Die Ohren aufsperren für Gott
Gehorsam lernen
Predigttext: Hebr 5, 7-9 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Christus hat in den Tagen seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte ... Und wiewohl er Gottes Sohn war, so hat er doch an dem, was er litt, den Gehorsam gelernt. Und als er vollendet war, ist er für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber des ewigen Heils geworden.Vorbemerkung
Die homiletische Bewältigung der Judica-Perikope hatte sich dem Problem zu stellen, die Erwartungshaltung einer Kasualgemeinde mit dem Anspruch des Textes auf verantwortete Auslegung zu verbinden. Der Predigt liegt eine an der Luther-Revision 1984 orientierte, aber am griechischen Text modifizierte Übersetzung zugrunde. Vs 7b ist absichtsvoll ausgelassen, weil die Partizipialwendung eisakoustheis apo taes eulabeias für das Hören schwierig und für den intendierten Predigtduktus (Konzentration auf Vs 8) nicht erforderlich ist. Im Falle einer weniger kasuell bestimmten Auslegung gelegentlich eines ordentlichen Sonntagsgottesdienstes hätte ich im übrigen v. Harnacks Konjektur zumindest predigtöffentlich diskutiert.Gnade sei mit euch und Frieden von Gott, unserem Vater, und dem Herrn und Heiland Jesus Christus.
Herr unser Gott, dir befehlen wir unser Hören, Reden und Verstehen. Amen.
In diesen Tagen, Ihr Lieben, hat Mel Gibson einen Film vorgelegt: “Die Passion Christi”. Ich habe den Film nicht gesehen, aber ich habe mich gestern mal ins Kinoprogramm eingeloggt: Der Film dauert 127 Minuten, also gute zwei Stunden. Minutiös und in ausgefeilter Computeranimation wird das unsägliche Leiden unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus beschrieben, ein Mensch in Folter und Qual, wie gesagt: 127 Minuten lang.
Ungefähr eintausendneunhundertfünfzig Jahre vor Mel Gibson hat ein Apostel – vielleicht war es Paulus, vielleicht war es ein Mann namens Apollo – einen Brief an die Hebräer geschrieben, der erzählt auch von der Passion Christi. Allerdings ist die Erzählung des Apostels bei weitem nicht so lang wie Mel Gibsons Film. Was dort auf 127 Minuten ausgewalzt ist, braucht im Brief des Apostels gerade mal 62 Wörter, und das geht so:
“Christus hat in den Tagen seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte … Und wiewohl er Gottes Sohn war, so hat er doch an dem, was er litt, den Gehorsam gelernt. Und als er vollendet war, ist er für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber des ewigen Heils geworden.” (Hebr 5, 7-9)
Nun muss ich sagen, Ihr Lieben, und das sage ich vor allem Euch, ihr lieben Konfirmandinnen und Konfirmanden, ich habe lange gezögert, ob ich Euch an Eurem großen Tag diese kurze, knappe und anspruchsvolle Erzählung des Hebr von der Bitterkeit des Passionsleidens unseres Herrn überhaupt zumuten soll.
Vorige Woche – alle, die dabei waren, wissen es, – hat sich Herr Izso hier an dieser Stelle ein paar ganz wichtige Gedanken gemacht über Bibeltexte, die uns mehr belasten als erbauen, und da steht ja eben auch so Manches, das zieht uns einfach runter, und aber ist das klug? Aber dann habe ich gedacht: Nein, nein, nach der Ordnung unserer Kirche begleiten wir ja unseren lieben Herrn das ganze Kirchenjahr hindurch auf seinem Weg von der weihnachtlichen Krippe bis unters Kreuz von Golgatha und begleiten ihn bis in den Ostermorgen hinein, und wir säßen ja allesamt nicht hier, wäre er diesen Weg nicht für uns und mit uns gegangen.
Und so möchte ich schon, dass wir ihm auch heute die Ehre geben, gerade auch inmitten der glänzenden Festlichkeit dieses Tages, und dass wir die Augen nicht davor verschließen, wie viel er auf sich genommen hat, damit wir alle miteinander Gottes Kinder heißen sollen und es auch wirklich sind.
Nun steht in der Mitte unseres Abschnitts ein Satz, der hat mich ganz besonders beschäftigt. Dieser Satz heißt: “Jesus hat, obwohl er doch Gottes Sohn war, den Gehorsam gelernt.” Gehorsam. Und jetzt frag ich mal: Ihr, nachdem nun diese Konfirmandenzeit zu Ende geht: Was habt Ihr in diesen kurzen neun Monaten gelernt?
Nun, ich denke: das Glaubensbekenntnis habt Ihr gelernt und die Zehn Gebote und die Seligpreisungen und den Umgang mit der Schrift und wie man Gottesdienst hält und feiert und sich auf die Dinge des Glaubens einlässt. Aber Gehorsam? Habt Ihr Gehorsam gelernt? Wollten wir das überhaupt? Solltet Ihr das überhaupt?
