“Schöpft Kraft für eure Herzen”
Klaus Berger und Christiane Nord in besonderer Dankbarkeit für die Übersetzung des Neuen Testaments und der frühchristlichen Schriften
Predigttext: Jakobus 5,7+8 (Übersetzung: Klaus Berger, in: Das Neue Testament und frühchristliche Schriften, 1.Aufl., Frankfurt/M. und Leipzig 1999, S. 81)
(7) Brüder und Schwestern! Harrt aus bis zur Wiederkunft des Herrn. Auch der Bauer muß geduldig warten, bis der Boden wertvolle Früchte hervorbringt, auf Frühregen und Spätregen. (8) Übt auch ihr euch in Geduld! Schöpft Kraft für eure Herzen. Denn die Wiederkunft des Herrn steht bevor.Vorbemerkung
Wie wichtig der Kontext, die vermutlich anzunehmende zeitgeschichtliche Situation des Bibeltextes – hier bei Jakobus auch die umstrittene Frage nach der Verfasserschaft – und die theologischen Schwerpunkte des Gesamtzusammenhanges, in dem eine Perikope steht, ist mir bei der Vorbereitung der Predigt über diesen wahrlich (zu) kurzen Briefabschnitt wieder ganz bewusst geworden. Eine besondere Hilfe waren für mich die einleitenden Ausführungen und die Übersetzung des Heidelberger Theologieprofessors Dr. Klaus Berger und Frau Dr. Christiane Nord (a. a. O., S. 73f.). Ich verweise ausdrücklich und sehr empfehlend darauf. Klaus Bergers und Christiane Nords Übersetzung und Kommentierung des Neuen Testaments und der frühchristlichen Schriften gehört auf jeden PfarrerInnen-Schreibtisch!Liebe Gemeinde!
Zwei Verse so klar – und darüber noch eine Predigt? Was gibt es denn dazu überhaupt noch zu sagen? Etwa: Seid geduldig, der Weihnachtsstress ist bald vorbei, es sind nur noch (den heutigen Tag mitgezählt) 18 Tage bis Weihnachten. Dann bekommt ihr den Lohn, die Früchte eurer Anstrengung, könnt die Ankunft, die Geburt Jesu im Gottesdienst feiern. Zu Hause freuen sich alle über die liebevoll ausgewählten Geschenke und über ein gutes Essen. Also ein bisschen Geduld, noch für eine kurze Zeit Anstrengung und dann der Lohn dafür? Oder ist in den zwei Bibelversen gemeint: Wartet bis zu eurem Tod, danach werdet ihr Gott sehen. Gott wird sich die Früchte eures Lebens anschauen, all das, was ihr in eurem Herzen tragt, und euch hoffentlich wohlgesonnen sein?
Das mag ja alles nicht verkehrt sein, aber es gibt durchaus noch mehr zu sagen. Dazu anregen können die Ausführungen des Heidelberger Theologieprofessors Dr. Klaus Berger, der gemeinsam mit Frau Dr. Christiane Nord das Neue Testament und die frühchristlichen Schriften neu übersetzt hat. Beide gehen davon aus, dass Jakobus den Brief geschrieben hat, was bis heute in der Forschung umstritten ist. Jakobus gilt als leiblicher Bruder Jesu. Klaus Berger rechnet damit, dass der Brief um 50 n. Chr. entstand, also etwa 20 Jahre nach Jesu Tod. Adressaten waren nach seiner Auffassung „Neubekehrte“ – neue Christen, ahnungslos, wenig wissend. Nicht so wie wir. Sind wir doch gewöhnlich in einer christlichen Gesellschaft aufgewachsen, hatten die Möglichkeit, im Elternhaus, Kindergottesdienst, Schule und Konfirmandenunterricht unsere Religion kennen zu lernen.
Neue Christen – gibt es sie überhaupt noch? Eine schwierige Frage. Klaus Berger charakterisiert sie so: Sie haben typische Probleme. Diese sind: die Anfechtung, ob man die rechte Wahl getroffen hat, die Frage, ob der Glaube in die Tat umsetzbar ist, und immer wieder geht es um die Sünden, die man mit dem Mund begeht. – Sind uns diese Probleme so fremd? Sind nicht auch wir immer wieder angefochten, ob es richtig ist, sich als Christ oder Christin öffentlich zu bekennen? Sind uns solche Bekenntnisse nicht eher peinlich? Und sind wir Christen wirklich so sicher in unserer Lehre? Kennen wir die Bibel, die Grundlage unserer Religion? Oder trifft die Aussage „Ich bin nicht so bibelfest“ nicht auf viele zu?
