„Und, bist Du nur da und atmest oder hast Du das Leben?“
Predigttext: 1. Johannes 5,11-13 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
11 Und das ist das Zeugnis, dass uns Gott das ewige Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohn. 12 Wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht. 13 Das habe ich euch geschrieben, damit ihr wisst, dass ihr das ewige Leben habt, die ihr glaubt an den Namen des Sohnes GottesDas Kratzen einer Feder auf Pergament ist zu hören. Schnell, exakt und direkt. Jeder Strich, der seinen Weg auf das Pergament findet, ist vorher wohl überlegt und gut bedacht. Nichts geschieht hier aus purem Zufall oder aus Versehen. Gewissheit und Klarheit sind am Werk. Doch Klarheit braucht Zeit! Das weiß der Mann, der mit seinen Aufzeichnungen innehält. In die Stille sagt er: „Ich muss das deutlicher und klarer aufschreiben. Ansonsten wird das keiner verstehen und es verfehlt sein Ziel“.
Der, der das gerade gesagt hat, steht von seinem Stuhl am Tisch auf und geht seinen Weg durch das Zimmer. Die Arbeit am Schreibtisch, seine Denkarbeit, seine Gedanken, haben sich in Bewegung umgesetzt und werden so zum Gedankengang durchs Zimmer. So geht er also, und überlegt, formuliert, verwirft, erinnert sich und denkt:
“Ich schreibe, weil ich Jesus erlebt habe, weil ich von seiner Botschaft, seinem Leben, berichten muss. Ich kann nicht anders, denn die gute Botschaft muss doch bleiben und weitergetragen werden. Sie muss und sie wird sich durchsetzen gegen all die Irrlehren. Diese Schwärmer, sie haben doch nichts, rein gar nichts verstanden, als sie noch zu uns gehörten. Jetzt, da sie sich von unserer Gemeinschaft getrennt haben, wollen sie die Wahrheit verkünden! Ihre Wahrheiten, die nichts als Fantastereien sind. Die Wahrheit ist allein bei Gott, in Jesus. An mir liegt es, die Gemeinschaft zu warnen und zu schützen. Sie laufen Gefahr, sich von diesen Irrlehren beeinflussen zu lassen, weil ihnen einfache Antworten in einem schweren und unverständlichen Leben vorgegaukelt werden. Dabei haben sie doch das Wichtigste schon! Das ist aber schwer zu fassen! Es braucht einen Erweis.“
Mit ernstem Gesicht setzt er seinen Weg fort und grübelt, was er selber durch und mit Jesus erlebt hat, was er jetzt erlebt und auch darüber, was einmal werden wir. Mitten im Laufen und Grübeln, hellt sich sein Gesicht auf, er lächelt:
„Kinder“ denkt er „liebe Kinder, es ist doch die Liebe Gottes, die uns zusammenführt und hält. Gegen alle Angriffe, von denen, die nicht verstehen, dass allein in Jesus ein Zusammenleben und Leben möglich ist. Jesus ist doch nicht umsonst als Mensch auf die Welt gekommen. Ich hab’s doch erlebt, wie Jesus unter uns Menschen wirkte. Erst durch ihn merkten wir, dass es auf ganz andere Sachen ankam, als wir anfangs dachten. Was nutzt denn Geld, wenn es an Liebe fehlt. Was ist dein Leben, wenn du keinen weißt, der dir deine Fehler vergibt, und du sie wie ein Stein mit dir rumschleppst. Jesus ging es nicht darum, dass einer größer ist als der andere, sondern dass wir alle gleich viel sind. Durch ihn wurde uns Gott verständlicher, weil doch im Umgang mit diesem Menschenkind Jesus für uns klar wurde, dass unser Zusammenleben von Gottes Liebe gekennzeichnet ist. Durch seine Liebe entzündete sich in unserem Herzen seine Idee, Bruderliebe nämlich! Aufeinander achten, vorsichtig miteinander umgehen, aufeinander hören, auch kritisieren, aber nicht verletzen. Und vor allem, an einem Strang ziehen, wie eben jeder kann.
Tja, er entzündete durch seine Liebe in uns, sein Leben!“
Er schüttelt den Kopf, atmet laut durch die Nase und setzt seinen Gang fort.
