armut noch Trübsal schaden, so soll mirs auch nicht schaden, denn er ist mein, und ich bin sein“.
II. Die große Verstockung oder: Jesu Klage, dass die Menschen andere Speisen suchen
„Und das tun die großen Heiligen, die können das Evangelium Christi nicht annehmen noch zu diesem Abendmahl kommen vor ihrem Acker- und Ochsenkaufen, Weibnehmen usw.“ – Voller Ironie spricht hier M. Luther von den „großen Heiligen“, die die Einladung zu dem großen Abendmahl ausschlagen. M. Luther erklärt, dass es keineswegs von Gott verboten sei, „zeitliche Güter zu haben“. Es gelte, zwischen zeitlichen und ewigen Gütern gut zu unterscheiden, letztere dürfen nicht um der ersten willen verachtet und versäumt werden. In Entsprechung zu den ewigen Gütern weist M. Luther auf die erste Bitte des Vaterunsers („geheiligt werde dein Name“), in Entsprechung zu den zeitlichen Gütern auf die vierte Bitte („unser tägliches Brot gib uns heute“). „Die Speise steht auf dem Tische“, die Gäste können kommen – M. Luther zitiert im Zusammenhang dieser Einladung Johannes 1,29: „Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt“.
III. „…das große Abendmahl nicht verachten noch versäumen und Christus unsere rechte Speise sein lassen“
Dieser letzte Teil der Predigt ist paränetisch angelegt. M. Luther wirft den Juden und den unter der Macht des Papstes stehenden Geistlichen vor, Christus zu vergessen: „sie wollen den Christus nicht essen, sondern laufen dafür ins Kloster, geloben Armut, Keuschheit, Gehorsam und vermeinen, dadurch in den Himmel zu kommen“. Die Predigt greift dann nocheinmal auf den zweiten Teil zurück, um unter Erweiterung der Adressaten zur rechten Unterscheidung zwischen dem zeitlichen und ewigen Mahl zu rufen („was tun die Unsern, die sich Evangelische rühmen? Bauern, Bürger, Adel kleben so fest an dem Zeitlichen und Vergänglichen, dass sie den Herrn Christus und sein Evangelium darüber vergessen“).
Klage und Warnung bestimmen die letzten Sätze der Predigt: „Das ist hier die Klage, dass niemand nach dem Evangelium fragt; sondern jedermann bleibt bei seinen Käfern, Raupen, Ungeziefer. Wer aber ein Christ sein will, der hüte sich davor, dass er diese Mahlzeit nicht vorübergehen lasse.“
Die Predigt schließt mit dem Gebet um den Glauben an Jesus Christus: „Dazu helfe uns der Hausvater, durch Jesus Christus samt dem Heiligen Geist, gelobet in Ewigkeit, Amen“.