Aktiv werden für Menschen, die Hilfe brauchen

Predigttext: Markus 7, 31-37
Kirche / Ort: Weißenkirchberg
Datum: 07.09.2003
Kirchenjahr: 12. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer z. A. Thomas Meister

Predigttext: Markus 7, 31-37 (Übersetzung nach Martin Luther, revidierte Fassung)

Und als er wieder fortging aus dem Gebiet von Tyrus, kam er durch Sidon an das Galiläische Meer, mitten in das Gebiet der Zehn Städte. Und sie brachten zu ihm einen, der taub und stumm war, und baten ihn, daß er die Hand auf ihn lege. Und er nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in die Ohren und berührte seine Zunge mit Speichel und sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Hefata!, das heißt: Tu dich auf! Und sogleich taten sich seine Ohren auf, und die Fessel seiner Zunge löste sich, und er redete richtig. Und er gebot ihnen, sie sollten's niemandem sagen. Je mehr er's aber verbot, desto mehr breiteten sie es aus. Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen redend.

Zur Predigt:

Natürlich ist Jesus das absolute Zentrum der Perikope, und vieles zielt typisch markinisch auf das Messiasgeheimnis, das hier bereits (im Ausland!) für die, die Ohren haben zu hören, gelüftet wird. Darüber zu predigen würde meine Hörer in einer fränkischen Landgemeinde jedoch nur wenig interessieren. Ein anderer Aspekt ist mir wichtiger: Der Monat September ist zum Monat der Diakonie erklärt worden. Darum will ich den Predigttext als konkretes Heilungshandeln, als diakonischen Akt Jesu, verstehen und predigen und ihn weniger psychologisierend oder allegorisierend auslegen, wie vereinzelt gefordert wird. Dem unspezifizierten Volk („sie") und dem Taubstummen, der ebenso weitgehend ohne Konturen bleibt, gilt mein Interesse. Was löst die Begegnung mit dieser Heilstat Jesu in ihnen aus? Welche Konsequenzen ziehen sie? Gliederung: 1. Textlesung 2. Das offene Schicksal der Menschen, die Jesus begegneten 3. Die Menschen in der Wunderheilung und ihre möglichen Motive 4. Handeln heute

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Fragen Sie sich, liebe Gemeinde, auch manchmal bei den Erzählungen von Jesus, was wohl aus den Menschen geworden ist, die Jesus begegnet waren? Was wird aus der Sünderin geworden sein, die Jesus vor der Steinigung gerettet hat? Hat sie seine Mahnung verstanden und ihr Leben geändert? Was wird der reiche Jüngling getan haben, der das ewige Leben haben, aber dafür scheinbar nicht auf irdischen Reichtum verzichten wollte? Hat er resigniert oder hat er weiter an seiner Einstellung gearbeitet? Wir wissen es nicht, so wie wir es nicht wissen, was aus dem Taubstummen geworden ist, den Jesus geheilt hat. Hat er sich Jesus angeschlossen und seinen Worten zugehört? Ist er womöglich selbst zu einem Verkündiger geworden? Oder ist er einfach wieder in seine Familie zurückgegangen, hat einen Beruf erlernt und eine Familie gegründet? Sein Schicksal bleibt offen.

Die Evangelisten haben das bewusst so erzählt. Weil alles offen ist, ist in diesen Geschichten der Hörer gefragt: Wie hätte ich reagiert? Wie spricht mich das Geschehen heute an? So fragen wir auch heute noch. Und so lassen wir das Geschehen noch einmal Revue passieren. Und hören wir, wo uns die Geschichte trifft, wo wir uns in den Menschen der Geschichte wiederfinden können.

Jesus ist auf seinem Weg durch den Norden der Provinz. Er überschreitet Grenzen, hier auch ganz wörtlich. Er kommt durch Gebiete und Städte, die nicht zum jüdischen Gebiet gehören, wo Menschen wohnen, die nicht seinen Glauben haben. Und dennoch wendet er sich ihnen zu, dennoch stößt er auch bei ihnen auf Glauben. Wer „sie” waren, wissen wir freilich nicht genau. Markus erzählt uns nichts von ihnen. Bewohner der 10 Städte wohl. Menschen, die von Jesus gehört hatten. Von dem, was er erzählt, mehr wohl noch davon, dass er Menschen heilen könne. Und so denken „sie” an diesen Mann, taub und stumm seit seiner Geburt. „Wir bringen ihn zu Jesus”, sagen sie. Sie werden aktiv. Sie wollen ihm helfen, der selber nichts hören und sagen kann, ihm, der auch von Jesus noch nichts gesehen und gehört hat. Sie wollen ihm ein anderes Leben ermöglichen, eines, in dem er besser kommunizieren kann.

