„Freut euch in dem Herrn allewege“ – Wie ein Glockenklang aus der Ferne

Predigttext: Philipper 4, 4-7
Kirche / Ort: St. Stephanus / Lübeck
Datum: 21.12.2003
Kirchenjahr: 4. Sonntag im Advent
Autor/in: Pastor Heinz Rußmann

Predigttext: Philipper 4,4-7 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

4 Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! 5 Eure Güte laßt kund sein allen Menschen! Der Herr ist nahe! 6 Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen laßt eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden! 7 Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Vorbemerkung

Drei Tage vor Weihnachten fordert der Text uns auf, voller Vorfreude zu sein, weil Jesus Christus, der Kyrios, uns nahe ist. Diese beiden Begriffe: Freude aus der Nähe Christi machen die Größe, aber auch die Problematik des Predigtthemas aus. Schon bei meinem Vikarsleiter, Pastor Dr. Gunnar von Schlippe, Pastoralpsychologe in Hamburg, habe ich vor Jahren unvergesslich gelernt, dass eine direkte Gefühlsübertragung auch positiver Emotionen wie Freude sehr schwierig ist. Das Ausstrahlen von intensiver Freude z. B. kann geradezu abstoßend auf andere wirken. Ein Prediger kann ununterbrochen über die christliche Freude predigen und den Hörer möglicherweise von Minute zu Minute skeptischer und resignierter machen. Weniges kann uns so unfroh machen wie die direkte und fröhliche Aufforderung, uns jetzt mal so richtig zu freuen! Sinnvoller scheint mir z. B. die indirekte, feine und assoziative Übertragung der Adventsfreude mit der Symbolik der Freude über einen mehrstimmigen Glockenklang zu sein. In der Predigt des liberalen Pastors Friedrich Rittelmeyer im Predigtband „Leben aus Gott“, der übrigens auch Albert Schweitzer beeinflusst hat, findet man zum Text den Gedanken, dass diese Worte aus dem Philipperbrief wie ein wundersamer vielstimmiger Weihnachtsglockenklang uns vor Weihnachten voller Vorahnung und Vorfreude erreichen können. Mich bewegt dabei der zufällig gefundene Gedanke, dass wir noch im „Glocken-Europa“ leben. Noch begleiten uns im Alltag und im ganzen Jahr Kirchenglocken und nicht nur geschäftiger Autolärm oder der Ruf des Muezzin vom Minarett, wie schon auf dem Balkan. Es fällt sehr schwer über die präzise Exegese der gängigen Kommentare hinaus etwas Wesentliches zu sagen, auch wenn ich in Lübeck seit 25 Jahren einen wöchentlichen, ergiebigen Exegetischen Kreis für Theologen organisiere. Deutlich ist 1. Die Nähe des Christus Jesus verbreitet Freude und animiert uns zu ansteckender Freundlichkeit. 2. Deutlich ist auch, dass Paulus entschiedener Christozentriker ist: der Kyrios Jesus Christus ist nahe. Die evangelische Kirche schwimmt nach den Worten von Professor Jürgen Moltmann zur Zeit „auf der hebräischen Welle“, betont alttestamentliche Frömmigkeit, lebt einen Monotheismus, der einem liberalem Judentum ähnelt und vernachlässigt die Christologie der kirchlichen Tradition: Trinität und wahrer Mensch und wahrer Gott usw. werden zur Zeit oft nur formelhaft zitiert und ein Satz Jesu aus dem Johannesevangelium: „Niemand kommt zum Vater denn durch mich“, wird oft übergangen. Es ist an der Zeit, wieder sich auf Christus zu konzentrieren und ihn selbstbewusst, überzeugt und überzeugend zu verkünden.

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Freut Euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich Euch, freuet Euch ! Der Herr ist nahe !

Wie ein vertrauter Glockenklang aus der Ferne will uns diese Botschaft zum vierten Advent erreichen, in uns weiterklingen und unsere Herzen froh, wohlgemut und freundlicher machen.