„Leben“ denkt er weiter „sie wissen zwar alle, dass ihnen ihr Leben durch Gott geschenkt ist, aber sie scheinen vergessen zu haben, was Gottgeschenktes Leben ist. Es ist doch kein einmaliges Handeln von Gott, und dann meldet er sich nicht wieder. Leben, das ist doch nicht einfach nur Dasein und Atmen.
Jesus lebte als Mensch unter uns und zeigte, was Leben ist: Gott nämlich, mit jeder Sekunde, mit jedem Atemzug, mit jeder Handlung, verkünden. Nicht mit Worten allein und weil es unsere Pflicht ist. Nein, weil er und wir nicht anders können. Gott selbst ist unter uns, ist in uns. Das hat doch Folgen. Gott hat eben nicht einmalig unser Leben in Gang gesetzt. Er ist Leben. Und das ist das ewige Leben! Ewig nahe bei Gott, denn hier auf der Erde ist er doch in unserem Herzen, verändert unseren Umgang miteinander und wurde merkbar. Und wenn wir nicht mehr auf dieser Erde sind, dann werden wir noch näher an seinem Herzen sein. Eben Ewig nahe!
Wenn Sie doch endlich davon überzeugt währen – Er hat den Erweis, ein Zeugnis seines Handelns und seiner Liebe, längst gebracht. Aber wie sag ich’s ihnen richtig?“
Er läuft durch das Zimmer und seine Augen sprühen Funken, als er sich an seinen Schreibtisch setzt und die Feder wieder zu kratzen beginnt. Schnell, exakt und direkt.
Und das ist das Zeugnis, dass uns Gott das ewige Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohn.
„Genau“ denkt er „genau so und nicht anders!“ Und dann setzt er noch dazu:
Wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht.
Das Kratzen der Feder ist zu hören, und der Mann schreibt, mit heißen Händen und sprühenden Augen. Später, z. B. am 4.Januar 2004, wird man diese Worte, die er da geschrieben hat, neu bedenken – als die Wort aus dem ersten Johannesbrief.
Liebe Schwestern und Brüder, ob die eben beschriebenen “Gedankengänge“ die wirklichen des Verfassers waren, möchte ich nicht behaupten. Aber wissen Sie, dieser Brief atmet eine Kraft und eine Stärke, gegen die man sich schwerlich wehren kann. Als hätte er es darauf angelegt, keinen Widerspruch und Fragen aufkommen zu lassen, verkündet er die Wahrheit, die er bei Gott findet. Ganz einfache Worte nutzt der dazu, um die größten Dinge der Welt so zu sagen, dass es einem den Atem nehmen kann – und die Phantasie ankurbelt.
Wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht.
Ja, das Leben! Pause! Dass dieser Text am Anfang des Jahres steht, scheint mir ja sehr passend zu sein. Wir befinden uns noch in der glücklichen Zeit, in der es etwas langsamer zugeht. Der Alltag hat noch nicht zugeschlagen, und die guten Überlegungen fürs Jahr sind noch nicht ganz vergessen. Ab nächstem Jahr (…), haben viele gedacht und dabei auf ihr bisheriges Leben zurück geschaut. Tja, was ist ab diesem Jahr, mit unserem Leben? Was wird sein? Was werden wir haben? Und in einer Zeit, in der Fragen wie diese Platz haben, steht dieser Text, der Grundlegendes zum Leben sagt und damit mein persönliches Leben in Frage stellt. Denn immer noch sitzt, in meinen Gedanken, Johannes, schreibend am Tisch. Und als er kurz mit dem Schreiben innehält, schaut er auf, und ich sehe seine sprühenden Augen und höre wie er mich fragt: “Und, bist Du nur da und atmest, oder hast Du das Leben? Hast Du den Sohn?“ So fragt Johannes – wie lässt sich darauf antworten?
Lasst uns beten mit Worten aus dem
139. Psalm:
Gott, du erforschest mich und kennest mich.
Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es;
Du verstehst meine Gedanken von ferne.
Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz;
prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine.
Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin,
und leite mich auf ewigen Wegen.
Amen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen in Christus Jesus.
Amen.