Kirche bleibt im Rennen
Lauf ums Leben
Predigttext: 1.Kor. 9, 24-27 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
24 Wisst ihr nicht, dass die, die in der Kampfbahn laufen, die laufen alle, aber einer empfängt den Siegespreis? Lauft so, dass ihr ihn erlangt. 25 Jeder aber, der kämpft, enthält sich aller Dinge; jene nun, damit sie einen vergänglichen Kranz empfangen, wir aber einen unvergänglichen. 26 Ich aber laufe nicht wie aufs Ungewisse; ich kämpfe mit der Faust, nicht wie einer, der in die Luft schlägt, 27 sondern ich bezwinge meinen Leib und zähme ihn, damit ich nicht andern predige und selbst verwerflich werde.Homiletisch-exegetische Überlegungen
Von der Freiheit eines Christenmenschen: Darum geht es in diesem Abschnitt 1. Kor. 9,24-27. Gibt es in dieser Freiheit Grenzen oder ist alles erlaubt? Paulus sieht Probleme in der Gemeinde Korinth. Zerrissenheit droht: durch unterschiedliches Selbstverständnis der Gemeindeglieder, durch Parteibildungen und auch durch Infragestellen des Apostelamtes des Paulus. Die einen verstehen nicht, dass Paulus auf sein selbstverständliches Recht auf Unterhalt durch die Gemeinde verzichtet, andere meinen, tiefere, wenn nicht vollkommenere geistliche Erkenntnis zu haben als die übrigen, wieder andere berufen sich auf andere Prediger, die ihnen geistlich näher stehen. In den Folgen daraus sieht Paulus eine Bedrohung für das Heil „seiner“ Gemeinde. Und um dies Heil ringt er. (Tun wir das eigentlich auch mit unseren Predigten? Ringen um das Heil unserer Gemeinden?) Wie weit kann die Freiheit des Christenmenschen gehen? Eindeutig sagt Paulus: Freiheit ist nicht egoistische Zügellosigkeit. Freiheit hat ihren Rahmen in der Orientierung am Lebensziel. Wer das Ziel seines Lebens-Laufs erreichen will, hat auch die Freiheit zum Verzicht, der ihn ja nicht einschränkt, sondern ihm den Weg zum Lebensziel hin öffnet. Das Bild vom Lauf, das Paulus zur Veranschaulichung benutzt, ist in der damaligen philosophischen Literatur verbreitet. Die Korinther, die auf ihre den Olympischen Spielen vergleichbaren Isthmischen Spiele stolz sind, sind von diesem Bild sofort angesprochen. In der späteren Auslegung hat es allerdings auch immer wieder zu Fragen und Missdeutungen geführt: 1. Nur einer erringt den Preis. Erreichen also nicht alle das Ziel? Stehen Christen in Konkurrenz zueinander? Für Paulus ist wichtig, dass alle so intensiv „lebens-laufen“, dass sie das Ziel erringen. Nicht das Ausstechen der anderen ist entscheidend, sondern der bedingungslose Einsatz. 2. Oft diente den Auslegern V. 25 als moralische Forderung. Genuss wurde als Widerspruch zum Leben im Glauben angesehen; Alkohol, Tanzen oder Sex waren verpönt. Aber die Enthaltsamkeit ist für Paulus nicht Selbstzweck als Moralgrundsatz. Verzicht dient dem Lauf zum Ziel hin und trägt damit Früchte zur Freiheit. Entsagung ist nicht Gesetz, sondern hat Perspektive: den Siegeskranz, das ewige Leben. 