„Jesus soll sich seiner annehmen und ihm die Hände auflegen!” sagen sie. Ja, so genau haben sie von Jesus gehört. Sie sagen nicht: er soll ihn heilen, sondern ganz konkret: er soll ihm die Hände auflegen. Sie wissen, wie er die anderen geheilt hat.

Doch Jesus lässt sich einfach nicht festlegen. Was macht er? Wie um zu zeigen, dass er seinen, seinen eigenen Weg geht, legt er nicht vor allen Augen die Hände auf. Es geht ihm nicht um eine Show seiner Kräfte. Es geht ihm nicht darum, dass alle in seinen Händen Wunderkräfte entdecken. Es geht ihm um diesen Menschen, der zu ihm gebracht wird. Und so löst er ihn zunächst aus der Menge heraus. Er will diesem Menschen allein begegnen.

Sie stehen sich gegenüber. Was mag in dem Taubstummen vorgehen. Spürt er die Besonderheit Jesu? Merkt er, dass dieser sein Leben verändern kann? Zittert er vor Erwartung? Oder hat er Angst? Angst vor der Veränderung?

Die beiden – Jesus und der Taubstumme – stehen sich gegenüber. Jesus kommt ihm ganz nahe. Er legt ihm die Finger in die Ohren und berührt seine Zunge mit Speichel. Unglaublich konkret und behutsam berührt Jesus diesen Menschen dort, wo dieser am verletzlichsten ist. Und der lässt es geschehen. Ist das schon Erlösung? So konkret und behutsam berührt zu werden? – und es auch zulassen können?

Jesus, der doch eins ist mit dem Himmel, sieht zum Himmel auf, seufzt und spricht: Hefata, Tu dich auf! Und in dieser mit Gott gleichen Wirkkraft, tun sich Ohren und Mund des Menschen auf, und er kann hören und sprechen.
Von da an wissen wir nichts mehr von dem Mann, der einst nicht hören und sprechen konnte. Hat er gleich alles verstanden, was da um ihn herum gesprochen wurde? Hat er in einem zweiten Wunder gleich selber die richtigen Worte formen können, oder hat er mühsam und doch erleichtert sprechen gelernt, die Sprache seiner Eltern und seiner Familie? Hat er Jesu Worte gehört oder überhört, hat er in Jesu Sinne gesprochen oder einfach so dahingeredet? Wir wissen es nicht. Sein weiteres Schicksal bleibt im Dunkeln.

Damals gab es noch keine Presse, die einzelne Schicksalsschläge ans Licht der Öffentlichkeit zieht und dann aber schnell das Interesse an den Menschen verliert. Und tatsächlich geht es ja Jesus auch nicht um Zurschaustellung des Geheilten. Es geht ihm auch nicht darum, mit Hilfe eines Menschen, der gar nicht weiß, was mit ihm geschieht, für seine Sache zu werben. Haben Sie’s gelesen?: In Amerika wirbt ein Dreijähriger für Sportschuhe, weil er es schafft, 18 mal hintereinander einen Basketball im Korb unterzubringen.

Jesus geht es um den Menschen. Jesus hat ihn zuerst der Menge entzogen, die Heilung abseits vollzogen. Und schließlich befiehlt es dem Taubstummen und der Menge gerade eben, nicht davon weiterzusagen. Dass sie es dennoch tun, liegt an der Bewunderung der Menschen. Sie haben die unglaubliche Kraft und Macht Jesu erlebt. Sie sind beeindruckt, bewegt. Sie glauben daran, dass die Heilszeit nun begonnen hat, denn da ist einer, der Taube hörend macht und Stumme zum Sprechen bringt. So haben es ja die Propheten angekündigt: Damit beginnt die Heilszeit.

