„Geboren in Bethlehem – geboren in mir“

Die Kunst, sich in Gott zu verlieben

Predigttext: 1. Johannes 5, 11-13
Kirche / Ort: Hartum b. Minden
Datum: 04.01.2004
Kirchenjahr: 2. Sonntag nach dem Christfest
Autor/in: Pastor Hartmut Frische

Predigttext: 1. Johannes 5,11-13 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

11 Und das ist das Zeugnis, daß uns Gott das ewige Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohn. 12 Wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht. 13 Das habe ich euch geschrieben, damit ihr wißt, daß ihr das ewige Leben habt, die ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes.

Vorbemerkungen

„Übrigens zeigt diese Schrift noch weniger als der Hebräerbrief den Charakter eines Briefes“, schreibt Th. Zahn in seinem Grundriß der Einleitung zum NTD. „Er scheint ein für die ganze Christenheit bestimmter Traktat zu sein“, notiert Werner G. Kümmel darüber hinaus in seiner Einleitung zum Neuen Testament, Heidelberg 1965, 14. Auflage, S. 319. Der Verfasser dieses Briefes bezeichnet sich als Augen- und Ohrenzeuge des Lebens Jesu (1. Joh. 1,1-4; 4,14). Es spricht viel dafür, dass der Verfasser des 1. Johannesbriefes der Verfasser des Johannes-Evangeliums ist und dieser wiederum der Jünger und Apostel Johannes. Etwas anderes meiner Dorfgemeinde in dieser Predigt klar zu machen, halte ich für schwierig und unnötig. Gerade hier in 1. Joh. 5 bedeutet Glaube an Jesus Christus „das sich Stellen unter die geschehene Siegestat Christi“, schreibt E. Gaugler, Die Johannesbriefe, Auslegung neutestamentlicher Schriften, Band 1, Zürich 1964, S. 256. Markant wird in V. 5 formuliert: „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.“ An dem Sohn scheiden sich diejenigen, die das ewige Leben gefunden haben, von denjenigen, die das Leben aus Gott nicht haben (s. V. 12). Dabei wird der Name Jesu Christi in diesem Kapitel pointiert gebraucht (V. 1.5.6.20). Dieser Name ist unauswechselbar. Am 2. Sonntag nach dem Christfest geht es um das Leben im Alltag von der Geburt Christi her. Jesus, der Sohn Gottes, wurde in Bethlehem geboren. Das hat seine Konsequenz für alle, die die Botschaft des Christfestes hören und sich zu Herzen nehmen. In Joh. 1,12 heißt es: „Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht Gottes Kinder zu werden, die an seinen Namen glauben.“ In den Schriften des Johannes gehört der Begriff des „Lebens“ und des „ewigen „Lebens“ zu den wichtigen Wörtern, in denen sich all das verbirgt, was mit der Geburt und dem Kommen Jesu von Gott her in unserer Welt offenbart wurde. Hier in den drei Versen von 1. Joh. 5,11-13 wird der Begriff des „Lebens“ fünfmal verwandt. Er ist somit ein Schlüsselwort in dieser Epistel. Weil Jesus in Bethlehem geboren wurde und weil die Botschaft von Weihnachten nicht nur unser Ohr, sondern auch unser Innerstes erreicht hat und wir tief drinnen verwandelt wurden, deshalb haben wir teil an dem Leben aus Gott. Dies will an diesem ersten Sonntag im neuen Jahr bezeugt sein, sodass noch viele das erfahren.

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Liebe Gemeinde!

Die für diesen ersten Sonntag im neuen Jahr ausgesuchten Verse aus dem 1. Johannesbrief können leicht überlesen werden. Aber sie haben es in sich. Hier wird eine Botschaft artikuliert, ohne die Weihnachten für uns leer bleibt. Hören wir gut hin: „Und das ist das Zeugnis, dass uns Gott das ewige Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohn. Wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den Sohn nicht hat, der hat das Leben nicht. Das habe ich euch geschrieben, damit ihr wisst, dass ihr das ewige Leben habt, die ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes.“

Ich entfalte diese Botschaft in drei Schritten:

1. Das Leben ist unteilbar
2. Geboren in Bethlehem – geboren in mir
3. Die Kunst, sich in Gott zu verlieben

1. Das Leben ist unteilbar

Viele Menschen setzen sich heute für mehr Achtung vor dem Leben ein. Zum Beispiel für mehr Achtung vor dem Leben von Minderheiten hier bei uns oder in anderen Ländern der Erde. Oder für das Leben von Behinderten mitten unter uns. Oder für das Leben von politisch Verfolgten in brutalen Diktaturen. Oder für das Leben der Ungeborenen im Mutterleibe. Oder für das Leben von Tieren. Und das ist gut so. Es könnte noch viel mehr Menschen geben, die sich so auf unterschiedliche Weise für bedrohtes Leben von Menschen und Tieren engagieren.