3. Der Kranz des Lebens, häufiges Bild in der hellenistisch-jüdischen Literatur, steht für das ewige Leben. Darin ist er unvergänglich. Aber muss ich mir diesen Kranz erst verdienen? Bekommt nur, wer angestrengt läuft, den Siegeskranz? Ewiges Leben also als Lohn für frommes Leben? Nein, sagt Paulus. Aber wer das Ziel (im Auge) hat, der kann entsprechend leben: „haben, als hätte ich nicht“. Glaube bleibt also in Bewegung, und die Gewissheit der Rechtfertigung führt Christen zur fröhlichen Heiligung. Das Ziel allerdings rechtfertigt totalen Einsatz. Ab V. 26 bezieht Paulus das, was er oben allgemein gültig gesagt hat, auf sich selbst. Auch er selbst kämpft um den Sieg, kämpft gegen sich selbst, gegen alle Versuchungen, die ihn den Preis des Lebens aus den Augen verlieren lassen wollen. Darin will er Vorbild sein, das ist sein Bekenntnis. So ist er Apostel – gerade in der zielgerichteten Freiheit. Der Sonntag Septuagesimae ist ein Sonntag an der Wende: Bislang galt die (weihnachtliche) Epiphaniaszeit, die Verkündigung des Lichtes, in dem wir stehen. Jetzt geht es auf den Weg, ans Laufen: die Vorpassionszeit beginnt, bringt uns in Bewegung im Nachdenken über das Leben, über das Leiden Christi und seine Ursachen. Wo für die Narren die „5. Jahreszeit“ beginnt und noch mal richtig (zügellose, manchmal exzessive) Freiheit genossen wird, bevor es „carne vale“ heißt, da weist Paulus hin auf die Freiheit, die um des Ziels willen Grenzen kennt. Solche Predigt wird nicht unbedingt Freunde finden. Aber zugleich scheint über dem Laufen auch schon das Licht von Ostern. Es ist also da, das Licht; und doch gilt es zu laufen: nicht um es zu verdienen, sondern weil Gott es schon auf unser Leben gelegt hat.Lied:
EG 373 (bes. V. 6) Jesu, hilf siegenDie Kirche ist im Rennen, liebe Gemeinde. Sie ist also noch nicht ausgeschieden aus dem Bewusstsein der Allgemeinheit. Immerhin werden wir gleich in diesem Gottesdienst vier Menschen in die Kirche aufnehmen. Menschen, die sich danach nicht genüsslich zurücklehnen und sagen können: „Jetzt gehör ich zur Kirche. Damit hab ich den lieben Gott sicher“. Im Gegenteil: Wenn sie nun zur Kirche gehören, dann stehen sie mit uns anderen im Stadion des Glaubens, werden ihren Lebenslauf wiederaufnehmen müssen, den Lauf zum Ziel des Lebens. Denn Kirche ist im Rennen, ist in Bewegung. Sie möchte doch gern das Ziel erreichen: das Leben aus Gott und in der Gemeinschaft mit ihm. Und ans Ziel kommt nur, wer läuft.
„Wisst ihr nicht, dass die, die in der Kampfbahn laufen, die laufen alle, aber einer empfängt den Siegespreis? Lauft so, dass ihr ihn erlangt.“
Sorgen macht sich der Apostel Paulus. Er hat die Gemeinde in Korinth doch mit seiner Predigt vom Evangelium gegründet. Sie liegen ihm am Herzen, diese jungen Christen; wie Kinder sind sie ihm, „seine“ Gemeinde. Und nun sind andere Prediger gekommen, und die Gemeinde fühlt sich hin und hergerissen. Da bilden sich Parteien: die einen für Paulus, die anderen für Apollos, die dritten für… Und manche beginnen sogar, dem Apostel das Recht abzusprechen zum Predigen. „Der lebt anders als die anderen“, sagen sie. „Der verzichtet auf den Unterhalt durch die Gemeinde, der verzichtet auf die Ehe, der verzichtet … Ja, dabei könnte er als Christ doch alle Freiheiten genießen. Schließlich sind wir doch längst mit dem erhöhten Christus verbunden, haben schon himmlische Vollkommenheit. Da können wir doch hier mit diesem Leib alles an Genüssen mitnehmen, was sich bietet.“ Und es bot sich eine Menge: Schließlich war Korinth eine weltoffene Hafenstadt.
