Glaube und Anfechtung – Oder: Wie sich Christen im Leiden um Christi willen verhalten sollen
Eine Predigt von Martin Luther zum 2. Sonntag nach dem Christfest mit einem Kommentar von Heinz Janssen
Predigttext: 1. Petrus 4,12-19
12 Ihr Lieben, laßt euch durch die Hitze nicht befremden, die euch widerfährt zu eurer Versuchung, als widerführe euch etwas Seltsames, 13 sondern freut euch, daß ihr mit Christus leidet, damit ihr auch zur Zeit der Offenbarung seiner Herrlichkeit Freude und Wonne haben mögt. 14 Selig seid ihr, wenn ihr geschmäht werdet um des Namens Christi willen, denn der Geist, der ein Geist der Herrlichkeit und Gottes ist, ruht auf euch. 15 Niemand aber unter euch leide als ein Mörder oder Dieb oder Übeltäter oder als einer, der in ein fremdes Amt greift. 16 Leidet er aber als ein Christ, so schäme er sich nicht, sondern ehre Gott mit diesem Namen. 17 Denn die Zeit ist da, daß das Gericht anfängt an dem Hause Gottes. Wenn aber zuerst an uns, was wird es für ein Ende nehmen mit denen, die dem Evangelium Gottes nicht glauben? 18 Und wenn der Gerechte kaum gerettet wird, wo wird dann der Gottlose und Sünder bleiben? 19 Darum sollen auch die, die nach Gottes Willen leiden, ihm ihre Seelen anbefehlen als dem treuen Schöpfer und Gutes tun. (Predigt aus: Luther Deutsch. Die Predigten, Bd. 8, hg. v. K. Aland, 2. Aufl., Göttingen 1965, S. 67-70.- Überschrift und Zwischenüberschriften von Heinz Janssen, redaktion@predigtforum.de)Glaube und Anfechtung angesichts des Evangeliums vom Wort des Lebens
Wenn der Glaube anfängt, so unterlässt es Gott nicht, er schickt uns das heilige Kreuz zu, dass es uns stärke und den Glauben in uns kräftig mache. Das heilige Evangelium ist ein kräftig Wort. Deshalb kann es nicht zur Wirkung kommen ohne Anfechtung, und niemand wird es gewahr, daß es eine solche Kraft hat, als wer es schmeckt. Wo Leiden und Kreuz ist, da kann es seine Kraft beweisen und üben. Es ist ein Wort des Lebens, darum muß es alle seine Kraft im Sterben üben. Wenn nicht Sterben und Tod da ist, so kann es nichts tun und kann niemand gewahr werden, daß es solche Kraft hat und stärker ist als Sünde und Tod. Darum sagt er: „dass ihr versucht werdet“, das ist: Gott verhängt keine Glut oder Hitze (das ist Kreuz und Leiden) über euch als deshalb, damit ihr versucht werdet, ob ihr auch an seinem Wort hänget.
Christen sind in ihrem Leiden mit Christus verbunden, der selbst gelitten hat
Der Brief redet nicht davon, daß wir das Leiden Christi fühlen sollen, damit wir sein durch den Glauben teilhaftig werden, sondern so will er sagen: Christus hat gelitten, also wisset, daß ihr auch leidet und versucht werdet. Wenn ihr so leidet, so habt ihr mit dem Herrn Christus Gemeinschaft. Denn wollen wir mit ihm leben, so müssen wir auch mit ihm sterben. Will ich mit ihm im Reich sitzen, so muß ich auch mit ihm leiden, wie auch Paulus oft saget (Röm. 6,5; 2. Tim. 2,11).
Die zukünftige Freude beginnt im Leiden auf Erden
Wenn ihr in die Marter kommt, so sollt ihr fröhlich sein. Denn ob es wohl ein leibliches Leiden ist, soll es doch eine geistliche Freude sein, auf daß ihr euch ewig freuen möget. Denn die Freude hebt hier im Leiden an und währet ewig. Wer das Leiden nicht fröhlich trägt und verzagt wird und mit Gott zürnen will, der wird sonst beides, ewige Marter und Leiden haben, hier und dort.
Trostbedürfnis gegenüber Namenschristen, die Christus mit der Tat verfolgen
„Christus“ ist vor der Welt ein hässlicher Name. Wenn man von ihm predigt, muß man es leiden, daß die Besten auf Erden seinen Namen lästern und schmähen. Aber das ist zu unseren Zeiten gefährlicher und größer: daß die, welche uns verfolgen, auch den Namen Christi führen. Sie sagen, sie seien Christen und getauft, verleugnen und verfolgen aber doch Christus mit der Tat. Darum bedürfen wir des Trostes jetzt wohl, daß wir stehen bleiben und fröhlich seien, ob uns gleich die allerweisesten und frömmsten Leute verfolgen. Warum das?
