Nur wer die Sehnsucht kennt…

Predigttext: Matthäus 6, 25-34
Kirche / Ort: Providenz-Kirche / Heidelberg
Datum: 28.09.2003
Kirchenjahr: 15. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrerin Eva Loos

Predigttext: Matthäus 6, 25 -34 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

25 Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? 26 Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie? 27 Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt? 28 Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. 29 Ich sage euch, daß auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. 30 Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen? 31 Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? 32 Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, daß ihr all dessen bedürft. 33 Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. 34 Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, daß jeder Tag seine eigene Plage hat.

Zugang zum Text:

Das ist ein Text für eine bestimmte Phase im Leben, z. B. die Zeit des Studiums, ein Text für Leute, die selbst über ihre Zeit verfügen und keine Verantwortung für andere tragen. Vielleicht lässt sich damit auch einiges im Leben leichter nehmen: eine Legitimation für alle, die sich gegen bestimmte Kleiderordnungen wehren, Urlaube mehr genießen als Werktage, Beschaulichkeit mehr als Fleiß. Wer so lebt, wie Jesus sagt, würde heute zur Außenseiterin, nicht nur in der Welt, auch in vielen Kirchengemeinden. Nach Jesu Worten wäre die Welt, die nicht so lebt, eine heidnische. Diesem Dilemma wäre zu entkommen, wenn in der Predigt wenigsten die Sehnsucht nach einem solchen Leben geweckt werden könnte. Diese, so schätze ich könnten viele, auch der GottesdienstteilnehmerInnen teilen. GottesdienstbesucherInnen gehören zu den Menschen, deren Uhren immer noch ein wenig anders ticken, vielleicht sogar langsamer. Ihre Zeiteinteilung am Wochenende folgt noch immer einer alten Ordnung. Oder ihre Uhren ticken wieder langsamer, weil sie mehrheitlich jenseits des Berufsstresses leben. Der Bibeltext ist eben ein Text für bestimmte Phasen des Lebens: die Kindheit, die Studienzeit, der Urlaub, der Sonntag, der Ruhestand, das Alter. Das wäre schon eine ganze Menge. Und die Zeiten dazwischen wären von der Sehnsucht nach Sorglosigkeit geprägt.

Lieder

EG 324, 1-7 Ich singe dir mit Herz und Mund EG 324, 12,13 EG 361, 1-2, 7-8 Befiehl du deine Wege EG 369, 1-2, 6-7 Wer nur den lieben Gott lässt walten EG 330,1-5 O dass ich tausend Zungen hätte Psalm127 (EG 767)

Lesung:

1. Petrus 5, 5 -11

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Liebe Gemeinde,

es ist einfach gut zu wissen, dass Jesus so spricht. Wer nicht in den Sorgen der Welt aufgehen möchte, bedarf des Schutzes, wenigstens eines inneren Schutzes. Die Sehnsucht nach einem Leben ohne Sorge und Angst um Nahrung, Kleidung und Wohnung ist nichts Unreifes sondern in Ordnung. Jedenfalls aus der Sicht Gottes, der sich alles wohl überlegt hat, bis hin zu der unübertrefflichen Schönheit der Lilien und der Arbeitslosigkeit der Tiere.

Das wäre schon viel, wenn es uns gelänge diese Sehnsucht zu pflegen. Noch mehr, wenn es uns gelänge, Menschen, die sich für eine solche Lebensweise entscheiden, darin zu unterstützen.

Müßiggang ist kein Laster

Das jedenfalls tut Jesus mit seiner Rede. Müßiggang ist ihm nicht aller Laster Anfang, sondern schöpfungsgemäßer Umgang mit sich selbst oder das göttliche Geschenk der Freiheit. Nicht die Freiheit, zu der wir verdammt sind und die uns zu immer neuen Entscheidungen nötigt. Nein, das wäre, wie Paulus im Galaterbrief sagt, die Freiheit, zu der wir befreit sind. Die Freiheit, die zu nichts anderem da ist als zur Freiheit.

Alternative zur Herrschaft des Geldes

Dieser Teil der Bergpredigt ist eine echte Sonntagsrede. Jedenfalls in den Ohren vieler Politiker und Unternehmer muss sie eine solche sein. Es wäre nicht auszudenken, wenn sie auch im Alltag Wirkung zeigen würde. Wenn die Sorge um Nahrung, Kleidung und Wohnung die Menschen nicht länger beherrschte, sie wären selbst kaum mehr zu beherrschen.

