Prophetische “Abmalung” Christi und der Kirche

Die Gestalt und Farbe der christlichen Kirche

Predigttext: Jesaja 9, 1-6
Kirche / Ort:
Datum:
Kirchenjahr: Christfest (1)
Autor/in: Martin Luther

Predigttext: Jesaja 9,1-6

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt. Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians. Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt. Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf daß seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, daß ers stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des Herrn Zebaoth. (Predigt aus: K. Aland (Hg.), Luther Deutsch, Bd. 8, Die Predigten, 2. Aufl., Göttingen 1965, S. 35-42.- Überschrift, Zwischenüberschriften und Gliederung von Heinz Janssen, redaktion@predigtforum.de)

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Prophetische Abmalung Christi – Geistliches und weltliches Regiment

Das ist ein recht güldenes Kapitel, darin der Prophet Christus mit trefflichen, herrlichen Worten abmalt, was er für eine Person und Herr sei, nämlich daß er mich und dich und alle, die an ihn glauben, trägt mit allen unsern Sünden, Jammer und Herzeleid. Und das hat er nicht allein zu der Zeit getan, da er zu uns auf Erden gekommen ist und unsere Sünde auf sich geladen und am Kreuz getragen hat, wie 1. Petr. 2, 24 sagt: »Er hat unsere Sünde selbst hinaufgetragen an seinem Leibe auf das Holz«. Er trägt uns auch noch täglich durch sein Wort und Evangelium. Damit ist das geistliche und leibliche Reich trefflich unterschieden.

Das weltliche Regiment soll ein solch Regiment heißen und sein, da wir den Herrn und König tragen. Denn der Welt ist not, daß sie gedrückt und gezwungen werde. Aber das geistliche Regiment und Reich Christi soll heißen und ist auch ein solch Regiment, da der Herr und König uns trägt. Denn wie es dem rohen, wilden Haufen in der Welt notwendig ist, daß sie den Herrn auf dem Halse haben, den sie fürchten und tragen müssen, so ist es den betrübten Herzen und verzagten Gewissen umgekehrt notwendig, daß sie getragen und von ihrer Bürde und Last befreit werden. Das ist ein großer Unterschied zwischen den zwei Königreichen. Im weltlichen Regiment müssen so viel tausend Menschen ein Haupt, einen weltlichen König und Herrn tragen. Aber im geistlichen Regiment trägt ein Haupt und König, nämlich Christus, unzählige Menschen. Ja, er trägt der ganzen Welt Sünde, wie der Prophet Jesaja Kap. 53, 6 sagt: »Der Herr warf unser aller Sünde auf ihn«, und Johannes der Täufer Joh. 1, 29: »Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt«. Und heute läßt er von sich predigen, daß er ein König der Gnade und Barmherzigkeit sei. Das ist ein Stück in der Weissagung unseres Textes.

Die Gestalt und Farbe der christlichen Kirche

Es folgen nun die sechs Namen, die der Prophet diesem König gibt, mit welchen Namen er weiter abmalt, wie sein Reich gestaltet sei. Bisher hat er den König so gemalt, daß er ein solcher Herr und König sei, der sein Königreich auf seiner Schulter trage. Aber mit den sechs Namen lehrt er uns, welches die Gestalt und Farbe der heiligen christlichen Kirche sei.

Willst du die christliche Kirche recht abmalen, so male sie so, daß sie Christus auf seiner Schulter liege und Christus sie tragen müsse. Wie aber Christus seine Kirche trägt und wie die Kirche von ihm getragen wird, das geht so zu, daß als erstes sein Name und Werk sei: »Wunder-Rat«.

Christus als “Wunder-Rat”

Und er heißt »Wunder-Rat«. Christus heißt »Wunder-Rat« von dem Werk, das er an seiner heiligen christlichen Kirche übt, welche er so regiert, daß mans mit keiner Vernunft begreifen noch merken kann, daß sie die christliche Kirche sei. Er bindet sie an keine Stätte, Zeit noch Person, er läßt sie nicht an irgendeinem äußerlichen Ding, Kleidung oder Gebärde erkannt werden, daß man daran merken und eigentlich wissen könnte, wo sie sei und wie groß oder klein sie sei. Willst du sie antreffen und finden, so liegt sie nirgends anderswo als auf Christi Schulter. Willst du sie fassen, so mußt du deine Augen und alle Sinne zutun und allein hören, wie sie der Prophet hier benennt und abmalt.

