Der wahre Schatz der Kirche

Evangelische Kirche heute

Predigttext: Matthäus 10, 32
Kirche / Ort: Providenz-Kirche / Heidelberg
Datum: 02.11.2003
Kirchenjahr: Reformationsfest
Autor/in: Pfarrer Heinz Janssen

Matthäus 10,32

Jesus Christus spricht: Wer nun mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater.

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Liebe Gemeinde!

Was Martin Luther in seiner Kirche als schlimme Missstände erkannte, brachte er im Vertrauen auf Gott mutig ans Licht. Was er vom Evangelium selbst gehört hatte, predigte er verständlich in einer Sprache, die das Volk verstand, und machte die Bibel durch seine Übersetzung allen zugänglich.

I.

Wir evangelische Christen oder Protestanten berufen uns auf Martin Luther. Allerdings bat Martin Luther in einem Brief aus dem Jahre 1522 unmissverständlich, “man wolle… sich nicht ‘lutherisch’, sondern ‘Christ’ nennen”, und fährt fort: “Was ist Luther? Ist doch die Lehre nicht mein, ebenso bin ich auch für niemand gekreuzigt… Wie käme denn ich armer, stinkender Madensack dazu, daß man die Kinder Christi mit meinem heillosen Namen benennen sollte? Nicht so, liebe Freunde, laßt uns die Parteinamen tilgen und uns Christen nennen…”

Dem Reformator war es darum zu tun, “den wahren Schatz der Kirche” zu heben, den Schatz, der damals im 16. Jahrhundert ebenso verborgen war wie heute im Anfang des dritten Jahrtausends nach Christus, wenn auch unter anderen Bedingungen. Zu finden ist dieser Schatz aber heute wie damals. In der zweiundsechszigsten seiner berühmten 95 Thesen vom 31.Oktober 1517 heißt es:

“Der wahre Schatz der Kirche ist das allerheiligste Evangelium der Herrlichkeit und Gnade Gottes”.

II.

Die Kostbarkeit dieses Evangeliums war der tragende Grundton im Leben und Wirken Martin Luthers. Jesus ermutigt seine Jünger auf ihrem Weg durch eine Welt voller Widerstände zum Vertrauen auf Gott und dazu öffentlich zu stehen, dafür einzustehen, sich freimütig zu Gott, zu Jesus, zu bekennen. In der großen Aussendungsrede im Evangelium nach Matthäus sagt Jesus: Wer nun mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater (Matthäus 10,32).

“Dies Evangelium”, so erklärt Martin Luther, “ist in weiten Kreisen der Kirche wenig genug bekannt…Außer dem Evangelium hat Christus nämlich gar nichts in der Welt zurückgelassen…Das Evangelium ist aber…ein Wort des Trostes und der Freude, die Stimme des Bräutigams und der Braut…, ein Wort des Segens und eine Wort des Friedens…”

III.

Wie wichtig Martin Luther das Evangelium war, veranschaulichen z.B. zwei Lebenssituationen, in die der Reformator hineingeriet:

Martin Luther war 44 Jahre alt, als ihn eine schwere Erschöpfung, verbunden mit einer tiefgehenden seelischen Depression überkam. Zwei Tage später schrieb er an seinen Freund Spalatin: “Vorgestern bin ich von einer plötzlichen Ohnmacht so ergriffen worden, daß ich verzweifelte und völlig unter den Händen meiner Frau und der Freunde zu vergehen meinte; so war ich mit einem Mal aller Kräfte beraubt. Aber der Herr erbarmte sich meiner und stellte mich bald wieder her.” (zit. H. Bornkamm, M. Luther…, Göttingen 1979, 491)

Eine andere Lebenssituation war von dem Eindruck der bitteren Erfahrungen der Pest bestimmt, die den Tod auch in seine Familie brachte. Martin Luther erklärte dazu: “…ich, der ich bisher alle anderen zu trösten hatte, bin nun selbst allen Trostes bedürftig… – ein Trost, daß wir wenigstens das Wort Gottes haben.” Diese Erfahrung steht hinter dem Lied “Ein feste Burg ist unser Gott”. Martin Luther hat es seinem besonders geschätzten Psalm 46 nachgedichtet. Dieses Lied ist ursprünglich nicht Ausdruck eines heroisch-nationalen Gottesglaubens. Im heutigen evangelischen Gesangbuch erscheint es sachgemäß unter der Überschrift “Angst und Vertrauen”, ja: “Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben”, so heißt es am Anfang von Psalm 46.

IV.

In seiner Heidelberger Disputation von 1518

Bild vom Lutherdenkmal in Heidelberg

Gedenktafel, eingelassen zum Lutherjahr 1983 im Gelände des Universitätsplatzes in Heidelberg, zur Erinnerung an Martin Luthers Heidelberger Disputation 1518 im Augustinerkloster, das an dieser Stelle stand. Foto: Heinz Janssen

hat Martin Luther hervorgehoben, dass Glaube, Liebe, Hoffnung ein meist unerwartetes Geschenk Gottes und die Voraussetzung für unser aktives christliches Leben sind.

Als Jugendlicher hat Luther einmal zu seinem Vater gesagt: “Unser Leben ist kurz, und ich möchte es sinnvoll verbringen.” Den Sinn seines Lebens hat Martin Luther darin gefunden, “Gott über alle Dinge zu fürchten, zu lieben und zu vertrauen”. Das Evangelium von der Liebe Gottes hat ihm geholfen, sein ganzes Leben als ein tägliches “Sich-Hinkehren” zu dieser guten Botschaft zu verstehen.

Wen sich mit dem Namen Luther für lange Zeit der Gedanke an die Spaltung der Christenheit verband, so hat sein Name heute mehr verbindende Bedeutung für die ganze Christenheit, wenn wir auf das Bemühen des Reformators sehen, das Evangelium von Jesus Christus in die Mitte von Kirche und Gemeinde zu holen und die Bibel allen Menschen zu öffnen und nahezubringen. In diesem Sinn ist auch unsere evangelische Kirche im ökumenischen Gespräch gefordert, einzubringen, was Martin Luther als den “wahren Schatz der Kirche” wieder entdeckt hat, und in einer Zeit, in der das Wort “Kirche” meist mit der katholischen Kirche gleichgesetzt wird, zu sagen, was eine evangelische Kirche kennzeichnet.

“Ecclesia est semper reformanda”, hat Martin Luther einmal gesagt, d.h. “die Kirche bedarf immer der Erneuerung”. Es wäre schon viel, wenn wir heute diesem Gedanken unsere Aufmerksamkeit schenkten und dabei zu der Bereitschaft fänden, zugleich auch unser ganz persönliches Leben wie auch unser Leben in Kirche und Gesellschaft täglich zu erneuern. Wir sind immer wieder eingeladen, Gott zu vertrauen und Jesus ohne Furcht “vor den Menschen” zu bekennen.

Amen.

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