„…besser ist, ihm zuzuhören“
Dem Geheimnis von Weihnachten nachspüren
Predigttext: Hebräer 1,1-6 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
1 Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, 2 hat er in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn, den er eingesetzt hat zum Erben über alles, durch den er auch die Welt gemacht hat. 3 Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens und trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort und hat vollbracht die Reinigung von den Sünden und hat sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe 4 und ist so viel höher geworden als die Engel, wie der Name, den er ererbt hat, höher ist als ihr Name. 5 Denn zu welchem Engel hat Gott jemals gesagt (Psalm 2,7): »Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt«? Und wiederum (2.Samuel 7,14): »Ich werde sein Vater sein und er wird mein Sohn sein«? 6 Und wenn er den Erstgeborenen wieder einführt in die Welt, spricht er (Psalm 97,7): »Und es sollen ihn alle Engel Gottes anbeten.Exegetisch-homiletische Vorüberlegungen
Der Hebräerbrief – ein Brief? – umreißt am Anfang, ohne Umschweife, die Weite des Christuszeugnisses, das dann allerdings sehr spezifisch entfaltet wird. Auf dichtem Raum stehen drei Gegenüberstellungen: Den Vorzeiten werden diese „letzten Tage“ gegenübergestellt, der prophetischen Rede „vielfach und auf vielerlei Weise“ die eine Rede durch den Sohn - und den Engeln der „so viel höher“ Gewordene. Der Name Jesus wird nicht genannt – und der Hebr. setzt voraus, dass alle wissen, von wem die Rede ist. Dabei rahmen die VV 1.2.5.6 den Mittelteil, die VV 3 und 4: Der Sohn wird als „Abglanz“ der Herrlichkeit Gottes, als „Ebenbild“ seines Wesen vorgestellt. Was das heißt, wird in einem Satz zusammengebunden: Er trägt alles Dinge mit seinem kräftigen Wort, der hat die Reinigung von den Sünden vollbracht und er hat sich zur Rechten Gottes gesetzt. Verbindender Gedanke ist, dass er von Gott zum Erben „über alles“ gesetzt wurde (V. 2) und einen Namen ererbt hat, der höher ist als der Name eines Engels (V 4). Als der Hebr. geschrieben wurde, gab es noch kein Weihnachtsfest. Dass Hebr. 1,1-6 heute aber – die Geschichte der Perikope muss uns jetzt nicht interessieren – zu Weihnachten gehört, ist gleichwohl eine glückliche Erfahrung. Was Weihnachten bedeutet, wird hier in wenigen Strichen nachgezeichnet. Besonders am 2. Weihnachtstag, wenn Erwartungen und Stimmungen abgeflaut sind, ist die Möglichkeit gegeben, dem Geheimnis von Weihnachten noch einmal anders nachzuspüren. Wichtig ist, dass die Sehnsucht der Menschen nach Gottes Nähe auch in diesem Gottesdienst ernstgenommen wird. Wichtige Hinweise finden sich bei: Matthias Morgenroth, Weihnachts-Christentum. Moderner Religiosität auf der Spur, Gütersloh 3. Aufl. 2003. Es lohnt sich, einen – auf den ersten Blick – sperrigen und steilen Text so zu übersetzen, dass Menschen in „diesen letzten Tagen“ den Sohn hören – und die Herrlichkeit Gottes sehen.Hinweise zur Gottesdienstgestaltung
Psalm: Philipper 2 („Christushymnus“) Gnadenzuspruch: Lukas 2,10-13 (Gemeinde stimmt ein mit dem Lobpreis: Ehre sei Gott)Liebe Gemeinde,
wie geht es Ihnen? Vorgestern feierten wir noch Heilig Abend, jetzt kommt so langsam der Abgesang. Die Geschenke sind ausgepackt, die kleinen und großen Erinnerungen aufs nächste Jahr vertagt, der Blick auf 2004 gerichtet. Die einen denken an die Jahresabschlussarbeiten im Büro, die anderen freuen sich schon auf den ersten neuen Urlaub. Und es gibt Menschen unter uns, die den Zeitlauf, den Kalender, mit Ängsten verfolgen: die im alten Jahr noch die Kündigung gekriegt haben und sich auf den ersten Besuch beim Arbeitsamt einstellen, die eine Chemotherapie vor sich haben – oder einen Gerichtstermin. Und Menschen aus unserer Mitte können von Streit, Ärger und Unzufriedenheit erzählen, die in den letzten Tagen wieder aufbrachen. Selbst die so leichten Engel sind stumm geworden und verschwunden. – Weihnachten war ein Höhepunkt. Viele Gedanken konnten sich an dem Fest festmachen. Aber jetzt holt uns der Alltag wieder ein. Bleiben Sie doch nach dem Gottesdienst noch hier und erzählen von Ihrem Fest!