Sichtbare und unsichtbare Kirche

Seine Kirche ist ein verworfen Volk vor der Welt, vor dem Teufel und auch vor uns selbst. Und das wäre noch erträglich und leidlich, daß solcher Schein allein vor der Welt und dem Teufel wäre. Aber daß es auch vor unseren Augen oft so scheint, das ist schwer zu überwinden. Denn die Kunst kann der Teufel, daß er oft einem Christen die Augen so ganz von der Taufe abwendet, vom Sakrament, von Christi Wort, daß er sich selbst mit den Gedanken plagt, als sei er Von Gott verstoßen, wie David über solch inwendig Zage!; und Schrecken Psalm 31, 23 klagt: »Ich sprach in meinem Zagen: Ich bin von deinen Augen verstoßen«.

Das ist unsere Hoffarbe, daß die christliche Kirche vor ihren Augen und ich vor mir selbst so sein soll, daß es nicht scheine, daß sie die Kirche ist und daß ich ein Christ bin. Ich soll wissen und glauben, daß dies die heilige christliche Kirche ist und daß ich ein Christ bin, und soll doch sehen, daß beide, Kirche und ich, zugedeckt sind mit der dicken Decke, daß wir von aller Welt ketzerisch und teuflisch gescholten werden; ja, ich soll hören, daß mein eigen Herz zu mir sagt: Du bist ein Sünder. Diese dicken Decken, Sünde, Tod, Teufel und Welt, decken die Kirche und Christen so zu, daß man nichts sehen kann, weder von Kirche noch von Christen, man sieht eitel Sünde und Tod und hört eitel Lästerung des Teufels und der Welt. Da steht die ganze Welt und alles, was weise und klug ist in der Welt gegen mich, ja, meine eigene Vernunft sagt mir ab, und ich soll dennoch fest darauf bestehen und sagen: ich bin ein Christ, ich bin gerecht und heilig.

Was soll ich nun hierzu sagen? Anderes nicht als das, was hier steht: Mein Herr Jesus Christus, der mir geboren und gegeben ist, heißt» Wunder-Rat«, der regiert seine Kirche und Christen verwunderlich, so daß sie gerecht, heilig, weise, rein, stark, lebendig und Gottes Kinder sind, obwohl doch das Gegenteil der Fall zu sein scheint, nicht allein vor aller Welt, sondern auch vor uns selbst. Woran soll man sich aber halten, auf daß man solchen Schein überwinden könne? An das Wort. Denn gleichwie es Christus in seiner Person seltsam und verwunderlich macht: da er zum Vater ins ewige Leben gehen will, geht er in den Tod; da er Sünde, Tod und Teufel fangen will, läßt er diese über sich herfahren, läßt er sich anklagen, lästern, verdammen, würgen und töten usw. So müssen wir auch die Augen unseres Herzens auftun, daß wir uns nicht nach dem äußeren Schein, sondern nach dem Wort einschätzen.

Gegen allen äußeren Schein: Heilig um der Taufe, des Wortes und um Christi willen

Deshalb soll ich so sagen: Ich halte die Christen und mich selbst für heilig, nicht um meiner eigenen Gerechtigkeit willen, sondern um der heiligen Taufe, um des heiligen Sakraments, um des Worts und um des Herrn Christi willen, an den ich glaube. Wenn ich mich ohne die Taufe, ohne das Sakrament und Wort ansehe, so finde ich eitel Sünde und Ungerechtigkeit, ja, den Teufel selbst, der plagt mich ohne Unterlaß. Ebenso ist es auch, wenn ich euch außerhalb der Taufe, außerhalb des Sakraments und Worts ansehe. Dann sehe ich keine Heiligkeit an euch. Wenn ihr schon hier in der Kirche seid, Gottes Wort hört und betet, seid ihr dennoch nicht heilig, außerhalb des Worts und Sakraments gerechnet. Darum tuts der äußere Schein nicht, aber das tuts, daß ich sage: dieser Mensch ist getauft, hört gern Gottes Wort, glaubt an Christus. Das sind rechte Wahrzeichen, an denen ich erkenne, daß er ein rechter Christ und heiliger Mensch ist.