Und da schreibt ihnen der Apostel: „Jawohl, Freiheit habt ihr. Aber es ist keine Freiheit, in der ihr alles machen könntet, was ihr wollt, was euch Spaß macht.“
Was ist das denn für eine Freiheit? Eine Freiheit, die uns deckelt, die Grenzen setzt, ist doch keine Freiheit! Ich will das Leben genießen, will alles auskosten. Ich will mir nicht sagen lassen, was ich darf und was nicht. Typisch Kirche. Spielverderber. Immer der erhobene Zeigerfinger. Verdirbt einem doch den ganzen Spaß am Leben.
„Den Spaß am Leben?“ fragt Paulus zurück. „Im Gegenteil! Wisst ihr denn nicht, dass die, die in der Kampfbahn laufen, die laufen alle, aber einer empfängt den Siegespreis?“
Natürlich wissen sie. Sie sind doch stolz auf ihre regelmäßigen Isthmischen Spiele, die den Olympischen in nichts nachstehen und in denen sie die Wettkämpfe bejubeln. Da kommen Erinnerungen, da kommt Vorfreude! Ihre Spiele! Ja, sie wissen, was Paulus meint. Und auf einmal sagt einer: „Na ja, aber den Preis kriegt nur, wer sich konzentriert vorbereitet hat. Unter 10 Monaten mit hartem Training und Verzicht auf Wein und Frauen geht da gar nichts.“
„Siehst du“, sagt Paulus. „Das mein’ ich. Entweder in den Tag hinein leben oder den Sieg erringen. Beides geht nicht. Wer den Siegerkranz haben will, der stellt sich darauf ein. Und es wird ihm nicht mal schwer sein, auf manches zu verzichten. Hauptsache, er behält den Sieg im Auge.“
„Was für einen Sieg?“ fragt einer.
„Den Sieg des Lebens“, sagt Paulus. „Den Sieg des Lebens in Gottes Licht, in der Geborgenheit seiner Gegenwart. Dass Gott dich recht macht, obwohl du ihm oft weh getan hast. Das ist der Sieg von Ostern.“
„Ja, aber den hat doch Christus schon errungen. Da müssen wir doch nicht mehr laufen. Dieser Sieg ist doch schon da. Auch für uns.“
„Stimmt“, sagt Paulus. „Aber deswegen kannst du dich doch nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen! Du musst den Sieg nicht mit deinem Lauf verdienen. Aber du kannst dich doch wenigstens bemühen, des Sieges Christi würdig zu sein. Also lauf, als hättest du den Sieg noch nicht. Und freu dich, dass Christus ihn dir schon geschenkt hat. Ist das denn der Siegeskranz nicht wert, dass du dich anstrengst? Was nehmen die Läufer bei euren Spielen nicht alles auf sich, um am Ende den Kranz zu bekommen, der übermorgen welk und staubig ist. Sollte euch da der Kranz des ewigen Lebens nicht auch die Anstrengung des Laufs wert sein und den Verzicht?“
Einer wiegt mit dem Kopf: „Muss ich jetzt also auf alles verzichten, was Spaß macht, nur weil ich Christ bin?“
„Was heißt auf alles?“ fragt Paulus zurück. „Das musst du selbst entscheiden: Was steht dir im Weg, um das Ziel zu erlangen? Alles, was dir den Kopf zusetzt, was Gott traurig macht, was sich zwischen dich und Gott stellt, was dir wichtiger ist als Gottes Güte, alles was dich ablenkt auf dem Weg zum Leben. Mag sein, dass die Versuchung zu groß wird, auf die Flirterei im Karneval zu sehr einzugehen. Mag sein, dass deine Gesundheit leidet unter deinem Trinken. Mag sein, dass dich deine Forschung so sehr vereinnahmt, dass du meinst, du könntest der Schöpfer des Lebens sein. Mag sein, dass du so sehr auf deinen Beruf fixiert bist, dass deine Familie leidet. Mag sein…“
„Stop!“ unterbricht ihn einer. „Ich glaub’, jetzt verstehe ich, was du für eine Freiheit meinst: Du nimmst dir die Freiheit, auch verzichten zu können, wenn du dafür den Preis gewinnen kannst.“
„Genauso“, sagt Paulus. „Und da wird das Verzichten sogar leicht; denn ich kann mein Leben im Verzicht fröhlich auf Gott ausrichten.“
Einige nicken. Sie haben begriffen: Freiheit zum Leben ist nicht zügellos, sie kennt ihr Ziel und stellt sich darauf ein. Denn das Ziel ist größer als der Weg.