Ihr Fest? Mein Fest? Wir sagen das so. Aber das Fest selbst entzieht sich unserem Zugriff. Es ist nur zum Teil „mein“ und „dein“. Es lässt sich auch von Festgebräuchen, Gewohnheiten und Traditionen nicht vereinnahmen. Am stärksten ist: Wo bei uns die Kurve abflaut, läutet uns heute der Hebräerbrief Weihnachten ein. Aber hören Sie selbst:
(Verlesung des Predigttextes)
Der Hebräerbrief nimmt uns mit auf eine lange Reise, die angefangen hat, bevor wir zu Laufen lernten
Ob es Zufall ist? Mit einem geradezu furiosen Auftakt – wie ein Feuerwerk – fällt uns der Hebräerbrief mit der Tür ins Haus.
Wozu eine lange Einleitung, wozu Floskeln? Gott hat geredet! Sein Wort ist noch im Raum. Einen festlichen Rahmen braucht er nicht – für das, was er sagt. Vielleicht ist es sogar gut, dass er am Ende noch mal einen Anfang macht!
I.
Was haben die Propheten denn ausgerichtet? Das Wort „ausgerichtet“ ist doppeldeutig. Es geht um den Inhalt – und um das Ergebnis. Was sagten sie denn? Ein Prophet sagte, dass das Nest Bethlehem, am AdW, Stadt der Hoffnung wird, sozusagen Nabel der Welt. Ein anderer sah die Oasen in der Wüste blühen. Und kaum noch zu überbieten: Wir hören von einem Kind, das am Loch der Natter spielt . Gott selbst kommt. Er lädt die Völker zu einem Festtagsschmaus. Die Propheten hören schon die Musik, das Stimmengewirr, das Lachen. Gottes Friede verändert, verwandelt die Welt. Der Frevel hat keine Zukunft, die Schuld hat keine Zukunft, der Tod hat keine Zukunft. Das haben die Propheten, gelegentlich auch eine Prophetin, jede/r auf seine/ihre Weise, gesagt. Dabei waren sie mutig. Sie haben nicht einmal den Zeitläufen das Recht zugestanden, die Welt zu bestimmen. Auf den Status quo verließen sie sich nicht. Auch nicht auf die öffentliche Meinung. Gelegentlich aber kam es vor, dass auch Propheten müde und schwach wurden, in deren Münder wir unsere eigenen Klagen schon zu finden meinen. Elia zum Beispiel. Auf der Flucht – auch vor sich selbst – legt er sich unter einen Strauch und wünscht sich zu sterben. „Es geht nicht mehr“, „es hat keinen Sinn mehr“, „ich bin nicht besser als meine Vorfahren.“ Da musste denn wenigstens ein Engel her. Einer, der Gottes Beistand bringt. Mit Brot! Mit Wasser! „Steh auf und iss, du hast noch einen weiten Weg vor dir.“ Ja, ein weiter Weg. Über Bethlehem liegt Unfrieden. Die Wüsten wachsen. Um Kinder machen sich viele Menschen Sorgen. Um die Zukunft sowieso. Die Schuld der Vorfahren verfolgt uns. Den Tod nehmen wir Menschen, oft müde und überfordert, nur noch zur Kenntnis. Also: was haben die Propheten ausgerichtet? Unsere modernen Schlag- und (Tot)schlagworte stellen sich auf einmal ein: Erfolg, Controlling, Qualitätszertifizierung.