Der Trost Gottes kommt am Jüngsten Tag zur Geltung, aber sein Geist ruht jetzt schon durch den Namen Christi auf den Christen
Ihr, sagt er, habt bei euch einen Geist, der ein Geist Gottes und der Herrlichkeit ist, das heißt ein solcher Geist, der uns herrlich macht. Aber das tut er hier auf Erden nicht, wenn die Herrlichkeit Christi am Jüngsten Tage offenbar werden wird. Dieser Geist, sagt er, ruhet auf euch, deshalb weil der Namen Christi auf euch ruhet. Dieser wird von ihnen verlästert, denn er muß leiden, daß man ihn aufs höchste lästert und schmähet.
Wie sich Christen im Leiden verhalten sollen – Die Lästerung, die Christen erleiden, betrifft in Wahrheit den Geist Gottes
Darum kümmert euch um die Lästerung nicht, sie betrifft den Geist, der ein Geist der Herrlichkeit ist: sorget ihr nicht, er wird es wohl rächen. Das ist der Trost, den wir Christen haben, daß wir sagen können: das Wort ist ja nicht mein, der Glaube ist nicht mein, es sind alles Gottes Werke; wer mich verschmähet, der verschmähet Gott, wie Christus Matth. 10.40 sagt: „Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf“ und Luk. 10,16: „Wer euch verachtet, der verachtet mich“.
Welche Leiden sind gemeint?
Nun setzt er eine Warnung dazu: „Niemand aber unter euch leide als ein Mörder oder Dieb oder Übeltäter“ usw. Das will er sagen: ihr habt gehört, wie ihr leiden und euch darin verhakten sollt. Aber sehet zu, daß es nicht deshalb geschehe, weil ihr es wegen eurer Übeltat verdient habt, sondern um Christi willen. Aber jetzt geht es mit uns nicht so zu. Denn wir müssen leiden ohne Rücksicht darauf, daß jene, die uns verfolgen, auch den Namen Christi haben. Niemand stirbt (angeblich) deshalb, weil er ein Christ sei, sondern (wie sie behaupten) als ein Feind Christi, und die ihn verfolgen, sagen, sie seien rechtschaffene Christen, und sagen gleichzeitig, daß der selig sei, der um Christi willen stirbt. Da kann allein der Geist Gottes die Unterscheidung machen. Das musst du wissen, daß du vor Gott ein Christ seist. Da ergehet Gottes Gericht heimlich. Er hat es jetzt umgekehrt: er will nicht mehr allein nach der Zugehörigkeit zum Christentum richten wie zu jener Zeit, da das Christentum anfing.
Sich des Leidens um Christi willen nicht schämen, sondern Gott im Leiden preisen
Nun sagt Petrus: Wenn ihr so leidet, so sollt ihr euch nicht schämen, sondern Gott preisen. Da erhebt er das Leiden und die Marter hoch, daß sie groß seien, damit wir Gott dafür preisen sollen, auch dann, wenn wir es nicht wert sind. Ich muß wohl an das Kreuz Christi glauben, aber ich muß selber mein eigenes Kreuz tragen. Sein Leiden muß ich ins Herz fassen, so habe ich den rechten Schatz.
Das Gericht Gottes fängt bei seiner Gemeinde an, wie schon einige Propheten bezeugen
Am Schluß des Textes rührt er mehrere Prophetensprüche auf einmal an: Jer. 25,29: „Denn siehe, bei der Stadt, die nach meinem Namen genannt ist, fange ich an mit dem Unheil, und ihr sollt ungestraft bleiben?“ und Hes. 9,6: da sah er etliche geharnischte Männer mit ihren Waffen, die sollten jedermann totschlagen, zu denen sprach Gott: „Fanget aber an bei meinem Heiligtum“. Das meint hier Petrus. Darum sagt er: die Zeit ist da, von der die Propheten gesagt haben, daß das Gericht bei uns anfangen müsse. Wenn das Evangelium gepredigt wird, hebt Gott an und straft die Sünde, daß er töte und lebendig mache. Die Frommen schlägt er väterlich. Was will aber mit denen werden, die nicht glauben? Als wollte er sagen: gehet (er, Ergänzung H. Ja. redaktion@predigtforum.de) mit solchem Ernst mit seinen lieben Kindern um, so könnt ihr euch ausrechnen, was über die für eine Strafe ergehen wird, die nicht glauben. Wer gerecht ist, wer da glaubt, der hat dennoch Mühe im Glauben genug, daß er hindurchkomme und selig werde. Denn er muß durch die Glut (durch Verfolgung und Kreuz) hindurchgehen. Wo will dann der bleiben, der nicht glaubt?