Wir sind vielleicht in der turbulenten Zeit vor dem Fest gestresst, unruhig oder einsam. Wir sind vielleicht unsicher, wie es in diesem Jahr mit unseren Verwandten und lieben Menschen zum Fest werden wird. Vielleicht sind wir auch einfach voller Vorfreude auf den Heiligen Abend. Auf jeden Fall klingt die Botschaft gut, dass durch Jesus Christus Gott selbst in unser Leben kommen will. Gelingendes Leben, Sinn und etwas Glanz will uns erreichen. Der Gottessohn Jesus kommt und will uns in unserem Alltag, in unserem Stress und unseren Probleme, aber auch in unseren Wünschen und Sehnsüchten und Verzweiflungen begleiten. Er kommt als unser Freund, und wir sind nicht allein. Das muss uns wie eine Freundschafts- oder Liebeserklärung immer wieder nahe gebracht werden, damit wir es glauben können.

Aber auch als Christ erlebt man es immer wieder, dass Jesus uns fern erscheint. Unser Leben im Beruf und in der Freizeit, das Zusammenleben in der Familie und mit befreundeten Menschen, das Fernsehprogramm und alles scheint bei frommen ebenso wie bei gottfernen Leuten ohne Gott zu funktionieren. In der Politik und Weltgeschichte scheint Gott nicht vorzukommen. Das zeigt der Terror der kleinen Leute und der Vergeltungskrieg der Großen. Hinzu kommt knallharter Raubtierkapitalismus.

Wo ist uns Jesus Christus nahe? – Auch der Blick zu den Sternen und zum Himmel ist nicht mehr das, was er mal früher war: „Die güldnen Sternlein prangen“ nicht mehr so einfach „am Himmel hell und klar“. Zwischen unzähligen Milchstraßen und schwarzen Löchern leben wir auf einem winzigen Staubkorn im Weltall. Wir hören die Botschaft der Bibel, dass Gott nahe ist und sicher ist uns Gott oft nah in unserem Herzen, in unseren Gedanken, in unserer Sehnsucht. In der modernen Weltsicht erscheint er aber oft so fern.

Gott ist uns nah ! Das wird uns Christen aber in den letzten Jahren ganz erfreulich aus einer Ecke bestätigt, die wir nicht vermutet haben. Naturwissenschaftler haben überraschend das anthropische Prinzip entdeckt, das heißt das Menschen-Prinzip der Welt, die Menschlichkeit des Weltalls. Sie staunen darüber, dass wir Menschen auf der Mitte zwischen der Größe des Alls und der Ausdehnung des kleinsten Atomteilchens stehen. Die Ausdehnung des Alls ist etwa genau so viel mal größer als der Mensch, wie das kleinste Atomteilchen kleiner ist. Vor allem sind manche Wissenschaftler zutiefst erstaunt darüber, dass alle Naturkräfte und Naturgesetze von Anfang an so fein abgestimmt sind, dass eine Entwicklung vom Urknall bis zum Menschen hin möglich war. Wenn die Anziehungskraft im ganzen Weltall ein ganz wenig größer wäre, würde das Weltall zu einem Riesenstern zusammenfallen. Wäre sie winzig kleiner, würde das Weltall zu Staub zerpulvern. Es ist, als ob wir von einem intelligenten Schöpfer von Anfang an eingeplant sind, sagen manche Naturwissenschaftler uns heute.

Aus der Ferne des Weltalls erklingt für uns die Botschaft wie ein Glockenklang, um in uns zu erklingen: Du bist von Gott seit Urbeginn der Welt gewollt und geplant. Gott kommt uns nah, wenn wir das für uns annehmen und wenn wir begreifen, dass er uns mit einem Teil seiner Fähigkeiten beschenkt und begabt hat. Das ist ein Grund tiefer Freude oder wie junge Menschen heute sagen: Da kommt Freude auf!