II.
Es ist nicht so, als ob der Hebräerbrief – sorry, ich kann Ihnen leider nicht genau sagen, wer der Schreiber ist und an wen er gedacht hat – so weit ab von der Welt wäre, dass er die Bedenken und Einreden nicht kennen würde. Er lässt sie aber nicht nur nicht gelten, er gibt ihnen sogar eine Richtung. Vielfältig sei es gewesen, was Gott geredet hat – eine bunte Palette. Dabei keineswegs nur für Schriftglehrte. Viele Menschen kommen in den Blick, denen ein Wort, eine Anrede, eine Zusage, eine Vermahnung, eine Klage, ein Urteil – zuteil wurde. Gott redete immer schon sehr konkret. So konkret, wie einst im Garten Eden, als er Adam und Eva zur Rede stellte. Die beiden zwar nackt und ziemlich hilflos, aber in Gottes Nähe. Er gibt ihnen sogar etwas für die „Blöße“ (oder dagegen – wie auch immer). Überhaupt ist es die Nähe, die Gottes Wort auszeichnet. Immer schon hat er sich auf Menschen eingelassen, ihr Geschick begleitet – ihr Geschick aber auch bestimmt. Wer wohl mal auf die Idee kam, ihn in den Himmel zu verbannen? Der muss ihn nicht gekannt haben. Über ihn lässt sich überhaupt nicht reden – besser ist, ihm zuzuhören. Denn er hat vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise zu unseren Vorfahren geredet.
Im Lukas-Evangelium stehen vor der Weihnachtsgeschichte zwei große und großartige Lieder. Das eine – das Benedictus, den Lobgesang Zacharias – wollen wir gemeinsam sprechen / singen. Das Lied singt von den Propheten – und es weist weit nach vorne:
EG 768 bzw. 792
III.
Ist diese Vielstimmigkeit, die Polyphonie des Wortes Gottes – vergangen? Verstummt? Hat er aufgegeben? Der Hebräerbrief würde uns einen solchen Schluss übel nehmen. Das Gegenteil ist der Fall: In den letzten Tagen hat er zu uns geredet durch den Sohn. Unüberhörbar: dies ist nicht mehr zu überbieten. Aus den letzten Tagen können keine vorletzten werden, kein „gestern“ – eine Steigerung ist nicht mehr möglich. Letzte Tage – letztes Wort: es ist entschieden! Ob er da nicht den Mund zu voll nimmt – der Hebräerbrief? Schließlich haben wir seitdem viele Tage kommen und gehen sehen, mal distanziert, mal neugierig. Die meisten sind einfach nur vergangen, in Jahreszahlen verschwunden. Viele sind nur noch von historischem Interesse, werden begangen, gefeiert, beschworen. Andere sind fest mit unserem Leben verbunden: Geburtstage. Der erste Kuss. Eine neue Arbeit. Bei denen lässt die Zeit die Seele klingen. Ob da auch ein Anknüpfungspunkt zu finden ist? Es gibt Erfahrungen, die nicht mehr überboten werden können, die für uns so schön und wichtig sind, dass wir nicht einmal „mehr“ davon wollen. So meint es auch der Hebräerbrief. Nicht, dass die Zeit nach Jesus stehengeblieben wäre – oder einfach angehalten werden könnte -, aber sein Wort ist so gewichtig, dass wir uns angenommen, getragen, ins Leben geführt sehen. Letzte Tage: das sind Tage, an denen wir Menschen nicht mehr die Letzten sind, sondern Erste.
Der Hebräerbrief hat da seine eigenen Umschreibungen:
Der Sohn hat Gottes Gesicht,
sein Wort trägt alle Dinge,
die Sünde hat er weggenommen,
er ist jetzt zur Rechten Gottes.