Die äußerliche Gestalt und Larve tuts nicht

Die äußerliche Gestalt und Larve tuts nicht. Wo das Evangelium lauter und rein gepredigt wird, wo die heiligen Sakramente in ihrem rechten Brauch gehen und ein jeder sein ihm befohlenes Amt und Werk in seinem Stande ausrichtet, da findet man bestimmt Gottes Volk und rechte Christen. Deshalb sollst du dich nicht nach dem äußeren Schein richten, sondern nach dem Wort. Richtest du dich nach dem äußeren Schein und nicht nach dem Wort, so wirst du bestimmt fehlgehen. Ursache ist diese: an einem Christen findet man von außen nichts Besonderes von einem andern Menschen, ja, es soll wohl ein Unchrist und Heide oft eine sittsamere Gebärde und ehrbarere Gestalt aufweisen, als ein Christ. Darum trügen die äußere Gestalt und der Schein.

Darum soll man die christliche Kirche recht kennenlernen und nicht auf die äußere Larve sehen, sondern auf das Wort.

Ein lebenspraktisches Beispiel für den Unterschied zwischen außen und innen

Ein Weib, das getauft ist, das Evangelium hört, an Christus glaubt, einen Ehemann hat, Kinder zeugt, das ihr anbefohlene Amt tut, ist heilig, ob man schon ihre Heiligkeit nicht sieht. Denn ich kann mit den leiblichen Augen ihre Taufe nicht sehen, mit der sie vor Gott geschmückt ist, noch ihren Glauben an Christus, den sie im Herzen hat, sondern ich sehe, daß sie im Hause herumgeht, die Kinder reinigt, spinnt, näht, kocht. Darum scheint nichts Besonderes an ihr; doch wo sie am Evangelium und im Glauben an Christus bleibt und ihr Amt treulich ausrichtet, so ist sie heilig und ein Glied der christlichen Kirche, nicht ihrer Frömmigkeit halben, sondern um der Taufe, um des Evangeliums willen, welches sie im Herzen hat, und um des Herrn Christi willen, der in ihrem Herzen wohnt. Niemand siehts solchem Weibe an, daß sie eine Christin und ein heilig Weib ist.

Darum soll man sich vor den äußeren Larven hüten und lernen, daß das die christliche Kirche ist, die getauft ist und den Glauben an Christus im Herzen hat und äußerlich in den allgemeinen Werken daher geht, wie sie eines jeden Stand und Beruf erfordert. So soll man die christliche Kirche ansehen und erkennen. Wer sie so ansieht, der kann nicht fehlgehen noch irren. Wer aber solche Erkenntnis nicht hat, an der es der ganzen Welt und aller Vernunft mangelt, der muß irren.

Verwunderliche Gerechtigkeit und Heiligkeit der Kirche

So heißt nun Christus “Wunder-Rat« deshalb, weil alles verwunderlich und seltsam ist, was er an seiner christlichen Kirche tut. Die christliche Kirche hat, wie gesagt, eine verwunderliche Gerechtigkeit und Heiligkeit, die aller Vernunft verborgen ist. Wenns aber zum Kreuz kommt, da geht’s viel wunderlicher und seltsamer zu. Denn ein Christ, der getauft ist und Christus bekennt, muß in der Welt leiden und verfolgt werden, um Christi und des Evangeliums willen. Das sieht vor aller Welt so aus, als sei er von Gott verlassen, und er selbst denkt in seinem Herzen nicht anders nach der Vernunft. So läßt Christus seine Kirche mit Kreuz, Verfolgung und allerlei Ärgernis zudecken, auf daß er alle Welt zum Narren mache. Da ist abermals alle Vernunft gefangen und kann sich hierein nicht schicken.

Aber ein Christ ergreift das Wort und denkt so: wenn ich schon verachtet und verfolgt werde, bin ich dennoch getauft, habe das Evangelium, glaube an Christus und achte meine Taufe, Evangelium, Christus in meinem Herzen so groß, daß ich dagegen die ganze Welt für einen Splitter halte.

Sich an Gottes Wort halten

Und das ist bestimmt wahr: Wer das Evangelium und Christus im Herzen hat, der hat solche Gerechtigkeit vor Gott, daß wenn er schon der ganzen Welt Sünden auf sich hätte, sie wären dagegen doch wie ein Tröpflein Wassers im Vergleich zu einem ganzen Meer. Es ist nicht eine kleine Sache, wenn man Gottes Wort ansieht und sich daran hält. Sondern es ist so groß, daß dagegen alle Kreaturen wie ein kleines Stäublein sind.