Die Menschen hat das nicht ruhen lassen. Diese Geschichte wurde weitererzählt. Auch dann noch, als Jesus nicht mehr unter ihnen war. Dieses Wort „Hefata” wurde für sie ein Schlüsselwort: Tu dich auf! Den Jüngern, den Menschen, die sich auf Jesus taufen ließen, ging dieses Wort nicht mehr aus dem Sinn: Hefata, Tu dich auf! Sie sagten: Hefata – das soll nicht nur die Ohren aufschließen und die Zunge lösen. Das gilt auch dem Herzen. Und sie sahen sich um und entdeckten Menschen um sich, deren Ohren verstopft, deren Zunge belegt, deren Herzen versteinert waren. Sie sahen noch viele, die auf ein Wunder hofften, auf einen wie Jesus warteten, dass er sie befreite. Und sie erkannten doch, dass nur Jesus solche Wunder tun konnte, dass die Heilszeit zwar angebrochen, doch noch nicht vollendet ist …

Sie ließen sich nicht aufhalten. Sie taten das, was in ihrer Macht stand. Sie begannen, im Kleinen zu helfen. Hefata. So heißt auch heute eine Klinik für Taubstumme. Dort in Hefata lernen sie, manchmal sehr mühsam, sich mit ihren Mitteln auszudrücken, mit Gebärden zum Beispiel. Und sie lernen, andere zu verstehen, von den Lippen abzulesen beispielsweise.

Hefata – so könnte auch das Therapiezentrum für psychisch Kranke heißen, deren Ohren aus den verschiedensten Gründen wie verschlossen sind und deren Zunge wie festgenäht. Menschen, die Angst haben, zu sprechen. Menschen, die die Reden der Welt nicht ertragen, denen zu laute oder zu leise Stimmen Angst einjagen. Menschen, die sich innerlich von der Welt verabschiedet haben. Psychologen und Therapeuten bemühen sich dort, Schritte zur Freiheit zu ermöglichen.

Hefata – so hätten wir auch einmal rufen können auf einer Freizeit mit geistig und psychisch behinderten Menschen. Da war eine Frau – Barbara – mitten unter uns, die durch einen Schicksalsschlag weder sichtbar hören noch sprechen konnte oder wollte. Sie hatte sich in sich verschlossen. Wir merkten freilich, wie ihr die Gemeinschaft gut tat. Wie sich ihr Körper entkrampfte. Einmal jedoch war es für uns wie ein Wunder. Wir saßen zusammen und sangen alte Volkslieder. Und plötzlich hörten wir eine schöne klare Stimme mitsingen. Wir schauten uns um und es war tatsächlich Barbara. Hefata – Tu dich auf!

Was Jesus damals zu dem Taubstummen sprach, hat seither viele Menschen bewegt. Auch in dieser Geschichte haben sie für sich den Auftrag entdeckt, aktiv zu werden für Menschen, die Hilfe brauchen.

Daran erinnert die evangelische Kirche in Deutschland auch wieder in diesem Monat. Der Monat September ist zum Monat der Diakonie erklärt worden. Darin werden die verschiedensten Dienste der Diakonie vorgestellt. Es wird auf die Schicksale von Menschen hingewiesen, die auf Hilfe angewiesen sind. Und es wird auch wieder in Erinnerung gerufen, dass die verfasste Diakonie nur ein Teil der Hilfe abdecken kann. Letzten Endes ist Diakonie nicht nur das, was die Helferinnen und Helfer in den Altenheimen, Behinderteneinrichtungen oder Krankenhäusern tun. Diakonie ist vielmehr all das, was im Alltag in den Familien, in der Nachbarschaft, in der Gemeinde getan wird, all das, wo ganz konkret und tatkräftig dem Nächsten geholfen wird.

Und auch das Gebet ist Diakonie. Erst vergangene Woche sagte mir eine Frau, wie sehr ihr in der Krankheit die Fürbitte anderer bedeutet hat. Sie hat es spüren können, auch als die Gebet nachließen. Und darum bat auch Paulus seine Gemeinde in Rom: Seid fröhlich als Menschen der Hoffnung, bleibt standhaft in aller Bedrängnis, lasst nicht nach im Gebet. Sorgt für alle in der Gemeinde, die Not leiden, und wetteifert in der Gastfreundschaft.

Amen.

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