Die Hauptmelodie der Kirche

Die vollkommene Freude

Predigttext: 1. Johannes 1, 1-4
Kirche / Ort: Lahr-Hugsweier
Datum: 28.12.2003
Kirchenjahr: 1. Sonntag nach dem Christfest
Autor/in: Pfarrer Ulrich Reinecke

Predigttext: 1. Johannes 1, 1-4 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

1 Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unseren Augen, was wir betrachtet haben und unserer Hände betastet haben, vom Wort des Lebens 2 Und das Lebens ist erschienen und wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen euch das Leben, das ewig ist, das beim Vater war und uns erschienen ist, 3 was wir gesehen und gehört haben, das verkündigen wir auch euch, damit auch ihr mit uns Gemeinschaft habt und unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus. 4 Und das schreiben wir, damit unsere Freude vollkommen sei.

Zum 1. Johannes-Brief, Predigttext und homiletische Reflexion

Absicht des Autors: a) Bekämpfung christlicher Irrlehrer (2,18-27; 4, 1-6) b) Festigung im rechten christlichen Glauben angesichts der Häresien, falsche Christologie, der ewige präexistente Gottessohn löst sich vor der Kreuzigung vom irdischen Jesus, Leugung der Inkarnation, daraus folgend: mangelnde Bruderliebe, Abwertung der Gebote Nichternstnehmen der Sünde, keine Sündenvergebung, gnostischer Doketismus, Leugnung, dass das Heil an den historischen Menschen Jesus gebunden ist. Vorwurf: Alles ist individualistisch, selbstbezogen (nach Vielhauer). Entscheidend: Das Leben schlechthin ist in Jesus Christus erschienen, der Gott Israels ist in Jesus, dem Sohn der Maria Mensch geworden. Das ist der Anfang der Kirche, die Häufung der Verben: wir haben gehört, wir haben gesehen usw. ist Zeugnis des Apostel. Diese frohe Nachricht wird verkündet: a) damit die Adressaten des 1. Joh. wahre Gemeinschaft mit den Aposteln, den ersten Zeugen, pflegen und b) dass sie darin vollkommene Freude erleben. Der Gemeinde wird verkündet a) was wir durch den Glauben gemeinsam haben, b) dass wir die Freude im Glauben vielleicht neu entdecken.

Literatur:

Klaus Berger, Christiane Nord, Das Neue Testament und frühchristliche Schriften, 1. Aufl., Frankfurt/M. und Leipzig 1999 Ph. Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur, Berlin 1975 D. Bonhoeffer, Brief von der Freude, in Ges. Schr. Bd. 2, 1965 Peter Bichsel, Das Erzählen, 1982

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Liebe Gemeinde,

wir sind zufrieden, wenn am Heiligen Abend die Kirche voll ist, wenn unser Kirchenchor wunderbar singt, die vielen Kinder vortragen, singen und spielen und wir alle zum Schluss ergriffen singen: „ O du fröhliche…“ Dann empfinden wir Heilig Abend und Weihnachten und sind, wie es im Dorf üblich ist, mit der Familie zusammen.

Heute am ersten Sonntag nach Weihnachten singen und hören wir die frohe Botschaft mit einer etwas kleineren Gottesdienstgemeinde. Aber wir singen, hören und beten für die andern mit, die jetzt zu Hause sind, wir wissen, sie gehören zu uns. Die Kinder, die sind jetzt mit ihren Geschenken beschäftigt. Viele Familien haben auch Besuch.

Wir hier feiern Gottesdienst mit großer Freude. Gott ist Mensch geworden in Jesus, dem Christus für uns. Das ist die Weihnachtsbotschaft für uns und für die ganze Welt zur Freude und zum Heil.

Unser Gott ist keine Idee, kein höheres Wesen, wie manchmal zu hören ist, und auch kein „Herrgott“, wie manche meinen, sondern unser Gott ist für uns Menschen und zu unserem Heil vom Himmel gekommen, wurde als Kind von einer Frau geboren.

Das Menschwerden Gottes ist das große Geheimnis unseres Glaubens. Gott hat sich ganz auf unsere Seite gestellt. Die Apostel haben ihn mit eigenen Augen gesehen und mit ihren Händen betastet: Der, der Mensch geworden, der ist das wahre Leben. Denn er hat uns die Liebe Gottes geschenkt: Vergebung der Sünden. Er hat die Niedrigen und Ausgestoßenen zu sich geholt und in die Mitte der Gemeinde gestellt – zum Zeichen dafür, dass er sich zu allen herabneigt, uns tröstet und uns zu seinen Kindern macht. Wir sind durch ihn Kinder Gottes und darum als Gemeinde miteinander verbunden. Das dürfen wir in der Weihnachtszeit besonders betonen.