So ist nun die christliche Kirche gerecht und heilig, ob sie schon vor der Welt nicht das Ansehen hat, daß sie gerecht und heilig sei, ja auch dazu mit Kreuz und Ärgernis zugedeckt ist. Und niemand kann der Kirche Gerechtigkeit und Heiligkeit mit dem Glauben genugsam ergründen und fassen, geschweige denn, daß er sie mit menschlicher Vernunft ergründen und fassen können sollte. Und wer die christliche Kirche und die Christen erkennen will, der muß sie am Wort, Evangelium, Glauben und Früchten des Evangeliums und Glaubens erkennen.

Absolution

Wenn du das Evangelium hast, getauft bist, an Christus glaubst, so bist du ein Christ und heilig. Wenn du danach in deinem Stande so wandelst, hältst deine Ehe, ehrst Vater und Mutter usw., das sind Früchte des Evangeliums und des Glaubens. Läuft aber zuweilen ein Vergehen mit unter, das muß nicht schaden. Gedenke an deine Taufe, halte dich an das Evangelium, hole die Absolution, empfange das Sakrament, sage: Mir sind böse Gedanken eingefallen, ich bin gestrauchelt, habe da und da Unrecht getan. Aber ich bin getauft, ich habe das Wort, die Absolution, das heilige Sakrament: das ist mir eine größere Heiligkeit als die ganze Welt mit allen Kreaturen. Christus Jesus ist mein gütigster, barmherzigster Fürsprecher, daß wenn mich schon alle Teufel schrecken wollten, so sind sie doch kaum ein Fünklein gegen ihn.

Hieraus sehen wir nun, warum Christus “Wunder-Rat« heißt, nämlich deshalb, weil er alles, was er an der christlichen Kirche tut, aus unsern Augen, Vernunft und Sinnen reißt und in seinem Wort verbirgt.

Christi Tun ist der Vernunft unbegreiflich

Gerechtigkeit, Heiligkeit, Weisheit, Stärke, Leben, Seligkeit und alles, was die Kirche in Christus hat, ist der Vernunft unbegreiflich und der Welt verborgen. Willst du die Kirche nach der Vernunft und” nach dem äußerlichen Ansehen beurteilen, so ists falsch. Denn da wirst du solche Leute sehen, die sündhaft, gebrechlich, erschrocken, betrübt, elend, verfolgt und verjagt sind.

Wenn du aber darauf siehst, daß sie getauft sind, an Christus glauben, ihren Glauben mit rechtschaffenen Früchten beweisen, das Kreuz in Geduld und Hoffnung tragen, so ists recht. Denn das ist die rechte Farbe, daran man die christliche Kirche erkennen kann.

Die Vernunft sieht die Taufe als bloßes Wasser und das Wort als einen Ton an. Deshalb kann sie die christliche Kirche nicht kennen noch finden, weil sie die Taufe und das Wort so geringachtet. Aber wir Christen sollen die Taufe und das Wort so
hoch achten, daß wir auch aller Welt Gut dagegen für nichts halten sollen. Wenn wir das tun, so können wir die christliche Kirche erkennen und auch uns selbst trösten und sagen: In mir bin ich ein Sünder, aber in Christus, in der Taufe, im Wort bin ich heilig.

Weiße, blaue, mannigfaltige Farben

So sollen wir uns diesen Namen »Wunder-Rat« zunutze machen, auf daß wir uns durch äußeren Schein nicht betrügen lassen. Das ist uns auch sehr vonnöten. Denn die Welt kanns nicht lassen, sie will die christliche Kirche äußerlich malen, mit Gebärden und Larven. Aber die Kirche läßt sich nicht anders malen, als, wie gesagt, mit dem Evangelium, Wort, Taufe, Sakrament, Glauben und Früchten des Glaubens. Die Taufe ist die rechte weiße Farbe, das Wort und der Glaube sind die herrliche blaue Farbe am Himmel; die Früchte des Evangeliums und des Glaubens sind die andern mannigfaltigen Farben, mit denen wir geschmückt sind, ein jeder in seinem Stande und Beruf.

(Aus: K. Aland (Hg.), Luther Deutsch, Bd. 8, Die Predigten, 2. Aufl., Göttingen 1965, S. 35-42.- Überschrift, Zwischenüberschriften und Gliederung von Heinz Janssen, redaktion@predigtforum.de)

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