Aber wem so am Schutz von Leben in seinem ganzen Reichtum liegt, dem muss auch an dem Schutz und an der Entfaltung des inneren Lebens im Verborgenen der Menschen liegen. Das, was innerlich in einem Menschen geschieht, braucht seinen Raum und seine Zeit und bedarf unser aller Beachtung und Förderung. Und ebenso bedarf das Leben aus Gott in uns und unter uns unserer Aufmerksamkeit. Wir können dieses Leben auch „ewiges Leben“, Leben, das aus der Ewigkeit gestiftet ist, nennen. Das Leben ist unteilbar. Ohne die Beziehung zu Gott bleibt Leben auf dieser Erde unvollständig, ohne seine Wurzel und ohne seine Krönung, die ihm zugedacht ist.

Zwar können sich Menschen gegen Gott ihren Schöpfer abschotten. Sie lassen ihn draußen, so wie die Wirtsleute in Bethlehem Maria und Joseph nicht die Tür öffneten. Die Krippenspiele der Kinder an Heiligabend haben es wieder deutlich gemacht. Aber dann fehlt dem Leben etwas. Wer in unserer Welt für die Achtung vor dem Leben kämpft, darf die Achtung vor Gott als dem Ursprung des Lebens nicht draußen vor lassen. Er muss sich auch hier engagieren und hellwach sein.

2. Geboren in Bethlehem – geboren in mir

Paul Gerhardt singt: „Da ich noch nicht geboren war, da bist du mir geboren und hast mich dir zu eigen gar, eh ich dich kannt, erkoren. Eh ich durch deine Hand gemacht, da hast du schon bei dir bedacht, wie du mein wolltest werden.“ (EG 37,2) Von Ewigkeit her hat Gott es geplant, seinen Sohn auf diese Erde zu schicken, und dann hat er seine Verheißungen wahr gemacht. Und von Ewigkeit her hat Gott es geplant, unter uns Menschen zu seinen Kindern zu machen. Seit der Gründung der Gemeinde Jesu Christi ist das tausendfältig geschehen. Und nun dürfen und sollen das Menschen für sich entdecken. Dass Jesus in Bethlehem geboren wurde und dass in seinem Namen das neue Leben aus Gott in uns und unter uns zum Durchbruch kommt, das ist der Sinn von Weihnachten.

Wie das geschieht, kann man nicht voraussehen oder typisieren. Unser Gott hat dabei unendlich viele Mittel und Wege. „Er weiß viel tausend Weisen, zu retten aus dem Tod“, heißt es in einem anderen Lied Paul Gerhardts (EG 302,5).

Vor einigen Jahren saßen wir kurz nach Weihnachten während einer Silvesterfreizeit mit Studenten in einer Gesprächsrunde zusammen. Wir sprachen über einen biblischen Text. Da erzählte eine Studentin von sich, wie bei ihr der Glaube an Gott zum Durchbruch gekommen ist. Sie war katholisch groß geworden, und ihr Vater war ein viel beschäftigter Professor, der wenig Zeit für seine Kinder hatte. Beides hatte dazu geführt, dass ihr Gott im Himmel sehr distanziert und fern vorgekommen sei. Dann aber habe sie in einer Vision – so berichtete sie – Gott als kleines Kind vor sich gesehen. Seitdem sei es ihr möglich, mit Gott, dem Vater Jesu Christi, in einer ganz persönlichen Beziehung zu leben, für ihn und seine Liebe offen zu sein und so zu ihm zu reden, wie ein Kind mit seinem Vater redet.