Als ich so alt war wie Ihr, da hatte das Wort Gehorsam einen bedrückenden Klang. Kinder hatten ihren Eltern, Schüler ihren Lehrern, Konfirmanden ihren Pfarrern zu gehorchen. Punktum. Und ich sage: Gottlob, das ist heute nicht mehr so. Im Ranking gegenwärtiger Erziehungsziele, liebe Gemeinde, da nimmt – Sie werden kaum widersprechen – Gehorsam keineswegs den Spitzenplatz ein.
Wenn wir die Zukunft unserer Kinder bedenken, so setzen wir auf Selbständigkeit, auf Mündigkeit, auf Verantwortungsfähigkeit, auf Durchsetzungskraft und Einfühlungsvermögen, alles wunderbare und außerordentlich wichtige Werte des Lebens. Aber Gehorsam? Ist das überhaupt ein Ziel?
Nun ist aber der Hebr an dieser Stelle widerborstig wie eben so vieles in der Schrift für den Normalalltag widerborstig ist. “Jesus, obwohl selber Gottes Kind, hat Gehorsam gelernt”, sagt der Hebr und lobt das ausdrücklich, ja, er lobt das so sehr, dass dieser Gehorsam geradezu als Springquell, Brunnen und und Ursprung der ewigen Seligkeit erscheint. Und jetzt sagt selber: Das ist doch einigermaßen fremd! Also frage ich: Was meint die Bibel hier eigentlich mit “Gehorsam”?
Nun merkt ein jeder sofort: Gehorsam hat mit Hören zu tun. Und jetzt muss ich Ihnen erzählen, liebe Gemeinde, wenn ich so mit der Schrift zugange bin, dann greife ich gerne zum großen Wörterbuch der deutschen Sprache. Und da finde ich zu meinem Erstaunen oft ganz andere Dinge als die, die ich als Kind mal gelernt habe. Wussten Sie, dass Eheleute einander gehorsam sind? Wussten Sie, dass Regierung und Volk einander gehorsam sein sollen? Wussten Sie, dass Eltern den Kindern gehorsam sind, wie auch diese, die Kinder, den Eltern? Womit ich sagen will: Gehorsam ist nicht irgendein Verhalten, das auf irgendeinen Befehl reagiert. Das Leben ist kein Militär. Sondern Gehorsam, das ist ein Verhältnis der Gegenseitigkeit; das ist die Achtsamkeit des Horchens, das einer für den anderen hat, das ist der Klang der Gemeinschaft. Kurzum: Gehorsam heißt sich öffnen, achtsam sein, sich einlassen und unbeirrbar aus zu sein auf den guten Klang, der, sei’s auch im Verborgenen, meiner wartet.
Er, der Sohn, hat Gehorsam gelernt. Ich übersetze das jetzt. Er hat gelernt, inmitten aller Dunkelheiten der Welt, inmitten der äußersten Belastungen seines persönlichen Lebens die Ohren aufzusperren für Gott und eisern daran festzuhalten. Das ist die ganze Geschichte. Die Ohren aufsprerren für Gott und eisern daran festhalten. Und jetzt sage ich was: Der Lärm dieser Welt macht uns ja oft genug taub. Die Enttäuschungen zehren am Vertrauen. Die Verluste zerbrechen die Hoffnung. Die Schicksalsschläge und der verschlossene Himmel zertrümmern unsern Kinderglauben. Da ist nichts, und da spricht auch niemand zu mir, und am Ende ist jeder mit sich ganz und gar und unrettbar allein.
Nein, Ihr Lieben, so ist es nicht. Jesus hat in seinen Tagen den Gehorsam gelernt, er hat sich eisern eingelassen auf die Liebe Gottes, und durch nichts und durch kein Ereignis seines Lebens hat er sich davon abbringen lassen: Ich bin Gottes Kind. Und genau das, Ihr lieben Konfirmandinnen und Konfirmanden, genau das ist die Botschaft am Tag Eurer Taufe gewesen, und auf genau diese Botschaft hin habt Ihr Euch vor einem Jahr entschlossen, Konfirmanden zu werden, und genau auf diese Botschaft hin werdet Ihr heute konfirmiert.
Lasst Euch diesen Gehorsam von niemandem wegnehmen. Was Euch in Eurer Taufe geschenkt worden ist; was Ihr heute mit eigenem Mund bekräftigt und Euch zu eigen macht; was Euch jetzt unterm Segen Gottes zugesprochen wird: das kann bis in den Jüngsten Tag hinein nicht mehr gelöscht werden. Haltet diesen Gehorsam fest! Und seid ungehorsam! Seid ungehorsam allen, die Euch weismachen wollen, es gebe keinen Gott! Seid ungehorsam allen, die Euch weismachen wollen, man brauche keinen Gottesdienst und kein Kirche, kein Abendmahl und keine Gemeinschaft der Heiligen! Seid ungehorsam allen Lüsten und allen Kümmernissen, die Euch einwickeln wollen und wollen Euch die Ohren verkleben für den lockenden Ruf unseres Herrn. Seid ungehorsam allen, die Euch bedrücken und Euch den aufrechten Gang abkaufen wollen. Aber seid gehorsam unserem lieben Herrn Jesus! Horcht auf ihn und horcht ihm nach. Er ist der Hirte. Ihr könnt seinen Schritt hören. Er führt Euch ins Leben.
Amen.