Das Ende wird Gottes Ja sein
Predigttext: Matthäus 15, 21-28 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
21 Und Jesus ging weg von dort und zog sich zurück in die Gegend von Tyrus und Sidon. 22 Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt. 23 Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten seine Jünger zu ihm, baten ihn und sprachen: Laß sie doch gehen, denn sie schreit uns nach. 24 Er antwortete aber und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel. 25 Sie aber kam und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir! 26 Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht recht, daß man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde. 27 Sie sprach: Ja, Herr; aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen. 28 Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde.Hinweise zur Predigt und Auslegung
Diese Predigt wurde erstmals in einer Klinikkapelle gehalten und hat ihren Hintergrund in Gesprächen mit Menschen, die unter dem Nein Gottes stehen, wie sie jedem/r Klinikseelsorger/in vertraut sind. Nicht erst aus den Erfahrungen der Klinikseelsorge, aber durch diese verstärkt, kommt das Interesse daran, die Heilung in den Heilungsgeschichten vom Rand in den Mittelpunkt zu rücken. In Auslegung und Predigt über Matthäus 12,21ff. bleiben häufig der heilsgeschichtliche Aspekt und der des Glaubens im Mittelpunkt. Plausibel und nüchtern von einer Heilung zu reden, war ein Ziel dieser Predigt, das durch Gespräche und Zusammenarbeit mit Psychologie und Psychologen erreicht werden konnte. Das Lutherzitat fand ich in "Er kommt auch noch heute. Homiletische Auslegung der alten Evangelien“ meines unvergessenen Lehrers in Praktischer Theologie, Martin Doerne (5. Aufl., Berlin 1961, S. 58).Liebe Gemeinde,
zweimal kann einer hinhören und zweimal doch nicht glauben, dass Jesus so hart und abweisend mit einer Frau redet, die doch in Not ist. Die ganze Szene steht in krassem Widerspruch zu dem Jesusbild, das vielen von uns seit Kindertagen vertraut ist: Jesus ist immer lieb, und er heilt alle Kranken. In dieser Szene ist er weder lieb noch willens, die Tochter dieser andersgläubigen Frau von ihrem bösen Geist zu heilen. Diesem Widerspruch gehen viele Prediger und Auslegungen nach und bleiben dann ganz bei Jesus und der kanaanäischen Frau. Darüber gerät die Tochter in den Hintergrund, um deren Heilung es schließlich geht: “Und ihre Tochter ward gesund zu derselben Stunde.
Nun, die Tochter ist nicht da, Jesus erwähnt sie nicht, fragt nicht nach ihr, sagt auch nichts, was die Mutter weitergeben könnte – und doch wird die Tochter von ihrem Dämon geheilt. Die Ausleger nennen das eine Fernheilung, aber das scheint mir eine von den Erklärungen, die nichts erklären. Ich möchte eine eigene Erklärung versuchen. Indem ich die Geschichte aus der Perspektive der Tochter erzähle.
2
Mutter kam neulich ganz anders nach Hause, ruhig, gelassen und selbstbewusst, ich hatte schon vorher gespürt, dass etwas mit ihr vorgegangen sein musste. Sie ist ja schon oft weggegangen, um Hilfe zu holen. Ich hörte es, wenn sie ging: ihr Klagen und Jammern über ihr krankes Kind, ihre Selbstvorwürfe und Vorwürfe, und ich hörte es, wenn sie kam.
Dann verzog ich mich in meine Ecke, weil ich es nicht mehr hören konnte; da hörte ich dann die Stimme meines bösen Geistes: “Ein böses Mädchen bist du doch, eine schlechte Tochter, hörst du nicht, wie sie sich wegen dir quält, du willst ihr Klagen nicht hören und du weißt darum; – du bist schuld, und dir ist nicht zu helfen”. Und so ging es weiter; stundenlang, tagelang, dass ich mich nicht von meinem bösen Geist lösen konnte und stumm in meiner Ecke blieb.