Gott im Leiden die Seele befehlen
Welchen Gott ein Leiden zufügt, das sie sich nicht selber gesucht und erwählt haben, die sollen ihm ihre Seele befehlen. Die tun recht, bleiben in den guten Werken, treten nicht ab um des Leidens willen, sondern befehlen sich ihrem Schöpfer, der da getreu ist. Das ist uns ein großer Trost. Gott hat deine Seele geschaffen ohne deine Sorgen und Zutun, deshalb kann er sie auch erhalten. Deshalb vertraue sie ihm; doch so, daß es unter guten Werken geschehe. Nicht daß du denkst: Ei, ich will dahinsterben, ohne etwas zu tun. Du musst sehen, daß du ein guter Christ seiest und mit Werken deinen Glauben beweisest. Wenn du aber so roh dahinfährest, wirst du wohl sehen, wie es dir gehen wird, Amen.
(Aus: Luther Deutsch. Die Predigten, Bd. 8, hg. v. K. Aland, 2. Aufl., Göttingen 1965, S. 67-70.- Überschrift und Zwischenüberschriften von Heinz Janssen, redaktion@predigtforum.de)
Nachgedacht – Zur Predigt von Martin Luther über 1. Petrus 4,12-19 zum 2. Sonntag nach dem Christfest. Ein Kommentar von Heinz Janssen, redaktion@predigtforum.de
An dieser Predigt lässt sich die theologia crucis des Reformators studieren. Glaube und Anfechtung ist das Hauptthema, verbunden mit der existenziellen Frage, wie sich ein Christ im Leiden verhalten soll und Trost bei Gott finden kann. Das Evangelium, so betont Martin Luther, entfaltet als „Wort des Lebens“ seine volle Kraft im „Leiden und Kreuz“ – im Sterben und Tod kann es wirken, sonst ist seine Stärke nicht wahrnehmbar. Es ist Gott, der in Kreuz und Leiden die Menschen prüft („versucht“), ob sie sich „an sein Wort hängen“.
Im Leiden um Christi willen (nicht in Leiden, die Christen aufgrund von Übeltaten treffen) haben Christen Gemeinschaft mit Christus, ihrem Herrn. In ihm ist Freude trotz allen Leides. Als sehr gefährlich benennt Martin Luther das Leid, das Christen durch Christen zugefügt wird, die den Namen Christi tragen, aber Christus „mit der Tat“ verfolgen. Dies macht die (wahren) Christen trostbedürftig.
Die Anfechtung der Glaubenden ist dadurch bedingt, dass der Trost Gottes erst „am Jüngsten Tage offenbar werden wird“, doch ruht jetzt schon der Geist Gottes auf den Christen, weil sie den Namen Christi tragen. Angesicht der Ambivalenz des Leidens stellt Martin Luther die Glaubenden vor die Gewissensfrage und damit vor die gewissenhafte Selbstprüfung: „Das mußt du wissen, daß du vor Gott ein Christ seiest“.
Den Glauben an das Kreuz Christi sieht der Prediger in enger Verbindung mit dem Tragen des eigenen Kreuzes. Ein Merksatz zur Meditation in der praxis pietatis et vitae: „Sein Leiden muß ich ins Herz fassen, so habe ich den rechten Schatz.“
Am Schluss der Predigt befasst sich Martin Luther mit der schwierigen im Petrusbrief mit Bezug auf Prophetenworte genannten Frage, warum das Gericht Gottes bei seiner Stadt, seinem Heiligtum, seiner eigenen Gemeinde beginnt: „Wenn das Evangelium gepredigt wird, hebt Gott an und straft die Sünde, daß er töte und lebendig mache. Die Frommen schlägt er väterlich. Was will aber mit denen werden, die nicht glauben?“ Dem Gerechten und Glaubenden bleibt das Hindurchgehen durch die „Glut“ nicht erspart – „Wo will dann der bleiben, der nicht glaubt“. Hier höre ich zwischen den Zeilen die Worte des Apostels Paulus: „Schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern“ (Phil 2,12).
Die Predigt mündet in einen Trostzuspruch für alle, die das Leiden, das über sie kam, „nicht selber gesucht und erwählt haben“ – sie sollen Gott „ihre Seele befehlen“, dem Schöpfer, der treu ist, der die Seele geschaffen hat und sie auch erhalten wird. Martin Luther ruft sie auf, „in den guten Werken“ zu „bleiben“, das verstehe ich so: sich nicht aus dem Leben zurückzuziehen („Ei, ich will dahinsterben, ohne etwas zu tun“), sondern sich im Vertrauen auf Gott und im Namen Jesu Christi dem Leben mit all seinen Gaben und Aufgaben zuzuwenden.