Das muss die erklärte Absicht Jesu gewesen sein. Die Rede wurde von ihm gehalten um den Menschen eine Alternative zur Herrschaft des Geldes zu zeigen. „Niemand kann zwei Herren dienen; er wird entweder den einen hassen und den anderen lieben, oder er wird zu dem einen halten und den anderen verachten. Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon.“ (Vers 24)

Politik mit der Bergpredigt Jesu?

Es ist nicht meine Aufgabe, dem Text, die ihm eigene Klarheit zu nehmen. Solche Versuche hat sich die Rede Jesu immer wieder gefallen lassen müssen. Es ist eine ungeheuerliche Frage der vergangenen Jahre gewesen, ob sich mit der Bergpredigt Politik machen lässt. Hätte Jesus so gesprochen, wenn er damit keine Politik machen wollte? Aber, und das wird immer wieder übersehen, Jesus war ein Mensch, der lediglich über seine eigenen oder die ihm von Gott gegebenen Möglichkeiten verfügte. Seine Worte hatten lediglich das Gewicht, das sie in den Herzen derer fanden, die sie hörten und verstanden.

Unser heutiger Predigttext bedarf keiner großen Auslegung. Es ist eher gut, ihn immer und immer wieder zu hören oder zu Gehör zu bringen. Die Chance, dass er bei uns auf guten Boden fällt, kann im Lauf des Lebens wachsen, aber auch immer wieder abnehmen. Freiheit kann gewonnen werden und wieder verspielt werden.

Vielleicht lieg darin das große Missverständnis, mit dem diese Rede Jesu immer wieder zu kämpfen hat, dass wir glauben, das sei nur etwas für ganz besondere Vögel oder Heilige. Es gibt beide Möglichkeiten. Wir können dem Mammon dienen, mit all seinen Konsequenzen. Wir können Gott dienen und das hat, die von Jesus gepriesenen Vorzüge. Solange es beide Möglichkeiten gibt, können wir uns auch jeweils für die eine oder andere entscheiden.

Ich finde wichtig, dass es auch die Möglichkeit gibt, die Jesus vorschlägt. Nur so kann Politik gemacht werden, demokratische Politik, dass es zu den wichtigen Dingen des Lebens mehrere Vorschläge gibt. Etwas mehr von Jesu Lebenseinstellung könnte den Reformstau auflösen. Das allerdings lässt sich nicht verordnen, aber doch in Leitsätze aufnehmen. Es ließe sich auch fragen, was ist zu tun, damit die von Jesus bevorzugte Lebensweise an Attraktivität gewinnen könnte. Das ist eine Frage, der sich auch die Kirchen nur unzureichend stellen. Auch unter uns haben diejenigen an Oberhand gewonnen, denen die Sorgen ins Gesicht geschrieben stehen, die Sorge um den Erhalt des Bestehenden.

Kirchen einmal anders

Bei der internationalen Gartenbauausstellung in Rostock gab es in diesem Jahr ein wunderbares Beispiel dafür, dass Kirchen auch anders aussehen können, als diejenigen, die sich tief in unsere Herzen eingegraben haben, so tief, dass wir vergessen, was alles an ihnen nichts anderes ist als unserer Hände Arbeit und deshalb zeitbedingt und durchaus veränderbar: ein Dom aus noch lebenden und wachsenden Bäumen, eine Kirche, die mitwachsen kann, eine Kirche die weiterwachsen kann und dies nicht in übertragener Bedeutung. Das Anschauen der Natur, der Schönheit der Pflanzen und das Erleben der anderen Lebewesen in der Schöpfung wird hier nicht länger ausgegrenzt. Der Gottesdienst kann mitten unter ihnen stattfinden.

Ich vermute, dass uns noch viele solcher guter Beispiele einfallen könnten, wenn wir uns die Sehnsucht nach einer anderen Welt nicht verkneifen, sondern ausdrücklich erlauben würden.

Die Rede Jesu, die wir gehört haben, ist eine solche Erlaubnis, eine wirklich frohe Botschaft, ein Evangelium.

Amen

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