Was der Hebräerbrief wohl von Jesus wusste? Geschichten werden hier nicht erzählt. Es singen auch keine Engel. Aber ohne seinen Namen nur zu nennen, wird uns der „Sohn“ vorgestellt. Dass er von Gott kommt und bei Gott ist, gibt ihm Autorität, dass er „Sohn“ ist, macht ihn uns sehr nah. Mehr als ein Bote, mehr als ein Prophet, mehr auch als ein Engel: Er vertritt Gott, lässt uns sein Gesicht sehen und spricht uns Zukunft zu. Wenn alle Dinge von seinem Wort gehalten werden, können sie sich nicht mehr gegen uns kehren, nicht wie Klötze am Bein hängen, unsere Herzen nicht mehr schwer machen. „Er trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort“ – das ist keine Beschreibung, das ist eine Zusage. Dass er darüber hinaus die Reinigung von den Sünden vollbracht hat, führt uns zu der Freiheit, die Paulus die Freiheit der Kinder Gottes genannt hat: Alles, was trennte, Gott und Mensch, Mensch und Mensch –weggenommen. Die Zeit ist vorbei, alte Erfahrungen mit sich herumzuschleppen – oder vor sich her zu tragen. Die Zeit ist auch vorbei, sich in alten Geschichten häuslich einzurichten. Und auch die Zeit ist vorbei, sich im Dreck wohlzufühlen. Das Bild von der Reinigung hat was: wieder Geschöpf sein, sich schön anzuziehen, ein Fest zu feiern. Weihnachten!
Maria hat in ihrem Loblied davon gesungen. Singen wir mit:
EG 769 bzw. 793
IV.
Schon die ersten Sätze im Hebräerbrief sind das ganze Evangelium. Es passt gut zum
2. Weihnachtstag. Weil wir mit unseren Gedanken ins Weite geführt werden. Ohne die Stimmen zu überhören, die aus vorletzten Tagen zu uns herüber wehen. Wir haben vom Kind in der Krippe gehört. Die Kinder haben die Geschichte gespielt. Maria und Josef, Hirten und Engel. Wir haben die schönen Weihnachtslieder gesungen. Von dem wundersamen Tausch: Ich ein Herr – Er ein Knecht. Von einem Geheimnis war die Rede. Dass Gott uns mit den Augen eines Kindes anlächelt. Wie wir Menschen ganz von vorne anfängt. Ganz Mensch. Sogar von den Windeln haben wir gehört. Zwar fiel auch „reinlich“, „rein und zart“ – aber wir verstanden schon richtig. Jetzt lässt uns der Hebräerbrief den „Sohn“ hören und umgibt ihn – mit Propheten und Engel. Die alten Hoffnungen sind vielstimmig, auf vielfache Weise gesagt, abgerungen und festgehalten. Wir hören die Stimmen der Menschen vor uns. Sie klingen in uns nach. Dass Bethlehem eine Stadt der Hoffnung ist, Schwerter zu Pflugscharen werden. Die Völker sich zu einem festlichen Mahl versammeln. Jesus hat das zuletzt noch gesagt. Ja, er ist dafür gestorben. Mehr ist nicht mehr zu sagen.
Ein Nachwort:
Der zur Weihnacht geboren wurde,
hat nicht auf Probe mit uns gelebt,
ist nicht auf Probe für uns gestorben,
hat nicht auf Probe geliebt.
Er ist das Ja und sagt das Ja,
ein ganz unwiderrufliches göttliches Ja
zu uns, zur Menschheit, zur Welt.
Dieses Ja kann uns tragen,
kann uns heraus reißen aus Vorläufigkeiten,
Unsicherheiten, Halbheiten, Vergeblichkeiten.
Er will uns begleiten und so befähigen,
selber Ja zu sein,
nicht auf Probe, nicht nur zur Hälfte,
nicht nur “ja aber”.
Mögen wir sein Ja erfahren
in uns, über uns, um uns,
uns mögen andere es erfahren
durch uns. (Klaus Hemmerle)