Aber wie gesagt, neulich war es anders. Da war sie weggegangen, Hilfe zu holen, klagend und jammernd und kam ruhig, gelassen und selbstbewusst wieder. Und da konnte ich mir ein Herz nehmen, mit ihr zu reden, konnte meine dunkle Ecke verlassen und hatte Kraft, meinen bösen Geist abzuweisen, wenn er an meine Tür klopfte.
Später hat mir meine Mutter erzählt, was sie so verändert hat. Es gab da einen Wunderheiler, einen jüdischen Rabbi Jesus, zu dem ist sie gegangen, derart laut jammernd, dass es seiner Umgebung Iästig wurde. Vom Rabbi holte sie sich eine scharfe Abfuhr, allerdings wegen ihrer Religion, nicht wegen ihres Geschreies. Das war ihr zuviel. Sie hat dem Rabbi mit seinem Spruch von den Kindern und Hunden widersprochen. Sie hat auf dem Recht auf Hilfe bestanden, das ihr auch als andersgläubiger Mutter einer kranken Tochter zusteht wie den Hündchen die Brotreste. Dieses Recht auf Hilfe hat sie eingeklagt und so ist ihr Recht geworden. In anderen Worten hat ihr der Rabbi dasselbe gesagt: „Frau, dein Glaube ist groß! Dir geschehe, wie du willst”.
3
Hier verlassen wir die Erzählung der Tochter. Eine merkwürdige Heilungsgeschichte ist das, in der eine Mutter in der Begegnung mit Jesus ändert und eine Tochter gesund wird.
So merkwürdig ist es allerdings auch nicht. Oft werden, so berichten uns Psychologen, Kinder von Müttern in die Therapie gebracht, um Störungen zu heilen, an denen eigentlich die Mütter leiden. Diese Mutter bringt das zum Ausdruck, wenn sie sagt: “Herr, hilf mir…”
In äußerster Kürze ist das erzählt; die Heilungsgeschichten der Evangelien sind im Zeitraffer erzählt, vermerkt der Schriftausleger Eugen Drewermann. So wird die Begegnung zwischen Jesus und der Mutter die Zeit gebraucht haben, die es eben braucht, bis ein Mensch sich ändert.
4
Das ist mit und unter dem Nein Jesu geschehen. Die Frau und Mutter kann ihr Jammern aufgeben, wird im Widerspruch stärker, lässt sich ein auf die Logik des Bildwortes vom Brot, das den Kindern gehört und nicht vor die Hunde. Zugleich durchbricht sie diese Logik mit dem Verweis auf die Brotkrümchen, die vom Tisch fallen und dann den Hunden gehören. Unter diesem Widerspruch wandelt sich das Nein Jesu zu einem Ja, als er die Kraft ihres Vertrauens rühmt: Dein Glaube ist groß! Glaube ist Vertrauen darauf, dass wir von Gott Hilfe erwarten können und darauf auch bestehen können. Glauben heißt Vertrauen – und Selbstvertrauen, mit dem sich diese Hilfe einklagen lässt.
Aus der Geschichte vom neinsagenden Jesus werden wir kein neues Jesusbild machen. Sie greift aber Zeiten und Situationen auf, in denen Menschen erleben, dass Jesus nicht immer und sofort mit Ja und Amen aus der Not hilft.
Hören wir Martin Luther: “Die Geschichte ist erzählt, daß wir wissen sollen, wie tief Gott vor uns seine Gnade verberge und wir nicht nach unserem Fühlen und Denken halten sollen, sondern stracks nach seinem Worte. Das Herz in der Anfechtung … meint nicht anderes, es sei eitel Nein da und ist doch nicht wahr. Drum muß sich’s von solchem Fühlen kehren und das tiefe, heimliche Ja unter und über dem Nein mit festem Glauben und Gottes Wort fassen und halten“.
Das ist schwer zu lernen und zu leben. Das Ende wird Gottes Ja sein: “Dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst“. So weicht mancher böse Geist, und mancher wird gesund.
Amen