Ich bin überzeugt: Viele Menschen unter uns, ob bibelfest oder nicht, machen sich sehr viel Gedanken darüber, wie sie ihren Glauben, ihre Überzeugung, ihr Christsein in Taten umsetzen können. Dass nicht jede von uns eine Mutter Theresa und jeder ein Martin Luther King sein kann, ist bestimmt in Ordnung. Wenn wir uns aber bemühen – so wie die genannten leuchtenden Beispiele es zeigen – mit ganzem Herzen bemühen (und das tun sehr viele), dann säen wir guten Samen aus, und irgendwann trägt die daraus gewachsene Pflanze Früchte. An diesem Punkt treffen wir uns mit den vielleicht ursprünglich gemeinten Adressaten.
Um unseren Glauben, unser Christsein, müssen wir immer neu ringen. Wir sind täglich neue Christen. Wir verändern uns. Das Leben, das Schicksal verändert uns. Wir sind auf einem Weg – oder mit einem anderen Bild beschrieben: Unser Leben ist ständig im Fluss, strömt vorwärts einem Ziel entgegen. Wir können diesen Fluss nicht aufhalten, diesen Fluss der Zeit, den Jakobus auch im Bild des Bauern mit der Ernte beschreibt. Ein Samenkorn geht unaufhaltsam seinen Weg, wenn es ausgesät ist, aber es braucht Zeit, um eine Frucht zu bilden und reifen zu können. Heute aus einer Quelle entsprungen und morgen schon an der Flussmündung – nein, es dauert länger. Heute schon ausgesät und morgen schon erntereif – nein, Wachstum braucht Zeit. Heute eine Erkenntnis und morgen die gereiften Arbeitsfrüchte – nein, alles braucht seine Zeit. Heute der Funke des Glaubens und morgen schon mit Feuerflammen andere angesteckt – nein, das wäre eher ein Strohfeuer. Hier ist die Geduld ganz schnell gefragt. Vom lateinischen Wort für Geduld kommt unser geläufiges Wort „Patient“. Ja, Leiden an Körper und Seele brauchen Zeit, brauchen Geduld, bis sie geheilt sind.
Christen, ob neu dazugekommen oder von Kindesbeinen an, brauchen Geduld und zwar mit sich selbst wie mit der Welt. Leiden sie an Ungerechtigkeit und Kriegen in der Welt, brauchen sie die Geduld der Hoffnung auf den Frieden, den Gott will und immer wieder neu verspricht. Leiden sie an der Tatsache, dass auch hier in Heidelberg Menschen auf der Straße leben, brauchen sie Geduld, wenn ihre Hilfe angenommen wird, aber nicht hilft, das Alkoholproblem und andere soziale Schwierigkeiten so zu meistern, wie sie es sich vorstellen. Leiden sie selbst an Krankheit und Einsamkeit, brauchen sie Geduld mit den Mitmenschen, die an Weihnachten überfordert sind, Zeit und Freude mit ihnen zu teilen, aber vielleicht an sie gedacht und hier in diesem Gotteshaus eine Kerze für sie angezündet haben.
Geduld müssen wir täglich mit uns selbst haben. Wie gerne würden wir die Welt zum Guten verändern, Liebe und Freundlichkeit verströmen oder unsere Kräfte für eine bessere Welt einsetzen – aber wie selten gelingt uns das.
Habt also Geduld miteinander und mit euch selbst. Schöpft Kraft für eure Herzen. Besinnt euch täglich auf das, was ihr könnt, was als Aufgabe gemacht werden muss, ohne dass ihr euch selbst überfordert und aufgebt. Kommt zur Besinnung, kommt zu dem, was sich als Kraftquelle für euch anbietet – und das schöpft mit vollen Händen. Heute zum Beispiel im Gottesdienst, im Hören auf Gottes Wort, in der Musik, im Singen der Adventslieder, in der stillen Betrachtung der beiden Adventskerzen, die heute brennen, in der liebevollen Begegnung mit einem anderen Menschen, in einem schönen Spaziergang heute Nachmittag.
Schöpft Kraft für eure Herzen, dann teilt wieder aus und seid gewiss: Gott kommt, und dann sind Früchte gewachsen.
Amen.