Wir sind nicht die vielen einzelnen, wo jeder seinen Glauben hat, sondern der Glaube ist uns gemeinsam geschenkt und macht uns zur Gemeinde. Wir sind durch den Glauben und die Taufe in die Gemeinde hineingestellt worden; wir haben uns nicht selber in die Gemeinde gestellt. So ist es von Anfang an gewesen. Und von Anfang an hieß die Melodie der Kirche: Freude! Freude darüber, was Gott für uns getan hat! Jubel, dass wir Frieden mit Gott haben! Trost, wenn wir unser eigenes Kreuz tragen! Dass wir trotz Schicksale und Tod nicht ohne Hoffnung sind!

Ja, Freude ist die Hauptmelodie der Kirche. In den Weihnachtsliedern haben wir von der Freude gesungen. Aber wir müssen sicherlich neu begreifen, was Freude ist, die von Gott kommt, die vollkommene Freude. Wir bemühen uns in der Gemeinde um vieles. Es ist auch viel zu tun an praktischen Arbeiten. Die Gebäude müssen instandgehalten werden und vieles andere, was nötig ist. Wir dürfen aber die Mitte der Gemeinde nicht vergessen: den Gottesdienst, die Freude, die uns geschenkt ist, wenn es heißt: Gott erbarmt sich unser und vergibt alle unsere Sünde! Sind wir darüber froh? Spüren wir darüber Entlastung? Haben wir dadurch einen neuen Blick für den anderen Menschen neben uns im Gottesdienst, wo wir arbeiten und tätig sind?

Das ist die Quelle der Freude: Der menschgewordene Gott spricht uns frei und gerecht, obwohl wir Sünde tun! Wir sind sündige menschen und doch gerecht gemacht. Das ist vollkommene Freude! Wenn jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei Gott, Jesus Christus, der gerecht ist. Das ist die vollkommene Freude der Christen. Ob wir das neu erfahren? Ob uns das ganz wichtig wird? Ob wir das einmal verstehen, dass es genau darauf ankommt?

Liebe Gemeinde, mir fiel ein kleines Buch in die Hände, nicht einmal hundert Seiten lang. Ich blätterte, und ab Seite dreizehn schien es mir sehr spannend und ich meinte es hätte etwas mit uns und unserem Glauben zu tun, vor allem aber mit der Freude, der vollkommenen Freude, die wir als sichere Christen zu wenig haben und die man uns auch zuwenig abspürt. Das Buch ist von Peter Bichsel einem Schweizer Schriftsteller.

Er schreibt:

Als ich vor vier Jahren auf Bali war, fing ich an mich für den Hinduismus zu interessieren. Ich selbst war in meiner Kindheit fromm pietistisch erzogen, hatte das aber ganz verdrängt. Ich lernte den balinesischen Hinduismus kennen, der sich unabhängig vom indischen Hinduismus zu einer faszinierenden humanen Form entwickelt hatte. Mein balinesischer Lehrer erklärte mir, es sei völlig unwichtig, ob eine Geschichte wirklich geschehen sei, wichtig aber sei, dass sie wahr ist. Ich sagte ihm: Die Christen glauben, dass ihr Gott Jesus Christus auf der Erde war. Mein balinesischer Lehrer überlegte und sagte: Davon habe man ihm schon erzählt und antwortete mir: Ich verstehe nicht, warum das wichtig ist, dass euer Gott auf Erden war, aber mir fällt auf, dass die Europäer nicht fromm sind. Stimmt das?

Peter Bichsel schreibt dann noch: Mein Aufenthalt auf Bali endete mit einer fluchtartig überstürzten Abreise: Ich fürchtete mich davor, Hindu werden zu müssen.

Liebe Gemeinde, um es mit den Worten des balinesischen Lehrer zu sagen: Ja, warum werden wir Europäer nicht fromm? Müssen wir erst wieder neu entdecken, was uns durch Gott geschenkt ist? Müssen wir wieder neu unsere Bibel entdecken? Müssen wir wieder neu lernen, was Frömmigkeit überhaupt ist und wie wir Frömmigkeit gestalten? Muss das, was christliche Frömmigkeit ist, erst einmal neu einen positiven Klang bekommen? Und müssen wir lernen, Frömmigkeit gemeinsam zu gestalten? Muss sie nicht auch neu in den Familien entdeckt werden? Jetzt zu Weihnachten haben wir davon etwas erlebt. In manchen Familien im Dorf wird schon noch gesungen. Aber uns fehlt der gemeinsame Schwung dazu. Lassen sie uns gemeinsam unseren Glauben neu entdecken. Wir haben in diesem Jahr oft zusammen gesessen und über den Glauben gesprochen, es gilt aber, den Glauben neu zu erleben.

Amen

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