Gottessohn – Menschenbruder – Gotteskinder

Meditation über den Wochenspruch

Predigttext: Römer 8, 14
Kirche / Ort: Johanneskirche / Heidelberg
Datum: 11.01.2004
Kirchenjahr: 1. Sonntag nach Epiphanias
Autor/in: Pfarrer Dr. Klaus Müller

Wochenspruch: Römer 8,14 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

„Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.“

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Liebe Gemeinde!

Die Sonntage nach dem Epiphaniasfest fragen nach dem geistlichen Gewinn, den wir aus der Erscheinung Christi ziehen.

Die Antwort heute, ganz elementar und einfach: Kindschaft! Die Gotteskindschaft ist der erste überragende Gewinn, der uns aus der Epiphanie des Christus zuströmt. Die Logik ist einfach: Wenn der Gottessohn zum Menschenbruder wird, dann sind damit die Menschenbrüder und -schwestern zu Gotteskindern erhoben. Gottessohn – Menschenbruder – Gotteskinder. Das ist die heilsame Logik an Epiphanias. Der Sonntag danach lässt uns dies bedenken.

Lassen wir also heute einmal die meistens doch problematische Frage zu: „Was ha-ben wir davon?“ Das haben wir davon, dass wir Kinder Gottes heißen und es auch sind. Was haben wir an Gott, wie er uns in der Bibel verkündigt wird? Der Apostel ruft den Christinnen und Christen in Rom zu: „Ihr seid Gotteskinder.“ „Und der Geist, den Gott euch gegeben hat, ist nicht ein Sklavengeist, so dass ihr wie früher in Angst leben müsstet. Es ist der Geist, den ihr als seine Söhne und Töchter, als seine Kinder, habt.“

Von diesem Geist erfüllt rufen wir zu Gott: „Abba!“ – „Abba“ ist ein Wort aus der aramäischen Muttersprache Jesu. Eines der ganz wenigen Worte, die aus der Muttersprache Jesu sich bis in die deutsche Bibelübersetzung hinein erhalten haben – dann muss es wichtig genug sein. Abba, lieber Vater. Mit diesem Ausdruck der Nähe und des Vertrauens hebt jenes Gebet an, das Jesus lehrte und das als das „Vater unser“ das Beten der weltweiten Kirche zusammenfasst.

In diesem Geiste sollten wir immer wieder unsere Vorstellungen von Gott prüfen. Was wir von Gott sagen und bekennen, kreist entscheidend um dieses: Er ist unser Vater – wir seine Kinder. Geist der Kindschaft. Wenn es darum geht, dann braucht man also keinen theologisch geschulten Geist, um dahinter zu kommen, dann braucht man den Geist, wie Kinder ihn haben. Ja, dann braucht man die Art, wie Kinder sie haben, wenn sie sprechen und beten, um das Grundwichtige hier zu ver-stehen.

„Geist, wie Kinder ihn haben“. Mir stockte immer wieder der Atem, wenn sich mein kleiner Sohn Jonathan so mit 4 oder 5 Jahren oben an die Treppe im Pfarrhaus stellte und sich dann – wenn ich davor stand – aus fünf, sechs Stufen Höhe mir voll in die Arme fallen ließ. „Papaaaa!!“ Es blieb mir überhaupt nichts anderes übrig, als meine Arme auszubreiten und ihn mit letzter Kraftanstrengung aufzufangen. „Ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, daß ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater!“

Liebe Gemeinde, ich möchte euch heute zurufen: Habt Mut vor Gott Kind zu sein! Vor den Menschen, da sollen wir Schwestern und Brüder sein – vor Gott aber Kind. Habt wieder Mut, ganz persönlich und naiv von Gott zu reden. Sagt nicht: „Das ist doch kindisch!“ Es ist nicht kindisch, es ist in guter Weise kindlich, es ist genau die Art, die Jesus hatte und die Paulus meint: du musst dich nicht von all dem, was in unserer Welt Furcht einflößt und einen herunterzieht, kaputtmachen lassen. Du kannst wissen, da ist einer, der hält für dich die Arme auf, der kennt dich, und der ist bei dir. Und Beten, so verstanden heißt: Ich darf wie ein Kind seine offenen Arme in Anspruch nehmen, meinen vergangenen Tag, meinen kommenden Tag in seine Hände legen und seinen Armen, die mich halten, vertrauen: dass nicht all die bösen Geister der Furcht und der Knechtschaft mich bestimmen, sondern sein guter Geist, der kindliche Geist, der mich Abba sagen lässt, lieber Vater, Vater unser.

Es gehört zu den tiefen Weisheiten im Aufbau unseres Kirchenjahres, dass dem hohen Fest der Erscheinung des Herrn an Epiphanias am Sonntag darauf das Evangelium von der Taufe Jesu folgt. Was der Geist Gottes an schöpferischer Kraft in sich birgt, fließt bei der heiligen Taufe über auf den Menschen. Die Taufe gibt Brief und Siegel darauf, dass gilt, was der Gottesgeist verheißt: „Du bist mein liebes Kind; an dir habe ich Wohlgefallen (Matthäus 3,17).“ Was zuerst ihm, dem Gottessohne, zugesagt wird unter den Zeichen der Gottesgegenwart, gilt jedem und jeder einzelnen von uns seit der Taufe, die Christus uns zum Bruder werden lässt. Mit dem Taufsonntag kommt die Logik von Epiphanias zu ihrem Ziel: Wo sich der Gottessohn zum Menschenbruder macht, werden die Menschenbrüder und –schwestern zu Gotteskindern.

Amen.

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