Haben wir nicht tatsächlich eine Sonderstellung im Weltall? Ein Schimpanse kann wie wir die Mondscheibe betrachten. Die Umlaufbahn des Mondes und die Mondphasen kann er nicht begreifen. Wir aber können das Universum erforschen und dem lieben Gott ein wenig in die Karten schauen. Wie er diese Welt erbaut hat, daran können wir uns in vielen kleinen Schritten annähern. Als Beweis, dass wir keine Angeber sind, treffen unsere bemannten Raketen tatsächlich auf dem Mond ein. Auch können wir die winzig kleinen Erbsubstanzen erforschen und Lebewesen klonen. Wir sind Gott darin nah, dass wir in der Technik nicht nur Weltklasse, sondern Weltallklasse sind. Wer sich darüber nicht freuen kann, ist recht abgestumpft und blind.

Allerdings sind wir Menschen in der Nächsten- und Feindesliebe weltweit, ach, bedauerlich weit, zurück. Jeder Mensch ist eine Insel. Jede Frau und jeder Mann hat eine eigene Welt. Es hilft nur die Brücke der Liebe. Deswegen braucht die ganze Menschheit das Vorbild von Jesus Christus und seine Kraft zur Liebe sogar zu Feinden, um eine Zukunft zu haben. Uns bleibt aber inzwischen die Nähe Gottes und die tiefe Freude über seine Gegenwart in unseren Herzen und Gedanken. Wie eigenartig berührt uns der Gedanke, dass wir wahrscheinlich im ganzen Weltall die einzigen Lebewesen sind, die an Gott denken, sich an ihm festhalten und ihn verehren können. Wir glauben an den, der uns die Sehnsucht nach ihm ins Herz gelegt hat.

Im Advent sehnen wir uns besonders danach, dass Gott in unserer Welt allen Menschen nahekommt und durch den Geist von Jesus Christus Frieden zwischen verfeindeten Völkern schafft, Frieden in unserer Welt und in unserem Herzen und unter uns! Weihnachten will uns dann staunen lassen, wie nahe uns Gott kommt und wie viel wir ihm wert sind und was wir ihm bedeuten. Deswegen singen wir am Heiligabend im Gottesdienst: „Sag es den Kindern allen, dass ein Vater ist, dem wir wohlgefallen, der uns nie vergisst.“

Ohne Weihnachten müssten wir uns ehrlicherweise ansehen als Denkspezialisten und Waisenkinder im Weltall. Mit der Nähe von Jesus Christus bei uns und in seiner Nachfolge können wir menschlich leben, gehalten von Gott und hilfreich den Menschen.

Wenn die Nähe Gottes wie ein schöner Glockenklang in uns zum Erklingen kommt, dann möchten wir auch anderen Menschen nahe sein.

Paulus fordert uns deswegen auf, dass alle Menschen unsere Güte und Freundlichkeit erfahren. Martin Luther hat früher dafür sehr feinfühlig ein tiefsinniges, jetzt sehr seltenes deutsches Wort verwendet: Eure Lindigkeit tut kund allen Menschen! Freundlichkeit klingt dagegen recht oberflächlich, weil sie von Berufs wegen von allen Verkäufern und Kontaktmenschen oberflächlich verlangt wird. In Lindigkeit steckt dagegen das noch gebräuchliche Wort lindern. Schmerzen und Qualen sollen wir überall lindern.

Vieles können wir Christen bei unseren Mitmenschen realistisch nicht aufheben. Kranken, Trauernden und Arbeitslosen können wir ihre Probleme nicht wegzaubern, aber wenn wir ihnen nahe sind, können wir ihre Leiden lindern.

Jesus selbst zaubert viele unserer Probleme nicht einfach weg, aber kommt zu jedem, der ihn bei sich aufnimmt. Das ist der tiefste Grund zur Freude, der uns gegeben ist. Bei einem Kirchentag hat jemand an eine Malwand geschrieben: Ich glaube nicht an Gott, aber ich suche jemanden, der mich über alles liebt. Jesus will und kann diese Sehnsucht erfüllen. Wie ein ergreifender Glockenklang will uns die Adventsbotschaft erreichen: Jesus ist nahe ! Wenn das kein Anlass ist, das Du Dich freust !

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