Da meldet sich noch einer zu Wort. „Gut“, sagt er, „aber woher weiß ich, dass ich das Ziel auch erreiche? Dass ich nicht vergeblich renne?“
„Hat er doch gesagt“, meint sein Nebenmann. „Eigentlich hat Gott dir das Ziel des Lebens ja schon geschenkt. Es ist schon da. Eigentlich ist das Ziel zu dir gekommen. Aber du sollst eben in Bewegung bleiben, damit du auch in deinem Glauben nicht träge wirst und meinst, du hättest ein Recht auf Gottes Güte. Darum lauf so, als müsstest du sie noch erlangen.“
Und Paulus fügt hinzu: „Du siehst es doch an mir. Ich lebe doch auch selbst so, wie ich es euch gesagt habe. Ist es nicht das, was manche an mir kritisieren: dass ich auch verzichte? Dass ich nicht ins Blaue hinein lebe. Dass ich mich nicht allen Lebensgenüssen hingebe, als wäre diese Zeit hier und dieser Leib hier nichts mehr wert. Ich halte mich doch selbst daran, laufe auf das Ziel zu, auf Gottes Leben für mich und mit mir. Ich bin doch kein Luftboxer, dass ich Verzicht forderte, wo er nicht nötig ist, dass ich hier große Worte machte, aber selbst anders lebe.
Nein, ich renne auch, kämpfe gegen so manche Versuchung an, die mich im Glauben und in der Menschlichkeit bequem machen will, die mir einreden will: ‘Nach dir die Sintflut!’, die mich verführen will: ‘Du hast den Himmel in der Tasche. Also hab guten Mut und iss und trink und mach, was du willst – ohne Rücksicht auf Gott oder Menschen, auf Gesundheit und Leben’. Nein, ich bezwinge meinen Leib und zähme ihn, damit ich nicht andern predige und selbst verwerflich werde. So möchte ich euch Apostel Jesu Christi sein und bleiben, Mitläufer auf dem Weg zum Leben.
Da meldet sich noch einer: „Trotzdem“, sagt er, „Du hast gesagt: Wisst ihr nicht, dass die, die in der Kampfbahn laufen, die laufen alle, aber einer empfängt den Siegespreis? Einer, versteht ihr?“ Er wendet sich an die Umstehenden. „Einer! Und die anderen? Sind wir jetzt Konkurrenten? Hast du, Paulus, nicht immer gepredigt, wir sollten miteinander Gemeinde sein? Und jetzt kommen doch nicht alle ans Ziel. Nur einer?“
Paulus sieht ihn an: „Nein, so nicht. Deswegen hab ich doch gesagt: Lauft so, dass ihr den Siegerkranz erlangt. Sieh zu, dass du der Sieger bist. Aber box die anderen nicht bei ihrem Lebenslauf heraus. Und wenn sie beim Laufen stolpern, dann hilf ihnen auf. Das ist ein Stück deines Laufs: den anderen zu begegnen. Sie sind doch auch Menschen Gottes, sogar Christen eurer Gemeinde. Die möchte Gott alle am Ziel sehen. Gebt euch Mühe, als müsstet ihr allein den Sieg erringen. Aber lauft dann miteinander zum Ziel. So, als wärt ihr eins. Seid ihr doch auch. Eine Gemeinde. Oder?“
Sie nicken. Sie haben die Worte des Paulus verstanden. Und er hat sie verstanden. Sie und ihre Spiele. Sie und ihren Glauben. Sie und ihr Leben. Sie werden laufen. Miteinander. Füreinander. Zum Ziel des Lebens.
Das Rennen ist noch nicht gelaufen. Kirche bleibt im Rennen. Und Sie, besonders die, die heute aufgenommen werden, laden wir herzlich ein, mit zu laufen. Es lohnt sich.
Amen.