Als diese Studentin dies von sich preisgab, dachte ich: Diese junge Frau hat verstanden, was Weihnachten ist. Kind Gottes ist sie nicht von Geburt an. Das ist für ein menschliches Geschöpf nicht natürlich. Aber wo sich Gott dieser jungen Frau auf diese ganz persönliche Art und Weise zu erkennen gegeben hatte, da konnte sie als Kind Gottes, als Tochter des Vaters im Himmel leben.

Für den 1. Johannesbrief spielt das Wort „Liebe“ eine besondere Rolle. Das zeigt sich schon an den in diesem Brief verwendeten Anreden. Mehrmals spricht der Apostel Johannes die Glieder seiner Gemeinden mit „Kinder“ und mit „Meine Kindlein“ an und öfter auch mit „Ihr Lieben“. Durch das Kommen Jesu sind alle, die an Gott glauben, zu einer großen Familie geworden. Die Liebe, deren Urgrund Gott selbst ist, verbindet sie. Entweder wir können glauben, dass auch wir Glieder dieser Familie Gottes sind, oder auch wir können es entdecken, dass diese Familie Gottes für uns offen steht. Dann haben wir das Wichtigste in unserem Leben noch vor uns.

3. Die Kunst, sich in Gott zu verlieben

„Weihnachten ist das Fest der Liebe“, sagen viele Menschen. Wenn sie nur begreifen würden, was sie da sagen. In vielen Predigten lautet die Kernbotschaft: „Gott liebt diese Welt.“ Zur Liebe gehört die Wechselseitigkeit. Die Liebe des einen zu dem anderen will von dem anderen beantwortet werden. Ohne diese Liebe des anderen verlöscht eines Tages die Liebe des ersten. Genauso will die Liebe Gottes zu uns Menschen von unserer Liebe zu Gott beantwortet werden. Ganz freiwillig, mit Lust und Hingabe, auf meine ureigene Art und Weise darf und soll ich, dürfen und sollen Sie Gott lieben.

Dabei gilt das Verliebtsein als die kleine Schwester, als die Initialzündung der Liebe. Johannes Bours spricht in seinem Buch „Der Mensch wird des Weges geführt, den er wählt – geistliches Lesebuch“ (Freiburg – Basel – Wien, 1986) von der „Kunst, sich in Gott zu verlieben“. Liebe zwischen Gott und Mensch ist ein wunderbares Geschehen. Von daher zu leben, dass Gott aus Liebe zu uns Menschen ein Kind auf dieser Erde wurde, ist etwas ganz Besonderes, über das man sich nur verwundern kann. Aus tiefstem Herzen heraus, mit allen Regungen in mir und mit allen Gaben, die Gott in mir angelegt hat, darf ich meine Antwort bilden und gestalten. So bekommt unser menschliches Leben seine Mitte und sein Feuer.

Wenn sich junge Menschen ineinander verlieben, bricht oft ein Frühling in ihrem Leben aus. Eine neue Antriebskraft bricht in ihrem Leben auf mit einer schönen und intensiven Schubkraft. Über einige Jahre hinweg lebte ich mit einem kernigen Christenmenschen in Lüdenscheid zusammen in einer Gemeinde. Er war eins der Sauerländer Originale, dessen Zeugnis für Gott immer lebendig war. Er erzählte mir: „Als ich mich zu Gott bekehrte, musste ich mich auf mein Fahrrad schwingen und erst mal eine Rundfahrt durchs Sauerland machen. So freute ich mich.“ In diesem Satz des inzwischen älteren Mannes, der auf den Anfang seines Christseins zurück blickte, spürt man noch etwas von der explosiven Kraft, die in einem Menschen aufbricht, der in Gott verliebt ist.

Natürlich darf es nicht bei dieser Initialzündung bleiben. In Gott verliebt zu sein und dann aus der Liebe zu Gott heraus zu leben, das will sich entfalten und das will gestaltet sein. Es gibt auch hier viele tausend Weisen, seine Liebe zu Gott zu leben. Man müsste weit älteren und ein wenig älteren Menschen zuhören, wie das bei ihnen gewesen ist, und dann von ihnen lernen. Man könnte Biographien lesen von Menschen, die echte Vorbilder sind. Und man müsste in sich hineinhorchen und aus guten und negativen Erfahrungen lernen. Dann findet das eigene Leben seine Spur, Gott wieder zu lieben. Genau dies will das Weihnachtsfest unter uns auslösen.

Amen.

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